Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vor dem Staatsanwalt.

Eine dumpfe Pause herrschte im Gerichtssaale. Der Staatsanwalt hatte soeben die Anklage verlesen.

Funddiebstahl in Verbindung mit Selbstmordversuch, grobem Unfug und Nichtachtung der öffentlichen Gewalt. So lautete sie.

Und aller dieser schrecklichen Verbrechen war ein junges liebliches Mädchen beschuldigt, das in einfachem schwarzen Kleide, mit dem in Untersuchungshaft gebleichten Angesichte, stumm und trostlos auf der Armesünder-Bank saß.

Wir erkennen sie auf den ersten Blick. Es ist Lenchen, des Pfarrers Tochter, die als Elliorina, die »schön gebaute Perle vom Lande« am Theater der Celebritäten beschäftigt gewesen war.

Wir kennen den Grafen nicht nur als den treuen Gatten Emma's, sondern auch als einen Mann, der stets die Fahne der Sittlichkeit hochhält und blos den einen Fehler hat, hin und wieder rückfällig zu werden.

Elliorina's Unverdorbenheit hatte es ihm angethan. Diese holde, ländliche Unschuld sein zu nennen und wenn auch nur für kurze Zeit, war der Gedanke seiner Träume bei Tag und bei Nacht, der ihn verleitete, das Brillantenhalsband zu leihen, um es wieder zurückzugeben, sobald es den Zweck der Liebe erfüllt.

Elliorina aber hatte das Halsband versetzt.

Greise Lüstlinge boten sich an, es auszulösen.

Elliorina entfloh ihnen. Sie sprang in die Spree.

»Lieber den Tod,« sprach sie, »als diese ekligen, alten Donjuan-Reste.«

Wo wirklich Tugend in der Menschenbrust wohnt, prallt das Laster ab, zumal wenn es gebrechlich ist.

Als Elliorina den Tod im nassen Element suchte, saß Graf Szmoltopski auf einem Eckstein des Schiffbauerdamms. Auch er suchte den Tod, da er Emma verloren und Elliorina nicht erlangt hatte.

Er sah die ins Wasser stürzende Gestalt. Er sprang ihr nach.

Die ihm von dem Jesuiten verabreichte Cigarre erlosch zischend. Er war vor dem Zerplatzen bewahrt.

Als geübtem Sportsman gelang es ihm, die Ertrinkende im Handumdrehen ans Ufer zu bringen.

Beim Scheine der Straßenlaterne erkannte er sie. Es war die von ihm heißbegehrte Perle des Landes, deren schöngebaute Formen unter der nassen Gewandung höchst vorteilhaft hervortraten.

Elliorina schlug die Augen auf. Ihr Anbeter aus dem Parkett, der Mann, dem sie das Brillanten-Halsband schuldete, war ihr Lebensretter.

Sie stieß einen lauten Schrei aus.

Schutzleute kamen und Neugierige.

Elliorina wollte fliehen. Ein Mann des Gesetzes hielt sie fest.

»Lassen Sie mich gehen!« bat sie. »Ich bin ein anständiges Mädchen.«

»Das wird sich auf der Wache ausweisen,« entgegnete der Mann des gesetzlichen Pflichtgefühls.

»Ich verbürge mich für die Dame!« stand der Graf ihr bei.

»Wer sind denn Sie?«

Szmoltopski griff nach seiner Brieftasche, um sich zu legitimiren . . . sie war verschwunden und schwamm wahrscheinlich in der Spree.

»Nu man vorwärts!« hieß es. Elliorina wehrte sich. Gellend durchzitterten ihre Angstrufe die Straßen. Es gab Schuppse. Der Menschenauflauf wurde immer größer. Johlende Burschen traten an. Es wurde gefährlich. – – –

Nun stand Elliorina vor dem grünen Tisch. Ein Pfandschein über ein Brillanten-Halsband im Werthe von siebentausend Mark war bei ihr gefunden. – Das war belastend.

»Gestehen Sie, den Schutzmann Pinkepank auf dem Wege zur Wache gemißhandelt zu haben?« fragte der Präsident.

»Ich suchte mich ihm zu entziehen, da er mich schmerzhaft packte!« antwortete die Angeklagte.

»Der p. p. Pinkepank behauptet, von Ihnen derart gekratzt worden zu sein, daß der Sehnerv seines rechten Auges dreiviertel aus dem Loth ist.«

»Der p. p. Pinkepank,« nahm der Vertheidiger das Wort, »leidet an Uebertreibungswahn, der aus Größenwahn hervorgeht. Ich bitte den Sachverständigen, den Naturheilkundigen Wurmzieher darüber zu vernehmen.«

»Das bisher unbescholtene Vorleben des Herrn Vertheidigers sehe ich als Milderungsgrund dieses unverschämten Verlangens an!« sagte der Staatsanwalt. »Es sei gestattet.«

Der Präsident zum Sachverständigen: »Halten Sie den p. p. Pinkepank für normal?«

Der Naturheilkundige Wurmzieher, als vereidigter Sachverständiger: »Er leidet an Größenwahn.«

Präsident: »Woraus schließen Sie dieses?«

Wurmzieher: »Indem er immer so thut, als ob er sein eigener Wachtmeister wäre. »Indem er immer so thut, als ob er sein eigener Wachtmeister wäre.«

Präsident: »Ich rufe hiermit den Sachverständigen Wurmzieher zur öffentlichen Ordnung. Ein Beamter muß nach Höherem streben. Dieses ist seine Pflicht. Der Staat ginge zu Grunde ohne Streber

Wurmzieher: »Außerdem hat der p. p. Pinkepank eine Schwester, die einmal gesagt hat, sie ginge nicht bei Wertheim, da käme so viel Volks. Dies ist ebenfalls Größenwahn, denn dort sieht man die feinsten Herrschaften Wurst kaufen.«

Präsident: »Sie sind hier, um sich jedes Urtheils zu enthalten, da das Volk und zumal die Sachverständigen, an juristischer Halbbildung leiden.« (Das Publikum schämt sich.)

Wurmzieher: »Was ich gesagt, kann ich mit gutem Gewissen verantworten.«

Staatsanwalt: »Es ist durchaus nicht bewiesen, daß der Sachverständige Wurmzieher überhaupt ein Gewissen hat, und wenn schon, ist der Beweis nicht erbracht, ob dasselbe gut sei. Ich beantrage eine Woche Haft wegen fahrlässiger Angaben vor Gericht.«

Der Gerichtshof beschließt bei Wertheim wurstkaufende sogenannte feine Herrschaften zu citiren und die Sache Pinkepank wird suspendirt.

Präsident: »Wir kommen jetzt zu dem Pfandschein. Angeklagte, wollen Sie uns sagen, woher Sie das von Ihnen leichtsinnig versetzte Halsband haben? In der Voruntersuchung geben Sie an, Sie hätten es gefunden. Nun können Sie uns doch unmöglich zumuthen, zu glauben, so werthvolle Brillanten-Halsbänder lägen wie Hufeisen auf der Straße herum? (Gelächter im Publikum. Der Vorsitzende droht die Tribüne räumen zu lassen. Das Publikum beträgt sich sofort manierlich.) Angeklagte, wie sind Sie in den Besitz des Halsbandes gelangt? Haben Sie nicht auch gehört, daß um dieselbe Zeit in Hamburg bei einem Juwelier eingebrochen wurde? Was sagen Sie dazu?«

Elliorina schweigt.

Staatsanwalt: »Ich muß aufrichtig gestehen, daß mir etwas Verstockteres, Eigensinnigeres, mit mindestens elf Jahren Zuchthaus zu Verurtheilenderes noch nicht vorgekommen ist. Da sollte doch die ganze Strenge des Gesetzes ohne Widerrede dazwischenfahren!!!«

Ein würdiger Greis erhebt sich. Es ist der gebeugte Vater Elliorina's. Streng blickt er die unglückliche Tochter an und spricht: »Antworte bei dem Staatsanwalte, der da donnert.«

Elliorina senkt die schön bewimperten Augenlider und schweigt. – Die Stimmung im Saale ist eine athemlose.

Warum schweigt die Angeklagte?

Aus dem Zuschauerraum meldet sich eine ältere Dame freiwillig als Zeugin. Sie tritt vor. Es ist die Geheime Kriegsräthin von Knappspind-Leerhausen. Sie wird vereidigt und sagt aus, in der That bei Wertheim Wurst gekauft zu haben, ein halbes Viertel Cervelat- und ein ganzes Achtel Leberwurst für ihren Hund. (Sensation.)

Hierauf wird der p. p. Pinkepank nach dem Antrage des Vertheidigers für erblich verdächtig angesehen und einer Nervenanstalt zur weiteren Beobachtung überwiesen.

»Warum,« so fragt Jeder, »blieb die Angeklagte stumm?«

Einfach aus modernster, tief innerlichster Weiblichkeit!!

Konnte sie ihrem Lebensretter vor der Menge niedere Absichten unterstellen, die doch im Grunde gut und entschuldbar waren, wenn auch nicht in den Augen des Pöbels?

Die Masse urtheilt stets lieblos, indem sie keine Ahnung von document humaines hat.

Weil das moderne Weib sich Alles verzeiht, vergiebt es auch den Männern.

Denn war Szmoltopski schlecht? O nein. Nur rückfällig. –

Graf Szmoltopski hatte eine Einladung von seinem Freunde Patzkopski, eine Bärenjagd in den polnischen Gebirgen Schlesiens mitzumachen, aber von jeglichem Baargelde entblößt, mußte er ablehnen.

Doch in diesem Augenblicke tritt er in den Gerichtssaal ein. (Lebhafte Bewegung.) Er selbst, er, Graf Szmoltopski, gesteht, der Angeklagten, als Verehrer ihrer Kunst, das Brillant-Halsband geschenkt zu haben und legt als Beweis die Quittung dafür auf den Tisch des Hauses. Ueberdies erbietet er sich, fünfundzwanzigtausend Mark Kaution zu stellen, die er sofort in braunen Lappen deponirt.

Der Gerichtshof zieht sich zurück und beschließt dem Antrag Folge zu geben.

Elliorina wird auf freien Fuß gesetzt.

Kaum ist sie draußen, als Szmoltopski ihr eine Börse mit Gold giebt und ihr zuflüstert: »Fliehe eiligst. Nimm dieses Papier, es sind die Verhaltungsmaßregeln darauf geschrieben. Folge ihnen zu Deiner Rettung. Grüße das schöne Bayernland! Ich bleibe hier und erwarte die Entdeckung

Elliorina that wie ihr geheißen.

Woher aber hatte der Graf, der Werthvolles nicht weiter besaß als den noch unbezahlten Unterkiefer, das Geld?

Sein frommer Sinn hatte ihm geholfen.

Die Angst und Sorge um Elliorina's Schicksal, die im Untersuchungskerker schmachtete, trieb ihn hinaus auf den Kirchhof, um dort an dem Grabe seiner Schwiegermutter, der längst heimgegangenen Frau Siebenklietsch im Gebete Ruhe zu finden.

Er schmückte das Grab der Mutter seiner über Alles geliebten Emma in jedem Frühling und begoß die alte Frau mit musterhafter Pietät. – Nun eilte er hinaus, der Todten sein bedrücktes Herz auszuschütten.

Wie er niederkniet, in Andacht versunken, erblickt er hinter der Platte der Gedenktafel Zeitungspapier, das seinen ästhetischen Sinn beleidigt und das er vorzieht.

Es ist ein Packet. – Er öffnet es.

Vor Ueberraschung verstummt seine Andacht.

Es sind Banknoten. Reichsbanknoten. Tausendmarkscheine. Vierzigtausend Mark!!

»Aus der Klemme!« ruft er. Er kann das Halsband einlösen, den ihm falsch aufgedrungenen Schuldschein bezahlen.

»Mit falschem Gelde!« lacht er. »Ja, es giebt eine Vergeltung!«

Wenn aber die Noten als nachgemachte erkannt würden? Denn unmöglich konnten sie echt sein.

Einerlei, es galt Elliorina zu befreien.

Er wechselte für etliche Scheine Gold ein. Sie wurden ohne Anstand genommen.

Mit Angst erwartete er, daß das Gericht die Bankzettel prüfen und ihn verhaften werde.

Er blieb unbehelligt!

Ja, der Himmel bedient sich oft unbegreiflicher Rettungsapparate:

Es waren Grünenthal'sche Scheine.


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