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Im Abzugsgraben

Und tappend stapft er längs den Zäunen her,
An den klotzigen Holzschuhen schleppt er schwer,
Die Hände schickt er wie Herolde vor
Entlang an geschlossenem und offenem Tor.
Behutsam schiebt er sich um jeden Stein
Und zögert in ein Pförtchen sich hinein. –
Er ißt reihum. Beim schlimmsten Bauern heut,
Der keinen Zucker auf die Grütze streut.
Mit Rippenstößen geizt er nicht so sehr.
Ein Lachen wiehert gröhlend vor ihm her.
Er schnauft ihn an, der scheu im Winkel ißt,
Nur immer schluckt und das Kauen vergißt:
»Eh' ich solch' einen Faulpelz füttern mag,
Ich lieber alle Schüsseln zerschlag'!
Scher dich aufs Feld zu den Knechten hinaus
Und lungere nicht immer in Hof und Haus! –
Weiß der Satan, wer uns den hergeschickt
Und unser Armenhaus damit gespickt!
Vierzig Jahr lang trieb er sich durch die Welt,
Und nun hat ihn der Teufel herbestellt!
Nur Läuse hat er uns mitgebracht.
Lump du, was hast du denn draußen gemacht?
Schluck rasch deinen Kohl und dann trolle ab,
Sonst bringt dich meine Peitsche in Trab!« –
Der nahezu Blinde stolpert fort,
In der Kehle erstickt ihm ein würgendes Wort.
Des Bauern Lachen klatscht hinter ihm drein,
Und die Pforte donnert ins Schloß hinein. –
Wohin? Zurück ins Armenhaus?
Zurück in den zotigen, kotigen Graus?
Mit zwei Schlumpen eng zusammengepreßt,
Saufbolden mit Belfern und ekelm Gebrest. –
Hinaus zum Dorfe, den Weg ins Feld!
Wie kennt er's! Hier ist seine Jugendwelt!
Jede Weide weiß er, die neigend steht,
Jede Pappel, die mit dem Singelaub weht.
Hier ging vor fünfzig Jahren und mehr
Seine Kindheit auf tanzenden Sohlen einher.
Libellenflüglich wie Sommertag
Es über den güldenen Wassern lag.
Hier brannte sein Knabenherz empor
Über Roggen und Gras, über Schilf und Rohr.
Lerchliche Sehnsucht aus Scholle und Kraut
Ging in die Wolken mit Lerchenlaut.
Lieder gingen ihm durch den Sinn,
Wie das erste Licht über die Berge hin.
Ein Geiglein, heißester Träume Traum,
Legt Christkind ihm unter den Weihnachtsbaum.
Und wie ein Knospenwunder sich schickt,
Hat hier ein Knösplein scheu geblickt –
Doch ward's keine Kunst, die im Lichte liegt,
Die, auch geknechtet, dennoch siegt. –
Er ging in die Welt und hat gesucht,
Um halbes Können geweint und geflucht.
Umirrend landfremd ging sein Schritt,
Und nur das Unglück kam immer mit.
Auf die Augen blindender Ruß ihm sank,
Seine Füße wurden wanderkrank.
Und weil nichts seine Heimat hieß,
Man ihn ins Dorf zurückestieß. –
Nun war er hier – und war so weit! –
Sein Mund springt auf, ohn' daß er schreit.
Das Stöhnen, das todwunde stöhnt,
Haben die Bauern ihm abgewöhnt. –
Er schlurft und taumelt. Sein Kopf ist ein Rad,
Das bald alle Speichen verfahren hat.
Es wackelt und knackelt und knirscht und schleift,
Nur halb noch vom spannenden Reifen umreift. –
Mitunter stößt's ihn am Kopfe zurück,
Die Pappeln von ehmals wurden dick,
Die Weiden drängen ihr hangend Gezweig
Zu peitschend nahe in den Steig!
Er biegt in den Feldweg und pendelt schwer
Zwischen Geleisen und Huflöchern her
In die Wiesen. Dem Abzugsgraben zu!
Halt ein – der ist tief, du Taumelnder du!
Du stehst ja nicht! läufst! läufst grade hinein!
So wolle dir Gott zu Gnaden sein! –
Der Bauer, bei dem er eben gespeist,
Dichtan auf der Wiese Binsen reißt.
Der sieht ihn vergurgeln. Er rührt kein Bein.
Spuckt Tabaksjauche ins Gras hinein,
Wischt mit der haarigen Pranke den Bart:
»Hätt' er's gestern getan, hätt' ich's Futter gespart!«


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