Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXVIII.

Das waren traurige Sommermonate, die nun folgten. All die Pracht in Feld und Garten, der Sang der Vögel, die herrliche, unbeschreiblich schöne Herbstzeit im Walde, sie waren für Hančička verloren. Ihr Sinnen war nur nach dem Gefangenen gerichtet, der leider erst zu einer im Oktober stattfindenden Schwurgerichtsverhandlung nach Amberg verwiesen worden. Hančička dünkte es eine Ewigkeit bis dahin.

Auch sie war neben vielen anderen als Zeugin vorgeladen. Der Knecht Gregori mußte die Bäurin mit ihrem eigenen Fuhrwerke nach Amberg fahren, da sie auf der Eisenbahn ein Zusammentreffen mit Personen fürchtete, die ihr nicht angenehm gewesen wären.

Es war ein trüber, nebliger Tag. Der Herbstwind fegte die Blätter von den Bäumen und mahnte an das Nahen der sonnenlosen Monate, die nun folgen würden. Mit Wehmut sah Hančička die vergilbten Blätter längs des Weges liegen; sie verglich sie mit ihren Freuden und Träumen, die nun auch so unerwartet ein böser Sturm verweht. Sie konnte manchmal das Weinen nicht unterdrücken.

Der Knecht glaubte trösten zu müssen, und er that es auf seine Art.

»No', Bäurin, tröst's Enk nur,« sagte er; »ans Leben 249 wird's 'n Bauern nöt gehn und im Zuchthaus geht's eam ja nöt schlecht.«

»Hör auf!« rief die Bäurin, auf's neue in Thränen ausbrechend. »Red nichts mehr davon.«

Nachdem Gregori gesehen, wie seine Tröstungen wirkten, schwieg er während der weiteren Fahrt ganz still.

Als Hančička in dem Gasthof angekommen, der ihr als Absteigequartier empfohlen worden, sagte man ihr, der Quistorenhansl habe sich schon mehrmals nach ihr erkundigt und richtig fand er sich auch nach kurzer Zeit abermals ein.

»I hab mit Enk z'reden, Bäurin,« sagte er.

»Hast du Franz gesprochen?« war ihre erste Frage.

»Na', Aber mit an' Gstudierten hab i g'red't und der hat mir 'n Ausweg für 'n Franzl zoagt.«

»Einen Ausweg?« fragte Hančička begierig.

»Ja, zu dem Oes helfen müßts.«

»Ich? Mein Gott, ich bin ja zu allem bereit,« versicherte Hančička.

»Dem Franzl weret wenig g'schehn, wenn er Grund g'habt hätt' zu seiner Eifersucht.«

»Wenn er Grund gehabt hätte? Er hat aber keinen Grund gehabt. Hansl, du kennst mich von Kindheit auf, nicht wahr, du traust mir nichts Schlechtes zu?«

»Ja, no', es handelt sich darum, ob der Franz auf etli Jahr eingsperrt, oder frei g'sprochen wern soll.«

»Freigesprochen?« rief Hančička. »Mein Gott, wenn das wäre!«

»Dös könnt schon sein,« berichtete der Quistorenhansl. »Wenn der Franz nachweisen kann, daß er wirkli im Recht war, daß si sei' Frau verfehlt hat mit'n Aloys – und er 250 is ja grad dazua kömma, wie er Enk an' Schmatz geb'n hat – so muß 's G'richt einsehn, daß er Ursach g'habt hat, rabiat z'wern, und er wird frei g'sprochen.«

Hančička schien ihn nicht gleich zu verstehen.

»Er wird frei gesprochen, wenn sein Weib, wenn ich –«

»Wenn 's Enk schuldig bekennt's,« ergänzte Hansl.

Hančička wankte.

»Mit meiner Ehr soll ich Franzens Freiheit erkaufen? Gelt Hansl, das hast du gesagt?« fragte sie mit beinahe brechender Stimme.

»Es handelt sich drum – er wandert halt sonst vier bis fünf Jahr ins Zuchthaus.«

»Zuchthaus!« schrie Hančička auf. »O mein Gott, mein armes Kind!«

»Oes müßts Enk nacha schon ohne Vater durchhelfen,« meinte Hansl. »I hab Enk dös Mittel zeigt, wie g'holfen könnt werden. Dös ander steht bei Enk. Aber in vielen Fällen in der Welt heißt's: Hilf, was helfen mag!«

»Aber meine Ehre! Meine Ehre!« jammerte Hančička.

»Lieber Gott, die g'scheiten Leut kenna's, daß nix dran is, und daß 's dem Mann nur außahelfen wollt's, und die Dummen – was liegt an die Dummen!«

»Aber mein Franzl? Was wird der sagen? Wenn ich Schuld bekenne, das wird ihm gewiß weher thun, als seine Strafe.«

»Fünf Jahr Zuchthaus unter allem möglichen G'sindel, unter Räuber und Mörder, fünf Jahr, Bua, dös is a Wort! Und was 'n Franzl anlangt, dem werd i 's schon sagn, was d' Wirklichkeit ist.«

»Ich soll also im Ernst bekennen, daß ich –«

251 Sie stockte. Sie wagte nicht einmal die That mit Worten zu nennen, deren sie sich anklagen sollte.

»Es is der oanzige Rat, den mir der Winkeladvokat geben hat können. Nach die Leut braucht's Oes gottlob, nix z' fragen –«

»Aber meine Ehr ist das Höchste, was ich besitze!«

»Muß Enk d' Lieb zum Mann und sein Glück nöt heiliger sein? Soll nöt a brav's Weib jedes Opfer bringen? Wenn Enk d' Leut aa im ersten Augenblick schänden, sie laufen Enk wieder zu, sobald's 'n Schinken aushängt's. Dös werd's erfahrn, verlaßt's Enk drauf. Und wenn's, wie 's vorhin andeut' habt's, Mutter werd's, so wird's halt dennast schöner sein, wenn der Vater beim Kindl steht, als wenn er in Zuchthaus sitzt. Und Oes därft's Enk sagen, Enk hat er's z' danken, daß er nöt drin sitzt, daß er bei Enk is und si mit Enk freut.«

»Mein Gott, die Schand! die Schand!« jammerte Hančička; »vor meine Eltern, vor den Dienstboten, vor der Ahnl –«

»Wenn i Enk aber sag, daß i 's recht und richtig mach.«

»Aber Hansl, es geht ja nicht! Ich darf doch kein falsches Zeugnis geben, einen Meineid schwören –«

»Oes werd's ja gar nöt beeidigt, als Ehefrau werd's es nöt. Vom Schwören is ja koa' Red! Drum seid's gscheit und helft's eam außa. Er is a so g'straft g'nug, für an' Alp auf sein Herzen is lebenslängli g'sorgt.«

»Ich werd drüber nachdenken,« sagte Hančička. »Bis morgen früh habe ich einen Entschluß gefaßt. Am liebsten wär mir's, wenn ich schon auf dem Totenbrett läge, erlöst von allen Uebeln.«

252 »Dazu sag i nöt Amen,« entgegnete Hansl. »Nur Mut! Oes seid's doch sonst so resolut gwen.«

»Ja, sonst – sonst –«

Sie fing abermals heftig zu schluchzen an.

Hansl fand für gut, sie allein zu lassen, allein im Kampfe zwischen Liebe und Ehre.

Es waren qualvolle Stunden, die nun folgten. Auf der einen Seite sah sie den geliebten Mann, den Vater ihres Kindes, als Sträfling eingekerkert, auf der andern Seite sah sie ihn frei – frei, wenn sie es nur wollte. Aber um welchen Preis!

Doch durfte sie zaudern? War sie nicht vom Stamme der Choden, war nicht Treue ihr erstes Gebot? Treue! Und ein Chode hatte ihr diesen Rat gegeben! 253


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