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Sechstes Kapitel.

Zwei Tage lang war Marie diesem Entschlusse treu geblieben. Am dritten kam ein zweiter Brief Stephanies mit der lakonischen Anfrage, ob Marie die Blumen und »das Uebrige« besorgt habe? Nun, die Blumen waren besorgt und erwarteten in ihrem blauen Karton die Bestellerin; aber »das Uebrige«? Mußte es denn sein? Wenn sie Stephanie ihre Bitte verweigerte, so beraubte sie sich des Rechtes – zum wenigsten in Stephanies Augen – derselben jene Vorhaltungen zu machen, welche ihr doch so nötig, so unaufschiebbar schienen. Gewiß, gewiß, es war da Gefahr im Verzuge. Sie durfte die Leichtsinnige den Schwindelpfad am Abgrunde nicht weiter sorglos hintänzeln lassen.

So benutzte sie denn, da die Zeit drängte, eine Frühstunde, als sie die Mama in ihrem Kabinett allein wußte, bei derselben einzutreten unter dem Vorwande, ihr endlich den noch immer unerledigten Rechnungsabschluß vom vorigen Monat präsentieren zu dürfen. Sie hätte den Augenblick nicht ungünstiger treffen können. Die Geheimrätin hatte heute morgen mit ihrem Gatten, bevor er auf sein Amt ging, eine sehr lebhafte Auseinandersetzung gehabt, die sich wesentlich um einen Pferdeankauf drehte, welchen Reginald in diesen Tagen abgeschlossen, ohne dem Vater vorher etwas davon zu sagen. Er – der Vater – hatte gemeint, daß zwei Reitpferde für einen jungen Offizier ausreichten, und er die Notwendigkeit eines dritten um so weniger einzusehen vermöge, als Reginald sein Quartalkonto bereits schon jetzt wieder um ein Bedeutendes überschritten habe. Die Geheimrätin hatte erwidert, es sei das hier, wie immer: der Vater wolle die Zwecke, aber die Mittel wolle er nicht. Wie denn Reginald seinen wohlerworbenen Ruf eines der schneidigsten Reiter der Armee aufrecht erhalten könne, wenn er in Hoppegarten nur immer die Pferde von Kameraden steuere? Das sei ein unleidlicher Zustand, dem doch endlich einmal ein Ende hätte gemacht werden müssen. Anderer Rücksichten, die es wünschenswert erscheinen ließen, daß die Familie im allgemeinen und Reginald im besonderen gerade jetzt möglichst glänzend aufträten – Rücksichten, die der Vater doch sehr wohl kenne und würdige, wenigstens würdigen sollte – gar nicht zu gedenken. Der Geheimrat, schon im Rückzuge begriffen, hatte nun einiges von einem Fell gemurmelt, welches man teile, bevor man den Bären habe, und sich dadurch den ihm nicht mehr ganz fremden Vorwurf »unausrottbar kleinbürgerlicher Sinnesart« zugezogen. Worauf er grollend auf sein Büreau gegangen war, sich dort jemand zu suchen, an dem er den verschluckten Aerger auslassen könne, während Marie für die Mama, die sich denn doch trotz ihres Sieges auch geärgert, zu demselben Zwecke herhalten mußte. Wie oft sie denn noch wiederholen solle, daß ihr der Monatsabschluß spätestens am zweiten des neuen Monats vorzulegen sei? Marie habe wiederholt den Versuch dazu gemacht? Ja, mein Gott, zu jeder Stunde sei sie natürlich für dergleichen nicht zu haben! Es sei Maries Sache, eine schickliche zu finden! Und wieder den Etat überschritten! Es sei nicht anders möglich gewesen? sie möge sich überzeugen? Nur von einem sei sie überzeugt, davon aber um so fester: daß Marie nicht zu wirtschaften verstehe, niemals zu wirtschaften verstehen lernen werde.

Marie ließ das Ungewitter geduldig über sich ergehen, um dann, als sie meinte, daß die schlimme Laune der Mama sich so weit erschöpft habe, mit aller Vorsicht Stephanies Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Bei dem ersten ihrer Worte, das unzweideutig auf die betrübende Lage der Sache deutete, war die Mama verstummt und verharrte in diesem bedenklichen Schweigen, bis Marie, was sie doch endlich mußte, die Höhe der Summe, um die es sich handelte, genannt hatte. Nun brach der Sturm los: Ob es denn ihre Kinder darauf abgesehen hätten, den Ruin der Familie herbeizuführen? dies der Dank für die Entbehrungen sei, die sie sich selber auferlege? Seit zwei Jahren brauche sie auf das dringendste ein neues Servis, das die Bagatelle von fünftausend Mark koste; längst schon, wenn sie die Leipzigerstraße passiere, wende sie die Augen von der königlichen Porzellanfabrik ab, um nicht der Versuchung zu unterliegen; auf jede Weise bemühe sie sich zu sparen, lasse jetzt nur noch bei kleineren Diners deutschen Champagner servieren, wie Marie doch wissen müsse, und da kämen ihre Kinder und würfen das Geld zum Fenster hinaus: Reginald viertausend für den neuen Rappen, Stephanie gar zehntausend für – Spielschulden! – Maries bescheiden vorgebrachter Einwand, daß doch nicht sowohl Stephanie als ihr Gatte diese Schulden gemacht habe, schien nur noch Oel in das Feuer des mütterlichen Zorns zu gießen. Sie hatte die Selbstbeherrschung, mit keinem Worte zu widersprechen, froh, daß sie ihr Gewerbe angebracht und überzeugt, daß die leidige Angelegenheit trotz alles Lamentierens zu einem für Stephanie und ihren Gatten günstigen Ausgang gelangen werde.

Auffallenderweise für Marie standen die folgenden Tage nicht unter dem Druck der Wetterwolke, deren Heraufziehen am Horizonte der Familie sie doch selbst, als die erste, hatte signalisieren müssen. Es herrschte im Gegenteil eine ungewöhnlich belebte Stimmung vor, die sie sich vorläufig nur aus der Spannung erklären konnte, mit welcher man der großen Gesellschaft am Donnerstag – der letzten, welche die Ilicius in dieser Saison gaben – augenscheinlich entgegensah.

Der Donnerstag war gekommen und mit ihm in einer späteren Nachmittagsstunde Stephanie, wie gewöhnlich in ihrer Equipage, trotzdem die Potsdamer Bahn in unmittelbarer Nähe von Neusitz eine Haltestelle hatte – wer mag denn mit Krethi und Plethi fahren, vor dem man jetzt selbst in der ersten Klasse nicht sicher ist! Sie stieg so rosig und heiter aus dem Wagen, daß Marie, die eine zerknirschte Sünderin erwartet, ihren Augen nicht traute. Das Rätsel löste sich erst eine Stunde vor Beginn der Gesellschaft, als sie die Schwester, die nur widerwillig zu folgen schien, unter dem Vorwand, ihr die für sie gekauften Blumen endlich aushändigen zu müssen, auf ihr Zimmerchen gelockt hatte. Stephanie ließ sie kaum zu Worte kommen. Die dumme Geschichte, die sich Marie, wie sie wohl sehe, thörichterweise so zu Herzen genommen, sei längst aus der Welt. Schon am Tage, nachdem sie – Marie – die Unterredung mit der Mama gehabt, habe ihr diese geschrieben, daß sie – natürlich ohne Herbert, oder Papa etwas davon zu sagen – imstande sein werde, das Geld zu schaffen; und eben noch habe ihr die Mama zugeflüstert: es liege bereit und sie – Stephanie – könne es morgen mitnehmen.

Das war ja denn schließlich, wie es Marie vorausgesehen, nur daß leider diese bequeme Art, aus einer schweren Verlegenheit zu kommen, Stephanies Leichtfertigkeit zum Uebermut gesteigert hatte. Das fehle ihr noch gerade, sich an einem Tage, auf den sie sich seit einer Woche gefreut, die gute Laune verderben zu lassen durch Vorhaltungen und Warnungen, für welche noch dazu auch nicht der Schatten einer Berechtigung vorhanden sei! Ein Duckmäuser sei freilich Egon – der sie nebenbei bestens grüßen lasse – nicht, ebensowenig wie sie eine Duckmäuserin. Wenn sie auf dem Lande mit ihren Standesgenossen nicht standesgemäß leben und aus Neusitz ein La Trappe machen sollten, so danke sie für das Vergnügen. Und was ihr Verhältnis zu Axel – Graf Karlsburg – betreffe – Verhältnis! lächerlich! um so lächerlicher, je mehr die Leute schwatzten! Verhältnisse, über welche die Leute nicht schwatzten, seien die gefährlichen. Mein Gott, das müsse doch wohl Egon am besten wissen, der wahrhaftig nicht der Mann sei, sich auf der Nase spielen zu lassen, wie sie – Marie – die Güte habe anzudeuten!

Und nun, liebes Kind, rief Stephanie, die Schwester flüchtig umarmend, laß uns von diesen Dummheiten schweigen! Hier zu Hause gehen ja merkwürdige Dinge vor, von denen Du mir freilich, vermutlich, weil Du selber nicht viel davon weißt, nichts geschrieben hast. Aber was Du weißt, mußt Du mir wirklich sagen. Ist es denn wahr, daß die Amerikaner, die Ihr aufgegabelt habt, so enorm reich sind? Mama thut ja, als ob es Krösusse wären – Nababs oder Nabobs – ich weiß nicht, wie es heißt. Und daß der gestrenge Herbert – siehst Du, das ist der richtige Duckmäuser, wenn Du doch einmal wissen willst, was ein Duckmäuser ist! Und deshalb traue ich ihm auch gar nicht zu, daß er sich wirklich in die Miß so und so verliebt hat, trotzdem Mama es behauptet, – seufzend, weil sie meint, es wäre die richtige Frau für Reginald, der durchaus eine reiche Heirat machen müsse, womit ich nebenbei ganz einverstanden bin, nur daß er mir denn doch zum Heiraten ein bißchen gar zu jung ist. Und unser »Blumengesicht« haben sie für den amerikanischen Herrn Bruder Dingsda bestimmt? Aber so laß Dich doch nicht alles abfragen!

Du hast ganz richtig vermutet; erwiderte Marie; ich weiß von diesen Sachen nichts.

Freilich, bei dergleichen pflegt man Dich ja nicht zu Rate zu ziehen. Uebrigens hat mir Mama das vorhin unter dem Siegel der allerstrengsten Verschwiegenheit anvertraut, und Du darfst Dir deshalb um Himmeswillen nicht merken lassen, daß ich Dir etwas gesagt habe. Ich wollte Dich eigentlich auch nur bitten, heute abend die Augen ordentlich aufzumachen. Ich weiß nicht, wie es kommt: ich gehe immer durch die Gesellschaft, wie durch eine Gemäldegalerie, von der ich höchstens ein paar Bilder behalte, die mich gleich beim ersten Anblick frappiert haben. Aber Du – freilich, Du hast ja auch mehr Zeit zum Beobachten. Und was ich noch sagen wollte: ich bin durchaus dafür, daß Reginald die schöne reiche Miß kriegt. Der Duckmäuser kann ja Julie Kinitz heiraten – so eine auf Draht gezogene Präsidententochter und er – les beaux esprits – die Blumen nehme ich gleich mit; ich soll mich bei der Mama anziehen. Hast Du denn was zum Anziehen?

So ungefähr.

Also auf Wiedersehen nachher!

Stephanie war trällernd aus dem Zimmerchen, in welchem Marie erregt auf und nieder schritt. Umsonst, daß sie sich schalt und sich einzureden suchte, es gehe sie das alles im Grunde gar nichts an; das Interesse, das sie daran nehmen könne, sei doch nur ein indirektes, hervorgerufen durch die Teilnahme, die sie für den alten Mann empfand, der sie klugerweise von der Schwelle des Curtisschen Hauses zurückgescheucht hatte, als habe er schon den doppelten Brautzug kommen sehen, der demnächst über dieselbe schreiten würde. Nein, nein, dies alles – wenn es sich wirklich so verhielt und nicht als eines der windigen Gewebe erwies, die man in diesem Hause so eifrig spann und schon der nächste Tag zu zerreißen pflegte – sie hatte nichts damit zu schaffen; sie wollte nichts damit zu schaffen haben; wollte, wenn Frau Curtis heute abend Miene machte, sie wiederzuerkennen, eine eherne Lügenstirn zeigen.

Pauline kam mit vor Zorn hochroten Backen: es sei schlechterdings mit gnädigem Fräulein Ada nicht mehr auszuhalten; soeben habe nur gerade gefehlt, daß gnädiges Fräulein ihr eine Ohrfeige gegeben hätte, weil sie einen Haken an dem Kleid nicht gleich zubekommen. Die jungen Herren, die gnädiges Fräulein so engelhaft fänden, sollten nur wissen, was die für Worte gegen ein anständiges Kammermädchen brauche! sollten sie nur ein einziges Mal vor ihrem Toilettenspiegel gesehen haben!

Die Wütende stürmte zur Thür hinaus, um dieselbe alsbald wieder zu öffnen: Hier sei ja noch der Brief für gnädiges Fräulein, den sie ihr habe bringen wollen; aber man wisse nicht mehr, wo einem der Kopf stehe.

Der Brief war durch die Stadtpost gekommen; Marie erkannte sofort Herrn Smiths Hand. Was konnte er ihr abermals zu schreiben haben?

»Teuerstes Fräulein! Ich vergaß letzthin Ihnen zu sagen, daß ich selbstverständlich Ihre Visitenkarte sofort nach Ihrem Fortgang an mich genommen und mich von der Konfusion überzeugt habe, welche bereits jetzt in dem Kopfe der Frau Curtis hinsichtlich Ihrer herrscht. Sie dürfen ihr mit voller Ruhe entgegentreten und werden, wenn Sie es thun, lächeln müssen über die wunderlichen Blasen, welche dieses armselige Gehirnchen treibt.

Leben Sie wohl und seien Sie heute abend recht vergnügt! Auch mein lieber Ralph ahnt natürlich nicht, daß ich Sie kenne. Mir wird zu Mute sein, wenn er mir morgen von Ihnen berichtet, wie jemand, der heimlich einem schönen Schauspiel beigewohnt hat, und dem dann jemand all die Herrlichkeiten rühmt, die es da zu sehen gab, und um die der andre gekommen ist! Wie ein Kind freue ich mich darauf! Adieu, Liebe, Gute! – Wenn Ralph das bewußte dritte Epitheton nicht freiwillig zugibt, kündige ich ihm die Freundschaft.

Ihr alter Verehrer Ch. S.«

Sonnenhaft, wie die Erscheinung des Mannes selbst, berührte sie auch wieder dieser sein zweiter Brief, der freilich nur als eine Ergänzung jenes ersten gelten mochte. Da war doch jemand, dem ihr Leid Leid, ihre Freude Freude schuf; der mit zärtlicher Sorge über sie wachte, sich beeiferte, einen kleinsten Stein des Anstoßes ihr aus dem Wege zu räumen! Und daß es ein alter Mann war, dem sie diese herzliche Teilnahme einzuflößen vermocht hatte, beeinträchtigte ihr in nichts den hohen Wert des köstlichen Geschenkes. Durch eine ausschweifende Bewunderung der jungen Männerwelt, wie sie jetzt Ada erregte, war sie auch in jüngeren Jahren nie verwöhnt worden; die paar Fälle, in denen man ihr in nicht zu verkennender Weise den Hof gemacht, hatten den Gleichmut ihrer Seele nur sehr vorübergehend zu trüben vermocht; und jetzt war sie längst daran gewöhnt, von den jungen Männern übersehen, höchstens mit dem höflichen Respekt behandelt zu werden, den dieselben, wenn sie besonders wohl erzogen sind, für »alte Mädchen« bereit haben. So konnte sie sich ihres »alten Verehrers« ohne den mindesten ironisch-trübsinnigen Beigeschmack freuen; und that das von ganzem Herzen, während sie ihre bescheidene Gesellschaftstoilette machte und schließlich eine billige künstliche Blume, die sie mit Stephanies Prachtblumen zugleich erstanden, am Busen befestigte.

Dann einen letzten Blick in den kleinen Spiegel werfend, wunderte sie sich über das ernste Gesicht, das ihr entgegenblickte, und mußte plötzlich lachen.

Sie hatte sich wahrhaftig darauf angesehen, ob Herr Ralph Curtis, wenn er seinem Freunde die Erlebnisse des Abends berichtete, von ihr sprechend, das »bewußte dritte Epitheton« anzuwenden geneigt sein werde?

Dazu hatte denn das Spiegelbild gelacht. Und sie meinte: das sei die einzig richtige Antwort auf eine so alberne Frage.


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