Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zwölftes Kapitel.

Der Untergang der Tyrannen.

Die westafrikanische Abendsonne leuchtete in friedlichen Strahlen auf den Marktplatz der freundlichen Haupt- und Residenzstadt Assessoria, aber was sie beleuchtete war kein Anblick für zartbesaitete Gemüther.

In einem Halbkreise standen schwarze Männer unter der Leitung ihres ausgezeichneten Chordirektors Herrn Gisbert Bemoll und sangen den Prügelchor aus den »Meistersingern« ins Usambarische übertragen.

Vor diesem Halbkreise knieten ihre theils jüngeren, theils älteren Frauen, dem Ballet des Assessorischen Nationaltheaters angehörig, mit gefesselten Händen und Füßen. Bekleidet waren sie nicht einmal mit dem Wenigen, was die Kunst den Tänzerinnen gestattet.

Auf einem Palmenthrone, umgeben von kostbaren Elephantenzähnen, Goldstaub und Jagdtrophäen, saßen die Referendare Robert Wohlauf als erster und Franz Wohlab als zweiter Machtinhaber des Landes.

Sie saßen zu Gericht.

Am Abend vorher war in dem Ballet »Soldataria« nicht tadellos getanzt worden. Bei dem Schlußmarsch-Ensemble hatten die Weiber nicht genau Richtung gehalten. Wamwama und Wumwumi, die beiden Koryphäen, waren statt mit dem rechten, mit dem linken Fuß angetreten. In der ersten Reihe waren einige Gamaschen nicht vorschriftsmäßig geknöpft. Das heischte Sühne. Wo blieb das Ansehen der Regierung bei solchen schwerwiegenden Ungesetzlichkeiten?

»Die Weiber sind faul,« sagte Wohlauf.

»Sie müssen gehauen werden,« sagte Wohlab.

»Nur die Alten,« sprach Wohlauf. »Die Jüngeren werden der liebevollen Ermahnung zugänglich sein. Man schaffe mir Wamwama und ein Dutzend der Eleven in meine Privatgemächer, daß ich ihnen die Gesindeordnung vorlese.«

»Mir Wumwumi und dito ein halbes Dutzend Eleven,« sagte Wohlab.

Herzzerreißend schrieen die Koryphäen und die kaum dem Kindesalter entwachsenen Eleven, als die Kawassen diesen Befehlen nachkamen, denn sie fürchteten sich. Noch furchtbarer heulten die schwarzen Balleteusen der letzten Reihen, als die entmenschten Henker sie mit Nilpferdpeitschen schrecklich zurichteten.

Die Papageien des nahen Urwaldes stimmten mit lautem Kreischen in das Geschrei ein, und die Brüllaffen stießen weit schallende, gräßliche Klagetöne aus. Ein alter Affe verlor über dieses nie erlebte Schauspiel den Verstand und fiel aus dem Nest, wobei er das Genick brach.

Selbst die Natur empörte sich, die Referendare aber blieben unerweicht. Man fragt sich, hatten sie regieren gelernt? Dieses freilich nicht. Aber sie waren Juristen und die können Alles.

Da nahte sich ein Zug Verschleierter mit dumpfem Gesange und trübeflackernden Fackeln der bereits bluttriefenden Richtstätte.

»Gnade,« sangen sie, »Gnade, Robert u. s. w.«

Die Anführerin des Zuges trat vor. »Wohin schleppt Ihr Jene?« fragte sie und deutete auf die jammernden Elevinnen, auf Wamwama und Wumwumi, die händeringend zu ihren Göttern flehten.

»Gebt sie frei,« rief sie.

»Strafe muß sein,« antworteten die Referendare.

»Laßt sie frei, wir bieten Euch Ersatz, wenn das Gesetz durchaus seinen Lauf haben muß.«

»Welchen Ersatz? Wo ist er?«

»Wir selbst,« rief sie mit lauter Stimme.

»Entschleiert Euch,« befahl Wohlauf.

Die Schleier fielen. Es waren Diakonissinnen, voller Opfermuth und beseelt von Nächstenliebe; wenn auch alt an Jahren, so doch jung im Kampfe für das Gute.

»Hinweg!« brüllte Wohlab. »Kawassen, thut Eure Pflicht.«

»Ihr wollt nicht?« rief die Priorin. »Wohlan, Wohlauf und Wohlab, so habt Ihr euch selbst gerichtet. Mit der nächsten Post gehen die Akten Eurer Schändlichkeiten nach Europa. Ihr verschmäht unser Opfer zur Errettung der Unglücklichen . . . Ihr werdet es büßen. Dies schwöre ich Euch bei meinen sechzig Jahren.«

In überschäumender Heiterkeit lachten die Referendare. »Euch plagt der Neid,« höhnten sie. »Ihr wollt herrschen und das gelingt Euch nicht.«

Plötzlich vernahm man von rechts Trommeln und Zinken und einen allmälig anschwellenden Chor. Nach und nach verstand man die Worte:

»Nordhäuser kommt,
Nordhäuser kommt,
Nordhäuser ist schon da!«

Ja, er war da: in silberstrahlender Rüstung mit dem blinkenden Richtschwert der Toleranz in der Hand, begleitet von den Getreuen . . . . unser Nordhäuser.

Jubelnd fielen ihm die Westostafrikaner zu Füßen und riefen ihn zum Gebieter des Landes aus.

Wohlauf und Wohlab wurden umzingelt. Die Menge wollte sie lynchen.

»Halt,« rief Nordhäuser. »Greift nicht der Gerechtigkeit vor. Bringt sie auf das Schiff. Ihrer wartet die Strafkammer!«

Alle waren tief erschüttert. Die Sonne ergoß scheidend ihre Purpurstrahlen über das farbenprächtige Bild der Liebe und Milde.

Feierlich erklang jetzt die Schlußhymne. Kein Auge blieb trocken. Die Eleven und Koryphäen schlangen den Siegesreigen, dem sich die Diakonissinnen anschlossen.

Nur Einer stand links, finster und drohend, und murmelte giftig:

»Damned.« – Es war Dr. Jameson .

Nordhäuser ahnte nicht, welches Unheil dieser Feind ihm noch bringen würde.

Er wußte nichts von den angesponnenen Intriguen.

Emma kannte sie, durfte sie aber nicht verrathen. Ein schrecklicher Eid schloß ihren schönen Mund.

Blutig ging die Sonne unter.

Was wollte sie damit sagen?

Anmerkung: Der Leser ersieht allmälig, wie die Zeitereignisse immer gewaltiger in den Roman eingreifen und sich ein Kulturgemälde entwickelt, das von den schärfsten X-Strahlen richtig erleuchtet, in den folgenden Lieferungen Niedagewesenes enthüllen wird.


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