Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Goldkönigs Ende.

Noch tobte die Kriegsfurie in Südafrika, noch war das blutige Ringen, theils um Freiheit, theils um die Goldminen nicht beendigt, als das Schicksal zu Ceciles Rhodes sprach:

Deine Uhr ist abgelaufen.

Der reichste Mann Südafrika's war langsam aber heftig erkrankt. In dem großen Garten seiner Wohnung zu Kimberley hatten die Aerzte ihm ein luftiges, hygienisches Zelt errichten lassen, damit er es kühl und bazillenfrei habe.

Nicht weit davon stand ein zweites Zelt, ohne Prunk, nur aus einfachen Binsenmatten. Hier war Nordhäuser untergebracht, der anfing sich von den Gesundheitsschädigungen zu erholen, die die Diamanten-Compagnie ihm zugefügt hatte, und brauchte eine Liegekur.

Es war so gegen zehn Uhr Abends. Die Aerzte waren in ihren Klub gegangen, auch die Wärterin hatte Ceciles verlassen, um, wie sie vorgab, etwas aus der Apotheke zu holen. Im Schatten des Zeltes und der Eukalyptusbäume lagen, schwarz wie der Schatten selber, eine Anzahl Negerinnen mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen.

Sie, die unverhärteten Kinder der Natur, fühlten das Nahen des Todes; ihr geistiges Ohr hörte das Rauschen seiner Fittiche.

Unruhiger und unruhiger wurde Ceciles Rhodes auf seiner Lagerstatt. Plötzlich richtet er sich auf und horchte.

Wie aus einem Cypressenhaine leises Wehen, so kam es durch die Nachtluft.

Aus dem leisen Wehen wurde leises Weinen, das näher und näher kam. – Wie Kinderweinen war es.

Als wenn tausende unschuldiger kleiner Wesen jammernd nach Leben ringen.

Immer qualvoller klang es, immer wehevoller, bis das ganze Land mitschrie und herzzerreißendes Echo von den Wolken widerhallte.

Ceciles hatte die Augen geschlossen. Seine Brust arbeitete wie im Schauder.

Der Mond brach durch die Wolken und beleuchtete sie grell. Es waren aber keine Wolken, die sein kaltes Licht beschien, sondern am Himmel herziehende Schaaren von darbenden Kindlein, von Säuglingsleichen, von todten Mägdlein in Sterbegewändern, von todten Knaben mit vorwurfsvoll fragenden Blicken.

Es waren die Geister der in den Concentrationslagern der Engländer hilflos dahingerafften Burenkinder.

»Wehe! Wehe! Ceciles Rhodes,« hauchten sie. »Denk' wie wir in unsrer Jugend Lenz ermordet sind. Verzweifl' und stirb.«

Dann wandten sie sich dem Zelte Nordhäusers zu und sprachen: »Sei getrost, Nordhäuser. Dir stehen erwürgter Kinder tiefgekränkte Seelen bei. Du wirst einst ein hohes glückliches Ziel erreichen.«

Ihnen folgten die Geister der wahnsinnig gewordenen Mütter, gräßlich anzusehen, theils in Ketten, theils in Zwangsjacken. Ihre Augen starrten weit geöffnet auf den in Angstschweiß gebadeten Ceciles und mit schauervoller Grabesstimme und mit lautem Schluchzen ausgefüllten Pausen sprachen sie:

»So weit die weite Ewigkeit,
So groß ist unser Herzeleid. –
          So groß und ewig der Höllenschrein,
So ewig währet der Strafe Pein. –
Wird einst auch alle Schuld vergehn,
Der Fluch der Mütter bleibt bestehn!!

Alle werden erlöst, Alle – nur für Dich giebt es keine Gnade. Verzweifl' und stirb!«

Zu Nordhäuser gewendet sprachen sie alsdann unter sanfter Flöten- und Harfenbegleitung:

Schlaf, Nordhäuser, schlaf,
Du warst stets treu und brav.
Bleib ferner auch ein guter Mensch,
Dann wird dir – – – – –«

Ein tobendes Gepolter unterbrach die Anrede.Es ist sehr schade, daß der Lärm gerade jetzt eintrat und die letzten Worte des Mütterchores der Geister unverständlich machte, weil es höchst interessant gewesen wäre, zu erfahren, welchen Reim das Jenseits auf Mensch hat, da es einen solchen im Diesseits nicht giebt.

Donner grollte unter der Erde und über der Erde. Die Hügel erhoben sich wie Wellen und barsten auseinander. Aus der Spalten schlugen sausende Flammen hervor. Inmitten dieser Flammen stand ein gewaltiger Riese, braun von Antlitz, in der zu Lumpen zerschlissenen Tracht eines Feldarbeiters. Seine Brust war geöffnet und aus dem zuckenden Herzen floß das Blut in Strömen zur Erde.

»Sieh mich an!« rief der Furchtbare mit Bärenstimme. »Ich bin der Geist Südafrika's, auf das Du England gehetzt hast gleich einem gefräßigen Bullenbeißer. Nie heilen die Wunden, die Ihr mir geschlagen. Verflucht ist das Gold, an dem mein Blut klebt. Wer es berührt, verfällt dem Untergange. Verzweifl' und stirb!«

Mit milder Stimme wandte der schreckliche Geist sich zu Nordhäuser und sprach: »Segen über Dich, Du rechtschaffener Sohn einer sittenreinen Destille vom Koppenplatz. Bleibe stets echt und gediegen und Du wirst der Trost vieler Menschen in allen Lebenslagen und zu allen Zeiten sein.«

Unter betäubendem Prasseln verschwand der Geist in der Versenkung und Alles war wieder wie vorher. Stumm lagen die Negerweiber im Schatten des Zeltes und wagten kaum zu athmen.

Entsetzt sprang Ceciles auf: »Einen Schnellzug!« schrie er heiser. »Mein ganzes Reich für einen Schnellzug! Die Buren sind hinter mir her. Sie fassen mich . . . Sie werfen mich zu Boden. – Ha . . . haaah . . . in jenem Schmelztiegel ist geschmolzenes Gold; das wollen sie mir in die Kehle gießen. – Ich beiße die Zähne fest zusammen. – Aaaah! – Sie brechen mit den Mund auf. – Laßt mich, es nützt Euch nichts . . . mein Durst nach Gold ist unersättlich und wäre das Weltmeer Gold, es könnte ihn nicht löschen. – Au – au, aah ah – ah! Wie es brennt, wie es sengt. –«

Mit zitternder Hand ergriff er seine geliebte Whiskyflasche und feuchtete seine glühenden Schlundnerven in gewohnter Weise an. Mit einem greulichen Fluch sank er auf das Lager.

Schon bemerkte er neue Geister herandämmern.

»Ich glaube an Nichts,« rief er und schrie die Erscheinungen an. »Ihr seid Unsinn, Gebilde des Fiebers, Schwindel für Dumme. Ich bin Ceciles Rhodes, der Kluge und der Reichste. Hundertundzwanzig Millionen sind mein. Hinweg mit Euch Bettelpack. Habt Ihr einen einzigen rothen Heller, Ihr Geister? He?«

»Aber ich bin kein Geist,« rief eine weiße Gestalt und trat vor seine Lagerstatt.

»Wer bist Du? Was willst Du?« frechte Ceciles sie an.

»Wenn Du mich kennst, weißt Du, was ich will!« lautete die Antwort. »Sprich, Ceciles, kennst Du mich nicht?«

»Scheer Dich zum Satan,« antwortete der ungekrönte König Südafrika's.

»O Ceciles! Einst war ich Dir Alles. In meinen Armen vergaßest Du die unwürdige Neigung zu den Schwarzen. Ceciles, wie konntest Du, als Gentleman, Dich von Negerweibern bezaubern lassen?«

Rhodes grunzte etwas Unanhörbares, worüber die weiße Gestalt erröthete, und schnalzte lüstern mit den Lippen.

»Deine niedere Neigung,« fuhr sie fort, »stammte von Deiner Vorliebe für viel aber billigen Sekt. Das nennt man nicht mehr trinken, Ceciles, sondern saufen.«

»Wenn es mir nur geschmeckt hat,« warf der Todtkranke höhnisch ein.

»Leute mit Deinem Golde lassen nur erste Marken über ihre Zunge perlen. Aber Du warst Plebs und bist Plebs und wirst Plebs bleiben!«

»Thanks!« sagte Rhodes spöttisch.

»Ich versuchte Dich moralisch zu heben,« sprach die Gestalt weiter. »Ich lehrte Dich die besseren und besten Sorten: Matthäus Müller, Burgeff, Kaiserblume, Mercier, Deutz & Geldermann, Pommery, Heidsieck, Mumm und Veuve Clicquot extra dry

»Beastly expensiv!« grollte Rhodes.

»Und als ich Dich so für Edleres empfänglich gemacht, da opferte ich mich selbst. Dir gab ich meinen blendenden, weißen Leib . . .«

»Poudre de riz!« rief Ceciles verächtlich.

»Die Enveloppe meiner adeligen, hochstehenden Persönlichkeit. Blick her, erkennst Du mich jetzt?«

Bei diesen Worten schlug die weiße Gestalt den Schleier zurück und enthüllte ihr aristokratisches Antlitz.Sie war sehr schön, ohne jedoch einen Vergleich mit Emma'n aushalten zu können.

»Ha! Die Radziwill!« schrie Rhodes. »Die einzige Thorheit meines Lebens.«

»Du hast mich geliebt!« rief die Radziwill, denn sie war es wirklich.

»Fiddlestick!« entgegnete Rhodes. »Ich habe Dich gekauft. Geliebt haben mich die schwarzen Weiber, ungeschminkt haben sie mich geliebt. Sie, die Naturkinder, unter deren dunklem Fell die Lava der Leidenschaft brodelt, die in feuriger Brunst auflodert, wenn der Sturm der Liebe sie entfacht, sie waren mein. Ich war ihr Herr; ein Wort von mir war ihr Verderben . . . . gönnte ich ihnen Gunst, war ich ihr Gott!! Lebend starben sie in meinen Armen, sie kannten kein größeres Glück, als an meinen Küssen zu vergehen. Und wenn ich sie beiseite warf . . . . sie blieben mir treu, weil sie mir in Liebe erstorben waren. – Doch das verstehst Du nicht, Du Bleichgesicht, berechnendes Geschöpf der europäischen Civilisation. Geh, Weib! Als moralischer Hebebaum warst Du nichts werth. – Du warst morsch, wie sie Alle, die krank sind von der Kultur. Geh, schäme Dich vor den Schwarzen!«

»Ist das der Dank, Du Kerl, daß ich mich mit Dir Branntweinstänker abgab, Deine ungeschlachten Manieren ertrug? Ja, Unmanieren, denn selbst zum Kaiser bist Du in Deinem dreckigen Reiseanzug gegangen, Du Straßenfeger! Hast Du, tabakspriemender Schifferknecht, nicht die Rosaseidentapete meines Boudoirs besudelt, als wärest Du im Spucknapf groß geworden und im Hundestall erzogen?«

»Alles bezahlt!« lachte Ceciles.

»Die Tapeten noch nicht. Aber Du wirst zahlen. Hoch bezahlen; verstehst Du?«

»Keinen Penny!«

»Doch – das heißt, wenn Du Geld hast?«

Ein Lachkrampfanfall hinderte Ceciles am Sprechen. »Ich bin – der – reichste Mann – der Welt!« stieß er hervor.

»Warst Du. – Warst Du!«

»Befreit mich von dem verrückten Weibe,« rief Ceciles, »ihr Blödsinn langweilt mich.«

»Du wagst noch, mich zu beleidigen?« zischte die Radziwill ihm wüthend zu. »So erfahre die kalte, nackte Wahrheit: Du bist ein Bettler. Kennst Du diese Unterschriften?«

Aus ihrer Handtasche nahm die Radziwill eine Menge von Wechselformularen, alle mit der Unterschrift Ceciles Rhodes versehen, und hielt sie ihm unter die Augen.

»Was sollen die Wische?« fragte Ceciles.

»Es sind lauter Blanco-Accepte,« entgegnete die Radziwill mit eisiger Ruhe, »vollgültige Acceepte, mein Schatz, von Dir rechtsgültig quergeschrieben.«

»Fälschungen,« rief Ceciles.

»O nein, mein Engel. Diese Unterschriften sind von Deiner Hand. So betrunken warst Du nie, wenn Du unterschriebest, daß Du nicht gewußt hättest, was Du thatest. Und ich habe Zeugen, daß Du sie freiwillig ausstelltest, Zeugen, Theilnehmerinnen an den lustigen kleinen Gelagen, wo Du besseren Sekt trinken lerntest.«

»Zur Hölle mit den feinen Marken . . . . ich war sie nicht gewohnt.«

»So bezahlt sich Deine Schmutzerei, mein Herzensjunge. Und nun frage ich Dich, willst Du mich jetzt auf Deinem Sterbebette zu Deiner rechtlichen Gattin und Erbin machen?«

»Wenn ich das thäte, müßte ich Dinte gesoffen haben.«

»Du willst nicht?«

»Nicht in die la main

»So höre mein letztes Wort. Mehr als Dein Hab und Gut schreib' ich auf diese Blancowechsel, so viel mehr, daß sich noch einige Millionen Schulden herausstellen. Du fährst zum Teufel als . . . Bankerotteur.«

Dies war für Ceciles zu viel. Gebrochen sank er zurück. Die Radziwill verschwand rechts mit rachedrohend erhobenem Arm und ihrer Handtasche in der Dunkelheit der Nacht.

Verlassen, wie todt, lag Ceciles auf seinem Lager. Niemand war bei ihm. Sein Arzt bedurfte der Ruhe; die Pflegerin, welche ihm Trost aus frommen Schriften einflößen wollte, hatte er mit Worten vertrieben, die sie nicht hören durfte. Die Negerinnen wagten sich nicht zu rühren, so lagen sie in dem Banne des Grauens vor den unheimlichen Erscheinungen aus einer anderen Welt.Viele zweifeln bekanntlich an Spukgestalten und dgl., besonders die Wissenschaft. Auch wir stehen auf letzterer. Aber wenn die Negerweiber Uebernatürliches gesehen haben, so muß doch wohl Wahres daran sein. Es giebt eben genug Unerklärliches, wie z. B. wenn etwas eintrifft.

Nach geraumer Weile rührte er sich.

»Whisky!« murmelte er.

Nordhäuser, der gerade wach geworden und aufgestanden war, nach dem Wetter zu sehen, hörte den Ruf und ging in das Zelt Ceciles.

»Sie wünschen?« fragte er.

»Whisky!« stöhnte Ceciles.

Nordhäuser entkorkte eine Flasche und setzte sie Rhodes an die Lippen, der mit hastigen Zügen schlürfte.

»Nun ist es genug!« sagte Nordhäuser.

»More . . . more of it!« befahl Ceciles.

»Mehr dürfte schädlich sein,« warnte Nordhäuser.

»Damned blockhead!« fluchte Ceciles. Und wieder trank er und trank er.

Unbezwingbares Zittern überkam ihn. Seine Hände bebten.

»Wie wird mir?« schrie er. »Wie wird mir?«

»Das ist das Delirium tremens,« sagte Nordhäuser. »Hätte ich Ihnen rathen gedurft, ich hätte Ihnen gesagt: Meiden Sie starke Getränke. Aber es kann ja noch Alles gut werden.«

»Es ist zu spät. Sie beide sind mein Tod, die Radziwill und der Whisky. O Jüngling, wäre ich Dir stets gefolgt, es stünde besser um mich. Doch sage mir Deinen Namen, der Du mich so liebreich zu trösten versuchest. Wie heißest Du?«

»Nordhäuser!«

»Ha! Hebe Dich von mir! Eine Zigeunerin prophezeite mir einst, ich würde an Nordhäuser sterben. Hinweg! Hinweg!«

In furchtbarer Raserei ergriff Ceciles die Whiskyflasche und schleuderte sie nach Nordhäuser, der ihr jedoch geschickt auswich.

»Ich verzeihe Ihnen,« sprach Nordhäuser sanft, »aber der, den die Frau meinte, der bin ich nicht, denn der, der der ist, der ist ein ganz anderer.«

»Mus wie Mine!« sagte Ceciles mit letzter Anstrengung.

Dann begann er sich heftig zu bäumen und zu röcheln. Plötzlich schlug eine qualmende Flamme aus seinem Munde, die eben so rasch wieder erlosch, und Ceciles hatte seinen Geist ausgehaucht.

Tief erschüttert stand Nordhäuser und während er ihm die Augen schloß sprach er: »Er war ein großer Geist, aber der Flaschengeist war größer als er.«

Und sinnend ging er in die Stadt, um zu melden, daß der ungekrönte König Südafrika's sein Reich für immer verlassen.

Die Negerweiber aber brachen in lautes Klagegeheul um den Todten aus, den sie geliebt hatten. Eine der Frauen, es war die hübscheste und jüngste, hob einen Scherben der zertrümmerten Flasche auf und öffnete sich damit die Pulsadern.

Er war ihr König gewesen, nun folgte sie ihm nach der Sitte ihres Stammes in das Reich der Schatten.


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