Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Du hast mich allein zu sprechen gewünscht, sagte Herbert noch auf der Schwelle seines Zimmers. Willst Du nicht Platz nehmen? Ich muß allerdings von vornherein bemerken, daß ich heute etwas pressiert bin.

Er hatte dem Stiefbruder nicht die Hand gereicht, sondern nur eine Geste gemacht, die zum Niedersitzen einlud. Hartmut war auf diesen kühlen Empfang vorbereitet; ja, er hatte einen noch schlimmeren erwartet. So sagte er denn, Platz nehmend, ruhig und scheinbar ohne alle Empfindlichkeit:

Ich habe mich in der letzten Zeit bei Euch nicht sehen lassen; bin Dir auch, offen gestanden, wenn Du in diesen Tagen zu Mister Curtis kamst, aus dem Wege gegangen. Ich fand mich Euch gegenüber in einer schiefen Lage, die wieder gerade zu machen der ganz eigentliche Grund meines heutigen Besuches ist.

Bitte! sagte Herbert, seine Fingernägel besehend.

Mein Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit Euch, respektive mit Dir, fuhr Hartmut fort, war um so dringender, als für den Mangel direkten, vertraulichen und vertrauenden Verkehrs, wie er doch zwischen uns stattfinden sollte, die apokryphen Berichte der Dienstboten hinüber und herüber ein schlechter Ersatz sind. Da hört man denn hin, ohne es zu wollen; erfährt etwas, das ein Drittel wahr und zwei Drittel falsch ist, verquickt es mit dem, was man sich, halb richtig, halb unrichtig, von den Dingen und Personen selbst faute de mieux zurechtgelegt hat, und – das Zerrbild ist fertig.

Du bist überzeugt, daß dies alles zur Sache gehört? fragte Herbert, mit der Rechten leise auf die Lehne seines Fauteuil pochend.

Hartmut schien es Zeit, einen Ton anzuschlagen, der den Bruder aus seiner kühlen Zurückhaltung aufschreckte. Er sagte, Herberts nachlässige Sprechweise kopierend:

Ich bin überzeugt, daß Dein Vorteil bei dieser Unterredung mindestens so groß wie der meine ist; und wenn Du mir nicht ein wenig entgegenkommst und mich dadurch zwingst, unverrichteter Sache wieder zu gehen, Du es hinterher sehr bereuen wirst.

Das war doch eine kaum versteckte Drohung. Herbert fühlte es sehr scharf. Der alte für ein paar Wochen mühsam gedämpfte Haß gegen den fatalen Menschen kochte wieder in ihm auf, und seine erste Regung war, dem Unverschämten, der sich anmaßte, mit ihm als Gleichberechtigter verkehren zu wollen, die Thür zu weisen. Doch dazu blieb noch immer Zeit. Je sicherer er sich in seiner Position fühlte, um so ruhiger konnte er den andren kommen lassen. Mit einem zerstreuten Lächeln, wie jemand, der nur halb hingehört hat, sagte er:

Du machst mich wirklich neugierig. Also?

Also! sagte Hartmut. In der Curtisschen Familie ist so manches geschehen, das Euren Wünschen und Erwartungen, die ja, auch die meinen waren, schnurstracks zuwiderläuft. Fräulein Anne –

Verzeihe! unterbrach Herbert den Redenden; aber dies sind abgethane Dinge. Ich kann Dich versichern, daß Reginald an die Geschichte nicht mehr denkt; und daß Ada sich ebenfalls getröstet hat, muß Dir ja aus den Zeitungen bekannt sein, falls Du die Verlobungsanzeige nicht erhalten hättest, was mich wundern sollte: ich habe sie sowohl Dir als der Familie Curtis zugehen lassen. Und da wir einmal bei dem Kapitel sind: ich denke: Du wirst mir es als eine zarte Aufmerksamkeit anrechnen, wenn ich Dir – allerdings mit der Bitte um strengste Diskretion – meine bevorstehende Verlobung mit Fräulein Julie von Kinitz, der ältesten Tochter meines Chefs, weißt Du, mitteile.

Aber ich gratuliere, gratuliere von ganzem Herzen! rief Hartmut, die Hand ausstreckend, in welche Herbert, ein ironisches Lächeln auf den Lippen, seine Fingerspitzen legte.

Das hattest Du nicht erwartet? sagte er nachlässig.

Erwartet? erwiderte Hartmut, die Achseln zuckend. Ei nun, lieber Herbert; Du hast es eben besser gehabt als ich. Aber lebe Du wochenlang in der unmittelbaren Nähe des verführerischen Geschöpfes; stehe in höchster Gunst bei ihrem Vater; werde von ihrer Mutter vergöttert; glaube, ohne daß Du ein Fant bist, zu bemerken, daß Du ihr von Tag zu Tag weniger gleichgültig – was sage ich! näher und näher trittst, sie Dir ihr launisches Herz mehr und mehr zuwendet; und sei dazu ein armer Teufel, wie ich, dem sich neben dem ehelichen Gemach noch Abdallahs Zauberhöhle aufthut – ich darf sagen, ich kenne Tausende, die sich nicht einen Augenblick besinnen würden, mit beiden Händen und mit hundert, wenn sie sie hätten, zuzugreifen!

Und warum besinnst Du Dich, wenn ich fragen darf? sagte Herbert sehr freundlich.

Du wirst mir nicht glauben, erwiderte Hartmut, die ernste Miene, welche er inzwischen angenommen hatte, zu einer fast feierlichen vertiefend, und doch ist es die reine Wahrheit: Ich bin ein Renegat meiner früheren Ueberzeugungen – Ueberzeugungen, die bei mir niemals das Resultat ernstlichen Nachdenkens und ernsthafter Studien waren; die – was soll ich Dir sagen, wie ich zu diesen Ideen gekommen bin, die ich längst belächle, bereue, verabscheue, hasse als die Quelle des Blödsinns, gegen den sich alle Vernünftigen zur Wehr setzen müssen; der Verruchtheit, aus der das letzte grauenhafte Attentat ganz zweifellos hervorgegangen ist. Und diesen Unsinn, den los zu sein ich Gott danke, finde ich in dem Kopfe und Herzen des Mädchens wieder, – erotisch aufgewuchert, selbstverständlich, und mit dem holden Duft der komplettesten Ignoranz unsrer Zustände und Verhältnisse. Ich weiß nicht, ob Du Dich in meine Lage versetzen kannst.

Warum nicht, sagte Herbert. Sie ist bedeutend günstiger als die anderer Leute. Du bist nicht Beamter, bist ein freier Mann; hast keine Rücksichten zu nehmen und für die Extravaganzen Deiner Frau die solide Entschuldigung der Millionen, die sie Dir zugebracht hat. Oder sollten Dir etwa diese Millionen nicht ganz so sicher sein?

Aus Hartmuts Augen, die während seiner letzten Rede niederwärts geblickt hatten, schoß ein finsterer Blitz auf den Frager. Er erwiderte mit scheinbarer Bitterkeit:

Ich wußte, daß Du mich mit diesem Spott nicht verschonen würdest. In Deinen Augen bin ich ja nichts weiter als ein hungriger Fisch. Für den braucht der Hamen noch lange nicht so schwer vergoldet zu sein! Ich meine, Du solltest mich nicht daran erinnern, daß ich Deines Vaters Sohn bin! Ich bin daran selbst erst kürzlich auf eine seltsame Weise erinnert worden – wovon gleich mehr. Vorläufig möchte ich Dir nur beweisen, daß man ein armer Teufel sein kann, wie ich, und dennoch die Mittel verabscheut, mit denen reiche Leute sich auf Kosten anderer Leute noch reicher zu machen suchen. Ich sage es, weiß Gott, ungern – es ist immer ein Vertrauensbruch – aber es liegt mir zu schwer auf der Seele. Ich dachte, Ihr würdet selber darauf kommen, daß – daß – nun denn: heraus damit! daß Ihr Gefahr lauft, dringende, äußerste Gefahr, bei der Choctaw-Bahn-Affaire Euer schönes Geld einzubüßen.

Herbert rechnete es sich als einen Triumph diplomatischer Mimik an, daß er es fertig brachte, hier völlig ernsthaft zu bleiben und, die Stirn in nachdenkliche Falten legend, mit verschleierter Stimme zu sagen:

Seltsam! Auch der Papa wurde gewarnt – noch heute morgen; allerdings nur ganz im allgemeinen, ohne daß der Betreffende Details angab, oder anzugeben wußte. Du kannst Dir denken, wie gespannt ich bin, Näheres von Dir zu hören.

Ich hatte die Absicht, es bei der Warnung bewenden zu lassen, erwiderte Hartmut, vertraulich seinen Stuhl ein wenig näher an den des Bruders rückend. Indessen, wenn Du so in mich dringst! – Du weißt, es handelt sich in erster Linie um die Frage: ist die Bahn vom Staate garantiert, oder nicht? Der Prospekt behauptet, daß sie es ist, und zählt die Hunderte von Quadratmeilen auf, die der Staat den Konzessionären kostenlos überlassen hat, und die den Aktionären eine absolute Sicherheit bieten, ja, eine ungeheure Dividende in Aussicht stellen sollen, wenn diese Territorien, von denen die Bahn selbst nur den kleinsten Teil in Anspruch nimmt, zum Vorteil der Aktionäre an die Tausende von Farmern verkauft werden, die darauf Platz haben. So liegt die Sache doch?

Gewiß, sagte Herbert, – nach dem Prospekt.

Der sich nun als ein völliger Schwindel erweist, fuhr Hartmut eifrig fort. Die Hunderte von Quadratmeilen sind absolut wertloses Terrain, das nie einen Käufer finden wird.

Hm! sagte Herbert, das klingt denn allerdings sehr schlimm. Aber, wenn ich nicht irre, sind das doch nur Deine Vermutungen, Befürchtungen; keine Gewißheit. Offen gestanden: Gewißheit wäre mir lieber.

Nun denn, erwiderte Hartmut; so nimm es für Gewißheit!

Du kannst mir Deine Quelle nicht nennen?

Ich thue es ungern; aber, wenn es sein muß – es ist Frau Curtis. Sie ist die, welcher Herr Curtis seine tiefsten Geheimnisse mitteilt, in gutem Glauben, daß sie dieselben bereits am nächsten Morgen vergessen hat. Manchmal ist ihr Gedächtnis aber doch zäher, oder die Sache ihr so oft mitgeteilt und klar gemacht, daß selbst ihr Spatzengehirn sie begriffen und behalten hat. So diese. Und gestern abend – wir beide waren allein, und da sie nun einmal einen Narren an mir gefressen hat – sie nannte mich während der ganzen Zeit ihren Schwiegersohn, und ich vermute, sie hielt mich auch dafür – in dergleichen Konfusionen leistet sie das Wunderbarste – kramte sie, wie ein Papagei, ihr Wissen hinsichtlich der Choctaw-Bahn aus – ich kann nicht zweifeln: in den identischen Worten, die sie von ihrem Manne gehört hatte.

Unglaublich; sagte Herbert. Was in der Welt kann einen Mann wie Mister Curtis bewegen, hierher zu kommen und einen Schwindel in Scene zu setzen, bei dem es sich schließlich um einen für seine Millionenverhältnisse geringfügigen Gewinn handelt?

Der Gewinn ist so gering nicht, wenn der Schwindel gelingt, erwiderte Hartmut. Er schlägt bei den vierzig Millionen, um die es sich handelt, immerhin seine Million, oder so, für sich heraus. Uebrigens, glaube ich, es ist bei dem Manne der reine Sport. Es hat gerade augenblicklich in Amerika nichts für ihn zu thun gegeben; oder er ist nun einmal hier und will nicht umsonst hier gewesen sein, – was weiß ich. Wenn wir beschwindelt sind, scheint mir doch die Frage, warum man uns beschwindelt hat, von untergeordneter Bedeutung.

Auch mir; erwiderte Herbert. Und was rätst Du mir nun, daß ich thun soll? Deine Fürsorge hat sich doch gewiß auch auf diesen nächstliegenden Punkt erstreckt.

Gewiß; entgegnete Hartmut eifrig. Ich würde an Deiner Stelle Eure Prioritäten à tout prix verkaufen.

Ein kostbarer Rat, sagte Herbert lächelnd. Die Hälfte vielleicht unsres Vermögens!

Immer besser, als daß das Ganze für einen Pappenstiel geopfert wird! rief Hartmut. Leicht wird die Sache freilich nicht sein. Der Gewährsmann des Papa kann andern denselben guten Rat gegeben haben; jedenfalls ist die größte Eile nötig. Meine Dienste stelle ich Dir mit Vergnügen zur Verfügung. Natürlich müßte ich, da mich ja jeder als Agenten von Mister Curtis kennt, im Hintergrunde bleiben. Aber ich habe meine Leute an der Hand. Und also, wenn Du Dich mir anvertrauen willst –

Hartmut schwieg, betroffen über ein unbestimmtes Lächeln in den Augen des Stiefbruders.

Es scheint, ich habe Dich noch immer nicht überzeugt? sagte er vorwurfsvoll.

Das Lächeln in den harten blauen Augen war ausdrucksvoller geworden und zuckte jetzt auch um den Mund, aus dem langsam im ruhigsten Ton die Worte kamen:

Im Gegenteil! Ich hatte dieselbe Ueberzeugung schon seit Tagen und habe infolgedessen unsere Prioritäten bis auf die letzte verkauft – sogar mit einem kleinen Agio.

Der Schlag war zu hart selbst für Hartmuts starke Nerven. Er saß wortlos, regungslos da – nur für wenige Momente; dann hatte er sich wieder gefaßt. Die Sehne war gerissen; aber er hatte zwei an seinem Bogen, und jene war die schwächere gewesen. Das Flimmern in den verfluchten Augen sollte bald genug erlöschen. Er erhob sich und sagte, nach seinem Hut greifend:

Das freut mich, freut mich ganz aufrichtig; freut mich um so mehr, als dies nicht die einzige Gefahr war, von der ich Euer Glück bedroht sah. Ich schäme mich fast, davon zu sprechen. Man kommt sich immer ein wenig lächerlich vor, wenn man, wie ich eben, jemanden wecken will, der schon längst aufgestanden ist.

Die Reihe, stutzig zu werden, war an Herbert. Sollte der Mensch schon von der Ungnade wissen, in die der Vater gefallen war. Warum nicht? Der Mensch hatte ja seine Ohren überall. Es konnte nichts anderes sein. Er sollte auch diesen kleinen Triumph nicht haben.

Du willst von dem Unglück sprechen, das dem Papa arriviert ist, sagte er. Aber nach seiner gestrigen Rede war das voraus zu sehen. Mich wundert nur, daß er sich so lange gehalten hat.

Hartmut hatte keine Ahnung von der Entlassung des Geheimrats gehabt; aber auch nicht das leiseste Zucken verriet seine Ueberraschung. Und einen besseren Uebergang zu dem, was nun folgen sollte, hätte er sich nicht wünschen können.

Schade um das schöne Gehalt ist es immer, sagte er, langsam seine Handschuh anziehend. Darin freilich hast Du recht: es hätte eigentlich schon längst kommen müssen. Diese alten Achtundvierziger sind ja alle als Doktrinäre geboren und bleiben Doktrinäre, auch wenn sie zehnmal ihre Farbe wechseln. Der Vater hat sie nur einmal gewechselt, aber dann gleich gründlich. Und so an einem alten lieben politischen Freunde zu Grunde zu gehen! Sollte es eine Nemesis dafür sein, daß er einst einen sehr lieben Freund zu Grunde gerichtet hat, um in die Höhe zu kommen? Hoffentlich wird er mit diesem zweiten leichter fertig als mit dem ersten. Du weißt natürlich, wovon, vielmehr: von wem ich spreche? Nein, sagte Herbert kurz.

Es war offenbar, daß von dem Geheimnisse, welches das Curtissche Haus barg, kein kleinster Tropfen bis zu ihm durchgesickert war. Hartmut hüpfte das Herz vor Schadenfreude: nun würde man doch um seine guten Dienste betteln müssen!

Nein? sagte er; wirklich nein? Nun denn: auf die Gefahr, daß Du mich trotzdem hinterher auslachst: – ich fand dies Blatt in einem alten Büreauschrank des Vaters, der dann mit seinem vergessenen Inhalt von Makulaturakten irgendwie und wann – vermutlich bei der Scheidung – in den Besitz meiner Mutter übergegangen ist. Ich dachte, es würde Dich interessieren, und habe es zu mir gesteckt.

Er hatte, während er so sprach, aus seiner Brieftasche ein Quartblatt starken, bereits etwas vergilbten Papiers genommen, das er entfaltete und Herbert reichte, der es mechanisch nahm und mechanisch die Schrift überflog: von seines Vaters Hand: eine Kopie jener famosen Cessionsurkunde, welche für den Iliciusschen Besitz des einst von Aldenschen Vermögens den Rechtstitel abgab. Hieß es doch in demselben, daß »der Baron Johann Hartmut von Alden seinen sämtlichen Besitz ohne alle und jede Ausnahme hiermit abtrete an seine Gemahlin Faustine, geborene Komtesse Uttenhoven, in der Voraussetzung, er werde in dem Kampfe, dem er entgegengehe, den Tod finden, oder, als ein Besiegter und Verbannter, für die Zeit seines Lebens vom Vaterlande und dem Genuß seiner von den Vätern ererbten Güter fern gehalten werden. Wohingegen er bestimme und als sein gutes Recht in Anspruch nehme, daß, sollte er am Leben bleiben und, von einer etwaigen späteren sogenannten Amnestie Gebrauch machend, in sein Vaterland zurückkehren, der obbemeldete Besitz, von dem seine Gemahlin inzwischen nichts verthun noch veräußern dürfe, an ihn zurückfalle in seinem ganzen Umfange mit allen an demselben haftenden und aus demselben resultierenden Rechten.«

Herbert schaute von dem Blatte auf in zwei funkelnde Augen, die mit dem Blick des Geiers auf ihn gerichtet waren. War der Mensch toll geworden? oder was wollte er mit dieser neuen Komödie?

Er faltete langsam das Blatt und sagte, indem er es Hartmut wiedergab:

Es würde mich interessieren, meinst Du? Offen gestanden: nur mäßig. Vielleicht den Papa, dem es Spaß machen wird, seine Handschrift von Anno damals zu sehen. Ich kannte nämlich das Instrument: – eine andre Kopie – eine wirkliche: dies ist ja augenscheinlich nur Brouillon – liegt bei den Familienakten. Hätte Dir zur Not die ganze Litanei auswendig hersagen können Wort für Wort.

Das ist dann ja wiederum sehr erfreulich; erwiderte Hartmut, das Blatt in die Brieftasche legend: man wird die Litanei Wort für Wort und Silbe für Silbe wägen und abermals wägen in dem Prozesse, der nun zwischen dem Papa und zwischen Herrn von Alden bevorsteht.

Der Mensch war zweifellos verrückt. Herbert hatte hundertmal behauptet, daß er es sei, oder doch sicher einmal werde. Dieser wertlose Wisch, den er da so sorgfältig wieder einknöpfte, ein Feind, mit dem man zu kämpfen haben, schwerer fertig werden würde, als mit dem Fürsten? Sollte er doch nicht lieber nach dem Diener klingeln?

Ich bin noch wirklich ganz bei Sinnen; sagte Hartmut, der seinem Gegner die Gedanken vom Gesicht las. Aber ich weiß nicht, wo Ihr Eure gehabt habt, bis zur Stunde nicht zu ahnen, nicht zu wissen, daß Mister Smith in dem Curtisscheu Hause Maries Vater, der Baron Johann Hartmut von Alden ist.

In der That! sagte Herbert: das erklärt allerdings manches.

Es waren seine eigenen Worte – gewiß; aber ihm war, als hätte sie ein andrer für ihn gesprochen, wie auf dem Paukboden ein geschickter Sekundant einen furchtbaren Hieb des Gegners für seinen Kombattanten abfängt. Andernfalls hätte der Hieb gesessen. Er war ja wirklich blind gewesen, nicht zu sehen, was so klar war, wie zweimal zwei ist vier. Die Thatsache stand für ihn sofort fest; die Tragweite derselben konnte er für den Moment nicht übersehen. Aber er hatte dem andern auch nicht für einen Moment eine Blöße gezeigt. Das war in dem Wirbel seiner Gedanken der einzige ruhende Punkt, und den er behaupten würde, es mochte kommen, wie es wollte.

Das erklärt allerdings manches; wiederholte er, – und jetzt hörte er sich wieder selber sprechen, – in erster Linie Maries Verhalten. Allen Respekt vor Marie! Ich hätte ihr nicht zugetraut, daß sie ihre Karten so gut zu spielen wüßte! Aber wenn die Herrschaften glauben, daß sie ihr Spiel gewinnen werden, so irren sie doch gewaltig.

Hartmut hatte zugehört, mit ehrlicher Bewunderung der Schlagfertigkeit und stählernen Energie, die sich da vor ihm entfalteten. Jetzt oder nie war der rechte Moment. Er hatte vorhin kein Glück gehabt, es auch wohl ungeschickt angefangen; diesmal sollte es besser gelingen.

Ich hoffe, daß sie sich irren, sagte er in biederem Ton, und freue mich Deiner Entschlossenheit, nebenbei auch darüber, daß ich mich derselben ehrlich freuen kann. Ich sehe daraus, – was Ihr nie so recht habt gelten lassen wollen, – daß ich denn doch ein Ilicius bin, und mag der Kuckuck die Aldens holen! Marie hat in der Sache miserabel gehandelt und thut es bis auf diesen Augenblick. Du sagst: sie hat ihre Karten gut gespielt. Mag sein; aber ihre Karten liegen nicht gut. Sie liegen so schlecht, daß ich mit Bestimmtheit hoffe: ich kann ihre ein Paroli biegen und Euch alle die Umstände, Weiterungen, Aergernisse, Kosten ersparen, die Euch aus dem fatalen Handel drohen. Möchtest Du mich wohl anhören?

Aber ich bitte Dich! sagte Herbert. Was könnte mir willkommener sein!

Nun denn, sagte Hartmut, die Sache ist die: Marie und der Professor, den alten Alden eingeschlossen, sind natürlich einig. Es fehlt nur noch der Konsens des Vaters – Mister Curtis, meine ich. Der Alte thut aus guten Gründen jetzt, als ob er nichts höre, nichts sehe. Aber er kann die Maske fallen lassen und wird sie fallen lassen in dem Augenblick, wo er sein Schäflein im Trocknen, ich meine: die Million, oder so für die Choctawbahn-Prioritäten in der Tasche hat. Das wird noch immer circa zwei Wochen dauern. Marie kann so lange nicht warten: der Professor ist so krank, daß er jede Stunde, die er noch erlebt, als Gnadengeschenk betrachten muß. Das wissen Marie und der Alte sehr wohl und weiter, daß, wenn der heimlich Verlobte stirbt, bevor die Verbindung geschlossen ist, Marie das Nachsehen hat. So haben sie denn den Widerstand von Mister Curtis wiederholt und immer vergeblich zu brechen versucht. Es gibt nur einen, der diesen Widerstand brechen könnte. Das bin ich. Unter einer Bedingung, die Dir freilich sehr sonderbar vorkommen wird: unter der Bedingung, daß ich auf Miß Annes Hand verzichte. Der Alte hält große Stücke auf mich; aber seine Tochter, die noch dazu bald sein einziges Kind sein wird, mag er dem Ritter Habenichts denn doch nicht geben. Ueberdies hat er sie dem Sohne eines Geschäftsfreundes in New-York versprochen. Und ich – nun, lieber Herbert, wir sind unter uns Brüdern und da darf ich mich wohl aufknöpfen: – es klingt ja sehr großartig: auf ein paar Millionen verzichten zu wollen. Aber ich bin einmal, so schnurrig das klingen mag, ein Gemütsmensch. Nicht für Millionen brächte ich es fertig, ein Mädchen zu heiraten, das ich nicht liebe. Ich liebe Anne nicht. Basta. Nun die Nutzanwendung. Ich weiß, daß ich um den Preis meines Verzichtes auf Anne den Konsens von Mister Curtis zu der Verbindung von Marie und Ralph auf der Stelle erlange; ich hoffe mit Bestimmtheit, daß der alte Alden, sobald ich ihm diesen Konsens verschaffe, allen weiteren Ansprüchen auf sein ehemaliges Vermögen entsagen wird. Es ist das ja auch ein ganz empfehlenswertes Geschäft: der Ausgang des Prozesses ist, wie Du selbst sagst, zweifelhaft; die Million, oder doch eine ganz erkleckliche Summe der Witwe des Professors sicher. Was sagst Du?

Ich sage, erwiderte Herbert lächelnd, was ich immer gesagt habe: daß Du ein feiner Kopf bist. Aber verzeihe, wenn ich an die Uneigennützigkeit Deines Herzens nicht ebenso glaube. Heutzutage thut niemand etwas umsonst, auch nicht ein Gemütsmensch. Möchtest Du mir also ohne Umstände Deine Bedingungen nennen!

Hartmut wollte vor sich nieder blicken, als ob er die Antwort auf eine so unerwartete Frage erst bei sich überlegen müsse. Aber das hatte jetzt keinen Sinn mehr. So sah er denn lieber dem Bruder starr in die harten Augen und sagte scharf und knapp:

Also ohne Umstände: ich verlange erstens, daß ich den Namen von Ilicius führen darf so gut, wie Ihr; zweitens, daß Ihr mich auch sonst in jeder Weise als Euren rechtmäßigen Verwandten anerkennt und haltet; drittens, daß ich in die Erbschaft des Familienvermögens, das Euch einzig durch meine Intervention unversehrt bleibt, eintrete zu gleichen Teilen mit den übrigen Geschwistern, wobei ich annehme, daß Marie als durch das Curtissche Geld schadlos gehalten, ausscheidet. Ich denke, Du wirst diese Bedingungen mäßig finden.

Ich würde lügen, wenn ich ja sagte; erwiderte Herbert. Welches wären denn die, die Du mir bieten würdest? fragte Hartmut in gereiztem Ton.

Ich habe Dir gar keine zu bieten.

Das kann nicht Dein Ernst sein.

Mein vollkommener.

Adieu!

Hartmut hatte den Hut, den er längst wieder auf den Tisch gestellt, ergriffen und schritt der Thür zu. Plötzlich blieb er wieder stehen und sagte:

Du wirst an diese Stunde denken!

Herbert, der noch immer, wie während des ganzen letzten Teils der Unterredung, ein Bein über das andre geschlagen, an seinem Schreibtisch lehnte, zuckte mit den Achseln und sagte, gerade vor sich hin blickend:

Du solltest doch nachgerade wissen, daß mich Deine Drohungen sehr kühl lassen.

Es ist keine Drohung, sagte Hartmut, nur eine Warnung vor der Gefahr, der Du Dich und die ganze Familie aussetzest. Der alte Baron ist ein zäher Mensch, ein eiserner Charakter, und er hat zur Führung des Prozesses die reichen amerikanischen Freunde hinter sich. Du kannst Dir in diesen kurzen Minuten eine so weittragende, verwickelte Sache nicht nach allen Seiten überlegt haben, wie ich, der ich Zeit dazu hatte und beide Seiten der Medaille sehe. Noch einmal: ich drohe nicht; ich warne, rate nur als Bruder und Freund.

Verbindlichen Dank; aber ich kann von Deiner Offerte keinen Gebrauch machen; erwiderte Herbert im kühlen Tone jemandes, der einen überlästigen Geschäftsreisenden abweist.

Im nächsten Augenblick hörte er die Thür krachen und war allein.


 << zurück weiter >>