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Viertes Kapitel.

Der junge Mann ging die teppichbelegte Treppe in nicht durchaus erfreulichen Gedanken hinab. Zwar seine Absicht hatte er erreicht, und da er – nach einem Lieblingsausdrucke von ihm – wieder einmal »vis-à-vis de rien« gestanden, war es immerhin ein Erfolg – ein zu teuer erkaufter, wie ihm jetzt vorkam. Nicht materiell – das ihm gebotene Honorar überstieg sogar seine Erwartungen; – aber er hatte das schneidende Gefühl, das er in der Unterredung persönlich – als Mann zu Mann – den kürzern gezogen. Wie ein greller Blitz war ihm das bei der letzten Frage des Amerikaners aufgegangen. Er musterte, an sich herabblickend, seinen Anzug. Als er sich heute morgen mit seinem letzten Gelde in dem Laden auf dem Mühlendamm zu dem Besuche equipierte, war er in der Wahl nicht besonders vorsichtig oder geschmackvoll gewesen: das dunkle Beinkleid stimmte übel zu dem überhellen Paletot, der wieder zu der Jahreszeit kaum paßte. Doch abgesehen davon, daß er sich gar nicht in der Lage befunden, besonders wählerisch zu sein – wer verlangt denn von jemand, der sich zu einer Privatsekretärstelle meldet, den Anzug eines Dandy? Und muß man schlechterdings das Aussehen eines Zierbengels haben, um nicht sofort in den Verdacht zu geraten, mit der Polizei auf einem gespannten Fuße zu stehen! Was aber sonst hatte den Mann zu der impertinenten Frage veranlaßt? Es hatte gar nicht einmal wie eine Frage geklungen, sondern wie eine direkte Aufforderung: Gestehen Sie, daß Sie schon einmal gesessen haben! Zum Henker, ja, Herr, ich habe gesessen, aber nicht im Zuchthaus, weil ich silberne Löffel gestohlen, sondern im Gefängnis als ehrlicher Sozialdemokrat, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht und den verfluchten Aristokraten in öffentlicher Versammlung seine Meinung sagt! – Das konnte, das mußte ich dem Alten mit der nötigen Würde beibringen, anstatt eine alberne zweideutige Lache aufzuschlagen. Aber ich war für den Moment völlig dekontenanciert – habe mich überhaupt dumm benommen, – viel zu viel geschwatzt – mein alter Fehler, anstatt zu hören und die Leute mir kommen zu lassen. Es fehlte nur, daß ich ihm sagte, in welchem Verhältnisse ich zu dem Manne in der Rauchstraße stehe! Muß ihm dabei trotz alledem so etwas wie den Eindruck des verlorenen Sohnes gemacht haben! Oder hat's der Kerl selbst mit der Polizei verschüttet? und war die Frage nur so eine Art von Freimaurerkniff, ein Handwerksgruß, an dessen Erwiderung man seine Leute erkennt? Das muß es sein. Konfisziert genug sieht der Kerl aus mit seinen Rattenaugen, den breiten Eselslippen, dem fuchsigen Zimmermannsbart und den braunen Lastträgerhänden. Sollte er wirklich nach den Herrschaften in der Rauchstraße sich nur so nebenbei erkundigt haben? Schwerlich: ein Kerl, wie der, thut nichts so nebenbei. Dahinter steckt mehr; ich werde es schon herausbringen.

Hartmut war längst zum Hause hinaus, hatte auch die Bellevuestraße hinter sich und war vom Wrangelbrunnen rechts in die Siegesallee, von da links nach dem Goldfischteich abgebogen. Ein paar Augenblicke schlenderte er am Teiche auf und nieder und sah zu, wie ein paar Kinder in Begleitung ihrer Bonne den Fischen Brotkrumen ins Wasser werfen wollten, die aber stets zu kurz fielen und von den Sperlingen am grasigen Rand aufgepickt wurden. Etwas entfernt von der Gruppe stand eine Dame, von der er zuerst gemeint hatte, daß sie ebenfalls zu den Kindern gehöre – vielleicht die jugendliche Mutter derselben – bis er, genauer hinblickend, Marie Alden zu erkennen glaubte.

Die Dame hatte ihren Weg fortgesetzt. Es schien sich um eine Promenade zu handeln, wenigstens bog sie nach dem Floraplatz ab, von dem sie den einen Halbkreis umschritt, um dann in einer Richtung weiter zu gehen, die ungefähr zur Rousseauinsel führen konnte. Hartmut folgte ihr in einiger Entfernung, so daß er sie, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, stets im Auge behielt. Noch immer war er seiner Sache nicht sicher. Wenn sie es war, so war sie noch schlanker geworden. Es mochte auch sein, daß es damals, als er sie zuletzt und öfter gesehen, Winter gewesen, und die winterliche Kleidung ihre Gestalt nicht so zur Geltung gebracht hatte. Eine schöne Gestalt, wie er sie liebte, und die allein sich der Mühe des Folgens verlohnte! Aber endlich: war sie es, oder war sie es nicht?

Er beschleunigte seinen Schritt, hatte die Dame bald eingeholt, die auf dem einsamen Wege unwillkürlich das Gesicht nach dem Vorübergehenden wandte.

So habe ich mich nicht getäuscht, sagte er, den Hut ziehend: Fräulein von Alden!

Marie hatte seinen Gruß kaum merkbar erwidert und blieb auf seine Anrede stumm, indem sie mit schnelleren Schritten ihren Weg fortsetzte. Hartmut ließ sich dadurch um so weniger abschrecken, als er diese Aufnahme seines Grußes vorausgesehen hatte.

Ich bitte um Verzeihung; sagte er, an ihrer Seite bleibend, wenn er auch einen gemessenen Raum zwischen ihr und sich ließ; es war mir unmöglich, an der Wohlthäterin meiner Mutter mit stummem Gruß vorüber zu gehen, nachdem mir das Glück, Sie zu sehen, seit Jahren – seit meine arme Mutter begraben wurde – freilich, es war ja da das letzte Mal, daß ich Sie gesehen habe!

Ich danke Ihnen, sagte Marie mit unsicherer Stimme, indessen –

Ich will Ihnen meine Begleitung nicht aufdringen, unterbrach sie Hartmut; ich weiß, daß Sie gegen mich eingenommen sind; daß meine Mutter Sie gegen mich eingenommen hat. Ich bin es gewohnt, verkannt zu werden.

Marie war in der größten Verlegenheit. Diese Begegnung war ihr aus so vielen Gründen auf das Aeußerste peinlich; aber wie dieselbe abbrechen? Der Weg, auf dem sie sich befanden, zog sich noch eine ganze Strecke zwischen dichtem Unterholz hin, ohne in einen Seitenweg abzuzweigen. Wenn sie umkehrte, konnte sie wissen, ob er ihr nicht dennoch folgte, oder ob er sich abweisen ließ, falls sie sich seine Begleitung verbat? Es schien das Klügste, bis sie zu einem belebteren Pfade gelangt wäre, sich in das Unvermeidliche zu fügen. So sagte sie, um doch etwas zu sagen:

Das Los teilen Sie mit vielen.

Zum Beispiel mit Ihnen; erwiderte Hartmut schnell. Wahrhaftig, wenn auch sonst in jedem andern Betracht zwischen mir und Ihnen eine Siriusferne liegen mag, in diesem sind wir uns so nahe, wie wir hier nebeneinander gehen.

Ich wüßte nicht, daß Sie jemals ein Wort von mir vernommen hätten, welches Sie zu dieser Bemerkung berechtigte; sagte Marie in demselben dumpfen, befangenen Tone.

Als ob es da der Worte bedürfte! rief ihr Begleiter. Als ob Ihre Miene, der Blick Ihrer Augen, der wehmütige Zug um Ihren Mund nicht Bände sprächen! Als ob eine Baronesse Alden Krankenpflegerin würde, wenn es ihr in ihrem Hause wohl ginge! Als ob Ihr Haus, wenn Sie von einem Hause sprechen können, für mich nicht von Glas wäre! Da müßte ich doch nicht selbst das Unglück haben, ein auf die Seite geschobener Ilicius zu sein, sollte ich nicht wissen, welche Behandlung man von diesen »zärtlichen Verwandten« zu gewärtigen hat! Denken Sie an meine unglückliche Mutter! Was wäre aus ihr geworden ohne Ihren Beistand, Ihre Hilfe? Für die Ilicius hätte sie im Winkel verrecken können wie ein Hund!

Sie irren sich, sagte Marie; was ich für Ihre Mutter gethan, habe ich mit Wissen und im Auftrage meines Stiefvaters –

Das sagten Sie damals schon, unterbrach sie Hartmut. Ich habe es Ihnen damals nicht geglaubt und glaube es heute erst recht nicht. Sie schämten sich nur Ihres Stiefvaters und wollten der armen alten Seele einen letzten Trost gewähren, wenn Sie ihr einredeten, der Herr Geheimrat hätten wirklich die Gnade, sich seiner Gattin von ehemals zu erinnern, nun, da es mit ihr zum Sterben ging. Nein, Fräulein Marie, da wäre er doch wohl einmal selbst gekommen, und Sie hätten Ihre Besuchszeiten nicht immer in den dunkeln verschwiegenen Abend verlegt.

Marie wußte nichts zu erwidern: was der unheimliche, erbitterte Mann an ihrer Seite heftig, aber ohne seine Stimme unschicklich zu erheben, vorbrachte, war ja alles, buchstäblich wahr.

Ich hoffe, Sie haben jetzt wieder eine passende Beschäftigung gefunden, sagte sie, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

Danke für gütige Nachfrage, erwiderte Hartmut mit einem ironischen Lächeln. Mir legt man wenigstens keine Steine in den Weg, wenn ich »ins Volk gehen« will, wie die Russen sagen, vorausgesetzt natürlich, daß ich den Herrn Geheimrat in der Rauchstraße so konsequent verleugne, wie er einen gewissen Hartmut Selk. Sie sind schlimmer daran. Sie sind und bleiben eine Baronesse. Und doch, wie ich Sie beurteile, würden Sie nicht zu stolz sein, als Gesellschaftsfräulein zu fungieren in dem Hause, in welchem ich seit einer halben Stunde die Ehre habe, als Privatsekretär installiert zu sein. Die beiden Stellen waren hintereinander in der Zeitung inseriert. Schade!

Wovon sprechen Sie? sagte Marie in der größten Verwirrung.

Es wäre so hübsch gewesen, fuhr Hartmut mit spöttischem Lächeln fort: Sie und ich in demselben Hause! Aber freilich, was würde unsre liebe Familie dazu gesagt haben! Mein Brotherr – ein reicher Amerikaner nebenbei – in der Bellevuestraße – ich komme eben daher – der Kerl sieht aus wie ein richtiger Sklavenhändler – hat mir sogar mitgeteilt, daß er die Bekanntschaft unsrer Lieben bereits gestern bei dem amerikanischen Gesandten gemacht habe. Und die Bekanntschaft schien ihn sehr zu interessieren: er hat mich die Kreuz und die Quer nach den Ilicius ausgefragt! Natürlich war dabei auch von Ihnen die Rede.

In der That, sagte Marie; aber jetzt muß ich Sie wirklich bitten –

Sie hatten sich, an der Rousseauinsel vorüber, durch einen Quergang dem Rande des Tiergartens und der großen Promenade auf wenige Schritte genähert, als auf der von Equipagen belebten Straße ein offener Landauer rasch vorüberrollte, in dessen Fond der Geheimrat Ilicius und seine Gattin, ihnen gegenüber Herbert und Ada saßen. Marie war unwillkürlich stehen geblieben; ihr Begleiter lächelte:

Seien Sie unbesorgt, sagte er; Papa hat uns nicht gesehen. Wer kann wissen, ob das nicht eine Visitenfahrt ist, die den Curtis gilt? Ich werde von jetzt an die Hintertreppe benutzen müssen. Leben Sie wohl! und schämen Sie sich nicht, dem armen Ausgestoßenen ein paar Worte gegönnt zu haben!

Er zog den Hut und murmelte, während er der sich eilig Entfernenden nachblickte:

Spaß schien ihr das Renkontre mit mir nicht zu machen. Aristokratenpack trotz alledem! das kratzt und beißt einander, und unsereinem gegenüber hält es doch zusammen wie Kletten. Aber unsre Zeit wird auch einmal kommen. Unsre? lächerlich! Was geht mich der Janhagel an! Sagen wir: meine Zeit! die Zeit, wo ein Hallunke von Sklavenzüchter nicht mehr die Frechheit haben wird, mich zu fragen, ob ich unter Polizeiaufsicht stehe. Das tränke ich dem alten Burschen noch ein, bevor es zwischen uns zu Ende kommt.


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