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Der Nachtzug

»Ich fahre mit dem Nachtzug, ganz wie Sie's gedacht.« –
Da sprach der Krüppel: »Bleiben Sie die Nacht!
Der Zug ist grausig! Bleiben Sie bis morgen!
Dann fahren Sie. Der Tag wird weiter sorgen!«
»Warum? Was haben Sie? Der Zug ist gut.
Ein alter Führer und so wenig Mut?
Sie hatten doch, wenn ich mich recht besinne,
Den Führerdienst auf dieser Strecke inne.«
»Ja, darum ist es. und ich führte eben
Denselben Zug – den letzten Tag im Leben.
Denn seit dem Tage, wo ich das durchlitten,
Bin ich wie von der Wurzel losgeschnitten.
So hören Sie: Ich fuhr denselben Zug.
Hochsommer war's. Der laue Nachtwind schlug
In meinen Führerstand. Und ruhelos
Hersichelte der blanken Kolben Stoß.
Die schwere Nacht, die sternlos um uns stand,
Kroch in ein immer schwärzeres Gewand.
Da plötzlich ward ein blaues Zucken helle,
Als glitt ein Streichholz über jene Stelle.
Nochmals! Das Streichholz in den Finsternissen
Ward lang und scharf an Wolkenwand gerissen.
Und dumpf und drückend durch der Kolben Schlagen
Erhub der Donner seine barschen Fragen.
Der Schnellzug raste in das Blitzgezeter:
Wir fuhren beinah hundert Kilometer!
Mein Heizer sagte: ›Spielwerk wird's nicht sein,
Wir fahren ins Gewitter grad hinein!‹
Und rasselnd weiter sprang das Eisentier
Mit Satz um Satz ins nahe Blitzrevier.
Ich dachte nur: – das Herz mir rascher schlug –
Dreihundert Menschen fährt dein Zug! –
Da knatterte ein Feuerstrudel her,
Ich fiel zu Boden wie ein Klotz so schwer.
Als ich dann langsam zu mir selbst gekommen,
Schien's, Arm' und Beine wären mir genommen,
Unfähig, auch ein Glied nur zu bewegen,
Hab' ich gelähmt vor meinem Stand gelegen.
Ich rief den Heizer, der nicht Antwort gab,
Ich dreht' den Kopf, ich suchte auf und ab.
Er war nicht da! Da wußt' ich ohne Fragen:
In die Maschine hat der Blitz geschlagen!
Und ich – gelähmt! Des Eisentieres Wüten
Kann keine Hand bezähmen und behüten! –
So rast der Zug. – Wächst nicht sein schütternd Jagen?
Hat in die Räder geller Sturm geschlagen?
Ich tobte, schrie und wimmerte empor.
Im Räderstoß mein Jammern sich verlor.
Als spielt' er mit dem Tode, flog der Zug,
Der an dreihundert Ahnungslose trug.
Bei jeder Kurve fleht' ich: Falle nicht! –
Vorüber ging es, und kein Rad zerbricht.
Signallaternen standen: Strecke frei! –
Die letzte – nicht! – Das Ende kommt herbei!
Der Hebel ist ganz nahe an der Wand,
Ich wälzte mich und – rührte keine Hand.
Dann lag ich still und wußte: Es ist da!
Ich schloß die Augen, daß ich nichts mehr sah.
Minuten wurden Stunden. – Wenn's doch käme
Und mich zerdrückend in die Fäuste nähme!
Da – da – ein Knall – ein Knirschen, kurz gefühlt,
Dann waren meine Sinne fortgespült. –
Man fand mich, daß zwei Balken, aufgestützt,
Den Halberstorbenen mütterlich geschützt.«


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