Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Die Automobil-Hetzjagd.

Glücklich waren sie der Residenz des Sultans entronnen, wenn auch mit knapper Noth, Leutnant Fritz als Chauffeur, Emma, und Augenlieb und Herzensdieb als Leibsklavinnen.

Es war, wie man populär spricht, alleräußerste Eisenbahn gewesen.

Als sie sich vor dem Thor auf der Landstraße befanden, die nach Südafrika führt, rief Emma: »Halt! Ich habe meinen Strumpf voll Diamanten, Rubinen und Perlen vergessen. Er enthält mein mühsam Erspartes!«

»Kehren wir um!« rief Leutnant Fritz und steuerte das Automobil wieder zurück.

Aber es war nicht gerathen in die Stadt zu fahren, die in hellem Aufruhr stand.

Man hörte den Generalmarsch blasen, Trommelwirbel, Hornsignale, Nebelhörner und Alarmschüsse. Nothflaggen wurden gehißt, Glocken stürmten und das Volk erhob tausendfältiges Geschrei. Die Feuerwehr klingelte mit ungewohnter Heftigkeit in den Lärm hinein.

»Weiter, weiter!« jammerten die Sklavinnen. »Dort lauert der Mord!«

»Vorwärts!« rief auch Emma. »Was sind todte Steine gegen das warme, pulsirende Leben?«Dieser Ausspruch innerer Bildung Emma's verdiente in allen Schulen angeschlagen zu werden. Denn es ist wirklich so.

Leutnant Fritz steuerte wieder um und mit velozipedhafter Geschwindigkeit töffte das Automobil südwärts nach Afrika hinein.

Mit großer Sachkenntniß suchte Leutnant Fritz, der als Kadett in Geographie immer Ia gehabt hatte, solche Stellen aus, die auf der Landkarte noch weiß und daher für Automobilfahrten, als völlig eben, vorzüglich geeignet sind. Wind und Wolken zogen und Palmenbäume flogen.

»Graut, Liebchen, auch vor Sultans?« fragte Fritz scherzend.

»Lassen wir das Ekel,« sagte Emma hoheitsvoll.

In dem nächsten Kraal machten sie Halt. Der Leutnant bestellte eine Bartbinde, die, weil nicht vorräthig, erst nach seinen Angaben angefertigt werden mußte.

Damit ging viel Zeit verloren.

Augenlieb und Herzensdieb drängten zur Weiterreise, indem sie sagten, der Sultan habe mehr Automobile, die er gewiß zur Verfolgung anspannen lassen werde.

»Der sitzt prachtvoll aufgehoben im Geierkäfig und ich habe den Schlüssel,« sagte der Leutnant.

Er wollte ihn triumphirend aus dem Portemonnaie hervorholen, allein dieses war weg, so sorgfältig er sich auch absuchte.

»Hast Du Geld bei Dir?« fragte er Emma.

»Mein ganzes Vermögen war in jenem Strumpf,« sagte Emma bestürzt.

»Habt Ihr Moneten, Ihr kleinen Ratten?« fragte er Augenlieb und Herzensdieb.

»Nur Liebe!« antworteten diese und blickten ihn begehrlich schmachtend an.

Emma's durchaus reines Gemüth empörte sich darüber. »Werfen Sie sich nicht hinweg, Herr Leutnant,« sprach sie kühl-vornehm.

»Aber was fangen wir ohne Geld an? Sie geben die Binde nicht ohne Bezahlung her und außerdem gebricht es bald an Benzin und Schuldscheine nehmen die Wilden nicht,« sagte Leutnant Fritz. »Uns bleibt nichts übrig, als eine der Sklavinnen zu verkaufen.«

»Beide,« sagte Emma mit der ihr eigenen Würde.Dieser Entschluß scheint einen Schatten auf Emma's engelsgleichen Charakter zu werfen, allein wenn man bedenkt, daß sie den Leutnant – was sie wohl bemerkt hatte –von sittengefährlichen Elementen zu befreien suchte, steht sie wieder in unverhüllter Makellosigkeit vor uns.

Es wurde Fritz schwer, sich zu entscheiden, denn er hatte jede gern, aber es half kein Zaudern und so tauschte er gegen Augenlieb eine Bartbinde und zwei große Kannen Benzin ein.

»Leb' wohl, Fritz,« weinte sie. »Für Dich fällt Deinem Augenlieb das Opfer nicht schwer. Ich habe Dich stets geliebt und werde Dein gedenken. Ach, es war zu schön.«

»Vorwärts!« rief Emma und strafte Augenlieb mit einem Blicke königlicher Mißbilligung.

Diese aber, in eifersüchtige Wuth gerathend, raffte einen großen Wüstensandkloß auf, mit dem sie nach Emma warf.

Sie traf den Leutnant.

Dieser lachte und rief drohend: »Na warte, kleine Katze, dafür sollst Du . . .«

Er kam nicht weiter. Emma hatte eigenhändig die Kurbel ergriffen und das Automobil raste knirschend über Stock und Stein.

»Ja, es mußte Alles so geschehen, wie es geschah,« sprach sie zu sich selber. »Die Ereignisse ordnen sich wie die Glieder einer langen, aber zuletzt doch durchsichtigen Kette und ich erkenne daraus das Walten einer höheren Vorsehung. Es war höchste Zeit, daß Leutnant Fritz aus dem Harem kam. Allerhöchste! Denn diese Odalisken können unmöglich von gutem Einfluß auf einen Jüngling sein, dessen Grundsätze noch nicht durch längere Lebenserfahrung gefestigt sind.«

Emma aber hatte während dieses Gedankenganges falsch gesteuert; das Automobil gerieth zu weit links und sauste in des Dornenthal hinein.

Schauerlich puffte es durch die schweigende Wildniß.

Plötzlich gewahrten sie vor sich auf dem Wege etwas, das aus der Ferne einem Hunde glich.

Es war aber ein großer, volljähriger Riesen-Löwe.

Ausweichen konnte sie nicht, denn Dornen-bewehrte Mimosen engten den Weg auf beiden Seiten mit undurchdringlichem Dickicht ein.

Die scharfen, spitzen Stacheln hätten die Pneumatik des Automobils bis zur völligen Unbrauchbarkeit zerrissen. Daher der Name Dornenthal.

Der Löwe kauerte lauernd.

Was beginnen?

Der Löwe brüllte und peitschte die Erde in gewaltigem Reife mit dem Schweife.

Sie waren ohne Geld und ohne Schußwaffe.

Aber der Leutnant war schneidig.

Der Löwe streckte sich zum Sprunge.

Der Leutnant entwickelte höchste Kaltblütigkeit.

Er öffnete die eine der Benzinkannen.

Er band ein Wachszündhölzchen daran, das er in Brand setzte.

Dann erhob er sich und schleuderte mit kräftigem Arme, indem er ein schneidiges »Hoppla!« ausrief, die Kannen auf den Löwen.

In demselben Augenblick sprang der Löwe.

Er sprang an der lodernden Benzinkanne vorbei direkt auf das Automobil zu.

Herzensdieb kreischte laut auf und hielt ihre elfenkleinen Händchen vors Gesicht, um nicht zu sehen, wie der Löwe sie fräße. – Leutnant Fritz sagte: »Ei verflucht!«

Ein strafender Blick aus Emma's formenschönen Augen traf ihn. Emma selber stand aufrecht in dem Automobil, wie die Griechen die versteinerte Unabwendbarkeit in Erz zu gießen pflegten und sprach mit der Würde einer Märtyrerin:

»Ich glaube, unser letztes Brot ist gebacken.«

Der Löwe stieß einen quucksenden Laut aus – – – –

Doch es wird höchste Zeit, daß wir uns nach dem Grafen Szmoltopski umsehen, der keine Ahnung davon hat, in welch' schrecklicher Gefahr Emma schwebt. Nein, er weiß es nicht und es ist auch gut so, denn wenn schon der nicht mit ihr verheirathete Leser für Emma bangt, wie viel mehr würde er, der Gatte, um sie beben?

Die Vorsehung ist weise und läßt in den meisten Fällen den Gatten nicht erfahren, was ihm Kummer bereiten könnte.


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