Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Der Vampyr.

Wir begeben uns wieder in den Kiosk der unerhörtesten Lebenswonnen, wo Emma als Gefangene, den wildesten Begierden preisgegeben, im Banne der Betäubung ruht, jedoch wir verhüllen unser Antlitz.

Der Sultan hatte seinen Sonntags-Hermelin angezogen und sich auf das Kostbarste geschmückt. Extra-Diamanten blitzten an seinem Turban, an seinen Beinkleidern waren für zwei und eine halbe Million Perlen verstickt.

Aber mehr als alles Edelgestein funkelten seine Augen, mit denen er die Schönheit der wehrlos Daliegenden gierig verschlang.

»Sonnengleiche!« flüsterte er, »Morgenstern meiner Wünsche, Kerze der Liebe, die mir in seligster Lust entbrennt!«

Emma wollte ihm in gewohnter Hoheit zurufen: »Nun aber hinaus!« aber auch ihre Stimme war wie vernagelt.

»Die Stunde ist da,« rief der Sultan und seine Augen flackerten wie Höllenbrand. »Das schönste Weib der Erde ist mein. Mein ist diese Schönheit. Ich werde sie besitzen und dann . . . . vernichten. Kein Sterblicher soll sich rühmen, mit dem Sultan von Damombay getheilt zu haben

Bei diesen Worten deutete er grimmig lächelnd auf die seidene Schnur.

»Ambraduft des Lebens!« girrte er zärtlich weiter und beugte sich über Emma, die Süße ihres Athems zu kosten, der hastend ihrer sich klassisch hebenden und senkenden Alabasterbüste entwich, als sei er vor innerem Fieber erregt. Und Emma war fiebrig nach dem Gifte. Auch in ihrem Innern entwickelte sich Sehnsuchtsgluth.

»Blumenufer meiner Wünsche!« fuhr der Sultan fort und riß mit wild tastender Hand den silberfädigen Seidenmull entzwei, der Emma's keuschen Götterbusen verhüllte.

Dieser verwegene Angriff rief Emma für einen Augenblick ins Bewußtsein zurück.

»Majestät,« brachte die Unglückliche mühsam hervor, »betragen . . . Sie . . . sich . . . anständig!« – Dann versank sie wieder in das entsetzliche Wachtraumleben, wie es sonst nur noch Scheintodte haben. Aber diese leben nicht dabei. Das ist der Unterschied.

»Wie ich Dich liebe!« gluckste der Sultan. »Gegen meine Liebesgluth ist der Samum kühlender Zephyr.«

Der Sultan löste den kostbaren Rubinenkamm aus Emma's Haaren und warf ihn achtlos in eine Ecke. Emma's wundervolle Frisur zu zerstören . . . das reizte dieses Ungeheuer.

Er wühlte in Emma's Haaren. Dies war Emma'n nicht ganz unangenehm, denn es war auch Szmoltopski's Manier gewesen, sich in Emma's Haarduft zu berauschen.Sehr beliebt in allen modernen Romanen und Lebensskizzen und deshalb auch hier nicht übergangen. – NB. Diese Anmerkung ist nur für Hochgebildete.

Aber, wie der Franzose sagt, daß der Appetit nach der Suppe kommt, wo wurde der Sultan immer unterhaltsamer. Draußen sangen die Phoenixe in den duftenden Jasmingebüschen ihre verführerischsten Liebeslieder, und der Hauch der Rosen wehte schmeichelnd herein.

Allerdings hatte Emma den Sultan in den verflossenen Tagen als zaubervolles Traumbild umgaukelt und seine Gelüste verschönerten auch im Wachen die nächtlichen Phantasmagorien der Begehrenswerthen, allein so schön – so wie Emma so da lag – darin übertraf die Wirklichkeit jegliche, selbst krankhaft gereizte Vorstellung.

Der Sultan sprach nicht mehr, er gurgelte nur noch Unverständliches, indem er sein Gesicht schnaufend und schnüffelnd in Emma's himmlischem Haar verbarg, das stets den Neid ihrer Bühnenkollegien erweckte, als sie noch am Theater ihre Tugend vertheidigte, und vielfach als angesetzt verleumdet wurde, obgleich es durch und durch echt, in aufgemachtem Zustande bis auf ihre Fersen herabfiel.

Plötzlich hüpfte der Sultan einen Jubel-Luftsprung.

»Die Füße!« jauchzte er, »die Füße!«

Mit einem wahnsinnigen Tigergemaunze stürzte er vor dem Divan nieder, entkleidete Emma der Goldpantöffelchen und der spinnwebdünnen Strümpfchen und koste mit seinen Blicken die in der That vollendet schönen Füße, die zwei zartrosig getönten Knospen einer frisch erblühenden Lotosblume glichen. Emma erröthete. Sie wurde dadurch nur noch bildhübscher.

Jetzt war es mit dem Sultan aus. Zu viel war solche unsagbare Schönheit für seinen, theils durch Enthaltsamkeit (woran Emma selbst Schuld war), theils durch in der letzten Minute geschlürftes Liebestrank-Serum gesteigerten Begehrungstaumel.

Bei solchen Zuständen kommt der Verstand stets ins Hintertreffen.

Wie ein schnappender Schakal packte er Emma's kleinen Zeh des linken Fußes mit den Zähnen, biß ihn ab und verschlang ihn. Darauf biß er den des rechten Fußes ab und sog, ein Vampyr in Menschengestalt, Emma's rothes, warmes Herzblut mit jenem thierischen Behagen in sich hinein, das von Lombroso als beginnendes Zeichen der Decadence gesehen wird.

In der That war der Sultan ein schreckliches Muster vom Fin de siècle.

Mit den Mantel-Enden seines Hermelins wehte er wie die Vampyr-Fledermaus mit den Flügeln, um ihre Opfer in den ewigen Schlaf zu fächeln.

Emma fühlte, daß sie sterben müsse. Sie fühlte, wie immer weniger Blut in ihren Adern ward, wie das Herz matter und langsamer zu schlagen begann. Und doch war ihr, als kehrte ihr das Bewußtsein zurück, eine vollkommen richtige Beobachtung, da ja der Sultan das vergiftete Blut als so zu sagen regierender Schröpfkopf aus ihrem Körper entfernte und von den betäubten Nerven ableitete.

Emma besann sich.

Mit einem kräftigen Tritt trat sie ihrem Peiniger ins Gesicht.

»Maschallah!«Für Leser, denen das Arabische nicht geläufig sein sollte, die Bemerkung, daß der im Orient sehr gebräuchliche Ausruf maschalla für den Morgenländer dasselbe bedeutet, was für den gebildeten Europäer der vielsagende Ausdruck »Nanu!«. rief der Sultan verblüfft.

Und doch war Emma verloren. Wieder umfing sie die heimtückische Ohnmacht.

Da aber . . . was war das?

Von ferne klang es; dann näher und näher. Bekannte frohe Weise!!

Oder war es nur Traum? Ein Todestraum? Kurz vor dem Tode erlebt der Ertrinkende ja seine ganze Vergangenheit. Aus alter Zeit klang diese Melodie herüber, einst eine Hauptnummer der Operette, jetzt ihr Grabgesang.

Aber nein . . . . nein . . . . das war kein Traum. Das war Wirklichkeit.

Mit dem fesch gesungenen Marsch:

»Vorwärts mit frischem Muth«

aus Fatinitza drangen blaue Husaren in den Pavillon, der ganze von Leutnant Fritz einexercirte und nun zur Revolte angestiftete Harem. Während die Blechmusik im Garten blies, übte Fritz mit dem Amazonen-Chor einige Evolutionen: recht und links Parade, den Stern, Chaine anglaise und kommandirte alsdann:

»Das Ganze halt!«

Die Husaren standen wie eine Mauer.

Sie hätten der strengsten Kritik genügt.

Emma war zu sich gekommen.

Die Macht der Musik bewährte sich auch an ihr.

Die Musik ist mächtig, es kommt jedoch sehr darauf an welche.

Der Sultan glotzte wie ein Blöder auf die Gruppe.

»Ergreift das Scheusal und werft es in die Wolfsschlucht!« befahl Leutnant Fritz.

Im Handumdrehen war der Sultan von den Amazonen überwältigt und mit den Schleiern gebunden.

»Wir haben hier keine Wolfsschlucht,« nahm Menub-bel, die Alte, die als Feldwebel unersetzlich war und durch einen gewissen trockenen Humor oft belebend auf die ganze Compagnie einwirkte, das Wort. »Aber der Geierkäfig, worin der Tyrann so manchen zarten Leib von den gefräßigen Vögeln zerfleischen ließ, der möchte wohl für ihn passen.«

»Auch mich hat er mit dem Geierkäfig bedroht!« rief jetzt Emma.

»Denn rin mit ihm!« kommandirte Leutnant Fritz.

»Er allein besitzt den Schlüssel,« sagte Menub-bel, »aber ich kenne die Taschen von drei Dynastien, und gleich werden wir ihn haben.« Mit gewandtem Griffe zog sie ein goldenes Schlüsselchen aus der Hosentasche des Sultans hervor.

»Dschifi ichtjara!« (Altes A . .) schrie der Sultan sie an.

»Ma bidschal kimit afdalak,« (Ich weiß Deine Güte wohl zu schätzen) entgegnete Menub-bel, »und deshalb kommst Du in den Käfig, ya sajid! (o Herr!)«

Einige Amazonen hatten den Käfig bereits an seiner Maschinerie von der Sagopalme heruntergelassen und die Thür geöffnet, andere schoben den Sultan hinein. Dabei sangen sie: »Udschul el uda et tajib.« (Tritt ein in das gute Zimmer.)

Menschen sind oft unbarmherziger als die Geier, aber die Geier haben stärkere Schnäbel.

Sie sind unbestechlich. Sie essen Jeden, ob hoch oder niedrig, wenn nur etwas daran ist.

Der goldene Käfig mit dem umschnürten Sultan darin schwebte oben in der schwankenden Palme.

Schon zeigten sich die Geier in den Lüften.

Während dies Alles geschah, hatte Menub-bel des Sultans Schandthat an Emma's geisterhafter Blässe entdeckt. »O ich kenne ihn; sein Vater war gerade so. Das Chansire (ein Thier, aus dem man ihm Abendlande Wurst macht) hat mir den rechten großen Zeh abgebissen. Das liegt so in der Familie und muß ihm wohl als Erbfehler verziehen werden.«

Rasch verband sie Emma's liebreizende Füßchen mit köstlichem Heilbalsam. »So,« sagte sie, »in drei Tagen ist nichts mehr zu sehen.«

Emma dankte ihr mit freundlichen Worten.

Plötzlich richtete Menub-bel sich auf und lauscht. »Da ist irgend etwas nicht in Ordnung,« flüsterte sie. »Im Palast wird man unruhig . . . dies Geschrei . . .«

In der That hörte man »Allah« rufen und wüstes Toben. Auch läuteten die Glocken von den Minarets.

»Das ist Palastrevolution!« rief Menub-bel. »Der Prätendent, der Neffe des Sultans, ergreift die Regierung. Er ist ein fanatischer Antiberliner und in den Händen der Mollahs und Eunuchen. Ihr seid verloren. Er läßt für Euch den Qualenraum, der auf dem Berge der Verzweiflung erbaut ist, heizen. Auf dem heißer und heißer werdenden Boden krümmen sich die Opfer, an deren letzter Angst er seine Blicke weidet, wenn der Feuerkrampf ihre Gebeine in Knoten windet.«

»Ist das auch ein Familien-Erbfehler?« fragte Leutnant Fritz.

»Nein, althergebrachte Sitte, Fremde vom Lande zu halten.« sagte Menub-bel.

»So sind wir dem Untergang geweiht!« sagte Emma in hoheitsvoller Ergebung.

Dabei sah sie so schön aus, daß Menub-bel, von ihrem Anblick hingerissen, ausrief: »Nein! – Nein! Ich rette Euch. Dich, Du Silberschwan der paradiesischen Gestade, Du bist zu schön – und Dich Fritz, der Du – Thränen erstickten ihre Stimme – durch Dein munteres Wesen uns die trüben Stunden des Harems so freundlich gestaltetest. Ach, wir werden Dich sehr vermissen.«

Sie umarmte Fritz und küßte ihn auf die Wangen.

So brachte auch ihm Gutesthun reichliche Zinsen.

»Wo ist der Prätendent?« rief Fritz. »Ich hau' ihn in die Pfanne!«

»Er ist in der Uebermacht mit seinen Haiducken und Eunuchen, denen er Dich einreiht, wenn er Dich faßt!«

»Flieh, flieh!« schrie Emma in höchster Besorgniß.

»Kommt,« sagte Menub-bel, »ich weiß, wo die Automobile des Sultans stehen. Nehmt Herzensdieb und Augenlieb mit Euch . . .«

Durch den Druck auf eine geheime Klinke öffnete Menub-bel einen Privatausgang des Sultans.

»Jede Sekunde Zögerung bedeutet Tod und Verderben!« mahnte sie.

»Ich kann unmöglich so in die Welt gehen,« wehrte Leutnant Fritz ab, »ich muß erst eine Bartbinde haben. Was nützt der Schnurrbart, wenn er nicht gedrillt ist?«

»Eilt Euch, eilt Euch!« flehte Menub-bel.

»Flieh!« rief Emma. »Kennst Du nichts Höheres auf Erden als die Spitzen Deines Schnurrbartes?«

»O ja! Eine ganze Masse!« rief Fritz lustig. »Kommt, Kinder. Eunuch ist nicht mein Geschäft. Also ab nach Kassel.«

»Nach Südafrika!« sagte Menub-bel ernst verweisend. »Ihr fahrt grade hinunter dem Süden zu. Wo Ihr nicht Bescheid wißt, müßt Ihr fragen.

Die Thür schnickte ein. Emma, Fritz, Augenlieb, Herzensdieb und Menub-bel waren verschwunden.

Werden wir sie wiedersehen?

Und wann . . . . Wo?

Und wie?


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