Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Im Harem.

Madschun Kebir el Chumar, der Sultan von Damombay, war besonders froher Laune: ihm waren zwei neue Sklavinnen angemeldet. Zwei weiße.

Alle Farben waren in seinem Harem vertreten.

Auf den weichen Divans des Perlensaales saßen die Bewohnerinnen seines Lustschlosses, Indiens holde Töchter, deren schwarzes Haar auf wundervolle Nacken fiel, Araberinnen mit gluthblitzenden Augen lagen hingegossen auf kostbaren seidenen Teppichen und schlugen mit Korallenfingern Laute und Tambourin.

In der Mitte des Saales tanzten die schönsten Cirkassierinnen wollustathmende Tänze. Leichte Schleier hüllten die schlanken Gestalten wie durchsichtige Nebel ein, wie zarte Wolken aus Rosenblättern mit Goldsternen, Diamanten und Rubinen besetzt, die Lichtfunken sprühten, wenn die Schönen hin und her wogten, wie Blüthenzweige im Hauche des Zephyrs.

Kaum berührten die kleinen schön geformten Füße den Boden aus Perlmutter und Elfenbein. Es waren die Houris des Paradieses, die dort schwebten, umflossen von dem sanften Glanze, der von den schimmernden Perlwänden des Saales auf die Gruppen der Lächelnden strahlte.

Ja, sie mußten lächeln.

Die sich nicht der Heiterkeit ergab, der wurde der Skorpionen-Becher kredenzt. Dann warf der Henker die in Todesqualen sich windende die Schädeltreppe hinab. –

Sie lächelten Alle.

Der Sultan saß auf seinem Bernsteinthron. Seine Krone war aus sieben blutigen Dolchen gebildet, als Zeichen unumschränkter Macht über Leben und Tod und alle Schönheiten des Harems.

Er war ebenso liebes- wie blutdürstig.

Andererseits aber großmüthig und edel.

Jedoch durchaus kein Freidenker.

Er ließ täglich hinrichten.

Ebenso oft begnadigte er.

In seiner Hand lagen Emma's Geschick und das Friederikens. Ob auch sie lächeln würden? Winkte auch ihnen der Skorpionen-Becher? Oder die Gunst des Sultans?

»Man führe die Blüthenknospen des Abendlandes herein,« rief der Sultan. »Ihr Uebrigen entschleiert Euch zu einer Schönheitskonkurrenz mit den Fremdinnen. Der Siegerin wird dieser Türkis zum Geschenk und meine Liebe.«

Der Tanz hörte auf. Die Schleier fielen. Aller Blicke richteten sich auf die Thüre. Blicke der Neugier und der Eifersucht.

Der echte persische Teppich wurde zurückgeschlagen. Mit kriechender Höflichkeit trat der Seeräuber ein. Ihm folgten, mit dem Stolze deutscher Reichsangehörigkeit, Emma in holdem Liebreiz und Friederike, frisch rasirt, ohne Furcht und Bangen.

Staunend stierte der Sultan Friederike und Emma an, wie sie in der goldumrankten Marmorthür seines Haremsaales erschienen.

Er war von jeher der Meinung gewesen, ein Kenner weiblicher Schönheit zu sein, denn sein unermeßlicher Reichthum gestattete ihm, sich aus allen Ländern die hübschesten Mädchen herbeischaffen zu lassen, aber eine so wunderbare Schönheit wie Emma war ihm noch nie vor die begehrlichen Pupillen gekommen, die wie die Augensterne eines betrunkenen Luchses leuchteten.

Emma erschauderte und senkte den Blick.

Dadurch ward sie nur noch schöner.

Denn keinen größeren Reiz besitzt die Schönheit als Tugend und Unschuld.

Der Sklavenhändler forderte einen unerhörten Preis für Emma und Friederike. Durch sein verabscheuungswürdiges Geschäft hatte er gelernt, nicht nur die lebendige Waare zu taxiren, sondern auch die Käufer und er sah, daß er Sultan von Damombay Emma auf jeden Fall behalten würde. Für Friederike verlangte er weniger, zumal diese den Sultan höchst geringschätzig belächelte und mit neugierigen Blicken die im Perlensaale sich in verführerischen Gruppen aneinanderschmiegenden Odalisken musterte, welche beim Eintritt des Sklavenhändlers ihr Antlitz rasch mit den Schleiern verhüllt hatten.

Das Gesetz gebot ihnen, ihr Gesicht vor jedem fremden Manne zu verbergen.

Aber keine von ihnen wußte, daß Friederike kein anderer war als der in weiblicher Tracht verkleidete Leutnant Fritz, Emma's Leidensgefährte und schwesterlicher Freund.

Der Sultan rief: »Werft dem Hunde von Sklavenhändler die verlangten zehntausend Beutel Goldes zu und ihn selbst hinaus.«

Dies geschah durch rasch herbeieilende Eunuchen.

Der Sultan war allein mit seinen Frauen.

Allein?

O nein. Leutnant Fritz war auch da.

»Entschleiert Euch!« rief der Sultan. »Wie die Blumen des Paradieses will ich Euch sehen, damit ich entscheide, welche die Schönste ist. Zwei ältere Weiber helfen den neuerworbenen Sklavinnen beim Ablegen ihrer Gewänder.« Und zu Emma sprach er brennenden Blickes:

»Deine Schönheit wird Alle besiegen; noch heute ernenne ich Dich zu meiner Favoritin.«

Emma erbleichte sichtlich.

Zwei ältere Neger-Sklavinnen näherten sich Emma und Friederike, den Befehl des Sultans zu vollziehen, während die übrigen Araberinnen, Cirkassierinnen, Indierinnen, Andalusierinnen ihre Schleierhüllen fallen ließen und wie lebende Statuen in zierlichem Reigenschritte sich dem Throne zuwandten, auf dem der Sultan saß.

»Donnerwetter!« rief Leutnant Fritz.

»Verrathe Dich nicht oder wir sind des Todes,« flüsterte ihm Emma zu.

Mit ihren knöcherigen Fingern begann die eine der Negerinnen an Friederikens Mieder die Häkchen zu lösen.

Plötzlich aber flog sie quietschend mitten in den Saal auf den polirten Fußboden aus Perlmutter und Elfenbein.

Friederike hatte der Negerin eine barbarische Ohrfeige verabreicht.

»Ha!« rief der Sultan. »Was bedeutet das? Laßt die Eunuchen kommen, die Widerspänstige zu zwingen.«

»Halt ein!« rief Emma. »Gönne mir ein Wort, o mächtiger Sultan.«

Mit ihrem bezauberndsten Lächeln sah Emma zu dem Bernsteinthrone empor.

Der Sultan, entzückt von so viel Liebreiz, sprach huldvoll:

»Das Wort sei Dir gestattet, Du MandelblütheDer Leser wird sich durch die blumenreichen Redewendungen der Orientalen nicht verletzt fühlen. Sie sind einmal so. der Schöpfung.«

»Verzeihe, o gewaltiger Herr,« nahm Emma das ihr erlaubte Wort. »Meine Freundin kann nicht haben, daß man sie ankommt; sie ist über alle Begriffe kitzlich.«

Es war eine Nothlüge, die Emma aussprach, aber, im Hinblick auf die Gefahr, in der Leutnant Fritz in diesem Augenblicke schwebte und auf die edle Absicht, den treuen Genossen des Schicksals zu retten, wird ihr diese Sünde in dem Schuldbuche der Vergeltung gewiß nicht angeschrieben werden.

Der Himmel vergiebt die Schwächen der Menschen, wenn die Beweggründe dazu gut sind.

»Ich könnte Dich tödten lassen,« brüllte der Sultan und funkelte Friederike mit grimmigen Zornesblicken an.

»Warum nicht gar?« entgegnete diese mit der Ueberlegenheit eines deutschen Kavallerieoffiziers gegenüber einen afrikanischen Herrscher.

»Chalan!« rief der Sultan, was so viel heißt als: »Aber sofort«.

Schon wollte er in die Hände klatschen und dadurch die Henker herbeirufen, als Emma noch einmal rasch das Wort ergriff.

»O Sultan,« sprach sie mit dem wundervoll sonoren Organ, das ihr eigen, »übe Gnade. Sie verschönt den Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone und irdische Macht gleicht dann der göttlichen, wenn Gnade geht vor Recht.«

»Du bewegst mich tief, o Jasminglanz der Erdgeborenen,« sagte der Sultan. »Um Deiner Schönheit willen schenke ich Deiner Gefährtin das zweifach verwirkte Leben, denn wisset, auf Widersetzlichkeit und Nichtachtung meiner Macht steht unwiderruflich der Tod, der Tod mit den furchtbarsten Martern. Gehorsam heißt mein Scepter, Unterwerfung mein Reichsapfel, Wille meine Krone.«

Alle schwiegen.

»Charuf soll kommen!« befahl der Sultan.

Ein junger Krieger trat ein, bewaffnet mit einer eisernen Keule, die an ihrem oberen Ende mit kurzen scharfen Stacheln versehen war.

»Ihr Mädchen aus dem Abendlande sollt kennen lernen, was Gehorsam ist,« wandte sich der Sultan zu Emma und Friederike.

Den Odalisken ringsum wich die Rosenfarbe von den Wangen; sie wußten aus Erfahrung, daß sich jetzt etwas Gräßliches ereignen würde.

»Charuf!« rief der Sultan, »schlage Dich todt.«

Noch bevor Emma Worte finden konnte, dem Schrecklichen vorzubeugen, erhob der blühende junge Krieger die eiserne Keule mit gewaltigem Schwunge und schmetterte sie gegen sein Haupt, das mit knarwelndem Schalle zersprang und sein Inneres weithin spritzte.

Dumpf fiel der leblose Körper nieder . . . . . Charuf war nicht mehr.

»Werft ihn auf die Table d'hôte meiner Geier,« befahl der Sultan.

 

Die Table d'hôte der Geier
 

Die Eunuchen eilten herbei und schleppten das Opfer des blinden Gehorsams hinaus. Negerinnen kamen und deckten einen kostbaren Teppich über die Lache von Blut und Gehirn.

Der Sultan that als sei nichts geschehen. »Seid lustig,« herrschte er die Mädchen an, die sofort in krampfhafte Fröhlichkeit ausbrachen, sich die Schwanenarme reichten und in munterem Reihentanze wiegten. Dazu sangen sie:

Sultan, wie Du,
So lieblich und so schön
            Das glaube uns,
Ist keiner zu sehn.

Fritz hätte fast Lust gehabt mit zu schunkeln, aber ein warnender Blick Emma's hielt ihn in Schranken.

»Bazta!« rief der Sultan, nachdem er genug von dem Tanze hatte, »zieht Euch in die Frauengemächer zurück. Ihr alle seid wie die erblassenden Sterne am Morgenhimmel, seitdem diese Sonne über dem Gefilde meines Verlangens aufgegangen ist. Verschwindet!« – Die Odalisken rüsteten sich zum Abgange.

»Hört!« rief der Sultan, »›Zuleima‹ und ›Rasal‹, die gazellenäugige, treten in den Dienst meiner Auserkorenen als ihre Leibsklavinnen. Und ihr beide, ›Augenlieb‹ und ›Herzensdieb‹, Ihr seid verpflichtet, die Andere in Eure Erziehung zu nehmen, damit sie ihre Wildheit ablegt und ihre Sprödigkeit. Ist sie in vierzehn Tagen nicht hingebend wie ein Kätzchen, das sich der streichelnden Hand kosend anschmiegt, so wandert Ihr alle Drei in den Skorpionensack.Dies ist ein geräumiger Ledersack, in den die Verurtheilte entkleidet gesteckt wird und den die Eunuchen zubinden, nachdem ein Korb voll Skorpionen hinzugeschüttet worden. Hierauf hängen sie den Sack über ein gelindes Feuer, wodurch die Thiere in besondere Wuth gerathen und das Opfer mit ihrem Giftangel stechen. Verschärft wird diese Strafe durch das Hinzuthun von Nattern und Mäusen. Nun geht.«

Zwei reizende Odalisken umschlangen Friederike mit ihren Lilienarmen.

»Komm,« sagte die Eine, die schwarzlockig wie die Nacht Friederiken mit dunklen Rehaugen anblickte. »Komm, wir wollen gute Freundinnen werden. Ich heißt Herzensdieb. Und Du?«

»›Fritz‹!« erwiderte Friederike.

»O Du süße, liebe Fritz,« sagte Herzensdieb schmachtend.

»Und ich heiße Augenlieb,« sprach die Andere, eine blonde Cirkassierin mit seelenblauen Augen und wallendem Goldhaar. »O liebe, gute Fritz, wirst Du uns auch schlagen wie die Negerin?«

»Ih, wo werd' ich denn!« entgegnete Fritz mit einem leichten Anflug von Humor.

»O, dann bleiben wir am Leben,« riefen die beiden Odalisken fröhlich.

Um sich zu überzeugen, ob die neue Odaliske wirklich so sehr kitzlich sei, wie Emma gesagt hatte, streichelte Herzensdieb mit ihren Alabasterfingern Fritzens Wange.

Zum Glück war er frisch rasirt. Trotzdem erschrak er und fürchtete Entdeckung.

»Dies dürft Ihr nie wieder thun,« schalt er. »Niemals.«

Traurig sagte Herzensdieb: »Wir werden viel Mühe mit ihr haben,« und Augenlieb fügte hinzu: »Laß uns hoffen, wir haben vierzehn Tage Zeit.« Im Stillen aber dachte sie: Wird die widerspänstige Fritz sich nicht fügen, reiche ich ihr den Kaffee des Niewiedererwachens. Besser sie stirbt, als daß ich und Herzensdieb in den Sack kommen und von den Skorpionen entstellt und getödtet werden.

Als Fritz, sanft umschlungen von Augenlieb und Herzensdieb, sich dem Ausgange näherten, hörte er seinen Namen.

Er wandte sich um.

Emma hatte gerufen. Aufrecht, wie die Göttin des Verhängnisses, stand sie da mit erhobener Rechten.

»Denke an Lenchen,« rief Emma. »Brecht Deinen Eid nicht. Auch ich werde meine Schwüre halten. Nur die Tugend siegt.«

Ihre Kraft war zu Ende. Zuviel des Grauenvollen hatte sie erlebt; zu dunkel und unheilvoll lag die Zukunft vor ihr.

Ohnmächtig sank sie in die Arme ihrer beiden Leibsklavinnen.

»Schleppt sie in den Kiosk der unerhörtesten Lebenswonnen!« befahl der Sultan.

Die Eunuchen stürzten vor und brachten Emma unter dämonischem Grinsen hinweg, wobei nur das Weiße ihrer Augen sichtbar ward und ihre schadenfroh fletschenden Lippen sich von einem Ohre bis zum anderen spalteten.

Es war ein Glück, daß gänzliche Bewußtlosigkeit Emma's Sinne umfing.

Denn nichts war ihr unsympathischer als Eunuchen.


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