Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


 
Siebenunddreißigstes Kapitel.

Das schaudervolle Abenteuer im Thiergarten.

Stephan, Graf von Szmoltopski war, wie wir uns mit Vergnügen erinnern, auf dem Grabe seiner seligen Schwiegermutter, der Wittwe Siebenklietsch,Wer der Gatte der Frau Siebenklietsch gewesen, das ließ sich trotz der Arbeit dreier Personal-Reporter leider nicht in Erfahrung bringen, aber gehabt muß sie einen, denn sonst: woher Emma? zu einem recht hübschen Vermögen gelangt. Nun fragte es sich, was damit beginnen?

Einen Klub aufsuchen, das Ganze in Baccarat verdoppeln und dann Sämmtliches bis auf den blanken Boden des Portemonnaies los werden?

O nein. Der Graf war durch Lebensphilosophie dahin gelangt, größeren Genuß beim Verlieren Anderer zu empfinden, als Selbstverlierer zu sein.

Oder sollte er das förmlich vom Himmel geschenkte Geld – denn wo ist der Mensch dem Himmel näher als in oder neben dem Grabe – auf Rennplätzen einbüßen?

Auch dies nicht. Er traute wohl den Pferden, aber nicht den Jockeys. Darum richtete er sich nach dem Ausspruche, den der alte Kirchenvater Blotus Bitterlicus für einen konservativen Abreißkalender verfaßt hatte:

»Das Schönste ist das Geld. Man kann sich freilich Schöneres dafür kaufen, aber das ist hinterher nie so schön.«

Einen Revolver, um sich gegen Räuber und Diebe zu schützen, hatte er angeschafft und trug er stets bei sich.

Deshalb ging der nach Adlon unter den Linden und ließ sich ein feines Diner auftischen. Dies war sparsamer, als wenn er nach Monte Carlo gereist wäre und dort die Felder der Spieltische mit Goldstücken bepflanzt hätte, als wären es werthlose Bohnen.

»Nein,« sagte sich der Graf, »zum wegwerfen ist das Geld zu sauer verdient. Wenn ich bedenke, welche Sorge ich habe, daß man die bei Gericht deponirten Scheine falsch erfände und mich der Fundunterschlagung bezichtigte . . . . o, welche Hundeängste stehe ich aus, in der Furcht, man könnte sie mir unter irgend einem Rechtsvorwande entreißen. Ja, nun habe ich an mir selber die Wahrheit erfahren, die einst ein großer Finanzier und Aufsichtsrath prägte: ›Entweder man schläft gut von seinem Geld oder man ißt gut‹. Ich schlafe miserabel, deshalb will ich gut essen.«

Szmoltopski ließ sich aus diesem Grunde eine Waldschnepfe in das Menu einschieben, die er mit einer halben Flasche Burgunder hinunterschwemmte.

In wohlgemuther Stimmung verließ der Graf um halb Acht das vornehme Restaurant; aber war er wirklich so wohlgemuth, wie er den Umständen nach hätte sein können?

Nein, er war es nicht!

Emma fehlte ihm.

Wohin sollte er mit dem Ueberfluß der Liebe, der sich in seinem heißen Herzen angesammelt hatte seit Emma's räthselhaftem Verschwinden? Wohin mit dem starren Sehnen in einsamen Stunden, das wie die Nadel des Kompasses auf den Stern des Nordens hinweist, sich auf den Stern der Schönheit, auf Emma richtete, deren Liebreiz ihn fatamorganatisch umgaukelte, sobald er gut gegessen und noch bessere Weine genippt hatte?

Durch stundenlange Wanderungen im Freien suchte er dann die Qualen verhaltener Liebe zu mindern. So auch heute.

Er schritt durch das Brandenburger Thor in den Thiergarten hinein und ging die Siegesallee sieben Mal auf und ab. Aber was war die Marmorhärte der kalten Steinbilder gegen die Härte des Geschickes, das ihn von Emma trennte?

Die elektrischen Lichtkugeln glommen auf. Die Siegesallee wurde zur Geisterallee. Die Uhr schlug acht.

Szmoltopski rieselte ein Schauer über den edlen Grafenleib. Er schwenkte seitwärts in das Dickicht und setzte sich auf eine Bank, die den Tag über Kindermädchen und schuldlosen Kleinen gewidmet war.

Des Abends aber, wenn die Fledermäuse durch die Dämmerung huschen, wenn die Fittiche der Nacht sich über alles Schreckliche und Grauenhafte senken, das möglicherweise passiren kann, dann nehmen fadenscheinige Gestalten auf jenen Bänken Platz, unheimliche Menschen, die das Licht fliehen, weil sie mehr als Ursache dazu haben.

Gründe, sich nicht sehen zu lassen, giebt es in Berlin reichlicher als Brombeeren.

Szmoltopski vertiefte sich in ernste Gedanken über die Anlage seines ohne Börsenmanöver erworbenen Kapitals, zu dem er jedoch nichts mehr hinzufand, so emsig er auch Begräbnißplätze absuchteWahrscheinlich, weil entweder Grünenthal seine Kirchhofdepots wieder zurückgezogen oder unehrliche Menschen sie heimlich genommen hatten, so daß Szmoltopski leider zu spät kam. Die Scheine, die Grünenthal der Reichsdruckerei entwandt hatte, waren ja bis auf kleine Fehler ganz gut. und merkte daher nicht, daß ein bis zur Unkenntlichkeit vermummtes Liebespaar auf dem anderen Ende der Bank Platz genommen hatte, das sich, wie alle Liebespaare im Freien, unhörbar tuschelnd, unterhielt und den Grafen daher nicht in seinen Gedankengängen störte.

Plötzlich ertönte ein Schrei. Der Graf fuhr auf aus schwerem Sinnen.

War es ein Nothschrei?

Und wenn es einer war . . . . ? Wer hatte nothgeschrieen?

Noch bevor Stephan, Graf Szmoltopski sich darüber klar ward, welche von diesen wichtigen Fragen zuerst zu erörtern sei, ertönte ein zweiter nach Erbarmen ringender, unterdrückter Schrei.

Er kam, der höheren Tonlage nach zu urtheilen, von der weiblichen Hälfte des vermummten Paares.

Jetzt unterschied Szmoltopski auch einzelne Worte.

»Nein . . . nie . . . nie und nimmer . . .« wehrte die sich sträubende Jungfrau ab. Der bergende Schleier war gefallen. Ein süßes Mädchenangesicht ward von dem Lichte des Vollmondes getroffen, der neugierig durch die Lücken der Baumäste lugte. Lebenslustige, jetzt freilich thränenumflorte Aurikelaugen blickten zu der ebenso glänzenden wie gefühllosenNach den neuesten Forschungen der Astronomen hat der Mond nie Gefühl gehabt, da ihm jegliche Feuchtigkeit und somit auch Nerven mangeln, ohne welche kein Gefühl zu Stande kommt wie z. B. kitzeln. Das Lächeln des Mondes ist daher noch nicht genügend erklärt. Scheibe des nächtlichen Begleiters unseres sich rotirenden Jammerthales empor.

»Es muß . . . es muß!« sprach halblaut eine rauhe Baßstimme, die der männlichen Hälfte des vermummten Paares angehörte.

»Nein! Nein!« schluchzte das liebliche Mädchen und versuchte zu entfliehen.

Szmoltopski erhob sich. Noch bis an den Rand mit den Sehnsuchtsgedanken an seine angebetete Emma erfüllt, sprach er: »Wer Sie auch sein mögen, holde Jungfrau, nehmen Sie den Rath eines lebenskundigen Mannes an. Weisen Sie die Regungen des Herzens nicht von sich. Zu spät bereut man, wenn man der Liebe nicht Folge leistete, die sich in überströmender Gluth offenbarte.«

»Ach, mein Herr,« entgegnete das Mädchen mit den umflorten Aurikelaugen, »ich vernehme aus Ihren Worten, daß Sie edel sind und groß denken. Bei Ihrem Edelmuth beschwöre ich Sie, mir eine Frage, die über mein irdisches Glück hier, mein jenseitiges Loos dort, entscheidet, gewissenhaft zu beantworten: würden Sie sich nämlich mit Ihrem Bräutigam zusammenbinden und ins Wasser springen, weil er es einmal auf einem Bilde gemalt gesehen und kürzlich gelesen hat: wer sich nicht von der Kunst beeinflussen ließe, sei nicht werth ein Mensch zu sein? Ach, ich will ja gerne Mensch sein, aber deswegen mit Stricken gefesselt und Steinen in der Tasche in die Spree . . . . das möchte ich nicht. Lieber etwas weniger Kunst, als ein so nasses und schreckliches Ende.«

»Mein Herr,« sprach Szmoltopski, »mir scheint, Sie gehen in der Durchdringung des Lebens mit der Kunst zu weit.«

»Meinen Sie?« entgegnete der Vermummte bissig. »Ich nicht. Man beginnt schon mit der Kunst des Kindes . . . sollen wir Erwachsene uns von Unmündigen beschämen lassen? Sie vielleicht . . . . ich nicht. Mein Herr, die Triebfeder der heutigen Zeit ist Ehrgeiz, vom prämiierten Somatose-Mastsäugling an bis zur unprämiierten Wohlthätigkeits-Ballmutter. Mein persönlicher Ehrgeiz ist die Grabschrift: starb sammt seiner Geliebten in völligster Harmonie mit der Kunst. Das ist mein Record.«

»Aber ich will leben,« weinte die Maid mit den Aurikelaugen. »Ich will nicht zu den kalten Fischen. O wie gräßlich, wenn die Aale mich anknabbern und meine Mutter kocht sie nachher grün und weiß nicht mal, daß sie so dick von ihrem eigenen Kinde sind.«Den Gurkensalat hat das junge Mädchen in der Todesangst vergessen. In dieser Lage sehr begreiflich, weshalb er hier in der Anmerkung, nach Zola's großem Vorbilde, dazu geliefert wird.

»Du bist ebenso unkünstlerisch wie Deine ganze Familie,« schalt der junge Mann. »Wie war es möglich, daß ich mich mit Dir abgab? Aber es geschah, bevor ich durch Kunstfeuilletons zur Kunstgesittung gelangte. Und nicht einmal ein Reformkleid hast Du Dir zu dem Todessprung von Künstlerhand entwerfen lassen.«

»Kunstentworfene Kluft sitzt nie!« entgegnete sie. »Und für Reform bin ich viel zu hübsch. Schlittre Du hinein, wohin die Kunst Dich treibt . . . ich kleide mich, wie es mich hübsch läßt. Adje, Edmund, grüße die Plötzen!«

»Sehr recht, mein gnädiges Fräulein,« sagte Szmoltopski. »Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten und Sie sicher zu den lieben Ihrigen geleiten?«

»Elender!« schrie der mit Edmund Angeredete wüthend. »Was verstehen Sie von Kunst?«

»Mehr als Sie!«Wie man es nimmt. Edmund war mehr drinnen im Ausstellungsgebäude bei den Bildern und Gipsfiguren, Szmoltopski mehr draußen bei der Musik und den abendlichen Parkfaltern mit den gemalten Wangen. Kunst hat eben verschiedene Richtungen. Auch an Bier gab es helles und dunkles. entgegnete Szmoltopski kavaliermäßig kalt.

»Das ist eine Ueberhebung!« rief Edmund und zog einen Revolver aus der Tasche.

»Was wünschen Sie?« sagte Szmoltopski und zog gleichfalls seinen Diebesschutz.

»Stirb, Du oberflächliches Geschöpf,« rief Edmund und zielte auf das Mädchen. Piff, Paff, knallte es.

»Sie Hansnarr!« rief Szmoltopski. Und wieder Piff, Paff, Puff, Paff, Piff!

Das Mädchen lag mit gebrochenen Aurikelaugen auf dem Kies des Seitenweges.

Edmund war hiemend auf die Bank gesunken und zwängte sich in eine malerische Stellung, um kunstschön aus der Welt zu scheiden.

Szmoltopski stand schreckerstarrt mit dem rauchenden Revolver in der Hand vor dem blutigen Greuel, auf das traurig der bleiche Schein des theilnahmsvollen Mondes fiel, dem, ach, so viele Todesseufzer entgegengejammert wurden, seitdem er des Nachts unterwegs ist.

Schon hörte man Stimmen.

Schutzleute riefen sich mit schrillem Pfeifen an. Es wurde unruhig im Thiergarten.

Szmoltopski stand noch immer unbeweglich. Da faßte ihn Jemand am Arm. Eine schwarze Gestalt war aus dem Gebüsch zu ihm getreten.

»Kommen Sie,« lispelte sie ihm zu. »Es gilt Ihr Leben, Ihren Ruf, Ihr Alles.«

Willig ließ Szmoltopski sich hinwegziehen.

»Reichen Sie mir Ihren Arm.« – Er that, wie ihm geheißen.

»Ruhig! Gehen Sie unaufgeregt, als wäre nichts vorgefallen.«

»Wer . . . wer sind Sie?«

»Fragen Sie nicht. Ich werde Sie retten!«

»Erklären Sie mir . . .«

»Jetzt nicht. Später Alles.« – Sie schritten dahin wie harmlos Luftschöpfende, bis sie in der Mauerstraße vor einem ansehnlichen Hause Halt machten.

Auf einem Messingschilde war zu lesen

Die Geheimräthin, denn keine Andere war die Dame in Trauer, drückte auf einen Knopf an der Platte. Ein silberhelles Glöckchen läutete. Dann drückte sie ein zweites Knöpfchen. Ein anderes Glöckchen antwortete. Dann trat sie an die Hausthür, sie sich öffnete wie alle andere Hausthüren.

»Wir sind sicher,« sagte die schwarze Dame mit bedeutungsvollem leisen Lachen. »Bitte, drei Treppen hoch, links.«

Obgleich Szmoltopski bereits vieles erlebt hatte, ward ihm doch sehr sonderbar zu Muth, als er dies Haus betrat.


 << zurück weiter >>