Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Im Irrgarten der Politik.

Als Graf Szmoltopski aus einem Dauerschlaf von drei Wochen erwachte, worin ihn der gekräuterte Kognak versetzt hatte, wußte er nicht, daß der Doppelselbstmord, den er sich auflud, nur ein unter den Unfugsparagraphen fallendes Ereigniß war und fühlte sich um so schuldbeladener, als die Roldemolde ihn mit den Worten begrüßte: »Nun, Herr Mörder, gut geruht?«

»Ich möchte weiter schlafen,« sagte der Graf, »und . . . . träumen . . . .«

»Dazu haben wir keine Zeit. Große Dinge bereiten sich im Osten vor. In spätestens acht Tagen muß ich im Besitze des Rezeptes vom rauchlosen Unterseepulvers sein.«

»Was kann Ihnen das nützen, meine Gnädige?«

»Sind Sie denn von allem Verstande verlassen?« fuhr die Roldemolde ihn an. »Haben Sie nicht längst gemerkt, daß ich im Dienste einer gewaltigen Macht stehe?«

»Fängt sie mit einem R. an?«

»Allerdings. Zwei R. kämpfen um den schlichten Besitz der Welt: Das R. vom Süden, das R. vom Norden. Wem wird Deutschland zufallen? Den Deutschen ward als Welterbe der stolze Baum des Denkens gegeben, doch damit er nicht in den Himmel wachse, sind das Bier und der Skat erfunden, und damit er verseuchende Früchte trage, wird er vom Norden her mit perverser Litteratur und perversem Theater gepfropft. Je rascher er verdirbt, um so eher ernten wir. Verstehen Sie nun mein Pensionat? Es arbeitet an dem Niedergange. Die Pflege des Volksthümlichen ausrotten, heißt die Volksseele verkommen lassen, und mit der Seele vergeht der Körper, das sehen Sie an Professor Moskolow's Experimenten. Man mache die Völker stumm und stumpf, wie Benedikt, dann werden sie gehorsam und küssen die Hand, die sie zu dem Glück geleitet, Unterthanen eines Weltreiches zu sein.«

»Ist das Glück?«

»Wenigstens das Ende vom Liede. Es ist mit den Völkern wie mit den Waarenhäusern: Kleine haben nicht das Recht der Existenz

»Ich vermag Ihrer Politik nicht zu folgen.«

»Ist auch nicht nöthig, wenn Sie nur zu denen gehören, die höhere Befehle blindlings ausführen.«

»Ich nicht!« rief Szmoltopski.

»Sie erst recht, Sie Mörder! Noch heute gehen Sie als Volontär in das bewußte Etablissement. Vergessen Sie nicht, daß Sie in meiner Gewalt sind, und mehr als hundert Spione Sie überwachen.«

»Ich habe noch nie einen gesehen?«

»Ja, glauben Sie, daß unsere Leute wie Kosaken und Baschkiren umherlaufen?« Ein geheimer Agent, der sich verräth, endigt in den Bleigruben Sibiriens!«

»Woran aber erkennt man ihn?«

»Daran, daß er sich nicht zu erkennen giebt!« – – –

* * *

Der Graf trat als Volontär ein. Es waren mehrere hochgestellte Persönlichkeiten, die dort lernten und sich für einbringliche Karrieren vervollkommneten. Sehr merkwürdig kam es ihm zwar vor, wenn der Chef rief: »Herr Bürgermeister, ich muß Sie doch bitten, die Tinte nicht immer überzugießen! Sie wirthschaften hier nicht aus dem Stadtsäckel.«

Oder: »Exzellenz, die Packete müssen ordentlicher verschnürt werden. Können Sie das nicht, sehen Sie sich lieber nach einem anderen Platz um!« Oder: »Herr Major, man schneidet den Bindfaden nicht, man knüpft ihn sorgfältig auf; Genauigkeit war wohl nicht, wo Sie zu Hause sind?« Oder: »Herr Geheimrath verwechseln die Kopirmaschine mit einem Schwimmbad, es ist wieder Alles ineinander gelaufen; kein Schwein kann daraus klug werden.«

So ging des den ganzen Tag, aber gerade durch diese Strenge wurden die alten Herren tüchtig und harrten aus, bis hochdotirte glänzende Stellungen für sie frei wurden.

Szmoltopski ward die Portokasse übertragen, die jedoch am Abend des dritten Tages nicht mehr stimmte. Der Herr Direktor rief ihn in sein Privatkabinet. »Herr Graf,« sagte er, »so kann es nicht weitergehen. Wenn ich auch nicht daran zweifle, daß Ihre Angehörigen das Manco von zwei Mark und dreiundfünfzig Pfennigen ersetzen werden, so ist doch Ihre Handlungsweise eine tief betrübende. Wie kamen Sie dazu? Haben Sie das Geld vernascht? Die Automaten verleiten ja sehr zu Unrechtfertigkeiten, aber man muß ihnen gegenüber stark sein und die Chokolade sitzen lassen. Haben Sie geraucht? Ich will es nicht hoffen. Gestehen Sie ehrlich . . . wo blieben Sie mit dem Gelde?«

»Bei der Roldemolde,« entgegnete der Graf aufgebracht, »bei Ihrer Freundin, wo Sie ganz andere Summen sitzen lassen, mohamedanischen Cognac trinken und vierhundert Pfund schwere Seelen hopsen sehen.«

Der Chef erhob sich. »Sie sind entlassen,« sagte er eisig. »Nur noch das Eine: aus Ihnen wird nie etwas

Der Graf warf zwei Mark fünf und fünfzig auf den Tisch mit den Worten: »Der Rest ist für den Hausknecht« und ging.

Drei Stunden später saß er im Eisenbahnwagen, auf der Reise zu seinem Freunde Patzkopski, der ihn längst zu einer Bärenjagd in den polnischen Gebirgen Schlesiens eingeladen hatte. Eine jüngst eingetroffene Postkarte lautete: »Lieber Freund! Bären sind ausgezeichnet in Mast und sehr fett. Im Keller gute Tropfen. P.«

»Endlich wieder einmal Kavalier!« sagte sich Szmoltopski: »Kavalier und Bär gehören zusammen, ob anbinden oder jagen, Bär ist Bär!«

Er lachte fröhlich; er fühlte sich frei.


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