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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Der Diener, welcher die Karten der beiden im Vorzimmer wartenden jungen Damen überreicht hatte, harrte des Bescheides. Endlich hatte sich Frau Curtis schlüssig gemacht.

Zuerst diese hier! sagte sie auf englisch, ihm die kleinere Karte hinhaltend, auf welcher der Name »Marie von Alden« stand.

Der Mann verbeugte sich und ging, froh, diesmal so leichten Kaufes davongekommen zu sein. Er hatte vor Jahren einmal ein paar Monate bei dem englischen Gesandten gedient, sich seit der Zeit eingebildet, englisch zu sprechen, und war in dieser Zuversicht bei den Curtis in Kondition getreten. Die beiden jungen Herrschaften machten keine Ansprüche an seine Gelehrsamkeit: sie sprachen so fließend deutsch, als wenn sie nicht erst seit vierzehn Tagen von drüben gekommen, sondern mit Spreewasser getauft wären; aber mit den beiden alten Herrschaften war es ein Kreuz und ein Elend. Nicht durch seine Schuld, meinte Johann: im Englischen stand er seinen Mann; aber dieses amerikanische Kauderwelsch, das sie hier im Hause englisch nannten, mochte der Kuckuck verstehen. Er glaubte, die junge Dame, die er zu rufen gegangen war und jetzt durch ein zweites Vorzimmer zu der Thür des Boudoir der Gnädigen begleitete, auf den letzteren Uebelstand vertraulich aufmerksam machen zu sollen, worauf jene mit einem freundlichen Lächeln antwortete.

Es sind nämlich schon sechs hier gewesen, fuhr er im Flüsterton fort; alle soweit ganz präsentabel; aber englisch und amerikanisch – na, ich will Ihnen alles Glück wünschen, Fräulein – seien Sie man dreist; vielleicht kriegen Sie es fertig.

Die junge Dame hatte auf diesen Trostspruch abermals nur ein freundliches Lächeln, das freilich – wie Johann erwartet hatte – verschwand in dem Augenblicke, als er die Schiebethür so weit geöffnet und nun den Vorhang zurückschlug.

Man dreist! flüsterte er noch einmal, indem er den Vorhang hinter der Eingetretenen fallen ließ.

Sie sprechen englisch, Fräulein – selbstverständlich; sagte eine leise fette Stimme irgendwo in dem Gemache.

Das Gemach, ein Ecksalon, hatte ziemlich bedeutende Dimensionen, und da die rosa seidenen Stores niedergelassen waren, herrschte in demselben eine rötliche Dämmerung. Die Ueberzüge der vielen Fauteuils und Sofas waren ebenfalls von rosa Seide; die Dame, von der die leise, fette Stimme ausging, hatte ein Morgengewand von rosa Seide an und kauerte so unbeweglich in der Sofaecke – Marie hatte einige Mühe gehabt, die Sprecherin zu entdecken. So konnte sie sich denn jetzt erst verneigen und die Frage mit Ja beantworten, worauf sie gleich hinzufügte, daß sie freilich, da sie Deutschland nie verlassen habe, keinen Anspruch darauf machen dürfe, das Englische vollkommen zu beherrschen, aber hoffe, nicht allzu hohen Ansprüchen nach dieser Seite dennoch zu genügen.

Während sie diese kleine, sorgfältig von ihr vorbereitete Rede hielt, hatte Frau Curtis, sich halb aus ihrer Ecke aufrichtend, sie mit ihren großen schläfrigen schwarzen Augen durch eine goldene Lorgnette in einer Weise angestarrt, welche der Suplikantin das Blut in die Wangen trieb. Aber sie war, als sie den Entschluß faßte, der sie nun in dies Gemach geführt, mit sich selbst so ernsthaft zu Rate gegangen, hatte sich alle Konsequenzen des Schrittes, auch die zweifellos unausbleiblichen herben und demütigenden, so klar gemacht, daß sie sich sofort dieser ersten Wallung schämte und sich in aller Eile noch einmal zuschwor, ruhig, gelassen, freundlich und höflich zu bleiben, es möge nun kommen, wie es wolle.

Sie sprechen auch deutsch? sagte die Dame.

Da ich eine Deutsche bin; – erwiderte Marie, kaum imstande ein Lächeln zu verbergen, das ihr die Seltsamkeit der Frage entlocken wollte.

Sehr wohl, sagte die Dame. Die Sache ist nämlich die: möchten Sie gefälligst einen Blick auf diese Karte werfen?

Sie hielt Marie eine Karte in großem Format hin, auf der die Firma eines der bedeutendsten Konfektionsgeschäfte gedruckt und die Bemerkung geschrieben stand, Ueberbringerin sei beauftragt, die Befehle der gnädigen Frau entgegen zu nehmen. Marie wartete eine weitere Frage von Frau Curtis nicht ab, sondern übersetzte ihr den geschriebenen Inhalt der Karte.

Sehr wohl, sagte Frau Curtis. Die junge Person – oder ist es keine junge Person?

Allerdings: ein junges Mädchen, erwiderte Marie; sie wartete mit mir im Vorzimmer.

Und sie hat jemand bei sich mit einem großen Karton? fragte Frau Curtis weiter.

Marie erinnerte sich, beim Heraufschreiten einen Mann mit einem großen Karton in dem Treppenflur gesehen zu haben, und glaubte also, auch diese Frage bejahen zu dürfen.

Sehr wohl, sagte Frau Curtis; die Sache ist nämlich die: ich war gestern in dem Geschäfte – wie nannten Sie es doch? – gleichviel – mit meiner Tochter – Miß Anne Curtis – sie ist eine Schönheit, müssen Sie wissen, und hat unendlich viel Geschmack – ich thue in diesen Dingen nichts ohne Miß Anne – und nun ist sie mit ihrem Bruder Ralph in der Stadt – Ralph, müssen Sie wissen, – aber warum setzen Sie sich nicht?

Marie, die sich im Verlauf des sonderbaren Gespräches der leise redenden Dame bereits ziemlich genähert hatte, ließ sich auf einem Taburett neben dem Sofa nieder; die Dame fuhr fort:

Was ich sagen wollte: Ralph, mein ältestes Kind – wir haben nur noch diese zwei: Ralph und Anne, – drei, die dazwischen waren, sind gestorben – in New-Orleans, wo Herr Curtis damals Geschäfte hatte – alle am gelben Fieber – Ralph war schon in Pension – in Boston – er ist ein großer Gelehrter, müssen Sie wissen, – ein Genius – nächsten Januar wird er einunddreißig – aber seit sechs Jahren ist er schon Professor – am Columbia College in New-York, wissen Sie, – und wir sind hauptsächlich seinethalben herübergekommen, weil er Studien machen will – deutsch und – und – was weiß ich! – mit Miß Anne, die auch sehr gelehrt ist, obgleich sie zwölf Jahre weniger zählt als ihr Bruder – und nun sind beide in der Stadt, und wenn Sie nicht gekommen wären, – das heißt: die letzte Entscheidung muß bei Miß Anne bleiben – ich thue in diesen Dingen nichts ohne Miß Anne – wollen Sie? Das ist sehr freundlich – Sie haben überhaupt ein so freundliches Gesicht – dann möchten Sie wohl die Klingel berühren – es muß hier irgendwo eine Klingel sein.

Frau Curtis suchte, mit der Lorgnette vor den schwarzen Augen, an der Zimmerdecke, wie es schien, und in sonst unmöglichen Richtungen nach dem Elfenbeinknopf, welchen Marie auf einen ersten Blick neben der Portiere der Thür, durch die sie eingetreten war, entdeckt hatte. Sie ging hin und klingelte, worauf alsbald der Diener erschien, dem sie, ohne die Dame weiter zu fragen, auftrug, das junge Mädchen aus dem Vorzimmer herbeizuholen und den Karton mitzubringen. Frau Curtis hatte sich wieder in die Sofaecke zurückgelehnt, aus der heraus sie durch die Lorgnette das hübsche junge Mädchen, das jetzt mit einer anständigen Verneigung eingetreten war, nur etwas flüchtiger als vorhin Marie, betrachtete, um dann ihre Aufmerksamkeit dem ungeheuren Karton zuzuwenden, welchen Johann hereingebracht und auf den Teppich gestellt hatte.

Bitte, fragen Sie doch die junge Person, ob sie englisch spricht? sagte sie, mit der Lorgnette nach dem Karton.

Marie that es. Das junge Mädchen verneinte errötend die Frage.

Ich dachte es mir gleich, sagte Frau Curtis, ohne Maries Mitteilung abzuwarten. Es ist so freundlich von Ihnen, daß Sie mir helfen wollen. Ohne Miß Anne kann ich eine Entscheidung nicht treffen – ich thue in diesen Dingen nichts ohne Miß Anne – wissen Sie; aber ich denke, ansehen will ich mir die Sache doch, die Miß Anne für mich ausgesucht hat – wollen Sie? Gut! Sie sind wirklich sehr freundlich. Dann, wenn es Ihnen recht ist, lassen Sie uns nebenan in mein Schlafzimmer gehen.

Sie hatte sich – zum erstenmale jetzt – aus der Sofaecke erhoben und trippelte mit kleinen unsicheren Schritten vor den beiden Mädchen her in das nächstliegende Gemach, in welches Johann den ungeheuren Karton den Damen nachtrug, um sich dann für seine Person zurückzuziehen.

Das Schlafzimmer war sehr groß; die beiden Betten unter dem weit überragenden Baldachin verloren sich beinahe im Hintergrunde an der schmaleren Wand. Kostbare Schränke mit Spiegelthüren; an den beiden Fensterpfeilern bis an die Decke reichende Trümeaus in schweren vergoldeten Rahmen; eine Menge durch den Raum zerstreuter Kauseusen und Sessel bildeten die reiche und elegante Ausstattung. Die Konfektionsdame, so sehr sie bei den Besuchen der Herrschaften an dergleichen Herrlichkeiten gewöhnt sein mochte, blickte sich nicht ohne einige Verwunderung um, während Marie diese erste Gelegenheit wahrnahm, Frau Curtis, bei wirklichem Tageslichte zu sehen.

Denn die Vorhänge an den drei breiten und hohen Fenstern waren hier nicht zugezogen, so daß die volle Helle des wolkenlosen Apriltages hereindringen konnte, das weite, nach Norden gelegene Gemach mit einer Klarheit füllend, die in Vergleich mit der rosa Dämmerung von nebenan bis zur Grausamkeit nüchtern erschien. Der rosa seidene Morgenrock, welcher die rundliche, unbestimmte kleine Gestalt der Dame umfloß, war plötzlich mit dem hier herrschenden Himmelblau der Möbelüberzüge und Draperien in einen schier beleidigenden Kontrast geraten, und ihr rundliches unbestimmtes Gesichtchen, das mit seinen großen schwarzen Augen in der Jugend hübsch genug gewesen sein mochte, sah nun trotz der Schminke, mit der es kunstvoll rot und weiß angemalt war, bedenklich fade und zwanzig Jahre älter aus als vorhin. Marie hatte die Empfindung, daß es einigermaßen schwer halten möchte, dies angemalte, seidenumrauschte, mit Brillantringen besteckte, parfümierte Produkt des Müßiggangs und Reichtums ernsthaft zu nehmen.

Inzwischen hatte Frau Curtis die Musterung der Sachen begonnen, welche der ungeheure Karton enthalten hatte und jetzt auf den Divans ausgebreitet lagen: drei prachtvolle, kostbarste vollständige Gesellschaftsroben nebst allerlei Kleinkram von Spitzen, Rüschen, Fichus und sonstigen Requisiten einer eleganten Toilette. Es blieb nicht bei der Musterung. Frau Curtis hatte sich für eine der Roben begeistert und bestand darauf, daß sie dieselbe sofort anprobieren müsse, trotz der Gegenvorstellungen der Konfektionsdame, die ein Mal über das andre befürwortete, daß diese Roben »Modelle« seien, welche die Firma nicht aus der Hand geben könne, sondern der Gnädigen nur vorgelegt habe, damit dieselbe hinsichtlich des Stoffes und des Schnittes eine Auswahl treffe. Marie suchte das der Frau Curtis begreiflich zu machen. Anstatt auf sie zu hören, streifte diese ihr Morgengewand ab, um mit Hilfe der fortwährend verstohlen lachenden Konfektionsdame die begehrte Robe anzulegen. Das war denn freilich nur in einem sehr beschränkten Sinne möglich: die Taille erwies sich als um dreißig Centimeter zu eng und der Rock um einen halben Meter zu lang. Frau Curtis ließ sich durch diese Uebelstände nicht im mindesten stören, betrachtete vielmehr das groteske Bild, welches sie nun darbot, in einem der großen Trümeaus mit unverhohlener Bewunderung und Andacht durch die Lorgnette. Das junge Mädchen aus dem Geschäft hatte die größte Mühe, nicht in ein lautes Gelächter auszubrechen; Marie machte sich klüglich mit den Spitzen zu schaffen, um weder die wunderliche Dame vor dem Spiegel, noch das übermütige Mädchen, das ihr lachendes Gesicht hinter dem breiten Rücken jener geborgen hielt, ansehen zu müssen.

Glücklicherweise war damit die wunderliche Scene in der Hauptsache zu Ende. Frau Curtis erklärte, die betreffende Robe behalten zu wollen, vorausgesetzt, daß Miß Anne, – ohne die sie in diesen Dingen nichts thue, – ihren Konsens dazu gebe. Marie übersetzte das der Konfektionsdame und bat sie, sich vorläufig mit dieser Entscheidung zu begnügen, was diese denn auch für das geratenste hielt. Die übrigen Sachen waren wieder in den Karton gepackt, den eine ältere schweigsame Dienerin, welche mittlerweile erschienen war und nur englisch zu sprechen schien, dem sich verabschiedenden Fräulein nachtrug. Marie half gutmütig Frau Curtis aus der neuen Robe heraus und wieder in den rosa seidenen Morgenrock, ohne sich dabei durch das Benehmen und die Miene der Dame stören zu lassen, welche diese Hilfeleistung für selbstverständlich anzusehen schien, worauf sich dann beide in das Boudoir zurückbegaben. Hier sank Frau Curtis sofort in ihre Sofaecke; Marie nahm auf dem Sessel vor ihr abermals Platz, hoffend, es werde nach dem wunderlichen Intermezzo nun endlich die Rede auf die Angelegenheit kommen, um derenwillen sie hier erschienen war. Da indessen Frau Curtis, wie in tiefer Erschöpfung von der gehabten Anstrengung, die schwarzen Augen halb schloß, und Marie es nicht unmöglich deuchte, dieser Halbschlummer möchte sich in einen Vollschlaf vertiefen, so hielt sie für geboten, einen Anfang zu machen und sagte:

Sie würden mich verpflichten, gnädige Frau, wenn Sie die Güte hätten, mich mit einem Bescheid zu entlassen, ob ich hoffen darf, Ihnen nicht mißfallen zu haben, und –

Aber Sie gefallen mir; unterbrach sie Frau Curtis; Sie gefallen mir außerordentlich. Sie haben ein so freundliches Gesicht – ich liebe freundliche Gesichter – Miß Anne, meine Tochter, liebt auch freundliche Gesichter. Warum sollten Sie ihr nicht gefallen?

Ich würde mich sehr glücklich schätzen, erwiderte Marie. Vielleicht ist es der gnädigen Frau lieber, daß ich mich noch einmal vorstelle, wenn ich hoffen darf, auch Miß Anne hier zu finden, und mich für jetzt –

Um Himmelswillen, bleiben Sie! rief Frau Curtis, mit einer beinahe lebhaften Bewegung Marie, die sich bei ihren letzten Worten halb erhoben hatte, auf den Sessel zurücknötigend. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mir außerordentlich gefallen; aber Sie müssen doch begreifen – ohne Miß Anne –

Vielleicht kommt Miß Anne bald nach Hanse? sagte Marie.

Frau Curtis hatte die Augen, die sich für einen Moment aufgethan, wieder halb geschlossen.

Bald? natürlich! – das heißt: sie wollten in ein paar Läden – es ist jetzt so manches zu besorgen, wissen Sie, wenn man erst vierzehn Tage in einer fremden Stadt ist – wir sind auch schon vier Wochen in Paris gewesen – aber mein Sohn mußte durchaus nach Deutschland – seiner Studien wegen, wissen Sie, – und, wenn sie mit den Läden fertig sind – richtig! da wollten sie in das – richtig: Museum! Also in einer Stunde, denke ich, oder in zwei –

Es thut mir leid, sagte Marie; aber es ist mir unmöglich, so lange zu warten.

Was sollen wir dann machen? fragte Frau Curtis in einem weinerlichen Tone.

Vielleicht, sagte Marie, wenn die gnädige Frau die Zeit benutzten, mir nur in wenigen Worten anzudeuten, wie die Stellung einer Gesellschafterin, welche ich in Ihrem Hause einnehmen soll, von Ihnen gedacht ist; welche Pflichten mir obliegen werden, welche Anforderungen man an mich machen wird. Ich meine, das würde eine bis jetzt von mir noch vermißte Klarheit in die Situation bringen.

Frau Curtis hatte bei diesen letzten Worten Maries ein ganz klägliches Gesicht gemacht.

Mein Gott, murmelte sie kaum vernehmbar, was verlangen Sie von mir – Pflichten – Anforderungen – Sie sind grausam – in der That sehr grausam, Miß – wie war doch Ihr Name? Ich sagte Ihnen ja schon, daß Miß Anne und mein Sohn – und Herrn Curtis darf ich um diese Stunde nicht stören – und außer mir und Herrn Smith – richtig: Herr Smith! der kann Ihnen alles sagen, alles! – sprechen Sie mit Herrn Smith! Bitte! berühren Sie noch einmal die Klingel! Das ist wirklich das beste, wenn Sie mit Herrn Smith – mein Gott, daß ich nicht gleich daran gedacht habe!

Marie hatte dem Wunsch der Dame nicht eben gern gewillfahrt. Das Hinzutreten der unbekannten, ihr als Herr Smith bezeichneten Person hatte, wenn derselbe auch, wie es schien, zum Haushalt gehörte, für ihr Gefühl etwas Unerfreuliches, fast Verletzendes. Auf der andern Seite aber mußte doch, wenn der Herr ihr wirklich »alles« sagen konnte, dies Herumtappen im Ungewissen, das ihr nachgerade unerträglich geworden war, ein Ende nehmen. So hörte sie den Auftrag, welchen Frau Curtis dem eintretenden Diener gab, Herrn Smith sofort herbeizurufen, in Ergebung mit an und wartete geduldig, bis es Herrn Smith möglich sein werde, dem Wunsche der Gebieterin – oder in welchem Verhältnisse die Dame sonst zu ihm stehen mochte – Folge zu leisten.

Darüber vergingen denn wieder einige bängliche Minuten, während derer Frau Curtis die Augen nun wirklich ganz geschlossen hielt, und in dem Zimmer, welches nach einem Garten heraus lag, nichts zu hören war, als das Zwitschern der Sperlinge in den Bäumen vor den Fenstern und das Ticken der Stutzuhr auf dem Kaminsims.

Endlich ließen sich Schritte in dem Vorzimmer vernehmen; die Thür wurde aufgeschoben, die Portiere zurückgeschlagen, und der Herbeigerufene trat herein: ein Herr von mittelgroßem, jugendlich schlanken und feinen Wuchse, dessen Kopf mit einem überreichen, völlig weißen Haar bedeckt war, während ihm ein ebensolcher Bart bis auf die Brust herabwallte. Was von dem Gesicht sonst zu sehen blieb: die gerade Stirn und der oberste Teil der Wangen, die feine, ein wenig gebogene Nase, besonders aber der milde Blick der blauen Augen harmonierte wieder völlig mit der jugendlichen Gestalt, so daß Marie nicht wußte, ob sie einen Mann in mittleren Jahren, dem das Haar vor der Zeit gebleicht war, oder einen Greis vor sich hatte.

Herr Smith, sagte Frau Curtis, ohne ihre Lage auf dem Sofa zu verändern, hier ist eine junge Dame, welche uns das Vergnügen machen will, – gut, Herr Smith – Sie wissen ja nun alles, was dazu gehört von Anforderungen und Pflichten und – kurz, bitte, sprechen Sie mit ihr! – und wenn Miß Anne – aber ich wüßte nicht, weshalb nicht, da dies endlich eine Lady ist – was man von den andern jungen Personen nicht sagen konnte – und Sie wissen, Herr Smith, Miß Anne und auch Ralph – und es ist ja ganz selbstverständlich, daß es nur eine Lady sein darf. Und wenn Sie also die Güte haben wollten – meinetwegen hier, weil ich doch Toilette machen muß, oder in dem anderen Zimmer – wie Sie wollen.

Dann möchte ich das Fräulein ersuchen, – sagte Herr Smith, sich vor Marie verneigend und zugleich mit der Hand die Portiere berührend. Marie war in Begriff seiner Aufforderung Folge zu leisten und hatte sich bereits vor Frau Curtis verneigt, als diese – übrigens ohne die halbgeschlossenen Augen aufzuthun – ihr die beringte fette kleine Hand entgegenstreckte:

Adieu! und – was ich sagen wollte: Sie haben ein so freundliches Gesicht – ich liebe freundliche Gesichter – Miß Anne auch.

Darf ich also bitten? sagte Herr Smith, der noch immer die Hand an der Portiere hielt.

Marie hatte nicht ohne eine gerührte Wallung, welche sie auf Rechnung ihrer Aufregung schrieb, die dargebotene Hand gedrückt und schlüpfte nun aus dem Gemach an Herrn Smith vorüber, der ihr alsbald folgte und die Thür hinter sich zuschob.


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