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Drittes Kapitel.

Kurz nachdem Smith das Arbeitskabinett des Herrn Curtis verlassen hatte, um sich zu Ralph zu begeben, war Hartmut Selk, von seinem Kommissionswege zurück, in dasselbe eingetreten und hatte seinen Prinzipal, auf ihn wartend, zum Ausgehen bereit gefunden.

Geben Sie! sagte Herr Curtis.

Hartmut zog ein kleines Packet aus der Tasche, welches Banknoten enthielt, die Herr Curtis bedächtig nachzählte, bevor er sie wieder in das Kouvert that, um dasselbe dann in dem eisernen Geldschrank zu verschließen. Er ging ein paarmal, die Hände auf dem Rücken, und den Hut, den er bei Hartmuts Eintreten nicht berührt hatte, auf dem Kopfe, im Zimmer hin und wieder, blieb dann vor Hartmut, der an einem besonderen Tisch in der Nähe eines der Fenster seine Schreibsachen ordnete, stehen und sagte:

Sie haben mir neulich über die Verhältnisse der Ilicius denn doch nicht so reinen Wein eingeschenkt.

Wie so das? fragte Hartmut, schnell und mit einer gewissen Verlegenheit, die seiner Miene sonst sehr fremd war, aufblickend. Ich wüßte doch nicht –

Aber ich! sagte Herr Curtis. Sie haben das Vermögen auf eine Million angegeben.

Er wurde von andern früher noch bedeutend höher taxiert; sagte Hartmut, von dessen Gesicht der verlegene Ausdruck sofort wieder verschwunden war.

Früher! rief Herr Curtis, was schert mich das Früher? Auf das Jetzt kommt es an. Und man sagt mir, daß der Mann jetzt kaum noch die Hälfte wert ist.

Wer sagt das? fragte Hartmut ruhig.

Das geht Sie eigentlich nichts an. Indessen, wenn Sie es interessiert: unser Gesandter. Er ist sonst in geschäftlichen Dingen ein großer Esel. Dies weiß er zufällig von Leuten, die bei den Ilicius aus und ein gehen und die Verhältnisse derselben kennen müssen.

Es käme noch darauf an, erwiderte Hartmut, seine Feder niederlegend und, da der Prinzipal immer noch an seinem Tische stand, sich erhebend. Der Herr Geheimrat hat Verluste gehabt, ich will es zugeben. Aber entschieden stelle ich in Abrede, daß dieselben so bedeutend sind. Ich glaube auch zu wissen, wie diese Verluste entstanden.

Er hat sich verspekuliert? sagte Herr Curtis.

Wie man will, erwiderte Hartmut; freilich nicht an der Börse. Das könnte allerdings kommen, wenn er nicht seinem Herrn Schwiegersohn bald das Handwerk legt.

Welches Handwerk?

Das des Schuldenmachens.

Ah so!

Freilich! der Herr Baron Egon von Scharfeck auf Neusitz ist ein sehr resoluter Schuldenmacher und wird den Beutel des Herrn Geheimrat immerhin schon jetzt so um ein hunderttausend – sagen wir: zweihunderttausend Thaler erleichtert haben. Höher möchte ich nicht gehen. Denn das wäre so ungefähr das Bruchteil des Vermögens, auf den jedes der fünf Kinder – die Komtesse Marie Alden, die Tochter der Frau von Ilicius aus ihrer ersten Ehe, erinnern Sie sich, mitgerechnet – bei einer späteren Teilung Anspruch zu machen hätte. Ich glaube freilich, daß Fräulein Marie die Kriegskosten wird bezahlen müssen.

Sie sind soweit ein ganz geriebener Junge, sagte Herr Curtis; aber wenn Sie weniger in Bildern sprächen, wäre es mir lieber.

Thue ich das? sagte Hartmut. Sonderbar, ich dachte immer, ich hätte diese deutsche Dummheit mit den andern glücklich überwunden. Aber niemand, scheint es, kann aus seiner Haut.

Herr Curtis hatte eine Miene gemacht, als ob er das Gespräch abbrechen und gehen wollte. Statt dessen begann er abermals im Zimmer auf und nieder zu schreiten. Hartmut, sich an seinen Schreibtisch lehnend, verfolgte den Mann mit den klugen, scharfen Blicken, der Dinge gewärtig, die demnächst kommen würden.

Er brauchte nicht lange zu warten. Schon nach wenigen Minuten blieb Herr Curtis wiederum – diesmal an dem zweiten Fenster in einiger Entfernung von ihm – stehen und sagte, – den Blick nicht auf ihn, sondern durch das Fenster nach dem blauen Himmel richtend:

Die Sache ist die: Meine Wichita-Choktaw-Prioritäten finden bis jetzt an der Börse nicht den Anklang, auf den ich rechnen zu dürfen glaubte. Es scheint, daß unser Esel von Gesandter die Leute, die sich um Information an ihn wenden, kopfscheu macht, trotzdem er mich schon von Kalifornien her kennt und wissen sollte, daß ich der Mann bin, der, was er angefangen hat, auch zu Ende führt. Da habe ich gedacht, daß man, wenn sich die Börse zurückhält, dem trägen deutschen Privatkapital etwas zu verdienen geben soll, und gemeint, dieser Herr Ilicius sei der rechte Mann, um mit ihm den Anfang zu machen. Er ist ein angesehener Beamter in dem Ministerium, in welchem man sich doch auf dergleichen Dinge verstehen muß. Wenn er vorangeht, kalkuliere ich, werden sich die andern leicht finden, die hinter ihm herlaufen.

Eine sehr gesunde Spekulation, wie mir scheint; sagte Hartmut trocken.

Freut mich, daß Sie es finden, sagte der Amerikaner, sich zu ihm wendend. Sie kennen die hiesigen Verhältnisse ja soweit ganz gut. Auch das, was Sie mir eben über die des Herrn Ilicius gesagt haben, scheint mir ganz verständig. Ich kalkuliere, daß der Mann, wenn man ihm die Sache plausibel macht, sich nicht lange bitten lassen wird. Sie haben früher in dem Hause viel verkehrt, sagten Sie mir?

Allerdings.

Ließe sich dieser Verkehr nicht wieder aufnehmen?

Schwerlich.

Warum?

Zuerst: es ist Ihr eigener Wille, der mich von Ihren Gesellschaften ausschließt. Ich kann also schon aus diesem Grunde keinen Anspruch darauf machen, daß andre Leute –

Sie sind ein Narr. So kommen Sie in meine nächste Gesellschaft – basta!

Danke verbindlichst! werde nicht verfehlen, mich einzufinden, muß aber leider bemerken, daß da noch etwas ist, was mir das Haus des Herrn Geheimrat verschließt.

Was ist das?

Ich kann es vorläufig nicht sagen; bitte aber, glauben zu wollen, daß die Gründe, die mir dies Schweigen auferlegen, ebenso delikater, wie gewichtiger Art sind.

Und meine Vermittelung könnte da nichts fruchten?

Vielleicht, vielleicht auch nicht; jedenfalls nur, wenn Sie die Güte hätten, gegebenen Falles ausdrücklich zu befürworten, daß nicht ich es gewesen bin, der die Wiederaufnahme meines Verkehrs im Hause des Geheimrat gewünscht oder auch nur in Anregung gebracht hat.

Gut! sagte der Amerikaner.

Er stand noch ein paar Augenblicke nachdenklich, die breite untere Lippe über die obere schiebend, gab seinem Hut einen Druck tiefer in den Nacken und verließ ohne weiteren Gruß das Zimmer.

Hartmut blickte ihm höhnisch lächelnd nach.

Also das ist des Pudels Kern, sagte er leise vor sich hin; ich dachte, es handle sich um so ein bißchen Kuppelei zwischen den jungen Leuten; aber das eine schlösse ja das andre nicht aus, es wäre denn, daß diese Prioritäten ein Schwindel sind, auf den die andern grausam 'reinfallen sollen, damit er die Fettfedern davon zieht, der unergründliche – nun, wir sind ja allein, sagen wir also: Schuft.

Hartmut hatte in den acht Tagen, die er jetzt im Büreau gearbeitet, sich diese Ansicht von James Curtis gebildet. Nicht, daß er den Mann auf einer wirklichen Schufterei ertappt hätte – dazu verstand er noch zu wenig von den Dingen, um die es sich hier handelte, und in die ihn sein Prinzipal allmählich und offenbar mit großer Vorsicht einweihte. Aber es war doch auch so schon manches vorgekommen, was ihn stutzig gemacht hatte trotz seiner mangelhaften juristischen und noch mangelhafteren kaufmännischen Kenntnisse, einfach, weil sein scharfer Verstand ihm sagte: das geht nicht mit rechten Dingen zu. Und mußte er hier mit seinem Urteil noch zurückhalten – er hatte James Curtis während dieser Zeit, in welcher er oft stundenlang mit ihm allein gewesen war, zu genau beobachtet: Gang und Haltung des Mannes; sein seltenes Lächeln, das an Mondenschein erinnerte, der über ein Totenfeld flimmert; das leise vergnügliche, an das Zischen einer Schlange mahnende Pfeifen, wenn ihm etwas Angenehmes; das Zusammenziehen der buschigen Brauen, wenn ihm etwas Unangenehmes begegnete, und die fahlen Blitze, welche dann unter den Brauen hervor die wasserblauen Augen schossen.

Und der Mann sollte kein Schuft sein? Pah! Das bißchen Ausländertum, das ist doch nur eine Maske, durch die ein Physiognom hindurchblickt, wie durch Glas! Alle Schufte gleichen sich, wie ein Ei dem andren.

Hartmut stand, als er in seinen Meditationen wieder zu dem alten Schluß gekommen war, vor dem hohen Spiegel an der sonst freien Querwand des Gemaches und betrachtete sehr ernsthaft sein Bild. Der neue schwarze Anzug saß vortrefflich; die glänzend weiße Wäsche war von feinster Qualität; seitdem er sich täglich frisieren ließ, erschien er sich selbst um fünf Jahre verjüngt.

Hm, murmelte er; Du hast immer zu wenig auf Dich gegeben. So wie Du mir jetzt erscheinst, bist Du eigentlich ein hübscher Kerl und ein Schuft bist Du ganz und gar nicht. Dir fehlt bloß eine Million und nun weißt Du wieder nicht, wovon Du die schönen schwarzen Lappen bezahlen sollst; und wenn Du die feine Gesellschaft frequentierst, wird das wieder ein verteufeltes Geld kosten. Aber für nichts ist natürlich nichts, und hier ist ein Großes, ein Ungeheures vielleicht zu gewinnen.

Es hatte ihm das von dem ersten Augenblicke an, da er dies Haus betreten, vorgeschwebt in dämmernden Umrissen, die ihn das eine Mal, weil sie so grotesk waren, amüsierten, das andre Mal – eben ihrer Verschwommenheit wegen – ärgerten, aber stets anzogen, festhielten, selbst in der Nacht, wo sie ihn schon mehr als eine wache Stunde gekostet hatten. Wenn er den Blick besonders anhaltend auf diese Nebenbilder richtete, war als fester Kern freilich stets das eine zu erkennen gewesen: daß er mit Hilfe des Amerikaners reich, sehr reich werden wollte. Das Wie? – worauf es doch dem klugen Rechner zuerst und zuletzt ankam – war immer gleich unbestimmt und fraglich geblieben. Jetzt glaubte er der Lösung dieser schwierigsten Frage um einen guten Schritt näher gekommen zu sein: Der Schuft brauchte einen Helfershelfer! Was war der Wunsch des Mannes, daß sein Sekretär sich in das Haus in der Rauchstraße von neuem Zutritt verschaffen möchte, wenn nicht das Geständnis dieses Bedürfnisses? sein Versprechen, dazu nach Kräften behilflich sein zu wollen, anders als eine vorläufig verschämte Aufforderung zu dieser Helfershelferschaft? Wie klug war es doch von ihm gewesen, daß er bei der ersten Unterredung, dem Gelüste, sich als Sohn eines vornehmen Mannes aufzuspielen, nicht nachgegeben hatte! Jetzt konnte ihm der Herr Papa nicht den Vorwurf machen, er habe sein gegebenes Wort gebrochen. Er hatte es streng gehalten, war die Diskretion selbst gewesen – eben noch. Er durfte mit sich zufrieden sein; man würde mit ihm zufrieden sein; einsehen, daß man ihn zu niedrig beurteilt, zu schnell verdammt habe; daß er ein Kerl sei, der zu schweigen verstehe, dem man Vertrauen schenken dürfe – hinüber und herüber!

Stirn und Augen wurden ihm heiß, während er, über solchen Plänen brütend, wie vorhin sein Prinzipal, in dem Zimmer auf und nieder schritt. Ei, nun! Pläne, bestimmte Pläne waren es noch immer nicht; aber es würden schon solche werden. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran. Soviel stand fest: er mußte sich dem Amerikaner nützlich, sehr nützlich; er mußte sich ihm unentbehrlich machen, wäre es auch auf Kosten des Vaters. Welche Rücksicht hätte er auf den zu nehmen, der so gar keine auf ihn genommen? an dem er den Jammer seiner unglücklichen Mutter, die eigene elende verwüstete Existenz zu rächen hatte? Oder etwa auf seine Halbgeschwister? seine Herren Brüder, die hochmütigen Laffen, für die er, begegnete er ihnen auf der Straße, Luft war? Auf Stephanie, die schon als zwölfjähriger Backfisch ihre Liebschaften hatte und dies Geschäft, wenn man dem Gerücht glauben durfte – und weshalb durfte man das nicht? – jetzt mit dem Raffinement und obligaten Brimborium der Weltdame fortsetzte? Oder auf Ada, der man an den schönen Augen ansah, daß sie jeden Moment bereit war, ihre kleine Hand dem ersten Besten zu reichen, der den nötigen Preis zahlen konnte und wollte? Selbst Marie Alden, die er immer von den andern ausgenommen, ja vor der er so etwas wie Respekt empfunden, – auch sie hatte sich die Schonung verscherzt durch ihr neuliches abweisendes Betragen. Und Marie Alden war keinesfalls seine Schwester, ging ihn mithin nicht das mindeste an, obgleich er in diesen Tagen wiederholt an das Mädchen hatte denken müssen und seltsamerweise jedesmal, wenn er dem Mister Smith begegnet war. Es mußte da eine Aehnlichkeit zwischen den beiden sein, so um die Augen herum oder in den Augen – im Blick, der immer über die Umgebung weg in weite Ferne zu schweifen schien. Idealisten – hm? thörichte Leute aus Wolkenkuckucksheim, die über jeden Stein auf dieser Erde stolpern? Muß nun aber doch ernstlich versuchen, mich mit dem alten langweiligen Pedanten auf besseren Fuß zu stellen und mit seinem Intimus, dem überspannten Professor. Weiß der Himmel, wie der in die Familie geraten ist! Da lobe ich mir die Tochter: bei der weiß man schon eher, wo und wie? trotz ihrer verteufelten schwarzen Augen, mit denen sie sicher drüben schon viel Unheil angerichtet hat und hier in Europa noch anrichten wird. Eine schöne Person, aber nicht mein Genre. Glaube, ich könnte allein mit ihr um die ganze Erde reisen, ohne mich in sie zu verlieben, wofür ich bei Marie schon auf der ersten Station nicht sicher wäre, trotzdem sie anfängt, ein altes Mädchen zu werden, oder es schon ist. Aber die Gegensätze ziehen sich ja immer an, woraus denn folgen würde, daß Fräulein Curtis und meine Wenigkeit –

Er war an das Fenster getreten. Vor dem Hause hielt ein offener Wagen – die elegante Equipage, welche die Curtis gemietet hatten, bis man Zeit gefunden haben würde, sich auch nach dieser Seite schicklich einzurichten. Jedenfalls wollten die Damen eine Spazierfahrt machen: die Pferde standen mit den Köpfen nach dem Thiergarten. Es war just ein Uhr, seine Büreauzeit also zu Ende; aber so lange konnte er warten, bis er die schöne Person hatte in den Wagen steigen sehen.

Ein unbestimmtes Geräusch hinter ihm ließ ihn sich schnell umwenden; zu seinem Erstaunen sah er die, nach welcher er soeben auf die Straße geblickt hatte, mitten im Zimmer. Die plötzliche und überdies unerklärliche Erscheinung der jungen Dame – sie war, solange er bei Mister Curtis arbeitete, noch nie hierher gekommen – machte ihn für einen Moment stutzig. Doch hatte er sich alsbald gefaßt und trat ihr jetzt mit einer Verbeugung entgegen, welche mit einem sehr flüchtigen Kopfnicken erwidert wurde.

Mister Curtis?

Die Frage hätte weniger kurz und vor allem in einem verbindlicheren Tone gestellt werden können. Hartmut ließ sich dadurch nicht einschüchtern und erwiderte auf das höflichste:

Mister Curtis ist vor einer Viertelstunde ausgegangen; ich vermute in die Stadt. Wenn Miß Curtis etwas an ihn auszurichten hat und mich mit dem Auftrage beehren will, bin ich gern erbötig, die Rückkehr von Mister Curtis hier abzuwarten.

Es ist nicht nötig, war die Antwort; ich werde bis dahin wohl selbst zurück sein.

Hartmut verbeugte sich abermals in der Voraussetzung, daß die Scene damit zu Ende sein werde. Zu seinem Erstaunen sah er, daß Miß Curtis keine Bewegung zum Gehen machte, sondern auf derselben Stelle in derselben Haltung stehen blieb.

Bin doch neugierig, was sie noch will, dachte Hartmut bei sich; etwas besonders Angenehmes scheint es nach ihren Mienen nicht zu sein.

Der Ausdruck in dem Gesicht der jungen Dame war in der That nichts weniger als freundlich. Zwischen den scharfgezogenen Brauen zeigte sich der Ansatz zu einer Falte; die dunklen Augen starrten unter den etwas gesenkten Wimpern vor sich hin; selbst um den Mund lag ein herber Zug, der mit den üppigen roten Lippen im schroffsten Widerspruch schien. Dennoch dachte Hartmut keineswegs, daß der sichtbare Unmut der Dame sich auf ihn persönlich beziehen könne, und so traf ihn, wie ein Stoß, die Frage, die sie ihm nach der wunderlichen Pause förmlich entgegenschleuderte:

Gedenken Sie lange in diesem Hause zu bleiben?

Ich muß bedauern, erwiderte Hartmut, seine ganze Geistesgegenwart zusammennehmend, keine bestimmte Antwort auf eine Frage geben zu können, deren Sinn ich nicht verstehe.

So will ich mich deutlicher erklären. Ihre Gegenwart in diesem Hause ist für einige Personen – will sagen: für einige Mitglieder der Familie störend, unbequem, unerfreulich, unangenehm, oder, wie Sie das nennen wollen.

Daß Sie, mein gnädiges Fräulein, zu denen gehören, auf welche meine Gegenwart eine Wirkung hervorbringt, die für mich so wenig schmeichelhaft ist, nehme ich als selbstverständlich an. Aber vielleicht ist es nicht zu indiskret, wenn ich mir die Frage verstatte, wer die andren sind?

Ich sollte meinen, es müsse Ihnen genügen, versichert sein zu können, daß Ihre erste Voraussetzung zutrifft.

Doch nicht ganz. Auf die Gefahr hin, Ihren Unwillen noch mehr zu erregen, wage ich das Geständnis, daß ich auf die Sympathien oder Antipathien von jungen Damen ein sehr geringes Gewicht lege. Dergleichen ist launisch wie Aprilwetter und wechselt im Handumdrehen. Wenn ich das leise Wort richtig verstanden habe, das soeben Ihren Lippen entschlüpfte: impudence, auf deutsch: Unverschämtheit, so muß ich, wie gesagt, bedauern, durch die Erfahrungen meines Lebens in Beziehung auf Ihr Geschlecht zu dieser Ansicht gekommen zu sein; aber ändern kann ich dieselbe nicht. Uebrigens brauche ich Sie nicht weiter zu bemühen; ich weiß auch ohnedies, wer in diesem Hause mich sonst mit seiner Feindschaft beehrt: Ihr Herr Bruder und Mister Smith.

Allerdings.

Ihrer drei also; aber soviel mir bewußt, haben weder Sie, mein Fräulein, noch der Herr Professor, noch Mister Smith mich engagiert, sondern Ihr Herr Vater. Er hat nach meiner Ansicht mithin allein das Recht, mich aus seinem Hause zu weisen, in das er allein mich geladen hat. Bis jetzt hat es nicht den Anschein, als ob er sich mit der Absicht trage; im Gegenteil: ich müßte mich sehr irren, oder ich habe mir seine Zufriedenheit mit jedem Tage mehr erworben. Dabei halte ich es für sehr wohl möglich, daß er mich um des lieben Hausfriedens willen – wie wir Deutschen zu sagen pflegen, – jetzt wegschickt. Aber meinen Sie nicht, Fräulein Curtis, es wäre – ich will nicht sagen: schicklicher, aber: logischer gewesen, wenn Sie, anstatt mich direkt mit dieser Unterredung zu beehren, zuvor mit Ihrem Herrn Vater Rücksprache genommen, und ich dann durch den Mund Ihres Herrn Vaters erfahren hätte, daß er – nicht Herr in seinem eigenen Hause ist?

Hartmut hatte, Grimm im Herzen, trotzdem er äußerlich völlig ruhig erschien, seine Sache durchaus verloren gegeben und deshalb mit der letzten spöttischen Wendung nicht zurückgehalten. So war er denn nicht wenig erstaunt, als die Dame, deren schönes Gesicht im Laufe dieser wunderlichen Unterredung in dem jähen Wechsel zwischen Blässe und Röte einen geradezu unheimlichen Ausdruck angenommen hatte, plötzlich die Hand ausstreckte und mit bebender Stimme sagte:

Sie haben recht. Verzeihen Sie mir!

Dessen bedarf es nicht; erwiderte Hartmut. Wenn ich es recht bedenke, hat mir Ihre Offenheit sogar Freude gemacht. Es war so viel Temperament in derselben. Und nun leben Sie wohl, da ich Sie doch zum letztenmal gesehen habe!

Er hatte erst jetzt die immer noch ausgestreckte Hand der Dame berührt. Zu seinem wachsenden Erstaunen fühlte er seine Hand, die er nun zurückziehen wollte, festgehalten.

Nicht zum letztenmal! Sie werden bleiben! Ich wünsche es. Ich will es.

Die Worte waren sehr leise und sehr hastig gesprochen worden – fast hervorgestoßen. Hartmut fand nicht Zeit, etwas zu erwidern. Sie hatte seine Hand mit einem heftigen Druck losgelassen und war im nächsten Moment aus dem Zimmer.

Er hatte sich nicht vom Platze gerührt; erst das Rollen des Wagens, der von dem Hause fortfuhr, riß ihn aus seinem Grübeln. Mit festen Schritten trat er vor den Spiegel.

So! sagte er zu seinem Doppelgänger. Jetzt weißt Du, was Du zu thun hast.


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