Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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X.

Daß der so eifrig in der Ferne Gesuchte noch ganz in der Nähe sei, ahnte niemand. Mit Sehnsucht erwartete Hančička das Hereinbrechen der Nacht, um die Flucht des noch immer auf dem Schloßboden Versteckten zu ermöglichen. Franz war zwar sicher dort oben unter dem alten Gerümpel, denn außer Jirka kam niemand dorthin, und er wäre wohl der letzte gewesen, der ihn entdeckt hätte. Auch war es dem Mädchen gelungen, etwas Wein und Speise hinauf zu schmuggeln, aber Franz war aller Appetit vergangen. Er hatte Zeit genug, über seine Lage nachzudenken und er mußte sich eingestehen, daß sie kritisch war.

Es war ihm nun klar, daß er sich in der Person geirrt und statt des Quistorenhansl an den Schloßbauer geraten war. Wie es kam, daß der ihm zugedachte Schlag den anderen getroffen, konnte er sich freilich nicht erklären. Um so besser aber sah er ein, daß ihn Soukup wirklich für einen Räuber halten mußte. Mit einer einfachen Entschuldigung war es also nicht abgethan, denn die böhmischen Gerichte würden ihm so wenig glauben, wie der Schloßbauer; er bedurfte eines Zeugen für seine Unschuld, und wo hätte er einen solchen finden sollen? Jedenfalls stand ihm eine lange Untersuchungshaft bevor. Er mußte deshalb suchen, sobald als möglich über die Grenze zu kommen.

84 In sein Elternhaus zurückzukehren, durfte er vorerst nicht wagen; man würde ihn dort am ersten suchen. Sein Plan war daher, über das Czerkowgebirge ins Bayerische zu flüchten und mit seinem Vater dann an irgend einem verborgenen Ort eine Zusammenkunft zu verabreden. Fände es dieser für gut, so wollte er sich selbst dem bayerischen Gerichte stellen und seine Unschuld beweisen. Es handelte sich nur darum, wie der Waldhofbauer verständigt werden könnte, denn daß auch dessen Schritte von seiten des Gerichts bewacht würden, war selbstverständlich. Einen Boten mit einem Briefe zu schicken, wäre geradezu Unsinn gewesen, und eine verlässige und ausrichtsame Person zu finden, war unter den obwaltenden Umständen kaum möglich. Zudem war Franzens Vater keiner von denen, die schnell begriffen, noch weniger vermochte er seine Zunge im Zaume zu halten, wenn er, wie das häufig der Fall war, dem braunen Naß über Gebühr zugesprochen hatte.

So fand ihn denn Hančička recht betrübt und entmutigt. Er besprach mit ihr den gefaßten Plan, und Hančička bedauerte jetzt lebhaft, daß Franzens Knecht auf die Nachricht von seines Herrn Gefangennahme und Flucht sofort eingespannt hätte und davongefahren wäre.

Dadurch war ihr und der Mutter die Möglichkeit benommen, eine Botschaft nach dem Waldbauernhof zu schicken. Franz wollte dies selbst besorgen, sobald er über die Grenze wäre. Hančička hatte aber für jetzt nur den einen Gedanken, wie sie ihn befreien und ihm zur Flucht verhelfen könne.

»Sobald es Nacht ist, komme ich, dich zu holen,« versprach sie.

85 Der Bursche konnte die Selbständigkeit und Aufopferung des Mädchens nicht genug bewundern.

»Hančička,« sagte er, »dös kann i dir niemals vergelten.«

»Du hast schon vergolten – gestern,« meinte sie.

Dann ließ sie ihn wieder allein.

Langsam strichen ihm die Stunden dahin. Endlich war die Sonne untergegangen, und das Zwielicht des Sommerabends ging in das Helldunkel einer heiteren Nacht über. Franz hatte sich's einstweilen im Stuhle des Chodentyrannen Lammingen bequem gemacht und harrte der Stunde der Erlösung.

Durch das Dachfenster, dem er sein Gesicht zugewendet, schien das Licht des Vollmondes, das silbern auf seinem Gewande gleiste. Er begrüßte dieses freundliche Licht aus ganzer Seele, das ihm leuchten sollte auf seiner Flucht über das von ihm bis jetzt nur spärlich begangene Gebirge des Czerkow.

Da hörte er Schritte die Treppe herauf; die Bodenthüre öffnete sich. Es war aber nicht Hančička, die eintrat, sondern eine lange Gestalt in weißem Gewande, die sich gemessenen Schrittes näherte.

Jetzt tauchte die Erinnerung an den Spuk im Schlosse im Gehirne des jungen Mannes auf, und so unerschrocken er auch sonst war, so fühlte er doch ein gewisses Gruseln, das sich mit jedem Schritte des Herannahenden steigerte. Und als dieser ihn fast zu überschreiten Miene machte, rief er unwillkürlich: »Halt!«

Der Ankommende prallte auf dieses »Halt« ein paar Schritte zurück.

86 »Alle guten Geister!« stotterte er mit zitternder Stimme – »Lammingen! Lammingen!«

Franz war aufgesprungen. Im gleichen Augenblicke hatte sich der alte Jirka, denn dieser war es, auf die Kniee geworfen, den Kopf bis zur Erde geneigt und böhmische Beschwörungsformeln gelallt. Ueber ihn hinweg erblickte aber jetzt Franz das Chodenmädchen in der offenen Thüre.

Sofort eilte er hinzu und folgte ihr schweigend die Treppe hinab. Unten angekommen, reichte sie ihm den Hut und einen festen Stock.

»Hat dich der alte Jirka gesehen?« fragte sie leise.

»Wir haben uns alle zwoa für G'spenster g'halten,« sagte Franz lächelnd.

Jirka war vor dem Mädchen die Treppe hinaufgestiegen, um seine Heilkräuter beim Mondenscheine umzuwenden, und Hančička fürchtete schon, Franz möchte verraten werden. Aber die Furcht des Alten begünstigte die Flucht.

Hančička führte Franz eilends zur Thüre und gab ihm die Richtung gegen Hochofen an, die er zu nehmen hätte. Sie sprach hastig, aber doch klar und verständlich, dann schob sie ihn zur Thüre hinaus.

»Hančička, du bist mein guter Engel!« sagte er.

»Bst!« machte das Mädchen. »Ich höre den Jirka die Treppe herabstolpern – fort – Gott b'hüt dich!«

Franz entfernte sich mit einem letzten Dankesblicke.

Hančička lauschte noch eine Weile. Einige Haushunde gaben im Dorfe Laut, sie mochten wohl den nächtlichen Wanderer gehört haben; bald aber war wieder vollständige Ruhe.

Sie schlich nun beruhigt über das Ergebnis in ihr 87 Haus zurück. Die Mutter wachte beim Vater; man hatte sie nicht vermißt. Rasch entkleidete sie sich und begab sich zu Bette. Sie dankte dem Himmel für den ihr verliehenen Schutz, der ihr gestattete, den schuldlosen Freund zu befreien.

Jirka aber wußte kaum, wie er die Treppe herabgekommen. Daß der Geist Lammingens im Stuhle gesessen und auf seine Beschwörung hin verschwunden sei, darauf schwor er einen »kaiserlich königlichen Eid!« und er wurde später nicht müde, von der gräßlichen Erscheinung und seinem Heldenmute zu erzählen. Seine Kräuter aber setzte er von nun an nicht mehr auf dem Schloßboden dem Mondlichte aus, er suchte dafür einen andern Platz, wo er vor bösen »Weitzen« sicher war. 88


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