Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


 
Vierundfünfzigstes Kapitel.

Unter dem Feudalregiment.

Graf Szmoltopski und Graf Patskopski führten ein durchaus entsprechendes Leben. Alte Freunde haben beim Wiedersehen einander viel zu erzählen und namentlich hatte Szmol Erlebnisse zu berichten, von denen, obgleich der geneigte Leser sie kennt, Pat kaum die Hälfte glauben wollte. Dies verdroß Szmol, der nun seinerseits die Hälfte von Pat's Bärenjagdgeschichten ablehnte. Daraus entstand allabendlich ein kleiner Streit, den sie jedoch in abgelagertem klaren Kujawiak zu ertränken verstanden.

So zeigte er sich hier von seiner wahrhaft guten Seite, der Alkohol, den ja auch nur Säufer in Verruf gebracht haben.

Am nächsten Morgen gingen sie auf die Bärenjagd. Auf dem Wege dahin, so oft sie Bedürftige trafen, griffen sie ihnen gern unter die Arme, wenn sie jung und mollig waren. Darum wurde Pat auf seinem Besitze auch wie ein Patriarch verehrt und Szmol half ihm dabei.

»Waidmanns Heil!« rief Pat, als er eine frische Bärenfährte fand. »Heil!« rief Szmol.

Es währte nicht lange, da hatten sie den Bären aufgespürt. »Nicht schießen!« rief Pat, aber Szmol schoß und fehlte. Nun ward der Bär böse und warf sich auf die Jäger. Es war ein furchtbarer Kampf.

Schon erlahmten ihre Kräfte, da hörten sie rufen: »Liegen Sie ruhig, dann meint der Bär, Sie wären todt und Leichen ißt er nicht.«Wurde früher allgemein so angenommen und es scheint ja auch, wie man hier sieht, seine Richtigkeit zu haben. So geschah es und der Neuangekommene erlegte das Unthier mit gewaltigen Streichen.

Als Kavaliere und Waidmänner dankten sie ihrem Erretter, den sie zu ihrem Wald-Imbiß einluden.

»Zum Donnerwetter,« sagte Szmol, »sind Sie nicht der Nordhäuser?«

»So heiße ich,« sagte Nordhäuser bescheiden. »Ich kam, um Herrn Grafen einen Gruß von der Frau Gräfin zu bringen, mit der ich zuletzt in Mittelafrika die Ehre hatte zusammen zu sein. Es ging ihr den Umständen nach ganz gut.«

»Der kann es noch besser als Du, Szmol,« lachte Pat.

»O,« sagte Nordhäuser, »mein Stolz ist, rein, klar und wahr zu sein,« und nun erzählte er von Allem, was ihm passirt war und wenn sie es bezweifelten, könnte er ihnen die Narben von den Kaktusstacheln vorzeigen. Aber es sei sein Geschick, verkannt zu werden; nach seinem Tode würde er schon zu Ehren kommen. Freilich sei sein Geburtshaus abgerissen, an dessen Stelle stände ein Kaufhaus, das alles schlüge. Wer eine Schachtel Wichse kaufe, kriege ein Paar Stiefel zu und auf ein Paar Stiefel gäbe es eine Schachtel Wichse gratis. Und so in Allem. Da fördere Eins das Andere. Er hätte einen Leinenkragen gekauft und ein Hemd zu bekommen, es sei aber ein Kinderhemd gewesen. Da habe er sechs Mark darauf gelegt und ein passendes bekommen, das den Vortheil hätte, nur eine Wäsche auszuhalten, denn wenn er ein neues kaufte, bekäme er einen Kragen gratis und solch ungeheuren Vortheil könne er sich doch nicht entgehen lassen. Und so in Allem. Und brechend voll.

»Was wollten Sie mit dem Kragen?« fragte Pat.

»Mich dem Herrn melden, der mich engagirt hatte, aber der war aus der Kalkscheunenstraße verzogen wegen des Milchkrieges, über den er eine Schrift gegen den Staat schreibt. Schrecklich muß der Krieg gewesen sein. In der Albrechtstraße hatten sie Barrikaden aus Milchfässern errichtet und geschossen wurde mit Eidamern und die Frauen gossen statt des Bernauer heißen Brei's, kochende Magermilch von den Dächern auf die Kombattanten. Zum Glück waren die Margariner neutral, sonst wäre es gespannter, als zwischen Rußland und Japan geworden. Auch nicht ganz durchen Kuhkäse schossen sie als Bolzen aus Schnell-Armbrüsten. Einem Milchverleger war die Nase für alle Zeit damit verdorben. Leichtverwundete gab es viele; Butter auf dem Kopf hatten die Meisten, so hüben wie drüben.«

»Wer hat Ihnen das aufgebunden?« fragte Pat.

»Das ist die reine Wahrheit,« vertheidigte sich Nordhäuser. »Herr Iwan Schulz hat es mir so aus seiner Schrift vorgelesen; unmöglich kann doch Jemand Lügen gegen die Regierung schleudern, um sie für ungeschehene Greuel verantwortlich zu machen? Eine alte Frau, die einen Schuß Weichkäse vor den Magen bekam, krankt noch unheilbar in der Klinik. So soll im Reichstag auf den Tisch des Hauses gelegt werden, sagt Herr Iwan Schulz, und der Bundesrath soll seine Unschuld beweisen. Kann er das nicht, kommen noch mehr Sozialdemokraten hinein. Es sind schreckliche Zeiten.«Das mit dem Milchkrieg ist Blaak, weil ich doch in der Albrechtstraße wohne, dagegen das mit China und den Wilden stimmt, das habe ich schon öfter gelesen.

Der Setzerlehrling.

»Und wie fanden Sie hierher, mein Lieber?« fragte Szmol.

»Ich fragte Herrn Sanitätsrath Dr. E. Miller, der weiß Alles. Der stellte mich auch in der bazillopathisch-medizinischen Gesellschaft vor, wegen meiner Magerkeit, aber da sagte alle die jungen Aerzte, Ricinus wäre Aberglaube und gäbe es garnicht. Sie piekten Fleischproben aus mir heraus und wenn sie den Magerkeitsbazillus haben, kommen er und sein Entdecker ins Konversationslexikon. Ich aber komme nicht mit hinein, obgleich eine solche Reklame mir nützlich wäre, da ich jetzt ohne Stelle bin.«

»Wissen was, mein Lieber?« sagte Pat, »Sie können Volkslehrer auf meiner Besitzung werden. Uebertrieben ist das Salär freilich nicht, aber Sie sind vollständig vor'm Verhungern geschützt und wenn Sie sich gut mit den Bauern stellen, setzt es öfter Viktualien für Sie.

»Außerdem fallen Ihnen meine alten Hosen zu; wenn Schulmeister den Eleganten spielen, vernachlässigen sie ihre Pflichten. Es regnet freilich durch das Dach, aber man will ja Brausebäder für die Schüler, da sparen wir die Neuanlagen und das liberale Gesindel hat keinen Grund zum Nörgeln.«

Nordhäuser war hochbeglückt über die Gnade des Herrn Grafen. Auch übernahm er, wenn erforderlich, bei der Tafel in der gräflichen Livree aufzuwarten, mit großer Freude, weil er dadurch zeigen konnte, wie er als Deutscher aller Welt, zumal aber dem edlen Polen gern dienstbar sei. Daß er bei den Jagden als Treiber mitzuwirken habe, fand er so selbstverständlich, daß er darum gebeten hätte, wenn der Herr Graf ihm nicht damit zuvorgekommen wäre.

Nordhäuser nahm den erlegten Bären auf die Schulter und trug ihn zum Jagdwagen. Ueber solche Stärke des dürren Jünglings wunderten sich so Pat wie Szmol. Da Pat gerade einige Waldungen verkauft hatte, um den Keller mit Posener Korn, prima Auslese, zu füllen, gedachte er, solche Kraft beim Holzfällen zu verwenden und gratulirte sich selbst zu dem neuen Schulmeister. –

Leicht ward Nordhäuser sein neues Amt nicht, denn da die Kinder nur wenig Deutsch verstanden und Nordhäuser vom Polnischen keine Ahnung hatte, war der Unterricht nicht gerade fördernd. Auch seine Magd Szietywat that nie, was er auf Deutsch befahl, sondern beliebte ihm gegenüber einen Ton des Ausdrucks, den er als feindselig und despektirlich erachten mußte, so schwer ihm diese Annahme auch ward. Nur einmal, als sie ihm eine Schüssel mit Polnischem Kohl an den Kopf schleuderte, hob er sie an ihrem Weichselzopf hoch und holte mit dem Zeichen seiner Würde, dem Bakel, einen Theil der an ihr verabsäumten Erziehung nach. Von da ab konnte sie ganz gut Deutsch und war brav und gehorsam. Auch gewöhnte sie sich an den wohlthätigen Gebrauch des persischen Insektenpulvers.

Solche glänzender Erfolge verleitete Nordhäuser, ebenfalls in der Schule den Bakel nicht feiern zu lassen und bald zog Ordnung ein, wo wüstes Durcheinander geherrscht hatte, und da er nun seine Herzensgüte walten lassen konnte, hingen die Kinder bald an ihm und lernten mit Eifer, in der Hoffnung, dereinst in dem großen Deutschland überall ihr gutes Brot zu finden, statt auf die Wasserpolackei beschränkt zu bleiben.

Diese Neuerung gefiel dem Grafen nicht, der jedoch Nordhäuser nicht grob kommen durfte, weil er Riesenkräfte hatte, die auch dem Volke Bewunderung und Respekt abnöthigten.

Woher hatte Nordhäuser die schier unverständliche Kraft?

Szmol und Pat luden ihn auf das Schloß und gaben ihm soviel Kujawiak ab, bis er vertrauens- und redselig ihnen erzählte, daß er, als er in dem neumodischen Kaufhause ein halbes Pfund Tropon gekauft habe, um sich zu kräftigen, man ihm einen Electro-Mendax-Gürtel gratis gegeben hätte, und seitdem er diesen trüge, wären seine Muskeln wie aus zusammengedrehten Stahlkabeln.

Hierauf wagte Pat, das wäre nicht wahr. Und Szmol sagte, das wäre unerhört gesohlt.

Da erwachte der ganze Stolz eines sittenreinen Jünglings in Nordhäuser. Er entlüpfte sich den Gürtel und zeigte ihn als Beweis der Wahrheit und fragte, ob sie nie von den elektrischen Kraftgürteln gelesen hätten?

»Gelesen ja, aber für reellen Schwindel gehalten,« sagte Pat. Nun wolle er ihn einmal proben.

Pat legte den Gürtel an. Dann holte er eine Peitsche, deren Lederriemen er aus den Rücken früherer Schulmeister geschnitten hatte und sagte: »Ucze cie mówic popolska.« (Dir will ich Polnisch beibringen.)

Nordhäuser kehrte zerschlagen und hilflos in die elende Schulhütte zurück und da er seinen Worten nun keinen Nachdruck verleihen konnte, verstand die Magd Szietywat alsbald kein Deutsch mehr, kannte kein Breslau, sondern nur noch Wróclaw und verlangte, Nordhäuser solle einen Brief an ihre Tante in Königsberg nach Królewiec adressieren.

Er gehorchte und die Post auch.

Die Kinder in der Schule zerbrachen den Bakel und stiegen auf Bänke und Tische und sangen Freiheitslieder, weil Deutsche Schulgesetze, als unleserlich, für sie nicht vorhanden waren.

Die gährenden Kossäthen, Tagelöhner, Torfbäcker und Steinklopfer aber schickten ihre Frauen auf das Schloß mit der Anklage: Nordhäuser bringe die Kinder um ihr ewiges Erbtheil. Er unterrichte falsche Religion.

Da hießen Pat und Szmol Nordhäuser vor sich kommen.

Er trat an. Bleich und verhungert und mit blauen Flecken, die ihm theils die aufgewiegelten Schulbuben, theils die Magd Szietywat, theils um das Seelenheil ihrer Kinder besorgte Mütter beigebracht hatten.

»Schöne Geschichten!« fuhr Pat ihn an. »Mizerny osiet (Du elender Esel), unterschlägst die heiligen Lehren?«

»Nicht, daß ich wüßte,« entgegnete Nordhäuser offen und ehrlich.

»Du weißt nicht, szubrawiec? (Du Schuft?) Hast Du da nicht etwas vom Lot verheimlicht?«

»Allerdings,« gab Nordhäuser zu. »Aber der schwierige Fall, wo man nicht klar sieht, ob Lot sein eigener Schwiegervater oder sein Schwiegersohn, jedenfalls aber sein eigener Schwager wird, der ist für die Kinder noch zu unbegreiflich und deshalb ging ich darüber hinweg und lehrte, der Trunk bereite dem Verbrechen den Boden und der Branntwein sei aller Laster Anfang

»Wovon soll meine Brennerei verdienen, wenn nicht mehr gesoffen wird, nocny stróz' (Du Nachtwächter)?« rief Pat aufgebracht. »Solche gottlose Lehren verbreitest Du und lieferst die unschuldigen Kinder dem Teufel aus? Ei, Dich wollen wir kriegen. Psa krew, jechaj cie pies (Hundeblut, hol' Dich der Henker).«

Und Nordhäuser bekam viele Schläge von Pat, und Szmol half dabei.

»Wenn Du in einem halben Jahr nicht fertig Polnisch sprichst,« mahnte Pat, »setze ich Nachdruck drauf. Unterricht kannst Du bei den Schulkindern nehmen!«

Als guter Deutscher lernte Nordhäuser Tag und Nacht und da der Herr Graf strenge waren, machte er erhebliche Fortschritte, und als er die erste alte Hose für befriedigende Aussprache schwerer Worte bekam, war er hochbeglückt.

Bleibe nur so bei, Nordhäuser, und es wird Dir nie an gerechtem Lohne fehlen.


 << zurück weiter >>