Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Der von Marie gefürchtete Tag kam schnell genug und brachte zur bestimmten Stunde die Ausgetriebenen. Nun wußte Marie nicht, ob sie sich freuen, ob sie bekümmert sein sollte, als Stephanie aus dem Wagen stieg mit lachenden Augen, die in eine lange Reihe allerbester Tage zu blicken schienen. Ihres Gatten Begrüßung war verlegen, und seine Miene in der ersten Stunde die eines Menschen, der das Peinliche und Unwürdige einer Situation, in welche er sich selbst gebracht hat, schmerzlich empfindet. Das änderte sich aber mit einem Schlage, als Reginald gekommen war und die geliebte Schwester und seinen teuren Egon aufs herzlichste umarmt hatte. Und da auch Herbert unter dem Einfluß von Maries bittenden Blicken sich einer wirtlichen Höflichkeit befliß, verging der erste Tag leidlich genug, dank besonders der Gegenwart des kleinen Botho, der plötzlich aller Liebling geworden zu sein schien. Er wanderte von einem Damenschoße zum andren, ritt auf sämtlichen Herrenknieen abwechselnd herum und gab den Gegenstand der allgemeinen Konversation ab, so oft es – was freilich häufig genug der Fall war – an einem Thema fehlte, das die Bürgschaft völliger Harmlosigkeit in sich getragen hätte.

Daß diese scheinbar so friedliche Stimmung den einen ersten Tag nicht überdauern würde – Marie hatte es vorausgesehen, und bereits der nächste sollte es beweisen.

Es war noch lange nicht Visitenzeit – erst gegen elf Uhr – als ein Wagen vorfuhr, aus dem Graf Axel Karlsburg stieg, um sich bei dem Geheimrat und, da dieser bereits das Haus verlassen hatte, bei der Frau Geheimrat melden zu lassen. Was nun geschehen war, erfuhr Marie durch Pauline, welche der gnädigen Frau die Meldung überbracht hatte. Der Herr Assessor war in das Zimmer gestürzt und hatte der Frau Mama in heftigster Weise verboten, den Grafen zu empfangen. Auch der Herr Baron und die Frau Baronin dürften das nicht; er und er allein werde ihn empfangen, – ein Bescheid, den sie dem Herrn Grafen überbracht habe, der dann zu dem Herrn Assessor ins Zimmer gegangen sei.

Na, gnädiges Fräulein, sagte Pauline; Sie wissen, ich pflege nicht zu lauschen; aber ich hatte nebenan in dem kleinen Salon noch Staub zu wischen, und die Herren sprachen so laut, daß ein paarmal die Thür richtig schlitterte. Da mußte ich denn wohl ein und das andre Wort hören; und wenn gnädiges Fräulein ein Interesse daran haben sollten –

Ich habe kein Interesse daran; sagte Marie.

Na, ich gewiß nicht; da will ich denn dem gnädigen Fräulein nicht weiter lästig fallen.

Herbert war nach der Unterredung mit dem Grafen, welche nur kurze Zeit gewährt haben konnte, sofort auf sein Büreau gegangen; auch Marie hatte in die Stadt gemußt, um einige häusliche Kommissionen zu besorgen, glücklich, wenigstens für ein paar Stunden die Stätte des Unfriedens meiden zu können. Als sie dann endlich wieder heimkehrte, fand sie zu ihrer Erleichterung das Haus leer: die Geheimrätin hatte anspannen lassen, mit dem Herrn Baron und der Frau Baronin Einkäufe zu machen; das gnädige Fräulein Ada würde wohl bei den amerikanischen Herrschaften sein. Uebrigens warte schon seit einer Viertelstunde auf das gnädige Fräulein ein Herr, der zuerst nach dem Herrn Geheimrat gefragt und, als er gehört, daß dieser nicht zu Hause sei, das gnädige Fräulein abwarten zu müssen erklärt habe. Es sei ein feiner Herr, und so habe sie ihn in den Salon geführt.

Die boshafte Freude, Marien durch diese formlose Annahme eines Besuches – der Herr hatte keine Karte abgegeben – eine Verlegenheit bereitet zu haben, glitzerte Paulinen aus den Augen. So erwiderte Marie nichts und begab sich sofort nach dem Salon. An dem Fenster, wo er, nach der Straße blickend, stand, drehte sich bei ihrem Eintreten rasch der Wartende um. Es war Hartmut.

Marie verbarg, soweit es ihr gelingen mochte, das Unbehagen, das sie bei dem Anblick des Mannes empfand. Seit zehn Jahren hatte er das Haus nicht mehr betreten, betreten dürfen. Was hatte ihm den Mut gegeben, den strengen Bann zu brechen? was wollte er von ihr? War ihr Gemüt von dem häuslichen Leid noch nicht bedrückt genug? Mußte der Unglücksmensch kommen, es zu mehren? Denn daß Hartmut Selk nur Unheil und Unglück bringen könne, stand bei ihr fest.

Inzwischen hatte Hartmut, völlig unbefangen, als wenn er noch, wie ehemals, täglicher Gast des Hauses sei, sich ihr gegenüber gesetzt. Vor sich niederblickend, bewegte er seinen Hut, den er am Rande angefaßt hielt, ein wenig zwischen den Knieen. Der Hut war glänzend neu, der Anzug tadellos nach der jüngsten Mode, die hellen Handschuhe konnte er heute kaum zum zweitenmale tragen.

Plötzlich hob er die dunklen Augen und sagte:

Ich sehe, daß ich Ihnen unerwartet und – muß ich hinzufügen – ungelegen komme; das thut mir leid, denn in der That gilt mein Besuch nur Ihnen. Was ich dem Herrn Geheimrat im Auftrage meines Prinzipals mitzuteilen hatte, wäre schriftlich ebenso gut abzumachen gewesen. Nun hätte ich ja freilich auch an Sie schreiben können; aber ich ziehe im allgemeinen mündliche Verhandlungen vor, zumal mit Menschen von Herz und Verstand, wie ich eines dieser seltenen Wesen in Ihnen verehre.

Möchten Sie mir ohne weitere Einleitung sagen, was Sie zu mir führt? fragte Marie trotz des höflichen Tones mit Bestimmtheit.

Ich kann Ihnen beim besten Willen eine weitere Einleitung nicht ersparen, erwiderte Hartmut, und will nur die Komplimente weglassen, die allerdings Ihnen gegenüber geschmacklos sind. Sie wissen von meinem Engagement in dem Hause des Herrn Curtis, aber wohl kaum, daß ich dort anfangs einen schwierigen Stand hatte. Sehr wohl situierte Leute finden an sehr schlecht situierten selten Gefallen. Ich war darauf gefaßt; um so mehr, als diesmal das gemeine menschliche Vorurteil an dem speziell amerikanischen eine kräftige Unterstützung finden mußte. Nichtsdestoweniger kam ich mit meinem Prinzipal selbst in kürzester Frist auf einen recht guten Fuß, wessen ich mich nicht weiter berühmen will. Ich hatte verstanden, mich ihm nützlich zu machen. Eines weiteren bedurfte es für den praktischen Mann nicht: um meiner schönen Augen willen hatte er mich nicht engagiert. Eine desto härtere Niederlage erlitt meine Eitelkeit, so oft ich, der Aufforderung meines Prinzipals folgend, in dem Familienkreise erschien. Man war eben nicht einfach unhöflich gegen mich; und selbst das ist schon zu viel gesagt hinsichtlich Miß Annes, für die ich einfach nicht existierte. Selbst Missis Curtis, die mir anfangs ein gewisses Wohlwollen bezeigt hatte, schlug plötzlich um – jedenfalls auf eine Ordre Miß Annes, deren Wunsch und Wille in der Familie Curtis Gesetz ist. Ich habe ein philosophisches Gemüt, das sich nicht gern über alltägliche Dinge echauffiert, überdies war ich lange ohne eine passende Beschäftigung gewesen, und die ganz gemeine Not des Lebens meine tägliche Begleiterin. Dennoch sah ich, daß hier, sollte ich bleiben können, ein Wandel eintreten müsse und leider nur nicht, woher und durch wen er bewirkt werden sollte. Nun kam der Wandel doch durch eine Dame, der ich in meinem Leben schon zu so vielem Dank verpflichtet bin; mit einem Worte: durch Sie, Fräulein Marie.

Durch mich? rief Marie. Das ist unmöglich.

Zum Glück für mich war es das nicht; fuhr Hartmut mit einer höflichen Verbeugung fort. Indessen, ich wußte ja, daß Sie meinen Dank verschmähen würden, wenngleich diesen meinen innigen Dank abzustatten, der einzige Grund war, der mich hierher geführt hat. Wahrlich, Fräulein Marie, für eine mächtige Fee sind Sie allzu bescheiden. Es geht ein Zauber von Ihnen aus, dem keiner widersteht. Sie brauchten nur ein gutes Wort für mich zu sprechen, nur das einfache Faktum zu konstatieren, daß ich meines Vaters Sohn sei, und mit einem Schlage war meine Situation in dem Curtisschen Hause umgewandelt. Meine Versicherung, an der ich es nicht fehlen ließ, daß ich in diesem Falle durch mein gegebenes Wort zum Schweigen verpflichtet gewesen sei, schien wenig Eindruck zu machen, in anbetracht vielleicht der vielen Verpflichtungen, die man im Leben eingeht, um sie nicht zu halten. Jedenfalls war ich von dem Momente an in den Augen des Herrn Curtis ein moralisches Phänomen; Frau Curtis wandte mir wieder ihre etwas languide Gunst zu; der Herr Professor und sein Mentor würdigten mich, wenn ich zur Tafel befohlen war, ihrer direkten Anrede, und Miß Anne besann sich gegebenen Falles darauf, daß zwischen ihr und der gegenüberliegenden Wand sich noch ein Wesen befand, welches sich Hartmut Selk nennt.

Marie mußte lächeln, wie wenig heiter ihr auch zu Sinn war. Es war in Hartmuts Rede eine Freiheit und Sicherheit, die sie heimlich bewundern mußte, dazu, wie eben jetzt, ein flotter Humor, für den sie, die Tag aus Tag ein mit den engherzigen, vorgefaßten Meinungen ihrer Verwandten in offener oder heimlicher Fehde lag, das vollste Verständnis hatte. Und zugleich mußte sie an den Primaner, den jungen Studenten denken, der ihr Freund und fast Bruder gewesen war; mit dem sie Goethe und Schiller, Shakespeare und Scott, Tasso und Manzoni gelesen; von dem alle Welt prophezeit, er werde es in jedem Fache zu den höchsten Ehren bringen. Hatte sie ihn nicht doch zu früh aufgegeben mit der andren Familie, die ihn mitleidslos verdammte? und nicht recht bedacht, was sie selbst neulich in Bezug auf ihn zu Anne gesagt hatte: von den Versuchungen, denen gerade so hochbegabte Menschen am leichtesten ausgesetzt seien?

Ich freue mich, sagte sie, daß ein offenes Wort, welches ich letzthin zu Miß Anne über Sie gesprochen habe, von so günstigen Folgen für Sie gewesen ist. Nur begreife ich, offen gestanden, in diesem Falle den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht ganz. Ich meine: von welchem besonderen Interesse es für die Familie Curtis sein konnte, Ihre wirkliche Herkunft zu erfahren?

Das Interesse, erwiderte Hartmut, war wohl in erster Linie das, welches ein Mensch zu erwecken pflegt, der sich, sozusagen, im Sklavengewand eingeführt hat, um plötzlich als Patriziersohn dazustehen. Zu dieser romanhaften, um nicht zu sagen: ordinären Ueberraschung, die selten ihre Wirkung verfehlt, kam aber in meinem Falle etwas andres: ein spezielles Interesse, dessen Erklärung mich einigermaßen in Verlegenheit setzen würde, müßte ich nicht annehmen, ich spreche, wie Homer sagt: der Wissende zur Wissenden; auf deutsch, daß Sie, Fräulein Marie, die einschlägigen Verhältnisse mindestens so genau kennen wie ich. Darf ich in diesem Sinne weiter sprechen?

Marie wollte ein entschiedenes Nein sagen; aber Hartmut gegenüber hatte sie damit einen Moment zu lange gezögert. Er fuhr, als habe er ihre Zustimmung erhalten, in demselben Atem fort:

Es sprechen ja auch noch ganz andre Leute darüber; es ist, sozusagen, Stadtgespräch: die Beflissenheit, meine ich, mit der sich Reginald um Miß Anne bewirbt. Berlin ist eben ein Klatschnest; alle großen Städte sind es, glaube ich, und im Hyde-Park oder im Bois de Boulogne dürften sich ein so eleganter Offizier und eine so remarkable Schönheit Seite an Seite ebensowenig acht Tage hintereinander zu Pferde sehen lassen, ohne die Zungen in Bewegung zu setzen. Nicht ganz so notorisch, immerhin aber nicht so verborgen, wie das Veilchen im Moose – ich weiß nicht, wie ich auf den Vergleich komme – ist die rührende Teilnahme, welche Ada an der Krankheit des Herrn Professors nimmt. Nun pflegt man bei besonders freudigen Ereignissen in fürstlichen Familien eine Amnestie zu erlassen. Die Ilicius' sind bis jetzt noch nicht gefürstet, aber im Curtisschen Hause zirkuliert die Ansicht, man werde im Iliciusschen, jetzt so hoch begnadeten, auch auf den Verbrecher Hartmut Selk die Sonne der Gnade scheinen lassen. Es ist immer wünschenswert, will man sich einmal mit einer Familie liieren, aus der betreffenden die dunklen Punkte entfernt zusehen. Und da hat man, – oder, um ganz offen zu sprechen: hat Miß Anne mir zu verstehen gegeben, daß, sollten da noch einige Hindernisse obwalten, niemand so geeignet sei, dieselben zu entfernen, als Fräulein Marie.

Mein Gott, was kann ich thun? murmelte Marie.

Das weiß wiederum niemand besser als Fräulein Marie selbst, erwiderte Hartmut schnell; wie ich überzeugt bin, daß niemals jemand an ihre Großmut vergebens appellieren wird.

Die sonst etwas rauhe und scharfe Stimme Hartmuts hatte bei diesen letzten Worten einen weichen Klang angenommen; seine dunklen ruhelosen Augen waren für einen Moment starr geworden. Alsbald aber blitzten sie wieder auf, und um die feinen Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln.

Verzeihen Sie! sagte er: mir steht die Sentimentalität schlecht. Ich begreife selber nicht, wie mich das jetzt manchmal überkommt. Vielleicht lebe ich nicht lange mehr.

Ich hoffe, sagte Marie, Sie werden lange genug leben, um das Versäumte wieder einzubringen. Sie können so viel, wenn Sie ernstlich wollen. Was an mir liegt, Ihnen förderlich zu sein, das, verspreche ich Ihnen, soll gern geschehen. Aber wenn Sie vorhin auf einen bestimmenden Einfluß deuteten, den hier im Hause jemand habe, so muß ich Ihnen jetzt sagen, daß dies richtig einzig und allein für Herbert gilt.

Hartmut blickte nachdenklich vor sich hin. Nach einer Pause sagte er:

Ich habe diesen Ausgang vermutet. Es spricht so manches dafür – besonders das rigorose Verfahren, das man plötzlich gegen Stephanie eingeschlagen hat. Nun ist die Verstopfung der Quellen, aus denen das Unheil floß, ein gutes Ding; ebenso die Einführung und Durchführung einer weisen Oekonomie. Aber der Vater und Herbert sind zu gute Rechner, nicht zu wissen, daß dies ein langwieriger Weg ist – viel zu lang für unsere kurzlebige Zeit. Der Vater war immer ein Spekulant, wenngleich ein herzlich schlechter. Mag Herbert wollen oder nicht, er wird auch spekulieren müssen und wird spekulieren, natürlich, hofft er, mit mehr Umsicht und Einsicht als der Vater. Dies ist die eine Seite der Medaille. Und nun die andre, die wunderbar zu der ersten paßt. Trägt sich Mister Curtis mit der Absicht, seine beiden Kinder an zwei Iliciussche zu verheiraten, so müßte er nicht Kaufmann und überdies Amerikaner sein, wollte er die Doppelverbindung nicht lieber mit einer reichen Familie eingehen, als mit einer, die kaum in unsern deutschen Augen auf dies Epitheton noch Anspruch hat, geschweige denn in seinen, der mit Millionen zu rechnen gewohnt ist. Was kann ihm da näher liegen, als den Ilicius wieder, oder nun erst wirklich zum Reichtum zu verhelfen, einfach dadurch, daß er sie mit dem Rest ihres Vermögens an den ungeheuren Vorteilen partizipieren läßt, die ihm die eigenen Spekulationen abwerfen? Ich weiß mit Bestimmtheit, daß Mister Curtis in dieser Richtung dem Vater bereits Avancen gemacht hat, auf welche der Vater mit sehr erklärlichem Eifer eingegangen ist, respektive weiter eingehen würde, sobald Herbert konsentiert. Dieser Konsens kann nicht ausbleiben; die in Aussicht stehenden Vorteile sind zu groß, zu gewaltig. Mister Curtis seinerseits würde von seinem Standpunkte aus mit Recht die Verbindung mit einer Familie beanstanden, die so einsichtslos ist, ein offenbares Glück, das ihr auf dem Präsentierteller geboten wird, von der Hand zu weisen. Wiederum, sollte auch Reginalds Zukunft Herbert sehr kühl lassen – was Reginald zu gute kommt, kommt gleicherweise seiner geliebten Ada zu gute, schließlich ihm selbst und allen Mitgliedern der Familie. Sie werden fragen: gesetzt auch, es verhielte sich das alles so; es käme das alles so: welche günstige Wirkung versprechen Sie sich davon auf die Stimmung des Vaters und Herberts gegen Sie? Das alles geht doch über Ihren Kopf weg; Sie kommen doch dabei gar nicht in Betracht. Freilich, wäre ich noch, der ich vor vierzehn Tagen war! Dem Thunichtgut von Sozialdemokraten könnte man und würde man weiter die Thür verschließen; dem intimen Vertrauten, ohne dessen Beirat, ja, ich darf wohl sagen: ohne dessen Zustimmung Mister Curtis, wenigstens hier in Deutschland, kein Unternehmen zu lancieren wagen dürfte – dem Manne, glaube ich, wird jene Thür sich willig öffnen – auch wenn Herbert selbst den Drücker in die Hand nehmen müßte.

Hartmut hatte sich, während er die letzten Worte sprach, erhoben; Marie war gleichzeitig mit ihm aufgestanden, unfähig, ein Wort der Erwiderung zu finden. Was Hartmut gesagt hatte, es war mit einer solchen imponierenden Sicherheit gesagt worden, mit einer, soweit ihre Einsicht reichte, so völligen Beherrschung der Situation; – in keinem Punkte hätte sie ein Bedenken geltend machen, einwenden können: nein, die Sache verhält sich anders.

Als wollte er den Eindruck, den er hervorgebracht, auch nicht durch ein weiteres Wort abschwächen, war Hartmut, nachdem er sich zum Abschied verbeugt hatte, auf die Ausgangsthür zugeschritten. Marie war ihm, ohne eigentlich zu wissen, was sie that, jedenfalls ohne eine bestimmte Absicht, gefolgt. So waren beide bis an die Thür gelangt. Anstatt dieselbe zu öffnen und zu gehen, wie Marie erwartet hatte, blieb Hartmut plötzlich stehen und sagte mit einer von innerer Bewegung, wie sie annehmen mußte, heiseren Stimme:

Eine Alltagsseele würde aus allem, was ich vorgebracht, nichts herausgehört haben als die Trugrede eines Menschen, der den andren über den dunklen Weg, welchen er zu einem selbstischen Ziele geht, täuschen will. Bei Marie Alden bin ich vor dieser Gefahr sicher. Und nun will ich Ihnen noch etwas sagen, das ich keinem andren sagen möchte, weil es keiner verstehen würde: was mir da jetzt in dem großen Ilicius-Curtisschen Familienhandel geboten wird, und böte man mir millionenfach mehr und Perus und Mexikos Schätze – und Marie Alden spräche: laß fahren dahin, wenn ich Dich wieder ein wenig lieb haben soll, wie vor Zeiten! – sehen Sie, Marie, da ist meine Rechte in dem lächerlichen Handschuh, dessen ich mich jetzt schäme, – diese meine rechte Hand wollte ich mir eher abhacken lassen, als sie ausstrecken nach etwas, das in Ihren treuen Augen unheilig Gut wäre, oder etwas thun, woran Ihre liebe Seele Aergernis nähme. – Leben Sie wohl!

Er hatte nicht ihre Hand genommen, die sie zum Abschied bereit gehalten hatte, und die Thür zwischen ihm und ihr geschlossen. Marie schritt zu dem Sessel zurück, von dem sie sich eben erhoben, und kauerte da nieder, in sich zusammengesunken, so ganz in dem Bann des dämonischen Menschen, der sie eben verlassen, daß, während sie den eignen Gedanken nachzuhangen und sich dieselben zur Klarheit zu bringen suchte, sie nur seine Stimme zu hören glaubte, nichts andres denken konnte, als was er ihr vorzudenken schien.

Dann – mit einer gewaltsamen Anstrengung – brach sie den Bann. Sie wollte nicht richten! Und er hatte eben Töne angeschlagen, die in ihrem Herzen nachzitterten. Nein, nicht richten! Aber der Mann, der am Grabe seiner Mutter hatte spotten können – er mußte ihr zwingendere Beweise, als es Worte sind, bringen, bevor sie an sein Herz glauben durfte.


 << zurück weiter >>