Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Achtunddreißigstes Kapitel.

Im Banne der Schönheit.

Wir verließen Emma gerade in dem Augenblicke, als der Löwe auf das Automobil zusprang, um sich auf sie zu stürzen. Wir konnten dies um so eher, als selbst die ungeduldigsten Leser sich sagen müssen, daß Emma gerettet werden wird, ja gerettet werden muß, weil ja mit ihrem Ende dieser ebenso spannende wie fesselnde Roman aus wäre. Es ist daher ein wahres Glück, daß Emma sich so gediegener Gesundheit erfreut, daß sie die sinnberaubendsten Gefahren und untergrabendsten Strapazen in unvergleichlicher Frische durchmachen kann, denn was sie noch zu leiden hat, wie sie noch herumkommt, ehe sie das verheißene Glück voll und ganz das ihrige nennen darf, dazu gehören Nerven.Nur hin und wieder nahm sie einige Baldrianstropfen und auch nur sehr wenige.

Emma wankte nicht und wich nicht, als der Löwe in der Luft vor ihr schwebte. Wohl aber blickte sie ihn mit der strahlenden Gewalt ihrer bildschönen Augen an und ein unaussprechliches Lächeln verklärte ihre engelgleichen Züge.

Ja, so sieht die Schönheit dem Tode ins Antlitz.

Als der Löwe dies gewahrte, stieß er den bereits erwähnten seltsamen Laut aus.

Es war eine löwische Aeußerung der Ueberraschung, der Bewunderung, der Vergötterung.

Dieses königliche Thier der Wildniß empfand zum ersten Male die bändigende Kraft der Schönheit, welche die Krone der Schöpfung – in dem vorliegenden Falle Emma – auszuüben im Stande ist.

Verflogen war seine Mordgier, gelähmt seine Wildheit. Emma's blendende Erscheinung – obgleich sie nicht einmal in großer Toilette war – hatte den Löwen überwältigt, daß er die bereits hervorgekrümmten Krallen in seine Pranken zurückzog, den Schweif zwischen die Hinterläufe klemmte, Kehrt machte und sich wie ein zahmes Hündchen wedelnd dicht vor dem Automobil niederlegte, als erwarte er die Befehle seiner Herrin.

Huldvoll wandte Emma sich ihm zu und sprach: »Bist Du aber ein lieber Kerl; komm, gieb Pfötchen.« Allein bevor der Löwe aus dem Banne zu sich kam, in den ihn Emma's bestrickende Schönheit versetzt hatte, ließt Leutnant Fritz das Automobil mit voller Kraft an, so daß es über den Löwen hinwegstob und ihm sowohl die kurzen Rippen, wie auch das Rückgrat knickte.

Furchtbar echote das Schmerzgebrüll des Löwen durch das Dornenthal. Emma's Mitleid erwachte, sie wäre ja ein Kieselstein gewesen, wenn sie die Huldigung nicht empfunden hätte, die ihrer Schönheit durch dies einfache Naturthier zu Theil geworden war.

»Herr Leutnant,« rief sie: »Bringen Sie dem Wüstenkönig Linderung oder enden Sie seine furchtbaren Qualen.«

»Womit, bitte?« fragte der Leutnant. »Kalte Umschläge kann ich wegen Wassermangel nicht machen und Schießwaffen haben wir nicht. Allons, vorwärts!«

»Nein, nein!« rief Emma. »Der Löwe muß von seinem Leiden befreit werden. Ach, Leutnant Fritz, wenn Sie mich nur eine Spur lieb hätten, würden Sie meinen Wunsch erfüllen.«

»Nur eine Spur?« entgegnete der Leutnant mit einem vielsagenden, fast seine ganze Leidenschaft für Emma verrathenden Blick. »Doch Ihr Wunsch ist mir Befehl; die Bestie wollen wir schon kriegen.«

Emma fühlte sich durch diesen Ausdruck gekränkt und entgegnete mit vornehmer Kühle: »Ich muß doch dringend bitten, in Gegenwart untergeordneter Persönlichkeiten solche pöbelige Redensarten zu unterlassen.« – Dann schwieg sie und sah seitwärts aus dem Gefährt hinaus.

Leutnant Fritz stellte das Automobil auf rückwärts und fuhr wieder auf den Löwen zu, dessen Schmerzgebrüll Felsen erweichen konnte.

Er fuhr wieder über ihn hinweg.

Der Löwe wand sich und fauchte.

Leutnant Fritz fuhr wieder über den Löwen. Und wieder. Immer rück- und vorwärts.

Nicht jedesmal traf er ihn. Zuletzt aber war der Löwe still und rührte sich nicht mehr. Er war todt: ein blutiger Klumpen. Was auch vermöchte wohl der stärkste Löwe gegen ein Automobil? Wenn er darunter ist, ist es ihm über.

Die Maschine bleibt Siegerin. Sie kann mehr ab.

»Sind Sie jetzt zufrieden, Emmachen?« fragte der Leutnant, der recht gut merkte, daß Emma schmollte.

Emma antwortete nicht. Sie weinte.

Ja, sie beweinte das herrliche Thier. Und in ihrem Gedächtniß sagte sie aus ihrer ersten Theaterlehrzeit her sich das schöne Gedicht von der Löwenbraut auf: »Mit der Myrthe geschmückt, mit dem Brautgeschmeid u. s. w.«, das sie jetzt erst völlig verstand, nachdem sie soeben selber erlebt hatte, wie ein Löwe sich verliebt, wenn ihm etwas wirklich Hervorragendes geboten wird.

»Verflucht!« rief Leutnant Fritz, »was ist mit der Karete; ich glaube, das linke Vorderrad lahmt.«

Er stieg ab und untersuchte das Rad. »Da haben wir die Geschichte,« rief er ärgerlich. »Der Löwe hat in seiner Sterbewuth in die Pneumatik gebissen und sie durchlöchert. Und Benzin haben wir auch nur noch einen Rest. Das Löwenvieh kommt uns theuer zu stehen

»Wir können doch nicht hier in der Wildniß bleiben?« fragte Emma besorgt. »Des Nachts werden uns die reißenden Thiere anfallen.«

»Nur Muth!« tröstete der Leutnant scherzhaft, »die Sache wird schon schief gehen. Hoffentlich langt es, bis wir aus diesem elenden Dornenthal raus sind. Dann finden wir schon, was wir brauchen.«

»Wir vortrefflich!« sagte Emma, in abgeklärter Selbstverständlichkeit, um Herzensdieb, der simplen Sklavin, höheren Respekt einzuflößen. »Wie vortrefflich, Herr Leutnant, daß Sie immer in Geographie so hervorragend Eins  a waren, was Ihnen jetzt sehr zu Statten kommt. Allein dazu muß man lesen und schreiben können, und das kann man nicht im Harem.«

»Amma chabb,« sagte halblaut Herzensdieb, verschmitzt lächelnd.

Glücklicherweise blieben Emma'n diese Worte unverständlich und sie erklärte sich daher das sichtliche Erröthen des Leutnants als eine bescheidene Ablehnung des soeben erhaltenen geographischen Lobes, wodurch er wieder mehrere Grade in ihrer Achtung stieg.

Der Leutnant flüsterte Herzensdieb ein leises, verweisendes »Di bess« zu, was im Harem so viel besagt als »nun genug«, während was Herzensdieb leise gesprochen hatte »aber lieben« hieß, wie der Leutnant nach seinen dort gemachten Sprachstudien recht gut verstand.

Denn was man mit Lust lernt, das behält man auch. Emma schwieg traumverloren in Gedanken an den Löwen; Herzensdieb schwieg, weil der Leutnant ihr so befohlen hatte und der Leutnant schwieg, weil er seine Gesammtaufmerksamkeit dem Fahrzeug widmen mußte, dessen Mechanismus stärker haperte, als in der mittelafrikanischen Wüstenei, weit ab von leistungsfähigen Reparaturanstalten, wünschenswerth war.

Automobile sind ja etwas sehr schleunig Beförderndes, aber wenn sie liegen, liegen sie um so verweilender.

Sie hatten jedoch Glück. Nach einigen Stunden mittlerer Fahrgeschwindigkeit erweiterte sich das Dornenthal und sie erreichten eine Ebene, an deren Horizont Rauch aufstieg, ein Zeichen, daß dort gekocht wurde.

Aber was?

Im Innern Afrikas kochen die Völker Manches, was sich mit wirklicher Kultur nicht zusammenreimt. In Europa wird ein Schlächter schon verklagt, wenn seine Würste so billig sind, daß Pferdefleisch darin vermuthet werden könnte, aber in Afrika droht der Staatsanwalt vergebens, selbst wenn sie . . . . doch nein, der Gedanke ist zu appetitbenehmend . . : .

Wie, wenn nun Kannibalen dort um ihr scheußliches Mahl säßen, wo der Rauch aufstieg?

Waren unsere Freunde aus der furchtbaren Löwengefahr nur durch die Macht der Schönheit gerettet, um als Menschenwurst zu enden? Emma's wegen war der Leutnant nicht bange, ihre Schönheit würde, wenn sie es darauf zustellte, den hungrigsten Menschenfresser in einen unentwegten Vegetarianer verwandeln, aber ihm und Herzensdieb war der Hackblock unvermeidlich.

Aber konnte es nicht auch dort gutartige Kochende geben? Dann wäre ihnen geholfen mit Speise und Trank – denn sie waren nur mit wenig Proviant versehen – und mit Benzin zum Weiterfahren, wovon der Hauptvorrath vergebens bei dem Löwen verbraucht worden war.

Leutnant Fritz beschloß daher, in die Nähe der Eingeborenen zu töffen und dann Herzensdieb als Kundschafterin abzusenden. Kam sie wieder, so konnte dies als Beweis gelten, daß sie nicht gegessen worden war und es sich mit diesen Ureinwohnern des dunklen Welttheils ungeschädigt verkehren ließ.

Denn am zutreffendsten kann man den Charakter eines Menschen nach dem beurtheilen, was er ißt.


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