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Achtes Kapitel.

Während so ein unschuldsvolles Paar von dem Rande des Todes selbst die duftigste Blume des Lebens pflückte, hatte der Bund, den Anne und Hartmut geschlossen, nur totbittere Früchte gezeitigt. Sie spottete in seinen Armen der sentimentalen Thorheit, mit der sie vordem um Maries Segen gefleht; er lächelte höhnisch im Triumph eines Sieges, den er einst ohne Maries Hilfe zu erringen nicht gehofft und nun doch, sich selbst vertrauend und seinem Glück, gewonnen hatte: im Grunde ihres Herzens wußte Anne, daß ihr dieser Segen fehle zu einem vollen Glück; und auch für Hartmut kamen Stunden, wo er meinte, er würde eine lenksamere Geliebte haben, wenn sie immer zu Maries ernsten Augen aufgeblickt hätte.

Es war kein leeres Wort gewesen, das sie einst zu Marie gesprochen: wenn sie den fände, den sie suche, so werde sie ihm gehören. Nun war's geschehen. Sie würde sich verachtet haben, hätte sie darüber Reue empfunden im Sinne andrer. Es kam ihr auch der Zweifel nicht, ob sie nicht etwa einem Götzen das Opfer gebracht. Dann aber ergriff sie ein wahnsinniges Verlangen, er müsse beweisen vor aller Welt, daß er wahr und wahrhaftig der eine, einzige sei, dem sie sich opfern durfte: der Mann der Männer, ihr Herr, ihr Gott.

In solchen Stunden war die Sklavin fürchterlich, und Hartmut fürchtete sich vor ihr. Nur mit aller Mühe war es ihm bis jetzt gelungen, hinter der Maske kühlen Selbstvertrauens das Gefühl seiner Ohnmacht ihr gegenüber zu verbergen. Umsonst daß er sich sagte: sie ist rasend, sie weiß nicht, was sie will; und will sie etwas, so ist es eitel Phantasterei und Aberwitz. Er war doch eingegangen auf den Aberwitz, hatte die Phantastin zu überbieten gesucht, oft scheinbar überboten. Nun sah er sich bei einem Wort genommen, das er auch nicht einen Moment ernsthaft gemeint hatte, das einlösen zu wollen ihm auch nicht im Traum eingefallen war. Zum Teufel! weil er um einer Ueberspannten willen, in deren Besitz er nicht anders hätte gelangen können, den Brutus tragieren mußte, brauchte er deshalb ein Brutus zu sein? Er hatte sich einmal in einer Zeit bitterer Not auf einer kleinen Provinzialbühne als Schauspieler versucht; man hatte ihn ausgepfiffen und er das ganz in der Ordnung gefunden. Jetzt meinte er, er habe sich doch unterschätzt: ein größter Mime, der es fertig brächte, in einer völlig thörichten Rolle, während sich das Publikum im Parterre vor Lachen ausschüttete, völlig ernsthaft zu bleiben, könne nicht mehr leisten als er mit seinen tragischen Allüren und Deklamationen, die in seinen eigenen Augen der Gipfel der Lächerlichkeit waren. Und für ihn fehlte ein verständnisvolles Publikum, dessen Beifall seiner Eitelkeit geschmeichelt hätte; er mußte seine Künste vor zwei Augen üben, an deren Glanz freilich er sich im Anfang berauscht hatte. Ein kurzer Rausch, der im Genuß verflogen war. Nun sah er in dieselben Augen oft mit der schaudervollen Empfindung, mit der der Wärter in die Augen der Löwin blicken mag, die er noch immer beherrscht hat, und von der er doch weiß, daß sie ihn eines Tages zerreißen wird.

So wurde ihm in der Tragikomödie, die für ihn sein Verhältnis zu Anne war, die Rolle, wie er sie sich halb klüglich zurechtgelegt und sie ihm halb aufgezwungen war, mit jeder Stunde peinlicher. Indessen, das hätte sein mögen: – noch hielten Kraft und Verstellungskunst vor. Sie würden auch weiter so vorhalten, – wäre er nur sicher gewesen, daß das Ziel, hatte er es nun wirklich erreicht, in seinem Glanz und seiner Größe so unerhörten Mühen und Anstrengungen voll entsprechen werde.

Das Vertrauen, welches er anfangs in dieser Beziehung gehabt, war in der letzten Zeit bedenklich erschüttert. Herr Curtis mochte nach europäischen Begriffen immerhin ein reicher Mann sein: der amerikanische Krösus, der Nabob, den er zuerst in ihm gesehen hatte, war er entschieden nicht. Der Bankier, bei dem Herr Curtis accreditiert, und der in den ersten Wochen die Kulanz selbst gewesen war, hatte sein Betragen sichtbar verändert; war einsilbig, zugeknöpft geworden. Auch daß Herr Curtis diesen Kredit jetzt nur noch seltener und nie ohne ein gewisses Zögern in Anspruch nahm, war Hartmut nicht entgangen. Dazu hatte derselbe Bankier die Uebernahme der geschäftlichen Transaktionen, welche die Emission der famosen Choctaw-Bahn-Prioritäten notwendig machten, um die er sich anfangs eifrigst beworben, schließlich doch abgelehnt; und das Geschäft war an ein andres Bankhaus gekommen, das sich nicht annähernd des Rufes unbedingter Solidität, wie jenes, erfreute. Daß diese ganze Choctaw-Bahn-Affaire nur eine Falle für die unglücklichen Aktionäre sein könne, hatte Hartmut eigentlich nie bezweifelt und, daß sein Vater zu den Hauptaktionären gehörte, ihm nicht nur keine Skrupel gemacht, sondern ihn mit hämischer Schadenfreude erfüllt. Jetzt war ihm der Zweifel gekommen, ob es denn wirklich Herr Curtis sei, dem der Raub zu gute kommen werde; ob hinter Herrn Curtis nicht noch andre größere und glücklichere Räuber ständen, denen er die Beute zutreiben müsse, und die den Löwenanteil für sich nehmen würden. Es sprach so manches dafür; aber, wie sehr auch Hartmut den Kopf anstrengte, mit welcher Findigkeit er sich auch in die merkantilen Geheimnisse hineinzuarbeiten suchte und hineingearbeitet hatte – er vermißte schmerzlich die gründliche kaufmännische Schulung, die Klugheit und Findigkeit nicht ganz ersetzen konnten. Schlimmer noch war ein andres, das, wohl erwogen, seinen Verdacht am meisten nährte, und ihn aus seiner Unsicherheit nicht herauskommen ließ: gerade die entscheidenden Punkte wußte Herr Curtis jedesmal in ein für ihn undurchdringliches Dunkel zu hüllen. Das konnte die Gepflogenheit des Chefs sein, der auch den vertrautesten Commis nicht völlig in seine Karten sehen läßt, oder eine individuelle Eigenheit des Mannes – es konnte aber auch etwas andres sein.

Stieß er so in seiner Rechnung auf unbekannte, mindestens zweifelhafte Größen, beruhigte ihn eines wieder: die nun sichere Aussicht auf Ralphs Tod, der Anne zur alleinigen Erbin des Curtisschen Vermögens machte. Er selbst freilich hatte keinen Fuß in das Krankenzimmer gesetzt; auf Frau Curtis Faseleien war nichts zu geben; Herr Curtis sollte noch die erste Silbe, die sich auf die häusliche Kalamität bezogen hätte, äußern; Anne selbst, die wohl hin und wieder Besuche bei dem kranken Bruder abstattete, brachte es nur zu lakonischen Aeußerungen, die ihm nichts verrieten als eine womöglich durch jeden dieser Besuche gesteigerte Verstörung ihres Gemütes – er hatte an der Austin eine zuverlässige Berichterstatterin. Sein Bund mit der Alten war schon in den ersten Tagen seines Aufenthalts im Hause geschlossen worden. Sie war es gewesen, die ihm hinsichtlich der Bedeutung jenes ersten Besuches, den Marie im Hause abgestattet, aufgeklärt und ihn dadurch auf die Spur des wahren Verhältnisses zwischen Marie und Smith gebracht hatte; sie war die verschwiegene Vertraute seines Liebeshandels mit Anne; sie war es auch, die ihm jetzt alles getreulich zutrug, was sie in dem Krankenzimmer, in das sie sich drängte, erspähen und erlauschen konnte. Was aus den gemurmelten Unterhaltungen zwischen dem Arzt und Marie nicht zu erhorchen war, das las sie von ihren bekümmerten Mienen. Und man brauchte ja den armen Teufel von Ralph nur anzusehen, um zu wissen, wie es mit ihm stand, und all der Liebe Müh' vergeblich sei! Worauf sie dann mit cynischem Behagen eine Schilderung dieser Mühe gab, in welcher sich die keusche Miß zu Diensten herbeilasse, deren Anblick schon einer ehrbaren Frau zum Skandal gereiche.

Ralphs nahes Ende war also besiegelt, zweifellos auch in Herrn Curtis Augen. Würde er sein einziges Kind gutwillig einem Ritter Habenichts überantworten?

Unmöglich war es nicht. Daß Anne doch schließlich thun würde, was ihr beliebte, konnte ihm nicht zweifelhaft sein, und am Ende gab er einem klugen Ritter Habenichts als Schwiegersohn den Vorzug vor einem, der, wie Reginald, nichts weiter war als ein flotter Kavalier, oder, wie Herbert, ein allerdings gescheiter Mann, der sich doch aber niemals in amerikanische Denkweise finden, stets den preußischen Beamten und Junker herauskehren würde. Da fragte sich denn nun: wußte er um sein Verhältnis zu Anne?

Hartmut hätte darauf schwören mögen, daß es der Fall war. Auch die Austin bekannte sich zu derselben Ansicht auf Grund einiger Aeußerungen, die sie von ihrer Missis erlauscht hatte, und auf die Hartmut das größte Gewicht legte. Er wußte, daß die einzige in der Familie, vielmehr: das einzige Wesen auf Erden, das Herr Curtis wirklich liebte, seine Frau war. Vielleicht, meinte Hartmut, weil sie eine halbe Idiotin und Wachs in seiner rauhen Hand; vielleicht, weil auch er, der sonst gegen alle Welt Verschlossene, eine Vertraute nötig hatte, oder doch jemand, vor dem er laut seine geheimsten Gedanken äußern durfte, sicher, daß zu dem andren Ohr hinausgehen werde, was zu dem einen hineinging. In dem Falle ihrer Tochter aber war der Unzurechnungsfähigen doch so viel weiblicher und mütterlicher Instinkt geblieben, daß sie von dem, was ihr der Gatte darüber gesagt haben mochte, das Wesentliche erfaßt und derjenigen, die wiederum ihre Vertraute war, in ihrer verwirrten Weise mitgeteilt hatte. Die Austin schwor, daß sie ihrer Sache sicher sei.

Herr Curtis war der Mann, ein ihm Unbequemes rückhaltlos aus seinem Wege zu räumen. Da er hier nichts dergleichen that, nicht einmal zu thun versuchte, gab es nur zwei Möglichkeiten: Herr Curtis billigte Annes Liebe, hatte aber seine Gründe, vorläufig offiziell keine Stellung zu der Sache zu nehmen; oder er mißbilligte sie und wartete auf den Moment, wo er sich dem ihm fatalen Verhältnis mit dem nötigen Nachdruck widersetzen könnte. Nach reiflicher Erwägung entschied sich Hartmut für die erstere Annahme, und dann war er um den Grund nicht verlegen, der Herrn Curtis Verhalten bestimmte.

Es war offenbar derselbe, aus welchem er, was da oben in dem Krankenzimmer vor sich ging, nicht zu sehen scheinen mußte: die Rücksicht auf die Ilicius, die bereits, wie Hartmut wußte, über die Vorgänge im Curtisschen Hause außer sich waren, Herrn Curtis eine direkte Förderung den ihrigen so entgegengesetzter Interessen nie vergeben haben würden, und, deren Empfindlichkeit zu schonen, er gerade jetzt doppelt und dreifach Ursache hatte.

In wenigen Tagen sollte die Emission der Choctaw-Bahn-Prioritäten stattfinden. Es war Herrn Curtis alles daran gelegen, daß das Geschäft sich glatt abwickelte unter dem Vorgang und der Aneiferung des Geheimrats, der seinen ganzen bedeutenden Einfluß aufgeboten hatte, um für das Unternehmen Stimmung zu machen. Bis dieser Termin vorüber war, durfte Hartmut nicht daran denken, in seiner Angelegenheit dem Vater seiner Geliebten gegenüber einen entscheidenden Schritt zu thun; und gerade jetzt mußte Annes Geduld, die er solange künstlich genährt hatte, zu Ende gehen.

Sie drang auf eine Entscheidung; sie forderte dieselbe mit einer Heftigkeit, für die Hartmut nur eine Erklärung wußte: das unwiderstehliche Verlangen des Weibes, den Mann, dem es sich liebend geeignet hat, durch die von der Gesellschaft sanktionierten Institutionen, auch wenn es dieselben als solche verachtet, an sich gefesselt zu sehen. Seit einigen Tagen hatte keine Zusammenkunft zwischen ihnen stattgefunden, ohne daß Anne die Rede auf den Punkt, der ihr jetzt einzig am Herzen zu liegen schien, gebracht hätte; Hartmut war jedesmal ausgewichen mit der Hindeutung auf die Wichtigkeit des Themas, das so im Vorübergehen nicht erschöpft werden könne. Nun sollte ein Tag kommen, wo diese Entschuldigung nicht mehr zutraf, und Ort und Zeit die Auseinandersetzung, auf die er sie vortröstet, geradezu herausforderten.


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