Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Achtundvierzigstes Kapitel.

Der Segen der Arbeit.

In der ethisch-ästhetischen Welt herrschte Windstille. Das undurchdringliche Dunkel des Doppelselbstmordes hatte sich insofern gelichtet, als das junge Mädchen mit den sammtbraunen Aurikelaugen nur ohnmächtig gewesen und der mit Eduard angeredete Herr nur leicht von einer Kugel gestreift worden war.

Die PhantasieDie Phantasie erscheint als etwas durchaus Verworrenes. Mancher z. B. hat garkeine, wogegen ein Anderer z. B. von Gelagen träumt und am Morgen mit einem voll ausgebildeten Katzenjammer aufwacht. Die Phantasie wäre deshalb unter die vielen neueren Lehrgegenstände für die Schule einzureihen. des Reporters hatte möglicherweise die Thatsachen vielleicht ein wenig zu thatsächlich behandelt, was bei dem heutigen Preisringen nach Wahrheit in der Literatur passiren kann und verständ- und verzeihlich ist.

Die fieberhafte Thätigkeit der Polizei hatte bedeutend nachgelassen (Puls 96; Temperatur 36,7) und näherte sich allmählig dem Normalen, als plötzlich ein Schlag wie aus heiterm Himmel ungeheures Aufsehen machte und in der Presse ein Für und Wider entfachte. Der Vertrieb nämlich von Iwan Schulzen's Buch »Was muß man vom Einbrechen wissen« war inhibiert!

Warum? wollte alle Welt erfahren.

Alle Welt wollte sich selbst überzeugen, warum?

Die Nachfrage nach dem Buch ward eine sich steigernde. Leute die es gelesen, fragten: weshalb ist es verboten? War vielleicht das Rezept zur Anfertigung von Diebslichtern aus der Hand eines Gehängten und dem Fett neugeborener Kinder anstößig? Das war undenkbar, denn es durfte in der geschichtlichen Einleitung nicht fehlen, glaubte man doch früher, daß kein Schläfer in einem Hause aufwache, so lange die Diebe solches Licht brennen ließen.

Historische Daten können unmöglich verboten werden! Dann wäre es besser, gleich alle Geschichte zu verbieten, was vielen Kindern mit unlustigem Gedächtniß gewiß sehr willkommen sein möchte.

Oder war es die Anleitung, Fensterscheiben mit Schmierseife zu bepflastern, um beim Eindrücken das Klirren zu verhüten?

Es war eben Alles in dem Buche enthalten, von den Anfangsgründen mit Dietrich und Stemmeisen bis zur Schmelzung feuersicherer Geldspinden mit Sauerstoffgebläse oder Thermit, also bis zu den neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften.

Wagte man wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu beschränken?

Das wäre unerhörtester Zwang gewesen.

Denn die Wissenschaft ist frei, man kann sie dem Einbrecher nicht vorenthalten. Er ist doch auch ein Staatsangehöriger und vor allen Dingen ein Mensch, der verdienen will. Nur keine Ausnahmegesetze!

Oder war es die Beschreibung der Schulz'schen neuen verstellbaren Brechstange, geistreich combinirt mit Schädelspalter, Augenschlitzer, Schubkastenzieher und Uhrkettenknipser, daß diese möglicherweise einen bereits ertheilten Musterschutz verletzte?

Man fragte vergebens.

Aber umso eifriger wurde das Buch gekauft. Zu Tausenden wurde es auswärts verlegt und unter dem Deck-Titel: »Eingeständnisse, Bilder aus einer kleinen Garnison«, über die Grenze geschafft; kaum konnten genügend Exemplare hergestellt werden, obgleich die Schnellpressen sich heiß liefen. Das Publikum fiel darüber her wie die Lemminge.

Ein glänzendes Geschäft dies verbotene Buch.

Das Geschäft ist stets glänzend mit Schriften und Bühnenerzeugnissen, auf die eine umsichtige Regierung die Aufmerksamkeit des Publikums hinlenkt, um den Verfassern, Verlegern und Direktoren die kolossalen Summen zu ersparen, die dennoch nie eine so wirksame Reklame zu Stande brächte, wie ein rechtzeitiges, lüstern machendes Verbot oder dito Sperre.

»Siehst Du, Mutter,« sagte Iwan Schulz, »nun wird uns Staatshülfe! Auf ehrlicher Arbeit ruht Segen; gesegnet sei deshalb auch eine hohe Behörde, die so väterlich für uns sorgt. Ich schreibe mehr zum Verbieten. Du sollst sehen, wie das einbringt.«

Die Wittwe Wimmelmayr kniete nieder und betete für fernere Erleuchtung der zensorlichen Bevormunder, denn nun hatte sie nicht mehr nöthig, sich mit dem Gerichtsvollzieher zu zanken, sondern lebte herrlich und in Freuden mit ihrem Sohne in einem reizenden Hause in Grunewald, das er sich von den Ueberschüssen an seinem Buche gekauft und

Villa »Veto«

getauft hatte.

Das Sonntagspublikum las wohl im Vorbeispazieren die goldene Inschrift am Giebel, hielt sie jedoch für den Hinweis auf ein hygienisches Patent-Volksstärkungsmittel, weil ihm die klassische Gymnasialbildung, um das Reden durch die Blume zu verstehen, durchschnittlich mangelte.

Wir aber wissen, daß hinter den werthvollen Stores wirklich Glückliche wohnen und verlassen hier in ihnen zwei der Staatsmaßregelung ewig Dankbare.

Solche sind selten.


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