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Balladen

Der Küster von Emmersbach

(1813)

Die drei Glocken von Emmersbach brüllen los,
Zickzackig trifft sie des Hammers Stoß,
Bald die, bald jene – ohne Regel und Sinn
Saust der geschwungene Hammer hin.
Ohne Regel und Sinn tobt das wirre Geläut,
Und der Küster, der hammerschlagende, schreit:
»Schlag'n dot! schlag'n dot! schlag'n dot!«
So immerfort über Dach und Schlot. –
Wen?
         Den!

— — — — — —

Vor Jahren beim Vorderwald
Kam eine goldene Kutsche geknallt.
Wippende Reiter mit wehendem Busch,
Wirbelwindgleich in prasselndem Husch.
Um die Ecke – am Prellstein – wie sauste der Prall!
Ein hinstürzend Pferd brach die Deichsel im Fall! –
Und dichtbei pflügte der Küster sein Land.
Schon schleppt' ihn herzu eine packende Hand:
»Richt's ein!« so schreit ihm einer ins Ohr.
Der Ärmste schulterzuckte davor.
Er könnt's nicht! Er hätte nicht Nagel noch Niet!
»Verfluchter – dann hole vom Dorf den Schmied!
Mach Beine!« Ein Tritt wie ein Donnerkeil
Saust ihm noch wütend ins Hinterteil. –
Und er stürzt übers eben gepflügte Feld
Und hätte gerne den Schmied bestellt,
Doch gab's ja keinen sechs Stunden im Kreis!
Seine Lippen wurden vor Grauen weiß. –
»Zurück? Nein! nein! ich laufe wie Wind!
In den Hinterwald mit Weib und Kind!« –
Drei Tage lauschenden Harrens im Tann,
Er wagt sich hervor – ans Dorf heran –
Hinein mit dem eben sterbenden Kind.
Was ist's? Seine Augen wurden wie blind!
Qualmige Lohe lag ringsumher,
Von zweihundert waren hundert nicht mehr!
Die Garde des Korsen war nachgerückt:
Warum man den Schmied nicht herausgeschickt? –
Und dann ging ein Knallen und Wimmern an,
Dächertänzelndes Feuer kam dann.
Und hundert lagen mit blutigem Haar,
Bloß, weil kein Schmied im Dorfe war! –
Dreizehn Hügel hatte der Kirchhof mehr.
Der Küster schlug neben die Glocken her!
Mit Gekreisch und Geplärr der Totenklang
Aus dem Turm mit gerungenen Händen sprang,
Und die lebenden Seelen in Emmersbach
Warteten auf den Rachetag.
Die schluchzenden Gräber trugen auch
Hundeblumen und Distelstrauch.
Bis zum Rachetage sollt's so sein:
Auf die dreizehn Hügel nicht Efeu und Stein! –
So gingen die Jahre in stummer Not.
Des Korsen Glücksstern zuckt und loht.
Bis nach Rußland! Da klang eine zitternde Mär,
Einer flüstert's zum andern her –
Wie eine Flamme die Frage zuckt:
»Ist's wahr, hat ihn der Schnee verschluckt?« –
Der alte Küster von Haus zu Haus
Kündet die Wundermäre aus.
Seine Worte sich wie Mühlen drehn,
Die nach einem Hungerjahr wieder gehn. –
Und sie warten zitternd: Ist's noch nicht Zeit?
Wittert der Morgen? Ist's bald so weit? –
Nun weiß man's gewiß: Das Grause geschah,
Die elenden Herolde sind schon da!
Der Küster, wehüberbürdet und alt,
Wird glühend jung von Rachegewalt,
Wandert tags und nachts und wird's nicht satt,
Holt Botschaft aus der nächsten Stadt.
Kommt zuletzt mit flügeleiligem Schritt,
Seine Füße können kaum mit ihm mit.
Sein Odem ward arm – am ersten Haus
Schreit er stückweis den Jubel aus:
»Der – König – ruft! Kommt alle – her!«
Und sie kommen – kommen – bald fehlt keiner mehr.
Er fängt »An mein Volk« zu lesen an,
Doch sein Mund nicht Stimme fassen kann.
Der Pfarrer des Orts, ein eisgrauer Greis,
Bringt es zu Ende, strömend und heiß.
Dann ruft er: »Küster, hast du noch Kraft,
Dann rasch den Sturmglocken Zunge geschafft!
Und daß dein Hammer richtig fällt:
Denn heute bist du der Küster der Welt!«
Und der schweißtriefende Alte klettert den Turm
Empor wie der singende Frühlingssturm.
Und er keucht und tobt, bis er oben steht,
Wo zickzackwild sein Hammer geht.
Ohne Sinn und Ordnung, wie's grade paßt,
Ganz gleich, welche Glocke sein Hammer faßt,
Klirr-klank – klirr-klink – jetzt alle drei,
Als wären zwei Engel zum Läuten dabei!
Und es jagt ein wütender Racheklang
Von Emmersbach am Wald entlang.
In den Nachbarwald – in den andern hinein!
Und zwischendurch das wilde Schrei'n,
Immerfort, immerfort in Wut und Not:
»Schlag'n dot! schlag'n dot! schlag'n dot!«


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