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»Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen«

Ein Junitag hockte auf Herd und Haus,
Er lag wie erschlagen von Sonnenglut.
Heumahd! – Zwei junge Menschen gehn hinaus,
Ein nahes Leben in der einen ruht.
Die Wiesen zittern. Wind stäubt Kringelkreise,
Die Flimmerwolken laufen linnenleise.
Sie bückt sich schwer, ihr Atem mühsam geht,
Er lächelt ab und zu und mäht und mäht.
Die beiden reden, ohne daß sie reden,
Ob keiner spricht, lauscht jeder hin auf jeden.
Da blickt sie auf: Es ist wie Brandgeruch.
Er schrickt entsetzt: Ganz Brotterode brennt!
Auftaumelnd stürzt er durch das Wiesenluch,
Die Gräser zucken, wo er wütend rennt.
»Bleib,« schreit er, »bleib! Ich muß hinunterrennen!
Bleib, unsere Wiege darf nicht mitverbrennen!«
Die Lohe schießt, und Asche fällt wie Schnee,
Die Luft ist schwarz von wirbeligem Qualm!
An ihre Kehle wirft sich grimmig Weh,
Sie ruft und zupft und reißt an Gras und Halm.
Dann kreischt sie auf und ist zum Grund geglitten,
Ihr schweres Stündlein kommt herangeschritten. –
Aus kreiselnder Asche fällt ein glimmend Blatt,
Sie packt's im Krampf, und knisternd lischt die Glut ...
»Du – Mutter!« lallt ein Mund. zum Schrein zu matt,
»Ich bringe unseres Kindes Hab und Gut!«
Und keuchend kommt, – es ist, als ob er fliege, –
Der Vater mit der halbverbrannten Wiege.
Das Kind ist da! Das Kind! Er hält's empor,
Mitten hinein, wo Asche schwelend flockt.
Dann liegt er auf den Knieen, bückt sich vor:
»Sieh, Mutter, unser Kind!« – Sein Schrei frohlockt! –
Die aber schaut aufs angekohlte Blatt,
Das ihre Hand so fest umklammert hat,
Und liest das Bibelblatt wie tief aus Träumen:
»Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen!«


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