Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Aus den Schlingen des Bösen.

Es ward Iwan Schulz nicht leicht, mit ehrlicher Arbeit soweit zu gelangen, daß er seinen Unterhalt verdiente, und wenn er auch statt des echten Bieres sich nur an Festtagen eine Weiße gönnte, so mußte er und seine Mutter doch oft genug darben. Aber sie sahen Beide vertrauensvoll in die Zukunft, die Wimmelmayr aus angeborener Gedankenlosigkeit, Iwan, weil er sich sagte: wenn die neue Richtung nichts nutzt, kehre ich reumüthig zu der alten zurück. So machten es alle Sezessionisten wie er sah, selbst die unentwegtesten.

Bestärkt im Ausharren wurde er durch ein sehr trübes Ereignis. Mühsam hatte er sich alle Nachschlüssel verschafft, die zu den Gelassen der Leipziger Bank paßten, ja er hatte sogar Nordhäuser als Skelettmenschen zum Einschlängeln in die Kellerfenster engagirt, er war vorbereitet sie selten: da macht das angesehene Institut in überraschendster Weise bankerott.

Als gelernter Fachmann überlegte Numero Eins: In verkrachte Banken einbrechen, das hieße armen Leuten das Brot stehlen.

Der wahre Weise überlegt dreimal, was er thun soll und dann läßt er es.

Als einen Hemmschuh empfand er die enge Verbrüderung mit Pagels, Schiel-August und Hink-Ede. Wie konnte er sich von diesen gemeinen Subjekten befreien, die ihm wie die Kettenkugeln eines Galeerensträflings anhingen und ihn immer wieder in den Sumpf der Missethat hinabzogen?

Denn Iwan Schulz war im Grunde seines Charakters ein edler Mensch, der wie ein Barometer, wohl fallen, sich aber nie erniedrigen kann.

Hatte Hink-Ede nicht einmal einem Gensdarm, der ihn fassen wollte, mit einer Beißzange den Daumen zerquetscht?

Hatte Pagels nicht einmal einem Nachtwächter, der ihn ertappte, Schnupftabak in die Augen gestreut, daß dieser nächtelang ziffernblind war und stets falsche Stunden ausrief?

Hatte Schiel-August, indem er einmal vor Gericht den wilden Mann markirte nicht öffentlich erklärt, der Staatsanwalt ginge noch über die allmächtige Allwissenheit?Wurde freigesprochen, weil er sich vermaß, den Beweis der Wahrheit anzutreten, was selbstverständlich als unzweifelhafter Irrsinn, ein für beide Theile günstiges Resultat ergeben mußte.

Nein, mit solchen Verderblingen und im Verbrecheralbum angeschriebenen Bösewichtern durfte er nicht weiter verkehren, wenn er nicht jede Hoffnung selbst auf die kleinste Anwärterstelle oder sonstige staatliche Karriere aufgeben wollte. Und lag ihm nicht die Pflicht ob, seine Mutter zu ernähren, die durch ihn als ihren nichtzahlenden Chambregarnisten um ihr Brot kam?

Freilich halt sie redlich mit, die äußerste Noth abzuwehren, da sie durch ihre lange Praxis als Vermietherin auf den Gerichtsvollzieher dressirt war. Allein wie lange?

Darum faßte er den Entschluß: los von den Schuften!

Zum Glück war ihm das viel angezeigte amerikanische Buch über Hypnotismus in die Hände gerathen, daß er, ohne immer wieder zwanzig Mark für Neubelehrung an die »wissenschaftliche Gesellschaft in New-York« einzusenden, schon nach vierzehn Tagen die drei Gesellen in magnetischen Schlaf (siehe die untenstehende Abbildung) mit nachwirkender Suggestion zu versetzen vermochte.

Schiel-August, Hink-Ede und Pagels
in hypnotischem Zustande
.

Liebhaber-Photographie aus der Lauben-Kolonie.

Als er sie so weit hatte, suggerirte er ihnen, in der Nacht vom Zwölften auf den Dreizehnten, genau um 2,30 Uhr in ein Fenster zu steigen und zu rauben. Dann kaufte er ihnen von dem Versatzgeld einer seiner goldenen Pathenbecher aus früherer Geschäftszeit, drei Fahrkarten Dritter mit dem 11,45 Nachtzug nach Magdeburg.

Als die drei Kanaillen nun in hypnotischem Dämmerzustand um 2,30 in ein Haus einzusteigen vermeinten, stiegen sie aus dem Coup éfenster hinaus und zwar gerade, als der Zug langsam auf der großen Brücke über die Elbe fuhr.

Sie taumelten aus der Höhe in den angeschwollenen Fluß, erst Hink-Ede, dann Pagels, dann Schiel-August, der während des Fallens erwachte und gräulich verquer blickend einen Schrei der Verzweiflung ausstieß. Dieser Schrei war das Letzte, was von ihnen vernommen wurde.

Frei athmend, wie aus den Schlingen des Höllenfürsten gelöst, vollendete Iwan Schulz sein Buch, für das er einen behende druckenden Verleger ausbaldowerte.

Es erschien elegant ausgestattet auf holzfreiem Papier als ein volksthümliches Werk, das; allgemein verständlich, unentbehrlich für Jedermann, in keinem Haushalte, in keiner Familie fehlen dürfe. Eindringlicher konnte es nicht angepriesen werden.

Aber Käufer wollten sich nicht einstellen. Es gingen kaum sechzig Exemplare ab und diese nur an Gelehrte, die sich wissenschaftlich mit der Theorie des Gegenstandes beschäftigen und an einige Fachliebhaber. Die Masse versagte vollständig, und der Verleger schloß das Verlustkonto bereits ab.

Iwan Schulz, die ewige Gerechtigkeit anklagend, jegliche ehrliche Arbeit verfluchend, wollte schon sein altes Einbrechergewerbe wieder aufnehmen – selbst die Mutter war über den Mißerfolg derart ergrimmt, daß sie, um sich an der Lauheit des Publikums zu rächen, förmlich auf Dach- und Kellerbrände brannte – da trat eine Wendung zum Besseren und Besten ein.

Doch um dem Leser die Vorfreude auf dies frohe Ereigniß nicht zu schmälern müssen wir dies Kapitel hier schließen.


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