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Der sibirische Flüchtling

Und der Holzbeinige hob wieder an:
»Ich floh zum erstenmal. Es glückte mir,
Was in Sibirien glücken heißen kann.
Ich duckt' mich klein und rannte wie ein Tier. –

Die schläfrig stumpfe Wache knallte los,
Als ich den eigenen Schatten übersprang.
Sie schossen schlecht. Die Kugeln zischten bloß.
Im Horizont verprallt' der Schüsse Klang.

Ich war ein Frosch im Rohr, ein Storch im Sumpf,
Ich kratzte Wurzeln, wanderte bei Nacht.
Im scharfen Spähn vielleicht ein wenig stumpf,
Ward ich gepackt und wieder eingebracht.

Beim Knuten knirscht' ich mir die Zähne aus
Und habe, wie ich's wollte, nicht geschrien.
Und dachte immer nur in Wut und Graus:
Herz, halt zusammen, ich muß wieder fliehn!

Denn was ich hatte, war daheim mein Kind,
Das lächelte, als mich die Meute fing.
Mit seinen blonden Härchen träumt' der Wind,
Als ich verschnürt in ihren Knebeln hing.

Verlockend schmeichelte sein Stimmchen schon,
Doch hatt' es noch kein ›Vater‹ süß gelallt –
Sorg, daß du ›Vater‹ sagen kannst, mein Sohn –
So bat ich nachts – Gib acht, ich komme bald!

Aus diesem Anlaß floh ich siebenmal –
Und zweimal war ich wunderdicht beim Ziel. –
Wie leicht wiegt eines Menschen tiefste Qual,
Leicht wie ein Ball bei eines Kindes Spiel. –

Wie eine Schnur, die, gänzlich aufgedreht,
Zum Binden nicht mehr taugt, so ward mein Geist,
Der einem Menschen dann zum Fliehen rät,
Wenn Schneegestürm den Wald in Fetzen reißt!

Ich überschrie den Sturm, wie ich an Gott
Mein grausig Leben habe hingelegt –
Und hat sich doch auf meine wilde Not
Nichts weiter als der Schneesturm zubewegt.

Fraß mir die Hände und die Füße ab.
Auch das ward noch geduldet, daß sie mich
Aufrissen aus dem fast schon fertigen Grab! –
»[*]Mein Hündchen, her! komm her! ich brauche dich!

Schilt mir den aus, der dieses ließ geschehn!
Schilt, Hündchen, schilt!« – Und heiser Bellen bleckt
Zur Höhe auf, wo stille Wolken stehn –
Das tennenblache Feld ist wie verdeckt.

Das Hündlein war von ihm dazu gebracht,
Emporzubellen, daß es Gott verklagt
Und dumpf aus seiner Tierheit toter Nacht
Für seinen Herrn mit Gott zu schelten wagt.

Das alte Hündchen hält ein wenig ein,
Um Luft zu holen – »Schilt, du Hündchen du!« –
Sein Bellen wieder, schütternd Mark und Bein,
Klopft durch die tote Stille immerzu! –

Mit den Armstumpfen, die wie Weiden sind,
Vom Beil der Kronen mitleidlos beraubt,
Fragt er dann auf zu Gott nach seinem Kind
Und schüttelt grimmig sein ergreistes Haupt.

Sein Fragen und des Hundes Bellen fällt
Wie eine tote Krähe in den Schnee –
Die Wolke, die auf ihrer Reise hält,
Lauscht wie erstarrt dem grenzenlosen Weh.


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