Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der Roman des Räuberhauptmanns.

So amüsant das Räuberleben auch während der Sommerzeit war, ebenso beschwerlich gestaltete es sich beim herannahenden Winter. Der Kneißl beurlaubte daher einen Theil seiner Bande, er selbst quartirte sich bei dem Parasolbauern ein, wie denn die Bauern ihm mit Vergnügen Unterschlupf gewährten, da sie fürchteten, im Verweigerungsfalle von ihm erschossen zu werden. Auch mußte der Kneißl den redlichen Landleuten viel Geld für Wohnung und Verpflegung zahlen. Deshalb durfte er das Räuberhandwerk während des Winters, wo sonst so manches Geschäft still liegt, nicht ganz ruhen lassen.

Zu diesem Zwecke that er sich eine schwarze Maske vor und ging mit den Drillingen, die er nie allein ließ, damit ihnen kein Unheil geschähe, nach Langfetten zu dem alten Mooseder. Dem hielt der Kneißl einen Revolver und ein großes Schlächtermesser vor das Gesicht und brüllte: »Dein Geld oder ich schieße Dich nieder.«

Weinend eilte des Mooseder's Frau herbei, eine Greisin mit schneeweißem Haar.

Sie sank in die Kniee und betete.

Grimmig murmelte der Kneißl durch die schwarze Maske: »Laßt das Beten sein! Das nützt Euch nichts. Gebt Euer Geld heraus oder ich schieße Euch nieder.«Wörtlich nach den Prozeßakten.

»Bei dem Seelenheil der drei unschuldigen Kleinen,« beschwor die Greisin den drohenden Räuber, »laß uns den Nothpfennig unseres Alters

»Ich muß auch leben,« entgegnete der Kneißl, »und ich hab' dem lieben Gott einen Eid gethan, daß ich den unmündigen Kindlein ein Ernährer sein will.«

Sechsundfünfzig Mark war des Mooseders ganzes Geld – das gab er angstbebend mit zitternder Hand dem furchtbaren schwarzen Mann, der es an sich riß und mit den Drillingen ebenso unheimlich verschwand, wie er gekommen war.

Da er nicht genug ergattert hatte, um seine Zeche beim Parasolbauer zu begleichen, wandte der Kneißl sich nach Jochenbrunn zum Michl Rieger, dem Flecklbauer, seinem Freunde, der jetzt ebenfalls privatisirte.

Die Frau des Rieger brachte Geselchtes und bayrisch Kraut; der Rieger holte einige Maaß Bier aus dem Wirthshause.

Der Kneißl setzte sich mit den Drillingen auf dem Schooß an den Tisch. Mit dem Zartgefühl eines fein empfindenden Weibes bediente ihn Elliorina stumm und schweigend.

Man darf einem Räuber nicht ins Essen reden und einem Bayern nicht ins Trinken, sonst werden sie grob. Und Kneißl war beides.

Als der Kneißl gegessen und aus Mangel an Hölzeln die Zähne mit den Gabelzinken gestochert hatte, sprach er:

»Elliorina . . . weißt . . . hätt'st Du nicht Lust, Mutter zu werden? Ich mein' Mutter von den Drillingen, die mir doch mitunter sehr zur Last fallen auf den Streifzügen.«

Elliorina machte eine abwehrende Gebärde.

»Du würdest dadurch dem Räuberthum einen großen Dienst erweisen!« fuhr Kneißl fort. »Ich hab' mir die Aufgabe gestellt, eben selbiges Räuberthum bis zur höchsten Blüthe zu entwickeln, dem Fortschritt des zwanzigsten Jahrhunderts entsprechend. Es müßte elektrisch betrieben werden. Aber alle meine Theorieen werden zunicht durch die Drillinge, die jede geschwinde Beweglichkeit verhindern. Frei muß der Räuber sein, er darf keine anderen Ketten tragen als die . . . der Liebe

»Halt ein!« rief Elliorina.

»Warum nicht gar?« entgegnete der Kneißl und erhob sich in voller Größe, die Drillinge auf seinen machtvollen Armen haltend. »Schau her, Mad'l. Sieh mich an, meine ganze Statur und wie mich der Herrgott erschaffen hat; und die drei elternlosen Waisen schau an, die ihre Aermchen nach einer Mutter ausstrecken. Komm, sei nicht fad. Sprich es aus das Wort, das den unschuldigen Würmern eine Mutter giebt und Dir zum Gatten den zweiten bayrischen Hiesl, den Matthias Kneißl!«

Furchtbar rang Elliorina mit sich selber.

»Nein! rief sie nach längerem Ringen mit qualerstickter Stimme. »Nein!«

Wie vernichtet sank der Kneißl auf den hölzernen Stuhl, der unter der Schwere seines Schmerzes zusammenbrach.

Auch war er nicht ganz neu mehr und öfter geleimt.

»Kruzitürken!« schrie der Kneißl. »Wie kannst Du es wagen, mich zu verschmähen? Tod und Teufel!«

»O Matthias!« sprach Elliorina schluchzend, »schilt mich nicht lieblos. So sehr ich Dich auch achte und in Dir die Krone aller Räuber erkenne, dessen Liebe in geordneten Formen zu besitzen das höchste Glück meines Lebens wäre . . . . ich kann Dein Weib nicht werden.«

»Himmelsakradonnerwetter noch a mal, warum nicht?«

Mit einem Blick voller Liebe und Seelengröße zugleich sah Elliorina den Räuber an.

»Ich habe eine Vergangenheit!« sprach sie erröthend.

»Ei verflucht!« rief der Kneißl.

»Das Weib, das Du zu Dir emporziehst, darf später in den Blättern Deiner Geschichte kein Vorwurf treffen. Edel muß es dastehen, wie Du, ohne Makel. Verstehst Du mich jetzt, Du Einziger, Großer, Herrlicher?«

»Ich seh's ein,« sagte der Kneißl. »Vielleicht war es gar ein Schandimuckel, mit dem Du Dich eingelassen hast? Und das wär' gegen meine Reputation, Schwager von so einem zu sein.«

»Nein, nein,« schrie Elliorina, wie von einem unsichtbaren Peitschenhieb in das wehrlose Antlitz getroffen. »Es war ein Leutnant, dem ich in aller Unschuld die Versicherung meiner ersten und einzigen Liebe gab.« – Händeringend rief sie: »O mein Fritz, wo magst Du weilen? Vergieb, Du Geliebter meiner mädchenhaften Seele, daß ich im Begriffe stand, Dir in Gedanken untreu zu werden. Wer aber würde nicht wanken, einem Räuberhauptmann gegenüber wie der Kneißl, so edel, so hehr und so voller Schneid? Die, welche unentwegt bliebe, werfe den ersten Stein auf mich.«

Da Niemand warf, faßte Elliorina sich wieder. »Lebt wohl, Ihr geliebten Kleinen,« zu werden. Wer aber würde nicht wanken, einem Räuberhauptmann gegenüber wie der Kneißl, so edel, so hehr und so voller Schneid? Die, welche unentwegt bliebe, werfe den ersten Stein auf mich.«

Da Niemand warf, faßte Elliorina sich wieder. »Lebt wohl, Ihr geliebten Kleinen,« sprach sie unter Thränen und küßte die Drillinge, die ihre sechs Händchen ausstreckten und in lautes Abschiedsgeplärr ausbrachen, denn sprechen konnten sie noch nicht, nur lallen wie z. B. Hi . . . Hi, was so viel wie Hiesl bedeutete und Ba-Ba, womit sie Bier meinten, das sie für ihr Säuglingsalter schon recht gut würdigten, indem sie mit den Beinen strampelten, wenn schlecht eingeschänkt war.Es waren eben die Gesetze der Vererbung, die eher zum Durchbruch kamen als die Zähne.

Elliorina drückte einen Kuß auf die bleiche Stirn des Räuberhauptmanns, der, vom Stachel der Liebe verwundet, gramvoll aufstöhnte.

»Leb' wohl!« rief sie, »Lorina geht . . . und niemals . . . kehrt . . . sie wieder!«

Weiter wußte sie den Monolog nicht und ging daher rasch ab.

Als sie draußen auf dem Hofplatz war, sah sie wieder, wie schon einmal im Walde, eine Rakete gen Himmel steigen. Rasch wollte sie umkehren und rufen: »Hiesl, rette Dich! Verrath! Verrath!« Aber zwei würgende Hände umspannten ihren Hals und eine dritte Hand stopfte ihr Stroh in den Mund.

Mit Stricken fest umschnürt und gebunden warfen der Flecklbauer und sein Weib die Unglückliche in den Gemsenstall.

Elliorina aber hatte genug gesehen: Gensdarmen, Gensdarmen und noch mehr Gensdarmen und hinter den Gensdarmen Schutzleute mit Pickelhelm und Seitengewehr.

Kneißl war umstellt! Nun galt es Kampf auf Leben und Tod!


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