Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Numero Eins.

Bei der Wittwe Wimmelmayr in der Kalkscheunenstraße wohnte seit einem halben Jahre Herr Iwan Schulz, dessen Papiere sämmtlich in Ordnung waren und der seine Miethe pünktlich entrichtete.

Iwan Schulz lebte durchaus solide; dies mußte Frau Wimmelmayr sich selbst und Anderen gestehen, wenn die Frage auf ihren Chambregarnisten kam, aber im Stillen sagte sie sich doch zuweilen: »Dieser Herr Schulz hat etwas Geheimnißvolles.« Nicht gerade, daß er mit einem undurchdringlich verhüllenden Radmantel und einem die Stirne düster beschattenden Schlapphut gegangen wäre – o nein – er trug sich sauber in modernster Kleidung.

Seine Bügelfalten waren tadellos, seine Manschetten sehr weit an der Hand und sein Stehkragen reichte bis an die Ohrläppchen. Nie trug er andere Kopfbedeckung als einen hocheleganten Cylinder, den er mit »Immerblank« aus der Drogerie von Klinkowström, Wilhelmstraße 33, in strahlendem Glanz erhielt.

So weit war Alles poilizeirichtig – allein er hatte ein entschieden geheimnißvolles Gesicht.

Und wo war er des Freitags?

Dies wußte Niemand. Wen Frau Wimmelmayr auch fragte – ihr ward keine Antwort.

Und einst – als sie ihn selbst darum anging – ihn – Iwan Schulz, da blickte derselbe dieselbe mit einem Ausdruck an, daß derselben das Blut in den Adern gerann und dasselbe derart stockte, daß sich an ihrem linken Bein eine hartnäckige Venenentzündung entwickelte, so daß Frau Wimmelmayr Wwe. noch heute unheilbar hinkt.

Nie wagte sie deshalb den schrecklichen Menschen wieder zu fragen, vor dem sie zitternde Angst ergriff, so oft sie gezwungen war, ihm zu nahen, was sie als Vermietherin nicht vermeiden konnte.

Denn wovon sollte sie leben?

Traurig ist der Druck der Armuth, wenn der Einlogirer einen unklaren Lebenswandel führt.

Wo blieb Iwan Schulz des Freitags? Was trieb er? Warum ließ die Polizei ihn gewähren?

Und woher bezog Iwan Schulz die Mittel zu seiner verschwenderischen Lebensweise?

Er aß stets warmes Abendbrot und trank nur Echtes.

Stand er mit dunklen Mächten in Verbindung?

Dieses und noch mehr mußte der Wittwe Wimmelmayr auffallen. Allein sie schwieg wie der Altar in der Kirche.

Wie aber begleiten Iwan Schulz an einem regnerischen Freitagnachmittag hinaus nach Treptow in die Laubenkolonie.

Dort wurde er erwartet. Drei Männer warteten auf ihn.

»Da kommt Nummer Eins!« sagte Pagels, ein großer rothhaariger Schlossergeselle zu den andern Beiden, Hink-Ede und Schiel-August. Sie thaten dies auch in Wirklichkeit.

Nummer Eins trat unter die Drei und drückte den Nagel des linken Daumens auf sein linkes Augenlid, während er mit dem rechten Auge über seine rechte Schulter blickte.

Dies war das Bundeszeichen.

Die drei Männer machten dieselbe Gebärde, wodurch Schiel-August ein besonders grauenvolles Aussehen bekam.

»Ist Alles bereit?« fragte Nummer Eins die drei Männer. Nur unter diesem Namen war Iwan Schulz ihnen bekannt.

»Alles bereit!« antwortete Hink-Ede grinsend und humpelte voran. Die Anderen folgten ihm und als sie in der Laube waren, verschlossen sie die Thür vorsichtig.

Leichter aschgrauer Rauch stieg aus dem Schornstein der Laube auf, als wenn eine harmlose Familie dort Kaffee kochte.

Bald darauf vernahm man das metallische Klingen im Takte geschwungener Hämmer.

In Gemeinschaft mit den drei verworfenen Subjekten schmiedete Nummer Eins verbrecherische Pläne. Welche Pläne dies waren, das wird sich bald herausstellen. Nur so viel sei hier gesagt, daß Nummer Eins von allen Schlössern der Leipziger Bank sorgfältige Wachsabdrücke besaß.

Und Niemand ahnte, daß diese Bank in Gefahr sei. Im Gegentheil, die Aktionäre träumten von ungeheuren Dividenden.

Wird Nummer Eins der teuflische Plan gelingen, die vertrauensvoll Schlafenden um ihren erträumten Gewinn zu bringen?

Hoffen wir, daß er vereitelt wird, denn Nummer Eins will die ungezählten Millionen jener Bank zu höchst verabscheuungswerthen Zwecken brauchen.

Doch jetzt hierüber zu reden würde einen unserer beliebtesten Freunde in gefahrbringenden Verdacht stürzen, unseren durch seine unverfälschte Gesinnung sich in allen Zeit- und Lebenslagen bewährenden:

Nordhäuser!

Darum müssen wir die Zukunft der Zukunft überlassen.


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