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Der Spaziergang der Blinden

In einem Dorf, gleichgültig, wo es ist,
Da hatten sie fünf Blinde zu ernähren,
Nachdem's der Bauernschaft trotz Wut und List
Mißlungen, sich der Fresser zu erwehren.

Fünf blinde Männer, greis bis jünglingsjung,
Hausten voll Zanks in einer lehmenen Kate.
Sie schöpften aus dem Dorfteich ihren Trunk,
Wenn's Vieh eintrieb und sich der Abend nahte.

Und reihum fühlten sie zur Essenszeit
Sich zu den Bauern, die sie belfernd schreckten,
Und standen auf den Fluren scheu beiseit,
Wenn sie aus ihren Hundenäpfen schleckten.

Ein altes Weiblein flickte für die Brut.
Ihr Farbensinn war nicht sehr hoch entwickelt.
Manch roten Unterrock mit schönem Mut
Hat sie zum Flicken für ihr Volk zerstückelt.

Zu gleichen Hosenbeinen langt's nicht aus!
Was brauchen Ärmel bis zur Hand zu reichen?
Der Schweineknechte abgelegter Flaus,
Auf ihren Schädeln kann er ganz verbleichen!

Ein Mummenschanz das ganze liebe Jahr!
Wenn ihre Holzschuh' auf der Straße klappern,
Wenn sie vor stumpfen Ängsten und Gefahr
In stockend abgebrochnen Worten plappern.

Wenn Sonne in die Katenluke quoll,
Dann rückte alles in das Himmelsfeuer,
Wenn Schnee sich wölkte und der Sturmsang scholl,
Dann war das Holz im Dorfe viel zu teuer. –

Jedoch – sie lebten! – Und als einst ein Mai
Die Schönheit wie mit Schöpferhänden streute,
Da plante eine feine Schelmerei
Das gute Dorf für seine blinden Leute.

Spazieren führen wollte man das Volk,
Auf Wegen, die es nie zuvor gegangen:
Zum Dorf hinaus und hart vorbei am Kolk
Den Hohlweg, wo die Dornen buschend hangen.

An einem Sonntag früh, der Tau glomm klar,
Das halbe Dorf war fröhlich auf den Beinen,
Schon wartete erstaunt die blinde Schar –
Wie sie's doch gut mit ihren Blinden meinen!

Ein jeder faßt den langen Leitestrick,
An dem die Bauern vorneauf marschieren. –
Nun geht's, ihr Blinden, hoch ins Frühlingsglück,
Die guten Bauern führen euch spazieren!

Zum Dorf hinaus, ein wenig flott, ich mein's, –
Die Blinden rudern kräftig mit den Stecken.
Hier stößt am Stein sich unsanft eben eins,
Hier ritzt sich eines an den Gartenhecken.

Dann rascher! – Bis am Kolk der Boden wankt.
Die Holzschuh' sinken – ei, nur immer weiter!
Und an der straffgezerrten Leine schwankt
Auf Socken hin die Schar der Frühlingsschreiter!

Jetzt geht's im Trabe in die Schlucht hinein,
Wo sich die Dornenruten zärtlich recken!
Die können peitschen, und die wissen fein
Die Lust zum Galoppieren zu erwecken!

Es geht Galopp! Den Hügel steil hinan:
Noch hält sich jeder an der straffen Leine.
Jetzt fällt der erste hin – der alte Mann –
Im Schwung hoch in die Luft reckt er die Beine!

Den Hügel ab! Das Feld ist frischgepflügt!
Der zweite stürzt! Geschleudert wie im Bogen.
Der dritte saust! – Der vierte stöhnend liegt!
Den letzten haben schleifend sie gezogen. –

Und durch die gottestrunkne Frühlingsglut
Donnert das Lachen derer, die es taten –
Und ihrer Seelen giftige, schlimme Wut
Kroch zu den Wurzeln ihrer grünen Saaten.


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