Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die Geier des Sultans.

Als Emma aus ihrer abgrundtiefen Ohnmacht erwachte, befand sie sich in einem herrlichen, mit seidenen Goldstickereien in höchster orientalischer Pracht geschmückten Gemache, dessen silberne Pforte in einen blühenden Palmengarten führte.

In den wundervollsten Farben erglühten die Kelche der Palmblüthen, aus denen edelsteinschimmernde Kolibri's Honigseim nippten; in den Jasmingebüschen sangen abgerichtete Phoenixe mehrstimmige Liebeschöre, während dreifach destillirtes Rosenwasser murmelnde Springbrunnen die Luft kühlten und durchdufteten.

Aber Emma erfreute sich nicht an diesen Köstlichkeiten, aus denen die grenzenlose Verschwendung eines Tyrannen hervorblickte.

Ihr einziger Wunsch war Flucht; behende eilte sie in den Garten.

»Wohin?« rief eine Stimme.

Es war die des Sultans.

Emma erschrak tödtlich. »Ich wollte mir nur die Füße ein wenig vertreten,« sprach sie keusch erröthend.

»Füße?« fragte der Sultan, indem er sich näherte. »Nur auf Rosenblätter sollen Deine Füße wandeln. Nichts Reizvolleres kenne ich als schöne Füße.«Der Sultan war in der That derart in Füße verliebt, daß er, obgleich von seinem religiösen Standpunkt verboten, trotzdem heimlich jeden Donnerstag Spitzbein mit saurem Wüstenkohl und Dattelpüree aß.

Emma verbarg die ihrigen unter dem Saume des Gewandes.

»Deine Füße,« begehrte der Sultan.

»Altesse, werden Sie nicht aggressiv!« wehrte Emma mit einem Anflug von Koketterie.

»Du gehörst mir!« rief der Sultan, »also sind auch Deine Füße mein.«

»Rufe Deine Sklaven,« entgegnete Emma, »lasse meine Füße abhacken und nimm sie Dir. Was aber – und dies bedenke, Sultan – was nützen die niedlichsten Füße ohne Liebe?«

»Deine Liebe gehört mir, ich habe Dich gekauft!« schrie der Sultan sie an.

»Armseliger Orientale!« erwiderte Emma. »Du wähnst, wahre Liebe sei käuflich? Was hast Du, Aermster, je genossen? Elende Bazar-Liebe, die nicht hält; Weiber, deren Herz in Furcht klopft, aber nicht in stürmischer Neigung, deren Leiber sich in Unterwürfigkeit vor Dich warfen, nicht aber Dich an sich rissen in der Gier der Hingebung; deren Küsse nicht bis ins Mark brannten, weil ihre Lippen nicht in echter Liebe glühten. Geh mir, Sultan . . . . was verstehst Du von Liebe?«

»Und Du . . . . Du . . . . Du . . . . ?« fragte fauchend der Sultan, dessen Augen in heißer Brunst aufflammten.

»So liebe ich . . . . wenn ich liebe,« sprach Emma mit dem Ausdrucke überzeugendster Wahrheit.

Der Sultan schäumte in Aufgeregtheit.

»Aber meine Liebe muß gewonnen werden. Willst Du sie erwerben?«

Bei diesen Worten zeigte Emma ihr rechtes bildschönes Füßchen. Sie hatten den schwachen Punkt des Sultans erspäht.

»Erwerben . . . . erwerben,« keuchte der Sultan mit heiserer Kehle. »Was soll ich thun?«

»Jedes anstößige Betragen aufgeben und mich so lange meiden, bis ich Dich rufen lasse. Aus der Sehnsucht keimt schüchtern die erste Liebe

»Das vermag ich nicht.«

»Ich sehe schon, Du erringst meine Liebe nie,« sagte Emma und zeigte den noch viel schöneren linken Fuß.

»Habe Mitleid mit mir!« gurgelte der Sultan.

»Was willst Du mit Mitleid? Mitleid küßt mit frostigen Lippen.«

»Keinem gehorchte ich bisher,« entgegnete der Sultan. »Dir aber muß ich gehorchen – muß ich folgen. Jedoch wehe Dir, wenn Du mich hintergehst. Siehst Du dort an der hohen Sago-Palme das goldene Gefüge? Das ist der Geierkäfig. Kennst Du das Loos Deiner ungehorsamen Vorgängerin? Lebend wurde sie darin eingesperrt – ich allein besitze den Schlüssel – dann kamen die Geier, hackten ihr die Augen aus den Höhlen, das Fleisch von den Knochen, die Gedärme aus dem Leibe. Nun bleicht ihr abgenagtes Brustbein hoch oben in den Lüften und wartet auf die Gesellschaft des nächsten Opfers.«

Der Sultan klatschte dreimal in die Hände. Alsbald flogen die Geier mit blutnassem Gefieder herbei und setzten sich auf den goldenen Käfig, hungrig ihre ekelhaften nackten Hälse ausstreckend.

»Tödte mich jetzt gleich,« sprach Emma hoheitsvoll. »Ich fürchte weder Dich noch Deine Harpyien. Martere mich, morde mich. Aber das wisse: in mir tödtest Du das einzige Weib, das reell zu lieben versteht.«

Emma war sich ihres Sieges bewußt, des Sieges der Schönheit in Verbindung mit Tugend über niedere Leidenschaft. Deshalb trat sie so kühn und furchtlos auf.

Grollend blickte der Sultan sie an. »Auch Du wisse,« so rief er, »wer den Rosengarten hat betreten, ruht nicht, bis er Rosen pflücktSchnaubend mit blutunterlaufenen Augen zog er sich zurück, noch einmal rufend: »Ich komme pflücken!«

Als er sich entfernt hatte, durcheilte Emma den Garten, einen Ausgang suchend.

Vergebens! Eine undurchdringliche, hohe, eiserne Mauer umgab das paradiesische Gefängniß. Und nirgends war eine Thür zu erspähen, so kunstvoll waren die Platten genietet.

»Keine Rettung!« summte es Emma vor den Ohren, »keine Rettung!«

Die Geier saßen auf dem goldenen Käfig und plinkten mit den Augen.


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