Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXX.

Der alte Waldhofbauer mußte gar viele Brisilglasln leer schnupfen und ungezählte Krüge leeren, bis in der Sachlage eine Wendung eintrat. Verschiedene ungünstige Umstände verhinderten es. Der Quistorenhansl begab sich nach der festgesetzten Zeit und nachdem er durch seinen Gewährsmann in Erfahrung gebracht, daß eine Revision gegen das Urteil des Schwurgerichts nicht eingelegt wurde, nach dem künischen Bauernhofe. Er wollte nunmehr dem jungen Bauern reinen Wein einschenken; aber dieser glaubte ihm nicht mehr. Er glaubte dagegen um so fester an die Untreue Hančičkas, welche diese selbst öffentlich zugestanden. Er hatte sie als so unnahbar und stolz gekannt, sie war so hoch gestanden in seiner Meinung, daß er es eher für möglich gehalten hätte, den Himmel einstürzen zu sehen, als daß sich sein stolzes Weib zu einer so erniedrigenden Handlung mit einem so verächtlichen, gleißnerischen Burschen, als welchen er nun Aloys erkannte, herabwürdigen würde. Das konnte er Hančička nicht mehr vergeben.

Es liegt im Charakterzuge des Wäldlers, daß seine Freundschaft, wie sein Haß unentwegt fortdauern. Er kann eine Wohlthat ebenso wenig vergessen, wie eine Beleidigung, und Hančička mußte er jetzt hassen. Selbst die Nachricht, daß sie ihm einen Erben geschenkt, konnte Franz nicht weicher stimmen.

264 Zudem war der Quistorenhansl zu sehr ungelegener Zeit gekommen, indem der künische Vetter gerade im Sterben lag und Franz mit Pfarrer und Doktor zu thun hatte. Der Chode glaubte deshalb, eine spätere, günstigere Zeit erwählen zu müssen und machte für jetzt eine Reise wegen seines Federnhandels. Dabei erkältete er sich und mußte im Krankenhause zu Nürnberg einige Wochen Aufenthalt nehmen.

Der künische Freibauer ging mit Tod ab, und Franz ward als Besitzer des prächtigen Gutes eingesetzt, gegen welches der Waldbauernhof nur ein Kleinbesitz war.

Künische (königliche) Freibauern hießen die im »Künischen Gebirge« ansässigen und von den Regenten Böhmens seiner Zeit mit eigenen Privilegien und Freiheiten beschenkten Bauern. Sie wurden mit »Herr« angesprochen und war ihnen das Prädikat »Hochwohlgeboren« zuerteilt.

Der künische Wald erstreckt sich mit seinem scharfen, 4000 Fuß erreichenden Rücken, dem Ossagebirge, von Eisenstein bis gegen Neuern, wo er sich sodann mit seinem Fuße zu dem großen Passe zwischen Neugedein und Eschlkam, beziehungsweise zwischen Riesenberg und Hohenbogen absenkt. Waren zwischen Czerkow und Ossa die Choden von Herzog Bretislaw I. zur Verteidigung der Grenze aufgestellt, so siedelte er weiter südwärts andere Kolonisten zu gleichem Zwecke an. Sie erhielten von den böhmischen Herrschern, gleich den Choden, wertvolle Privilegien, wurden aber späterhin ebenso hart bedrückt.

Die Freibauern hatten durchwegs herrliche Besitzungen, und noch heutigen Tages, wenn auch ihre Privilegien längst erloschen, zeichnen sie sich durch 265 Wohlhabenheit und einen gewissen aristokratischen Zug in ihrem Wesen aus.Das ganze vom Ossa bis Klein-Zdikau sich hinziehende, künische Gebiet wird in neun Gerichte geteilt: St. Katharina, Hammern, Eisenstraße, Seewiesen, Haidler-, Kocheter-, Altstadler-, Neustadler- und Stachauer Gericht.

Franz beabsichtigte, ganz nach diesem ererbten Hofe überzusiedeln und sich der Waldwirtschaft zu widmen. Schon jetzt galt dem Holze all seine Sorge. Infolge eines frühen, ergiebigen Schneefalles konnte das im Spätherbste gefällte Holz aus den Waldbergen herabgeschafft werden und Franz hatte den ganzen Tag über vollauf zu schaffen und zu kommandieren.

An Hančička mußte er wohl beinahe ohne Unterlaß denken, aber es geschah dies stets mit einem nicht zu unterdrückenden Groll. Es kam ihm zwar vor, als ob dieser Groll von Tag zu Tag im Abnehmen begriffen wäre. Je länger die Trennung von Hančička währte, um so freundlicher trat wieder ihr Bild vor seine geistigen Augen und er sah sie stets vor sich mit dem Kinde in ihrem Arm. Aber plötzlich tauchte dann wieder das Bild des von ihm Erschlagenen auf und die freundliche Stimmung verflüchtete gleich einem Nebelschleier.

Franz hatte nicht verabsäumt, für die Seele des Verräters an dessen Begräbnisorte Messen zu stiften und glaubte auch dadurch seinem edelherzigen Sinne Rechnung getragen zu haben. Trotz wiederholten Schreibens von seiten seines Vaters und des Quistorenhansls war es ihm aber nicht möglich, vorerst zu seinem Weibe zurückzukehren.

Hančičkas Eltern waren erzürnt über das Benehmen ihres Schwiegersohnes. Sie hatten vom ersten 266 Augenblicke an in dem Geständnisse der Tochter nichts anderes erblickt, als ein großartiges Opfer, das sie dem geliebten Manne gebracht. Vom ganzen Chodenvölklein wurde das so aufgefaßt und keiner ließ sich einfallen, einen Stein nach dem wackeren Weibe zu werfen, das die Liebe höher gestellt, als ihre Frauenehre. Der Quistorenhansl hatte bei seinen Landsleuten für die richtige Auffassung mit allem Eifer gewirkt.

Soukup, dessen Pacht im Chodenschlosse mit Ende des Jahres ablief, indem er einem anderen, dem Verwalter mehr zusagenden Pächter weichen mußte, hatte sich im nahen Aujezd ein Höfel gekauft, das er mit Anfang des Jahres beziehen wollte. Er bot Hančička an, mit ihrem Kinde dorthin zu ziehen, da er es ihrer unwürdig hielt, getrennt vom Gatten in dessen Besitztum länger zu verweilen. Ihr Stolz riet ihr, des Vaters Vorschlag anzunehmen und sie war entschlossen, sofort nach Weihnachten in das neue Heim überzusiedeln.

Der alte Waldhofbauer und die Großmutter waren über diesen Entschluß ganz außer Rand und Band und ersterer reiste trotz des eingetretenen, strengen Winters zu seinem Sohne, um ihm in der ernstesten Weise Vorstellungen zu machen, wie schweres Unrecht er an seinem treuen Weibe, das sich so hochherzig für ihn aufgeopfert, begehe.

Der Alte erzählte ihm in seiner Weise von seinem herzigen Kinde, das ihm sprechend ähnlich sehe und das schon so gescheit sei, daß es immer nach seinem Vater schreie, nach seinem Rabenvater, der es gar nicht der Mühe wert fände, es auch nur anzuschaun. Auf ein paar faustdicke Lügen kam er bei dieser Sache dem Alten 267 gar nicht an. Ferner berichtete er, wie er schon jetzt für den nahenden Christabend einen prächtigen Baum in seinem Walde ausgesucht, um ihn dann schön aufzuputzen, daß sich an seinen Lichtern der junge Waldhofbauer erfreuen könne, und daß er selbst, so oft er nach Furth komme, ganze Taschen voll Spielzeug und Näschereien kaufe; besonders habe er ein prächtiges Roß mit einem schweren Reiter ausgesucht, um dem zwei Monate alten Buben gleich den nötigen Respekt vor seinem Vater einzuflößen, der »koa' bißl Liab für eam und sei' Muatta hat.«

Franz mußte über den Eifer des selbst zum Kinde gewordenen, alten Vaters lächeln, geradeauf lachte er aber, als dieser, um seinen höchsten Trumpf auszuspielen, eine Photographie aus der Tische zog, welche ein hausierender Photograph von dem kleinen Weltbürger aufgenommen und die nach des Alten Versicherung aufs Haar getroffen sein sollte, während man von dem Kinde auf dem Papier nichts weiter sah, als einen weißen großen Flecken, der das Wickelkissen vorstellte und an Stelle des Kopfes einen dunklen Batzen.

Wie dem aber auch immer war, die Mission des Alten war nicht ganz ungünstig ausgefallen. Franz wurde von Stunde zu Stunde wärmer und weicher gestimmt und beim Abschiede des Alten versprach er, er wolle nochmals mit sich zu Rate gehen und wenn er es über sich gewinnen könne, so wolle er den schönen Weihnachtsbaum auch mit ansehen und sich von dem Wunderkinde überzeugen.

Der Alte machte zwar alle Anstrengung, daß Franz sofort mit ihm heimkehren solle, aber dies konnte schon aus geschäftlichen Gründen nicht geschehen, da gerade die Holzarbeit im besten Betriebe war und außerdem sich 268 noch Holzhändler angemeldet hatten, deren Ankunft Franz abwarten mußte.

»Also kimmst am Christabend g'wiß?« fragte der Vater, schon zur Abfahrt bereit.

»Ja!« erwiderte Franz.

»So sag: auf Ehr und Seligkeit!«

»Meinthalben, es gilt!« versetzte Franz.

»No', so will i nöt sag'n – daß nöt wieder alles eben wird – und – magst a Schnüpfl?«

»Dank schön, Vater. Kimm guat hoam, grüaß ma d' Ahnl und –«

»Und dei' Wei samt 'n Kindl, gel?«

»Von mir aus!«

»No', dö wern lacha! I g'freu mi schon. B'hüt di Gott, du Trutzkopf! B'hüt di Gott!«

Die Thränen standen ihm in den Augen.

Franz sah dem Abfahrenden lange nach. Es reute ihn beinahe, daß er dem Wunsche des Vaters nicht gefolgt und gleich mitgefahren sei. Der Gedanke an sein Söhnchen wollte ihn nicht mehr verlassen, und Hančička – ihr Bild fing wieder an, sich freundlicher vor ihm zu zeigen.

Jetzt stieg endlich doch auch die Vermutung in ihm auf, daß er ihr Unrecht gethan haben könnte. Bei einem wiederholten Besuche des Quistorenhansls leistete ihm dann dieser einen heiligen Eidschwur, daß Hančičkas Anklage nur auf seinen Rat hin erfolgt, und er nannte ihm auch den Namen jenes Mannes, der ihm denselben erteilt und Franz dadurch zur Freiheit verholfen. Seine Auseinandersetzungen trugen so sehr den Stempel der Wahrheit, daß der junge Bauer nicht länger mehr zweifeln konnte.

Aber nunmehr scheute er sich, dem so schwer 269 beleidigten Weibe wieder unter die Augen zu treten. Er mußte sich selbst bekennen, daß er diesem großen Charakter gegenüber unendlich klein erscheine und er meinte, er müßte bei der ersten Zusammenkunft mit ihr vor Scham und Schande vergehen.

Der treue Quistorenhansl suchte ihn auch hierüber zu beruhigen. Er bat, sich keine unnützen Gedanken zu machen. Die Choden seien groß in allem, auch im Verzeihen. Er solle nur heimkehren, das übrige würde sich schon von selbst ergeben. – – 270


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