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Im Hotel zu Davos

(Nach einer Sudermannschen Novelle)

Es giert ein Mund, als söge
Er's Zimmer leer auf einen Zug.
Eine Brust geht wild, als hätte
Die ganze Welt nicht Luft genug.

Wachsblasse Hände zerren –
Die Daunendecke drückt so schwer!
Die heben keine Decken
Und heben keine Federn mehr. –

Ein junger deutscher Pastor
Hält in Davos die letzte Not.
Sein Erdenbuch ist beschlossen,
Als Prüfungsmeister prüft der Tod.

Am Bette sitzt eine Blonde,
Ihr lispelnd Lesen müde rinnt:
»Christus, der ist mein Leben« –
So liest ein schulebanges Kind.

»Mit Freud' fahr' ich von dannen
Zu Christ, dem Bruder mein« –
Das fällt wie ein Überreden
In die abreisende Seele hinein. –

Sein Weib. Vor wenig Wochen
Dem Todesbleichen angetraut –
Da fällt in das leise Lesen
Von nebenan ein taumelnder Laut:

Als hätten's Nachtigallen
Inbrünstig geschluchzt: Je t'adore!
Es flackert wie flüchtende Flammen
Ihr an das hingespannte Ohr.

Und Küsse schlagen wie Flügel. –
Sie fiebert und friert. – Wer? – Von wem?
Da wieder mit fliegendem Zittern
Ein küssender Gluthauch: Je t'aime!

Und die noch Jungfrau geblieben,
Sie trinkt's, als tränke sie lohen Wein –
»Nun hab' ich überwunden
Kreuz, Leiden, Angst und Pein!«

Und vor den glutroten Worten
Ihre Stimme wie Blumen welk zerbricht –
»Wenn mein Herz und Gedanken
Verlöschen wie ein Licht.«

Da stöhnt ein: »Lauter – lesen!«
Aus der halbverschütteten Grabesgruft –
Daneben schlägt durch die Wände
Der Liebeshauch wie Blumenduft.

Da hat sie mit pochender Stimme –
Vom Grauen hart und klar und kalt –
Für ihn an die Himmel gehämmert,
Sich Gotte ins Kleid hineingekrallt.

Sie las wie mit Peitschen geschlagen
Und überlas das: Je t'adore – –
Und wie dann alles zu Ende,
Saß sie beim Toten und fror.


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