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Viertes Kapitel.

Die Gesellschaft war fort. In Annes prunkvollem Schlafgemach saß Marie vor dem Kamin, in welchem ein paar Kohlen schwälten; Anne ging mit lebhaften Schritten hin und her. Keine der beiden Damen hatte daran gedacht, Toilette für die Nacht zu machen, trotzdem das Zimmer nebenan, zu welchem die Thür offen stand, das für Marie bestimmte war.

Es ist mir nur deshalb ärgerlich, sagte Anne, weil Sie mir nun nicht glauben werden.

Ich halte Sie einer Lüge für unfähig, erwiderte Marie. Glauben Sie doch auch mir, daß meine erste Bitte an meinen Vater gewesen ist, Ihnen noch heute abend unser Geheimnis mitteilen zu dürfen, und ich meinen Vorsatz ausgeführt haben würde, auch wenn Hartmut die Wahrheit nicht gewußt hätte.

Seit vierzehn Tagen weiß er sie, rief Anne; und hat es auch mir verschwiegen. Er meint, er habe kein Recht gehabt, Ihrem Vater und Ihnen gegenüber Vorsehung zu spielen. Nun freilich, wo er sah, daß Ihr beide einig wart – er hat's Euch heute morgen bei der Begrüßung an den Augen abgesehen – hat er Euch auch die Mühe, Euch vor ihm zu verstecken, ersparen wollen. Ich finde, er hat in der ganzen Sache gut und edel gehandelt; ich möchte sagen: edler als Ihr Vater, der sein Geheimnis solange auf dem Herzen behalten konnte und, ich bin überzeugt, weiter geschwiegen hätte, wie bisher, wären da nicht andere Gründe gewesen, die ihn zum Sprechen brachten.

Er hat mir heute nachmittag Andeutungen derart gemacht, sagte Marie; aber Ihr Bruder kam dazwischen, und er mußte abbrechen. Uebrigens, Anne, da wir einmal beim gegenseitigen Beichten unserer Geheimnisse sind, so will ich Ihnen auch das nicht verschweigen: ich kann mich nicht für Ihres Bruders Liebe zu Ada erwärmen – ich kann's nicht!

Anne blieb stehen und schaute Marie mit großen verwunderten Augen an, ein Lächeln auf den Lippen. Dann trat sie an die Sitzende heran, küßte sie auf die Stirn und sagte ernsthaft, fast feierlich:

Wissen Sie, Marie, daß Sie das beste Geschöpf unter Gottes Sonne sind?

Weil ich mich für die Liebe der beiden nicht erwärmen kann? erwiderte Marie mit einem trüben Lächeln.

So lassen Sie doch die beiden! rief Anne sich aufrichtend und wieder ihre Wanderung durch das Zimmer beginnend. Das wird sich finden – davor ist mir nicht bange. Wenn Sie selbst sich für die Liebe anderer Leute erwärmen könnten – daran würde mir mehr liegen.

Sie schwieg, eine Antwort erwartend, die nicht kam.

Ich wußte es ja! rief sie zornig. Und nun mögen Sie auch hören, warum ich Sie alle diese Zeit gemieden habe, wie eine ansteckende Kranke, eine geschworene Feindin: weil ich es wußte! wußte, daß Sie sich nicht freuen, mir nicht Ihren Segen geben, sondern dasitzen würden mit steinerner Miene und Augen, die am liebsten weinen möchten über die Unglückliche, die Verlorene!

Jetzt bin ich wohl nicht mehr das beste Geschöpf unter Gottes Sonne? sagte Marie, die Augen voll Thränen zu Anne aufschauend.

Eine Thörin sind Sie! rief Anne mit dem Fuße stampfend, eine Närrin, ein Feigling, Ihres Vaters richtige Tochter! Heute wären Sie noch nicht seine Tochter, hätte er die gute Marie nicht hier haben wollen, damit sie täglich und stündlich die böse Anne warne vor dem Teufel Hartmut. Ins Gesicht hätte ich ihm fast gelacht, als er da nebenan in meinem Arbeitszimmer gestern stand und ich ihm auseinandersetzte, daß ich Sie doch anständigerweise nicht zu mir bitten könne, nachdem ich Sie so schlecht behandelt. Anstatt ihm zu sagen: Sie kommen eine Stunde zu spät, mein Lieber! eine halbe Stunde – fünf Minuten – vor fünf Minuten auf dieser selben Stelle, wo Sie stehen, hat mich Hartmut zum erstenmal geküßt! der Teufel Hartmut, den ich liebe von ganzer Seele, mit jedem Blutstropfen in meinen Adern; der mich haben kann, wie ich hier bin, mit Leib und Seele, zu jeder Stunde, mit mir zu machen, was ihm beliebt: mit ihm hinab zur Hölle zu fahren, wenn's ihm gut dünkt, mögt Ihr Pharisäer darüber die Augen verdrehen und die Hände zum Himmel erheben – was geht's mich an!

So lassen Sie uns abbrechen, sagte Marie; es dürfte das beste sein.

Nein, nein, rief Anne. Ich kann Sie so nicht lassen. Ich frage nicht nach dem Verdammungsurteil einer Jury von Engeln; Ihre Verwerfung ertrage ich nicht. Und so ist es ja auch mit ihm. Hat es je einen freigeborenen Menschen gegeben, so ist er es; aber vor Ihnen beugt er willig sein Knie. Daß seine hochmütigen Verwandten nun doch zu ihm zurückkommen müssen, das macht ihm Spaß; aber ein freundlicher Blick, ein gütiges Wort von Ihnen macht ihn glücklich. Warum denn hassen Sie ihn?

Ich hasse Hartmut nicht, erwiderte Marie, und ich bewundere heute wie früher seine bedeutenden Eigenschaften. Ich glaube nicht an sein Herz – das ist es. Und ist das nicht furchtbar genug? Kann ein Weib an der Seite eines Mannes, der kein Herz hat, glücklich sein? Sie, Anne, am allerwenigsten, trotzdem Sie mir sagen werden, daß, was die Menschen Herz nennen, Ihnen gleichgültig ist. Mit Unrecht. Denn wenn auch vielleicht mit dem Herzen allein Großes nicht geschaffen werden kann, – ohne Herz wird sicher nichts geschaffen, heute so wenig, wie zu irgend einer Zeit. Und ich kann mir nicht denken, daß Ihnen auf die Dauer ein Mann genügen würde, der nicht die Kraft hätte, Ihre Träume in Wirklichkeit zu verwandeln.

Anne hatte, in der Entfernung weniger Schritte mit unter dem Busen verschränkten Armen aufmerksam auf jedes Wort hörend, dagestanden.

Gewiß, sagte sie nickend, das ist alles richtig – soweit es mich betrifft. Ich kann nur einen Mann lieben, wie Sie sagen, der meine Träume in Wirklichkeiten verwandelt. Ich muß es darauf ankommen lassen: es konnten nicht ewig Träume bleiben. Das ist langweilig, immer nur träumen zu müssen, wenn man so früh angefangen hat wie ich.

Sie hatte sich, Marie gegenüber, in einen Fauteuil geworfen, die Stirn in die Hand gestützt und fuhr mit dumpfer Stimme, fast als ob sie nur mit sich selbst spräche, fort:

Was soll man thun, als träumen, wenn die Wirklichkeit für einen ein Tischleindeckedich ist; man jeden Wunsch erfüllt sieht, bevor man ihn ausgesprochen hat? Es gibt fürchterliche Mütter. Sie werden mich wieder für eine Verworfene halten, wenn ich sage: ich kenne keine fürchterlichere als die meine. Unter ihrem Regime nicht zur Idiotin zu werden, dazu gehört eine Riesenkraft. Ich habe diese Kraft gehabt: in meinen Träumen; – sie schufen der Uebersättigten neben, über der Welt, die man ihr verekelt hatte, eine neue, schönere. Die denn freilich in größerem Maßstabe angelegt war, als für sinnlosen Luxus, raffinierteste Lustbarkeiten, abenteuerliche Reisen verpuffte Hunderttausende sie schaffen können. Aber am Ende: es war doch nur eine fingierte Welt, in der man ungeheure Dinge vollbrachte, Reiche stürzte und gründete, die von ihren irdischen Tyrannen erlöste Menschheit zu freiheitstrunkenen Legionen ordnete, die den Himmel stürmten, einen Gott der Willkür, der Ungerechtigkeit und Grausamkeit vom Throne stürzten und ein Reich der Ordnung, der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf dieser Erde herstellten. Kindische Träume! Gewiß! Aber wer sie nicht geträumt hat, hat er je etwas Großes vollbracht? Ich sage: geträumt hat! nicht: sie weiter träumt. Das thuen die Dichter. Sie sind in meinen Augen nur halbe Männer, große Kinder – wie Sie wollen, – ganze Männer nicht. Ganze Männer führen ihre Träume aus, verwandeln sie in Wirklichkeiten: die Alexander, die Napoleon. Ja, der Hinterwäldler, dessen Traum die Einsamkeit und die Freiheit und ein Blockhaus war und eine gute Büchse, und er schafft sich diesen Traum zur Wirklichkeit – er gilt mir höher als der, der alles nur in schöne Verse bringen kann. Mir nicht allein. Weshalb denn sonst die geheime, oder offene Mißachtung, in der die Dichter bei den thatkräftigen Menschen zu allen Zeiten gestanden haben? Und hat die Dichtkunst nicht immer nur zu Zeiten geblüht, in denen die Nationen von der Höhe ihrer Thatkraft bereits hinab zu steigen begannen: bei den Griechen, den Römern? oder ihren Thaten entgegenträumten, wie bei euch am Ende des vorigen Jahrhunderts? Führen Sie mir nicht die Elisabethische Zeit in England an! Shakespeare selbst war der großen Königin und ihren stolzen Lords schließlich nichts weiter, als das ausgezeichnete Exemplar einer höheren Sorte von Spaßmachern. Zu dem Gott haben ihn nur Menschen späterer Zeiten aufbauschen können, die nichts Rechtes mehr zu thun fanden, oder für ihr Teil, das Rechte zu thun, nicht mehr die Kraft hatten. Byron – er war vielleicht geboren, ein Mann zu sein; aber er hatte doch zu lange geträumt, sich in seinen Träumen hohl geschwelgt und, als er zur That schreiten wollte, brach er zusammen. Ich aber, ich träumte von einem Manne, der vor einer großen That nicht zusammenbrechen würde.

Sie hatte sich längst wieder von dem Sessel erhoben und war abermals ruhelos hin und her geschritten. Jetzt kam sie zum Kamin zurück, aber ohne sich zu setzen. Den Ellbogen auf den Sims stützend, fuhr sie fort:

Denn das war mir mittlerweile klar geworden: sollte auch nur ein Geringes von meinen Träumen zur Wirklichkeit werden, konnte es nur durch einen Mann geschehen. Wir Weiber – mögen sich die unsern drüben noch so absurd gebärden – können nichts; höchstens anfeuern, begeistern. Die That ist Mannessache. Ich schmachtete danach, einem Manne der That auf meinem Lebenswege zu begegnen. Daß ich diesem Manne gehören würde – ich brauchte es nicht erst zu beschließen – es erschien mir selbstverständlich. Drüben bei uns – ich sagte es Ihnen bereits neulich, – drüben gibt es nur matter of fact men, die dem Manne der That, den ich meine, gleichen, wie der Gulliversche Yaaho dem Menschen; oder Glücksjäger, deren Beute ausnahmslos das ganz Gemeine, und deren Typ – Sie runzeln natürlich wieder Ihre Stirn – mein Vater ist; oder Träumer, die nicht aus dem Träumen herauskommen, wie Ihr Vater und Ralph. Hier bei euch, das wußte ich, lebte ein Gigant. Ich kann Ihnen sagen, daß ich ein ernstes Studium auf ihn verwandt habe. Das Resultat war grenzenlose Bewunderung und grenzenloser Haß – ein scheinbarer Widerspruch, der sich aber doch begreift. Oder glauben Sie nicht, daß, wenn es Engel gibt, die Gabriel und Konsorten den Beelzebub zugleich grenzenlos bewundern und hassen müssen? Ich bin kein Engel des Lichts, möchte auch keiner sein, denn besten Falles sind sie doch nur erlauchte Diener; aber völlige Gegensätze werden sich immer einander abstoßen. Auf welcher Seite das Recht liegt? Jeder glaubt, auf der seinen; und wer den rechten Glauben hat, dem erwächst die ungeheure Kraft, welche die Welt erobert auf Kosten der Schwächlinge, von denen man nicht sagen kann, daß sie sich beugen müssen, weil sie ja nichts andres können als sich beugen. Und nun lassen Sie uns zu Bett gehen! Ihnen fallen die Augen zu, und ich bin zu weit von meinem Thema abgekommen, um dahin zurückzufinden.

Es wäre mir unmöglich zu schlafen, erwiderte Marie; und ich glaube, auch Ihnen.

Was das seltsame Mädchen da vorgebracht: all die krausen, wunderlichen, tollen Gedanken – es war nur Rauch, der in schwarzen Wirbeln von einer Esse aufwallt, auf der ein Feuer von Riesenhand geschürt wird. Die Flamme mußte ja nun auflohen. So wartete sie geduldig ein paar Minuten, während derer das schöne Geschöpf, an ihrem prachtvollen Kleid zerrend, eine Spange auf den Divan, eine Kette auf den Toilettetisch schleudernd, das Band, das ihr Haar gefesselt hielt, lösend und die ungebärdigen Locken wie eine Mähne schüttelnd, einer zornigen Löwin gleich, hin und her durch das Gemach ruhelos schritt. Marie that die Raserei weh, mit der die Aermste so in sich hineinwütete.

Sie wollten von Hartmut sprechen, sagte sie, Anne, als sie wieder einmal dicht an ihr vorüber kam, bei der Hand ergreifend; ich bitte, thuen Sie es!

Anne war stehen geblieben, zu Marie niederwärtsblickend mit trotzigen, zornigen Augen. Dann – plötzlich – hatte sie beide Arme um sie geschlungen, und, sich an ihren Busen pressend, wie ein geängstetes Kind, brach sie in wildes Weinen aus.

Es dauerte geraume Zeit, bis Marie die Fassungslose mit freundlichen Worten und Liebkosungen einigermaßen beruhigt hatte. Sie drang jetzt selbst darauf, daß Anne sich niederlegen möchte; vergebens.

Sie hatten recht, sagte Anne: ich könnte nicht schlafen, bevor Sie alles wissen, was ich selber weiß. Oder auch nicht weiß. Und was mir vielleicht klar wird, wenn ich es Ihnen sage, zu sagen versuche. Setzen Sie sich wieder! Ich kauere mich so vor Sie hin. Seien Sie unbesorgt! Ich habe nichts Schlimmeres zu beichten, als was Sie selbst gesehen haben. Es war sehr schlimm; nicht wahr? Aber, mein Gott, ich liebe ihn! Grenzenlos liebe ich ihn!

Sie hatte das glühende Gesicht an Maries Kniee gedrückt; dann richtete sie sich wieder in ihre halbliegende Stellung, strich sich die Locken aus der Stirn, und sagte, vor sich niederblickend, bald langsam, bald so hastig sprechend, daß Marie Mühe hatte, sie zu verstehen und ihr zu folgen:

Ich habe ihn geliebt von dem ersten Augenblicke an, daß ich ihn sah – am zweiten Tage – mein Vater hatte ihn zu Tisch gebeten. Er war schlecht angezogen – aber daran habe ich mich erst später erinnert. An dem Tage sah ich nur seine schwarzen Augen, die auf uns blickten, als ob wir alle, wie wir da saßen, von Glas wären. Ich war verwirrt, erschrocken, voller Scham, wie Eva im Paradiese gewesen sein mag, als der Herr sie rief. Es war eine Offenbarung – als ob ich nie einen Mann gesehen hätte. Er sprach nicht eben viel und ich habe mich vergeblich darauf zu besinnen versucht, was es gewesen sein mag. Ich weiß nur, daß jedes seiner Worte mir durch die Seele fuhr wie ein zweischneidig Schwert. Es ist ein so seltsamer Klang in seiner Stimme, ein wenig rauh manchmal, wie ja auch meine; aber dann wieder so hell wie tönender Stahl; und es wird einem dabei leicht und frei ums Herz, wie wenn der erste Winterwind bei uns von Labrador heruntersaust und fegt die dürren Blätter von den Bäumen und Spalieren. All die Flausen, Phrasen und Grimassen, die wir einander in der Gesellschaft vorsagen und vormachen – heute abend – dieser kindische Streit über die Litteratur, als ob sie nicht alle wüßten, daß die Poesie tot ist, wie der Jüngling, der sich zum Manne ausgereift hat. Keiner hatte den Mut der Wahrheit; hat ihn jemals. Sklaven der Lüge! Homo liber – wissen Sie, was das heißt? Der freie Mensch! Das ist mein Ideal gewesen, seitdem ich mit Ralph die Ethik des Spinoza studiert habe. Hartmut ist dieser freie Mensch – der einzige! Wie hätte ich mich vor ihm nicht anbetend in den Staub werfen sollen!

In den Staub! Ja, wie der Mustang der Prairie, den sie mit dem Lasso in den Staub geworfen haben. Nun steht er da, an allen Gliedern zitternd. Er hat nie einen Herrn gehabt; er will den Herrn nicht dulden; will sein Leben daran setzen, wieder frei zu sein. Und der fürchterliche Kampf beginnt, bis seine stolze Kraft gebrochen ist. Ich habe den Kampf gekämpft, bis meine Kraft gebrochen war. Was habe ich nicht versucht, mich wieder frei zu machen? Das stolze Mädchen, das sich aus ihrer Schönheit einen Tempel schafft, dessen Boden Männer nur mit den Knieen berühren dürfen; – die bornierte Amerikanerin, die auf den Deutschen hochmütig herabblickt, als auf den Abkömmling einer niedrigeren Rasse; die reiche Erbin, die in dem Angestellten ihres Vaters nur einen Paria sieht – eine Rolle nach der andren und alle zugleich – er spottete die Komödie weg mit einem Lächeln seines Mundes. Eines Tages – ich fühlte, daß es mit meiner Kraft zu Ende ging – da wollte ich ihn aus dem Hause jagen wie einen Hund. Wie ein Hund beschämt bin ich davon geschlichen. Es war an demselben Tage, als Sie mir eine Stunde später die Geschichte seines Lebens erzählten – wissen Sie noch – am Teich im Tiergarten – jedes Ihrer Worte ein Tropfen Oel mehr in loderndes Feuer! Wie hätte er sich über die andern erheben können, wenn ihn die andern nicht verworfen hätten: den Stein, den der Baumeister zu seinem Eckstein macht! Dann kam Reginald. Der arme Reginald! Kann der Sperber die Taube retten aus den Klauen des Adlers? zu retten nur versuchen, ohne selbst dabei zerfleischt zu werden? Herbert – ich habe auch an ihn gedacht – sehr ernstlich. Ich hasse diesen Schüler seines Meisters; aber er ist ein Mann in seiner Weise, – selbst Hartmut, ich sehe es wohl, wagt mit ihm nicht zu spielen, wie mit den andern Schachfiguren. Und Reginalds Schicksal, das er zweifellos bereits kennt, hat ihn nicht abgeschreckt, oder er hätte heute abend nicht – gleichviel! Männer konnten mich vor ihm nicht retten, vielleicht eine Frau – eine einzige, Sie – das wußte ich und floh vor Ihnen. Und nun ist es zu spät – zu spät!

Sie hatte wieder das Gesicht in Maries Schoß gedrückt, die sich auf sie niederbeugte, trauervoll über das Verhängnis, das die Unselige gefangen hielt in Banden, aus denen nichts und niemand sie retten konnte, außer sie sich selbst, die nicht gerettet sein wollte.

Längst war in dem Hause der letzte Ton verhallt; tiefe Stille in dem weiten Gemache; im Kamin nur das geisterhafte Säuseln der zusammensinkenden Asche und das Atmen des holden Geschöpfes da in ihrem Schoß. Die Pendule auf dem Sims über ihnen that zwei leise Schläge. Nun war auch das silberne Nachschwingen verzittert. Marie wollte das schöne Haupt von ihrem Schoße aufrichten.

Noch nicht, noch nicht! murmelte Anne; es träumt sich so süß auf diesen lieben Knieen. Nicht von mir und ihm – das ist nichts zum Träumen. Das ist Unrast, die durch die Welt jagt. In dem Cottage, das ich eben träume, ist keine Unrast. Da ist Friede, Liebe, Glück. Der wilde Wein klettert hoch an der Wand hinauf, umrahmt die Fenster. Die Schatten seiner breiten Blätter spielen in dem Sonnenlicht auf dem Fußboden leise, leise, den fleißigen Mann nicht zu stören in seiner Arbeit über dem Folianten mit den wunderlichen Lettern auf verbräuntem Pergament. Von dem er nun doch die Augen hebt nach ihr unter dem schützenden Dach der Veranda. Sie hat seit einer Stunde da gesessen, über ihre Arbeit gebeugt, wie er über die seine, um nun doch empor zu schauen, – und ihre Blicke begegnen sich. Die lieben Gesichter! Wie sie aufleuchten in holdem verschämtem Lächeln ob der Fülle der Seligkeit, von der die Herzen überwallen! Kennst Du die beiden Glückseligen?

Hören Sie auf, um Gottes Barmherzigkeit! rief Marie stöhnend, vergeblich strebend, sich los zu machen: Anne, auf den Knieen jetzt, hatte die Arme um ihren Leib geschlungen und hielt sie fest mit eiserner Kraft.

Still! nicht von der Stelle! Die Rache ist süß; ich will meine Rache haben – die Verworfene! Zittert der keusche Leib? pocht das unschuldige Herz bei dem Gedanken nur, die beiden könnten Ralph und Marie heißen? Thörin, sie sind's: Ralph, der in Liebe zu Marie vergeht, Marie, die ihre Liebe zu Ralph vor aller Welt verbergen kann – nicht vor mir!

Sie war aufgesprungen und strich sich, lachend, die wirren Locken aus der Stirn; mit den leuchtenden Augen, den weißen Zähnen, die zwischen den lachenden roten Lippen hervorblitzten, in dem Gewande, das, halb gelöst, von den glänzenden Schultern heruntergleiten wollte, anzuschauen, wie eine trunkene Bacchantin. Marie durchschauerte es. Wenn dies kein Hohn, wenn es Wahrheit war – ein Glück, das ihr so verkündet wurde – aus der Götter Schoß konnte es nicht gefallen sein. In diesem Hause, das die Unselige geboren hatte, wohnte das Glück nicht.

So starrte sie, sprachlos vor den widersprechenden Empfindungen, die keinen Ausdruck fanden, in das übermütige Antlitz ihr gegenüber, als auf dem Korridor, der an dem Zimmer vorüberführte, hastige Schritte hörbar wurden, auf die Thür zu, an welcher nun geklopft wurde.

Was gibt's? rief Anne.

Die Thür wurde geöffnet; die alte Dienerin Austin, die Marie bei jenem ersten Besuch in Frau Curtis Schlafzimmer und heute noch nicht wieder gesehen hatte, trat herein. Anne war ihr entgegen gegangen. Die beiden wechselten ein paar halblaute Worte, die Marie nicht verstand. Die Alte hatte sich eilig wieder entfernt; Anne kam zu Marie zurück. Ihre ernste Miene bildete den seltsamsten Gegensatz zu der, welche ihr Gesicht noch vor wenigen Augenblicken gezeigt hatte.

Es wird so schlimm nicht sein, sagte sie. Smith – Ihr Vater ist immer so ängstlich. Er läßt mir sagen, Ralph sei ernstlich erkrankt. Ich soll kommen und Sie mitbringen; auf deutsch: ich soll Sie hinbringen. Wollen Sie? Gut! So lassen Sie uns schnell die Kleider wechseln! Wir würden uns doch zu seltsam ausnehmen in diesem Aufzug an einem Krankenbett.


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