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Zehntes Kapitel.

Die Geheimrätin war nach Hause gekommen, vorläufig mit Stephanie allein – Egon war in der Stadt geblieben, ein paar Besuche bei alten Freunden abzustatten. Die beiden Damen schwelgten im Triumph der praktischen, beispiellos billigen Einkäufe, die sie gemacht haben wollten, und von denen sie die kleineren Dinge, die sie im Wagen mitgebracht, vorzeigen konnten. Marie vermochte beim besten Willen weder in das Lob der Billigkeit noch des praktischen Wertes der Sachen einzustimmen; aber sie behielt ihre Bemerkungen für sich, im stillen verwundert über die Elastizität von Gemütern, welche sich durch solche Nichtigkeiten über den Ernst der Situation wegzutäuschen wußten. Darüber war die Stunde des Mittagessens herangerückt. Der Vater und Herbert waren aus ihren Bureaus heimgekehrt; Reginald hatte Ada von den Curtis abgeholt; man wartete nur noch auf Egon. Anstatt seiner erschien, als man bereits angefangen, ungeduldig zu werden, ein Dienstmann mit einem offenen Billet: »Treffe soeben Axel Karlsburg, wollen zusammen in einem Restaurant speisen. Bitte deshalb, mich freundlichst für heute mittag exküsieren zu wollen.«

Man setzte sich verstimmt zu Tisch. Vergebens, daß Stephanie ihre ganze Unterhaltungskunst aufbot, und Reginald eine drollige Geschichte nach der andren erzählte – die Taktlosigkeit Egons, seine Familie im Stich zu lassen um des Grafen willen, von dem er wußte, wie übel derselbe bei einem Teil der Familie angeschrieben stand; mit dem Herbert heute morgen erst eine peinliche Scene gehabt hatte, welche voraussichtlich eine Reihe anderer peinlicher Scenen im Gefolge haben würde – selbst Marie mußte sich gestehen: der Schwager hätte kaum etwas thun können, das mehr geeignet gewesen wäre, die so schon trübe Situation vollends zu verdunkeln. Auch gab Stephanie selbst den Versuch, zu thun, als sei nichts vorgefallen, in Verwirrung auf. Nur Reginald hatte den Mut und die Nerven, seine Rolle völlig zu Ende zu spielen, wie Marie fürchten mußte, aus Trotz gegen Herbert, zwischen dem und ihm mehr als ein feindseliger Blick hinüber und herüber gewechselt wurde. Sie hatte durchaus das schmerzliche Gefühl, daß die stetig wachsende Feindschaft der Brüder in aller Kürze zu einer Katastrophe führen müsse.

Nach dem unheimlichen Mahl hatte sie sich kaum nach oben auf ihr Zimmerchen gerettet, als Pauline kam mit der Bitte des Herrn Assessors: das gnädige Fräulein möge die Güte haben, ihn in seinem Zimmer aufzusuchen: er habe eine Sache von Wichtigkeit mit ihr zu besprechen.

Der Herr Leutnant sind auch schon da, fügte Pauline mit einem malitiösen Lächeln hinzu, das nur zu deutlich bewies, wie tief sie in die widerwärtigen Verhältnisse der Familie eingeweiht war.

Wirklich fand Marie, als sie nach unten kam, die beiden Brüder in Herberts großem Zimmer, das sich stets durch seine peinliche Ordnung auszeichnete, in möglichst großer Entfernung voneinander stumm auf und nieder schreitend. Offenbar hatten sie den Streit erst bei ihrem Eintreten abgebrochen. Beider Gesichter waren blaß; sie hörte Reginalds zorniges Atmen durch die Breite des Gemaches; Herbert hatte sich im übrigen die gewohnte Ruhe bewahrt. Er war es denn auch, der sich sofort zu ihr wandte und mit leiser aber fester Stimme sagte:

Ich habe Dich bitten lassen, liebe Marie, damit Du in einer Differenz, die zwischen Reginald und mir betreffs Stephanies und Egons Angelegenheiten obwaltet, die Entscheidung übernimmst. Wenigstens habe ich mir diesen Vorschlag erlaubt; und es scheint auch Reginald recht zu sein, – soweit ich ihn verstanden habe.

Natürlich ist es mir recht, rief Reginald; ich kann mir nicht denken, daß Marie –

Das werden wir ja sehen, unterbrach ihn Herbert. Willst Du Dich nicht setzen, Marie?

Er hatte ihr seinen Arbeitssessel zurechtgerückt, während er selbst in ihrer Nähe am Tische stehen blieb, und Reginald, weiter von ihnen weg, an einem der Bücherschränke lehnte.

Möchtest Du die Güte haben, Marie zu sagen, um was es sich handelt; begann Herbert von neuem. Meine Darstellung möchte Dir nicht objektiv genug herauskommen; und ich selbst wünsche durchaus nicht, Marie in irgend einer Weise zu kaptivieren.

Er hatte ein Federmesser vom Tisch genommen, dessen Klinge er einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen schien.

Die Sache ist einfach die, fügte Reginald, sich bemühend, des Bruders ruhigen Ton möglichst nachzuahmen. Graf Karlsburg ist heute morgen, wie Du wohl schon wissen wirst, hier gewesen, seine Ansicht über Egons Lage darzulegen, die er, der selber Landmann und dazu Egons nächster Nachbar ist, doch am besten kennen muß, jedenfalls besser als wir, und selbst als Herbert, obgleich das allerdings vielleicht eine kühne Behauptung ist.

Möchtest Du bei der Sache bleiben? sagte Herbert, mit dem Daumen vorsichtig über die Schneide des Messers streichend.

Das gehört zur Sache, rief Reginald heftig; denn ohne Deine prätendierte Ueberlegenheit, wie in allen, so auch in ökonomischen Dingen, hätte diese thörichte sogenannte Uebersiedlung gar nicht stattgefunden, und Egon sich in der Weise arrangiert, wie es Graf Karlsburg vorschlägt, daß er es noch thun soll und auch hoffentlich thun wird. Die Sache ist also die, Marie: der Graf erbietet sich, sämtliche Wechsel, die auf Egon laufen, anzukaufen, wenn Egon das Geld als zweite und dritte Hypothek hinter der ersten auf Neusitz eintragen lassen will. Die, nebenbei zu dem niedrigsten Zinsfuß angesetzten Hypotheken sollen für den Darleiher unkündbar sein; dafür jederzeit, sobald Egon in der Lage ist, abgelöst werden dürfen. Auf diese Weise, sagt der Graf, – und ich muß ihm durchaus beistimmen – kann Egon sich in kurzer Frist bei nur einigermaßen rationeller Wirtschaft von seinen alten Verbindlichkeiten lösen, ohne uns hier in Berlin zur Last zu fallen und sich für sein ganzes übriges Leben zu einer Lage verurteilt zu sehen, die für uns kaum weniger kompromittierend ist als für ihn selbst. Was meinst Du, Marie?

Verzeihe! sagte Herbert, das Messer zuklappend. Ich muß mir, bevor sich Marie ausspricht, einige kleine Zusätze zu Deiner übrigens sachlich soweit korrekten Darstellung erlauben. Du hast vergessen, zu erwähnen, daß der Graf auch schon der Inhaber der ersten sehr bedeutenden Hypothek ist; zweitens, daß die Summe der jetzt schwebenden, hypothekarisch auf Neusitz zu domizilierenden Schulden mit jener ersten Hypothek den vollen Wert des Gutes darstellt samt Inventar, lebendem und totem, das Möblement des Schlosses einbegriffen bis auf den letzten Fußschemel. Du wirst begreifen, Marie: da ist von einem Besitze überhaupt nicht mehr die Rede. Wer unter solchen Verhältnissen auf Neusitz wohnt, ist nicht einmal mehr der Verwalter des Grafen, der klug genug ist, sich nebenbei einen wirklichen Verwalter zu halten; – er ist einfach der Pensionär, wenn man jemand so nennen will, dessen Pension ein Gnadenbrot ist – nicht mehr, nicht weniger.

Reginald lachte höhnisch auf.

Als ob das Brot, rief er, das er hier zu essen bekommt, weniger Gnadenbrot wäre! Von unsrer, vielmehr Deiner Gnade! Wie es scheint, hast Du ja hier zu kommandieren! Nun, da nimmt Egon es lieber aus der Hand eines guten Freundes als aus Deiner. Darauf läuft es schließlich hinaus.

Ungefähr darauf; sagte Herbert ruhig. – Nun, liebe Marie?

Auf keinen Fall darf Egon den Vorschlag des Grafen annehmen, sagte Marie.

Sie war erschrocken über die Heftigkeit, mit der sie es gesagt. Aber es war nun einmal heraus, und – so oder so – sagen mußte sie es.

Herberts Lippen umflog ein kaum merkliches Lächeln.

Nun? sagte er ruhig, ohne Reginald anzublicken.

Reginald war bei Maries Worten blaß geworden. Jetzt schoß ihm das Blut wieder in Stirn und Wangen; aber er beherrschte sich und fragte mit einer Stimme, die nur ein wenig zitterte:

Vielleicht hättest Du die Güte, Deine für mich etwas – gleichviel! also Deine Entscheidung zu motivieren.

Ich bitte um Entschuldigung, sagte Herbert rasch; ich meine, Marie kann von Dir verlangen, daß Du ihr die Motivierung ersparst und Dich mit ihrer einfachen Entscheidung begnügst.

Und ich verlange, rief Reginald mit sich steigernder Heftigkeit, daß hier Farbe bekannt wird; und daß man mir nicht aus dem Dunklen heraus mit Insinuationen, Andeutungen, Anspielungen – was weiß ich – kommt, auf die ich, wenn sie ein andrer vorbrächte, mit einer Kugel antworten müßte.

Auf deutsch, sagte Herbert: Du weißt sehr gut, was Marie meint und ebendeshalb nicht auszusprechen braucht.

Und Du weißt sehr gut, weshalb Du Dich hinter Marie versteckst! rief Reginald höhnisch.

Herbert zuckte die Achseln.

Wieso: versteckst? sagte er. Meine Ansicht von der Sache habe ich Dir ja, bevor Marie kam, sehr offen gesagt. Du beriefst Dich auf Marie. Gut. Hier ist sie und bestätigt lediglich meine Ansicht. Mehr von ihr zu verlangen – zu verlangen, daß sie Worte in den Mund nehmen soll, die völlig überflüssig sind und gegen die sich ihre weibliche Empfindung sträubt, ist – nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten – nicht brüderlich und – nicht ritterlich. Du brauchst nicht aufzufahren. Wenn Du in dieser Angelegenheit mit Leuten Kugeln wechseln willst – es wird Dir nicht eben schwer fallen, dergleichen außerhalb unsres Hauses zu finden.

Reginald war bei des Bruders letzten Worten zusammengezuckt, als ob ihn selbst eine Kugel getroffen hätte. Er machte einen raschen Schritt auf Herbert zu, der dem Wütenden fest in die Augen blickte. Mochte diese Ruhe ihn entwaffnen, mochte Maries Gegenwart den Ausbruch verhindern – die geballten Fäuste lösten sich, und nur die Augen flammten noch, als er jetzt vor Marie hintrat und mit einer Stimme, die sich mühsam durch die Kehle rang, sagte:

Ich wünsche Dir, daß, wenn Du je das Opfer von traurigen Mißverständnissen oder schändlichen Verleumdungen werden solltest, Du jemand hast, der ritterlich – ja wohl: ritterlich genug denkt, trotz alledem zu Dir zu stehen, und sich nicht ein billiges Vergnügen daraus macht, zu Deinen Feinden überzulaufen.:

Er war aus dem Zimmer, dessen Thür er unsanft hinter sich geschlossen hatte.

Konntest Du mir das nicht ersparen? sagte Marie.

Kaum; erwiderte Herbert. Ich wußte, oder war doch überzeugt, daß Du über Stephanies Verhältnis zu Graf Karlsburg genau so denkst wie ich. Ich riskierte also nicht nur nichts, wenn ich auf Dich provozierte, sondern hatte wenigstens die Chance, daß Reginald Vernunft annahm. Oder, wenn nicht Vernunft – denn ich glaube wirklich: er ist in Stephanie so vernarrt, daß er gegen ihre Extravaganzen blind ist – so doch Appell – Unterordnung unter unsre Autorität.

Aber, sagte Marie, ich begreife nicht recht, was damit gewonnen ist. Schließlich kann Egon doch trotz alledem auf den Antrag des Grafen eingehen; ja, ich muß mich leider fast wundern, daß er es nicht bereits gethan hat. Das Projekt, wie es Dir heute der Graf vorgelegt, ist sicher nicht von heute und zwischen ihm und Egon oft schon erörtert worden.

Zweifellos, erwiderte Herbert, und wird vielleicht in diesem Augenblicke abermals zwischen ihnen ventiliert. Was. Egon bisher abgehalten hat, zuzustimmen, und auch heute hoffentlich abhalten wird, ist erstens ein Rest von Scham, den wir, wenn er uns geschlossen gegen ihn findet, verstärken. Zweitens sagt er sich und muß sich sagen, daß, wenn der Graf seinen Zweck erreicht und ihm Stephanie abgekauft hat – denn darauf läuft es doch hinaus – der Graf ihn einfach ins Leere fallen läßt, und ihn vor diesem Sturz einzig und allein unsre Familie retten kann. Auch ein effrontierter Spieler, wie er, sucht sich immer noch, wenn es irgend möglich ist, zu decken. Er weiß ganz gut, daß dies seine letzte Deckung ist.

Entsetzlich! murmelte Marie. Die unglückliche Stephanie.

Herbert zuckte die Achseln.

Elle l'a voulu; sagte er kühl. Die Leute pflegen so zu liegen, wie sie sich gebettet haben.

Marie hatte sich erhoben.

Ich kann nun wohl gehen; sagte sie tonlos.

Herbert antwortete nicht sogleich. Er machte ein paar bedächtige Schritte, dann blieb er vor Marie stehen und sagte:

Heute vormittag ist Hartmut bei Dir gewesen?

Er wollte sich nicht abweisen lassen, murmelte Marie, verwundert über diese plötzliche Wendung.

Es ist mir sogar sehr lieb, daß Du ihn empfangen hast, fuhr Herbert fort; es erspart mir eine längere Auseinandersetzung. Hartmut ist in gewissen Transaktionen, die zwischen Uns und Mister Curtis stattfinden, eine kaum zu umgehende Mittelsperson. Er weiß das und pocht darauf, was ich ihm gar nicht verdenke. Ich erkenne sogar die Geschicklichkeit an, mit der er seine Karte spielt. Es liegt ihm daran, sich gesellschaftlich zu rehabilitieren; er kann das nicht, ohne sich mit uns verständigt, respektive ausgesöhnt zu haben. Ich habe ihn wissen lassen, daß ich ihm dazu die Hand bieten will; er würde auch sonst nicht den Mut gehabt haben, sich heute vor Dir zu präsentieren, was denn wieder ganz korrekt war in anbetracht des Wertes, den wir alle auf Dein Urteil legen.

Du traust ihm also? sagte Marie.

Nicht über den Weg, erwiderte Herbert lächelnd. Er arbeitet einfach für seinen guten Lohn, den er nicht eher ausbezahlt bekommt, als bis er seine Arbeit zu meiner Zufriedenheit gethan hat.

Und Du wirfst dem Vater vor, daß er sich in Spekulationen einläßt, die er nicht übersehen kann! rief Marie.

Ich habe die Pflicht, unser Vermögen zu reparieren, erwiderte Herbert. Da darf man in den Mitteln nicht allzu wählerisch sein. Uebrigens sei unbesorgt! Erst wägen, dann wagen! Ich habe danach gehandelt, lange bevor ich das Wort kannte.

Nun? sagte Marie, als Herbert wieder auf und nieder zu schreiten begann. Und weiter?

Weiter? sagte Herbert, stehen bleibend. Ja so! Ob ich mir davon für mich nach einer andren Seite etwas verspreche? Wie man will. Ich habe dieser Tage wiederholt Konferenzen mit Mister Curtis gehabt. Er wird seine Tochter niemals einem Menschen geben, der auf der Welt nichts kann, wie Schulden machen. Genau so, wie Miß Anne nie einen solchen Menschen heiraten wird. Ob ich mich weiter engagiere, wird ganz von den Verhältnissen abhängen. Von Dir aber, Marie, bitte ich nur das Eine: sei wenigstens nicht gegen mich, wenn Du denn doch nicht für mich sein kannst, oder willst.

Ich habe das nicht gesagt, erwiderte Marie; aber wie ich keine Veranlassung habe, gegen Dich zu sein, so habe ich keine Gelegenheit, etwas für Dich zu thun. Du weißt, ich habe das Curtissche Haus seit acht Tagen nicht betreten.

Ich weiß. Es dreht sich dort jetzt alles um den kranken Professor. Nun, es werden auch wieder bessere Tage kommen, obgleich ich, unter uns, nicht glaube, daß Ada bei der erbärmlichen Gesundheit des Professors für die Realisierung ihrer Wünsche, die, soviel ich höre, von der andren Seite geteilt werden, große Chancen hat. Aber nun darf ich Dich nicht länger aufhalten. Ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Halten wir auch in Zukunft so gut zusammen! Und sei überzeugt, daß ich in Zukunft meine Interessen nicht sorgsamer wahrnehmen werde, als die Deinigen!

Er hatte Maries Hand genommen und seine Lippen darauf gedrückt. Solange Marie denken konnte, war das nicht geschehen. Aber für sie war es kein wohlthuendes Gefühl. Wie schnell war auf das Exempel, das ihr Hartmut vorgerechnet, die bestätigende Probe gefolgt! Und wenn er nun doch als der größte von allen diesen kühnen Rechnungskünstlern sich erwies? Der Tag kam, an welchem er, den man jetzt als gefügiges Werkzeug benutzen zu können glaubte, seinerseits die Situation beherrschte!

Aber wie durfte sie von diesem Gedanken etwas verlauten lassen! In einer Verwirrung, die sie Mühe hatte zu verbergen, verließ sie das Zimmer, höflich von Herbert bis zur Thür begleitet.


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