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Der frühe Mäher

Noch blind im Tau die Wiese steht,
Eine Sense schon zum Mähen geht.

Es ist der junge Knecht Johann,
Der nicht den Tag erwarten kann.

Der immer gleich nach Mitternacht
Sich schlaflos aus den Federn macht.

Heut ging er lang vor Hahnenschrei
Den andern weit voran ins Heu.

Die Wiese noch wie träumend webt,
Der Knecht die Sense senkt und hebt.

So fange doch zu singen an,
Du früher Mäher, Knecht Johann!

Ein Morgenlied, das windgewiegt
Wie Schwalben in die Wiese fliegt!

Du singst nicht, und du freust dich nicht?
Wie wachensmatt ist dein Gesicht!

Wer fängt denn auch, du Knecht Johann,
Vor Hahnenschrei zu mähen an! –

Da – horch! – ganz fernes Flüstern zagt,
Als wenn ein Kinderstimmchen klagt:

»Das Gräslein, das du mähst, bin ich,
Und mähst du weiter, mähst du mich!

Mähst du das Hahnenfüßelein,
So mähtest du die Füßchen mein!

Mähst du des Schilfes hangend Band,
So träf' die Sense meine Hand!

Ich stehe hier im Morgenwind –
Halt ein mit Mähn, du mähst dein Kind!« –

Der Knecht Johann wird leichenblaß,
Seine Stirne taut vor Grauen naß.

»Du weißt – noch ist's erst kurze Frist –
Wie warm mein hellrot Herzblut ist,

Das lief doch wie ein banger Quell
Wohl über deine Hände hell!«

Die Sense mäht mit wilder Not,
Da springen Brünnlein rosigrot.

Die übersprengen den Knecht Johann,
Der kaum sich aufrecht halten kann.

Und Kindeswimmern ist erwacht,
Im Windesmund verhundertfacht.

Da hat er zu mähen aufgehört
Und stellt die Sense wie ein Schwert.

Und reißt sich das Hemd an der Brust entzwei
Und fällt in die Sense mit stöhnendem Schrei!


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