Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Fünfzigstes Kapitel.

Hexensabbath.

»Darf ich bitten,« sagte die Roldemolde, »die Vorträge beginnen.«

Die Gesellschaft begab sich in den Antimusensaal, der in Gelbgrau mit violetten Linienmotiven gehalten war. Da bogen sich durcheinander die wollüstigen Blutegellinie, die Regenbandwurm- und die Bandregenwurmlinie, da verknüpften sich die gefüllte Wurstlinie mit der entleerten Choleradarmlinie, da erhob sich die warmempfundene pyramidale Schneckenlinie über der gewellten kaltgedachten Wasserlinie, so daß das Ganze den Eindruck eines unnöthigerweise verschlungenen Gekröses machte. Diese Dekoration galt Kennern als Gipfel symbolischer Liniensprache.

»Es riecht hier mal sonderbar,« sagte der Graf. »Wie Lazareth und Jokeyklub zusammen.«

»Wir sprengen mit Eau de Charogne triple, deren Hauptbestandtheil Rieselfelderessenz ist. Haben Sie je stimmungsvolleres gerochen?«

»Nein; ich gehe solchen stets aus dem Wege,« sagte der Graf und hielt sich die Nase zu.

Man nahm Platz auf unbequemen, aber modernen Sesseln und der Vorhang der Privatbühne theilte sich. Man hörte qualvolles Aechzen und Stöhnen hinter den Kulissen in feinster künstlerischer Abtönung.

Doch jetzt – – – – Man sah etwas.

Eine junge Dame schmiegte sich durch die Falten des graublauen Sammethintergrundes; sie war sehr schmal und in schlappiges Weiß gekleidet. Die Wangen waren schmal und auch die grauen Lippen; ebenso die Schultern. Am schmalsten waren die Stelle der Brust und der Platz der Hüften. Ihre schmalen, bloßen, bläulichen Füße staken in Silbersandalen. Das in feinen Längsfalten fallende Gewand war auf der Vorderseite mit silbergrünen Eidechsen gestickt. Auf dem Rücken war ein purpurfarbenes Herz aus schimmerndem Plüsch als Miederausschnitt und rothe Tropfen schienen von dem Herzen auf das Kleid und die Schleppe zu rinnen. Die aschblonden Haare lagen schlicht an den Schläfen; als Diadem trug sie einen Kranz von dickstängligen Fliegenpilzen.

Langsam trat sie vor und erhob langsam die schmalen Arme mit den pappschmalen Händen, deren von furunkelfarbigen Linien zerfurchte Innenflächen sie unter geistesabwesendem Stieren dem Publikum zuwandte.

Ihre Froschaugen hatten etwas Schreckliches.

Die dunkelschwarzen Pupillen waren viereckig.

»Dies ist die Mallerosa,« erklärte die Roldemolde dem Grafen, »eine unserer zielbewußtesten Ueberperversen; schon seit Jahren leidet sie an unheilbarer Seelenbleichsucht. Doch stille; sie ist so weit.«

Die Mallerosa rollte die Augen, wodurch die Pupillen den Eindruck von verschobenen Sechsecken machten.

Alles schauderte erwartungsvoll und athmete kaum.

Mit einer Stimme, als wenn Sägen gefeilt werden, begann sie:

Loderndes Eis.

Ein Mysterium.

                  Mein weißer Leib ist der Altar – – – –
Ich selber will das erste Opfer sein . . . .
Mich bringst Du Dir . . . . und Dir mich dar – – – –
Drum wolle Dir mich, mir Dich weihn.
O! laß in grauenvollen Sünden
Das heil'ge Feuer uns entzünden!!!

Du kennst ja nicht die gluthenlose Gluth,
Die meinen Busen busenlos durchwühlt,
Und nicht die wuthlos süße Wuth,
Die küssend küsselose Küsse fühlt – – – –
Dort, wo verbrecherische Lüste branden,
Laß lieblos uns . . . . in Liebe landen!!

Bist schrecklos Du, schreckhafter Mann,
So schleiche schleichend hinterwärts;
Den scharflos scharfen Stahl alsdann
Bohr' zaglos in mein herzlos Herz.
Das Opfer sinkt – mit hehren Wollustkrämpfen
Verröchle ich in grausen Todeskämpfen.

Bei der letzten Strophe drehte die Mallerosa sich, daß man das blutige Herz sah und die rieselnden Sammetblutstropfen. Langsam glitt sie zur Erde, wo sie mit schlotternden Zuckungen den Schluß der Ballade mimisch-plastisch auspendelte, bis sie, wie verendet, die Glieder von sich streckte. Vier junge griechische Sklavinnen, in hochgeschürzten Kleidern, traten ein, die Cypressen und Lilien als Symbole der trauernden Jungfräulichkeit auf die Mallerosa streuten, deren Privatleben, wie die Roldemolde versicherte, über jeden Makel hochstand. »Sie erträumt alle ihre Sachen in völligster Unschuld und macht sie ohne jegliche Beihülfe in verschlossener Einsamkeit fertig, gewissermaßen als wirkliche geheime Kammerdichterin.«

Um so mehr wurde ihr Genius bewundert.Ganz wie bei Schiller, der ja ebenfalls im »Tell« die Schweiz mit photographischer Treue dichtet, ohne sie anders als durch Bädeker gekannt zu haben. – Gelesen hat die Mallerosa sicherlich auch viel, was nur für reifste Jugend, sonst könnte sie es doch wohl nicht so eingehend. – Außerordentlich ist ferner ihre Zurechtweisung Goethe's, die als Albumvers sehr beliebt ist:

»Willst Du erfahren, was sich nicht geziemt,
So frage bei uns jungen Mädchen an«

womit sie durchaus nicht Unrecht hat.

Die nervenreißende Darstellung begleiteten zwei Uebersymphoniker mit der Wassersnothmusik, die dadurch erzeugt wurde, daß sie den auf den Kopf gestellten Klavierauszug von Feuersnoth vierhändig herunterspielten.

»Nun, was sagen Sie?« fragte die Roldemolde.

»Wen ich um etwas bitten dürfte,« erwiderte der Graf, »so wäre dies ein Cognac.«

»Noch nicht!«

»Aber mir ist höchst eklig. Mageres Laster war mir von je her zuwider.«

»Ich bitte Sie,« lächelte die Roldemolde, »wie könnte hier von Laster die Rede sein? Die Mallerosa ist die Unnahbarkeit selber.«

»Aber ihre Dichtungen . . .«

»Nur Ausfluß ihrer kindlichen Phantasie. Sie ist ja kaum achtzehn Jahr . . .«

»Und schon so . . .«

»Bedeutend!« schnitt ihm die Roldemolde das Wort ab. »Lieber Graf, die Mallerosa marschirt in ihrer unreinen Reinheit an der Spitze der animalischen Wahrheitskunst. Was war die Sappho gegen dieses Talent, das noch wird?«

»Die wird noch erst?« fragte der Graf, als ob er sich verhört hätte.

»Sie durchlebt momentan die Vorstudien zu einem Epos, betitelt: ›Göttin Brunst‹. Es wird zehn Bände stark und Alles übertreffen, was sich nicht für die Familie eignet. Und dabei ist sie so wundervoll hysterisch – ihre Krämpfe von vorhin waren echt – wir fürchten, daß bei solchen selbstgestellten Aufgaben sie sich selber aufreibt.«

»Lassen Sie sie reiben,« entgegnete der Graf spöttisch. »Mein Fall sind fesche Operetten und nicht solche Gänsehautsachen

»Aber Graf! Wie dürfen Sie Anspruch auf Bonton erheben, wenn Sie jenes leichtfertige Genre den ernstesten Idealbestrebungen unserer Neupoeten vorziehen? Sehen Sie denn nicht, wie die Mallerosa sibyllengleich warnend den Finger in die ewig offene Wunder der Menschheit legt?«

»Mir ist ein Fingernagel von der ›Schönen Helena‹ lieber als sämmtliche Malleropoeten. O heiliger Offenbach, als Deine Weisen herrschten, da ließ es sich noch leben! – Da war die Welt noch kein allgemeines Krankenhaus.« Und in wilder Sehnsucht nach Aufheiterung rief er: »Musik!« und ohne weiter Rücksicht zu nehmen, stimmte er laut und lustig an:

»Stürz' mich in den Strudel, Strudel 'nein!«

»Schweigen Sie!« raunte die Roldemolde ihm zu. »Wie können Sie solche Frivolitäten singen, Sie Mörder? Denken Sie an das im Thiergarten vergossene Blut!«

»Ha!« rief der Graf und verfärbte sich. »Ja – ja! . . . Aber ist meine Schuld so groß, daß ich sie durch das Erdulden Malleroser Verse büßen muß?«

»Beruhigen Sie sich. Man reicht jetzt den Cognac, der vor der nächsten Nummer genommen werden muß, damit man sie richtig würdigt: der Tanz der vierhundertsechzig Pfund wiegenden Riesenballetdame an elektrischen Gehirndrähten, Experiment von Professor Moskolow, betitelt: die Ueberwindung der Schwerkraft

»Man gebe mir den Cognac,« bat der Graf, »aber ohne das fette Weib. Lasterhafter Speck war mir von jeher zuwider.«

Die Roldemolde winkte Benedikt, der mit dem Tablett herbei eilte, worauf Gläschen und ein Fläschchen standen, das der Graf leerte, ehe die Geheimräthin Einhalt thun konnte.

Benedikts treubiederes Antlitz verzerrte sich im Ausdrucke furchtbarer Besorgniß.

Die Roldemolde nahm den Grafen am Arm. »Kommen Sie,« sprach sie. »Sie müssen sofort zu Bett.«

Der Graf fühlte sich sonderbar. Es durchschlich ihn wie Blei und schleppend folgte er, von Benedikt unterstützt, der Geheimräthin.

Auch das Denken fiel ihm schwer. Wohl tauchte die Besorgniß auf, daß Professor Moskolow, ihm, dem Wehrlosen, irgend ein Centrum aus dem Gehirn schnitte oder was er sonst auszuüben gewissenlos genug wäre, aber die Furcht wich dem Vergnügen, mit dem er vor seinen geschlossenen Augen wie aus den Wolken Bilder entstehen sah: Klarstrahlenden südlichen Himmel, prangende Gärten mit schillernden Blumen, mit Grotten und rieselnden Bächlein und in den Grotten in anmuthiger Bewegung und an den Ufern der Gewässer in sanfter Beugung die schönsten weiblichen Gestalten lebendig, die je Maler auf der Leinwand verkörpert und Bildhauer in Marmor und Elfenbein schufen. Da waren die Venus von Praxiteles, von Dyks Dana ë, die Leda, die Semele, die Susanne, Bertha Rother, die Chimay und welche sonst je für das Stereoscop gesessen hatten. Alle, Alle waren sie da in endlosen Schaaren und künstlerischen Stellungen.

»Wo bin ich?« fragte Szmoltopski.

»Im Paradiese Mohameds,« hörte er wie aus weiter Ferne eine spöttische Stimme antworten.

Dann vernahm er nichts mehr.

Er sah nur noch.


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