Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXI.

Der nächtliche Reisende dachte in jener Stunde selbstverständlich auch an nichts anderes, als an Hančička. Daß sie mit ihrer Mutter nicht Verabredung gemäß in Jirkas Wohnung gekommen, beunruhigte ihn zwar anfangs; indessen ließ sich das durch die vorgerückte Stunde entschuldigen, da ja die Choden ihre strengen Grundsätze haben und jeden Anlaß zu müßigem Gerede vermeiden. Aber einige Worte waren es, welche Aloys gesprochen, als er dem Jirka den Bschoad durchs Fenster reichte, die ihm zu denken gaben.

»Jirka,« hatte jener gesagt, »da schickt Enk der Herr und d' Frau ebb's z'essen. Sie lassen Enk an' guaten Appetit wünschen. Andere, die nix kriegen, könna si's Maul abwischen.«

Wen meinte er unter diesen »andern«? Sich selber oder –?

Der alte Jirka hatte mit einem »Vergelts Gott« die Sachen in Empfang genommen und Aloys hatte sich vergebens bemüht, in der dunklen Stube etwas von Franz zu erspähen. Er wußte wohl, daß derselbe sich irgendwo verborgen halten und jedes Wort hören müsse, aber er wagte es doch nicht, die Botschaft des Schloßbauern auszurichten. Er kannte sowohl Franzens Kraft, als dessen Mißtrauen gegen ihn und war sich wohl bewußt, daß er 193 bei einem etwaigen Zusammenstoß den Kürzeren ziehen würde. Außerdem war es die Schuld, die ihn drückte, denn er mußte sich sagen, daß es ein erbärmliches Werk gewesen, Feindschaft zwischen den beiden Bauern zu stiften und Franzens Vater, der gegen ihn stets so wohlgesinnt gewesen, so großen Schaden zuzufügen. Mit einem Worte, er war noch nicht ganz so verdorben, um zu der Schuld auch die Frechheit des Spitzbuben zu gesellen.

Franz hatte nicht lange Zeit gehabt, über die Worte des Burschen nachzugrübeln, obwohl es ihm in allen Gliedern gezuckt, den Frechen zu züchtigen. Aber er war seiner Sache ja nicht gewiß und durfte sich durch eine Rauferei nicht bemerkbar machen.

Jirka zündete, nachdem Aloys fort war, das vorher verlöschte Licht wieder an und setzte seine Kauwerkzeuge in Bewegung. Von jetzt ab war er für die Welt verloren. Für das Gefühl der Liebenden hatte er ohnedies nicht das geringste Interesse mehr. Nur als ihm Franz einen Thaler auf den Tisch gelegt, fielen ihm Messer und Gabel aus der Hand und er starrte mit großen Augen bald nach dem Geldstück, bald nach dem Geber.

»Das ist keine königlich kaiserliche Münze,« sagte er, »aber ich liebe auch Silber von Němec (Deutsche) und die gehören mein selbst?«

Franz bejahte es und trug dann dem Alten auf, der Tochter des Chodenbauers auf heimliche Weise seine in einem Kouvert verschlossene Photographie zuzustellen, welcher ein Zettel beilag mit den Worten: »Halt aus! halt aus! Bald komm ich am lichten Tag und hol dich heim als Regentin auf mein Hof!«

Dann verabschiedete er sich von dem alten Choden 194 und begab sich ins obere Wirtshaus, wo ihn der Quistorenhansl erwartete. Dieser hatte sich infolge einer Schwätzerei mit Soukup entzweit.

Es war wieder Aloys gewesen, welcher allein die Gunst des Schloßbauers besitzen wollte und die Schläge nicht vergessen konnte, welche er seinerzeit vom Quistorenhansl zu Milawec empfangen. Durch seine wohlberechnete Ohrenbläserei hatte er es auch wirklich dahin gebracht, daß Soukup auf Hansl mißtrauisch wurde, obwohl der Chode dem Bauern seit Jahren in der uneigennützigsten Weise zu Diensten stand. Und mit dem Schwinden des Vertrauens hörte auch die Freundschaft auf. So ein feiges Unterminieren vermag Berge der Freundschaft und Dankbarkeit umzustürzen, seinem geheimnisvollen Wirken im Finstern gelingt es, den ehrlichen Namen des Unbescholtensten zu verdächtigen und sich dem Verleumdeten gegenüber selbst in ein erborgtes, schönes Licht zu stellen.

Der Quistorenhansl ahnte wohl, daß Aloys es gewesen, welcher sein gutes Verhältnis zu dem Schloßbauer gestört hatte, er wußte indessen nichts Gewisses und hielt die Zeit der Abrechnung noch nicht für gekommen. Als ihm aber Franz jetzt von seiner Vermutung sprach, daß Aloys von seiner Anwesenheit Wind bekommen und ein Zusammentreffen mit Hančička absichtlich vereitelt habe, da stimmte ihm Hansl sofort bei und bestärkte ihn nur noch mehr in seiner Meinung.

Franz mußte aufbrechen, um den Nachtzug nicht zu versäumen, aber er nahm vorher dem Quistorenhansl noch das Versprechen ab, über seine Angelegenheit zu wachen und ihm von Zeit zu Zeit Nachricht zukommen zu lassen, da er sich, wie er wohl einsah, auf seinen Vater ja doch 195 nicht verlassen konnte. So fuhr er denn, wenn auch zum Teil ein wenig mißmutig, im ganzen doch nicht unbefriedigt von dannen. Hatte er ja doch die Geliebte in seinem Arm gehalten, sich an ihrem Anblicke erfreut und die Gewißheit mitgenommen, daß sie ihm unentwegt treu geblieben und treu bleiben werde auf immerdar. Ihr Bild war es, das ihm während der Fahrt vor Augen schwebte und das ihn nicht mehr verließ, bis er wieder in seiner Garnison angekommen. –

Andern Tags schon in aller Frühe fand sich Soukup in Jirkas Stube ein und befahl ihm, zu erzählen, was er von des Waldbauern Sohn wisse. Der Ahnungslose zeigte ihm vor allem den deutschen Thaler, dann übergab er ihm Franzens Brief und Photographie mit der Bitte, beides Hančička zuzustellen, aber nur »verstohlens« dürfte es geschehen, das habe ihm der Bayernfranz streng aufgetragen.

Der Chodenbauer mußte unwillkürlich lächeln, als er dem Alten versprach, den Auftrag auszurichten. Dieser wußte ja nicht, daß das gute Einvernehmen zwischen den beiden Familien gestört sei und wünschte dem Bauern alles Glück zu einem so hübschen Brautpaare. Soukup aber fand sich nicht bemüßigt, den Alten aufzuklären.

Kaum hatte der Schloßbauer den alten Jirka verlassen, kam Hančička zu demselben, um sich nach Franz zu erkundigen. Der Bescheid, den sie hier erhielt, machte ihr großen Aerger, aber es reifte sofort der Entschluß in ihr, das, was ihr gehörte, von ihrem Vater zurückzufordern. Deshalb suchte sie ihn auf und bat ihn höflich, aber bestimmt um Franzens Brief.

Die hoch aufgerichtet vor ihm stehende Tochter mit 196 dem entschiedenen Ausdruck im Gesicht flößte selbst dem etwas rauhen Bauern eine Art von Respekt ein.

»Zu was soll's gut sein?« fragte er. »Du hast es nicht nötig, verstohlens in der Nacht mit einem Burschen zusammenkommen. Wenn der si nicht am Tag zu dir traut, so is er nichts nutz. Dem Herrn Verwalter is's noch nie eing'fallen, zur Nachtzeit zu kommen, und du, Hančička, wie du so vor mir stehst, siehst nicht aus, als ob 's d' für ein Bauernhaus passest.«

»Vater, ich paß nur für 'n Franzl; ob er jetzt Bauer, oder Baron, oder Verwalter, das ist mir gleich.«

»Wenn i's aber nicht erlaub?«

»Dann geschieht's ohne deine Erlaubnis.«

»Dann enterb i di!« schrie der Bauer erregt.

»Das kannst du, Vater,« entgegnete Hančička. »Ich verzichte auf dein Hab und Gut; Franzl nimmt mich auch so. Aber besser ist's,« meinte sie einlenkend, »du söhnst dich mit seinem Vater aus. Er wird heut kommen –.«

»Mit dem Grobian?« unterbrach sie der Chodenbauer. »Das g'schieht nicht!«

»Du bist auch nicht fein,« bemerkte Hančička.

»Er hat mi in d' Straf bracht.«

»Es geschah nicht mit Absicht. Der Waldbauer ist seelengut –.«

»Ein gscheerter Bauer is's,« rief der Vater.

»Laß gut sein, Vater,« wehrte Hančička. »Jetzt gieb mir das, was mir gehört, den Brief von Franz, sonst klag ich dich auch, weil du zurückbehältst mein rechtmäßiges Gut.«

»Das wird ja immer schöner!« rief der Bauer, aufs 197 höchste erstaunt. »I will mi nöt ärgern heut, am Aschermittwoch,« fuhr er fort, »wo i gleich in der Kirchen d' Aschen aufs Hirn g'streut krieg.«

Hančička lächelte.

»Wir sind alle nichts als Asche,« philosophierte sie, »über kurz oder lang, nichts als Asche. Aber bis ich das werde, will ich leben glücklich mit Franzl, und will beten zum Himmel, daß er meine lieben Eltern leben lasse, recht lang und in Zufriedenheit. Gelt Vater, das ist vernünftig? Und jetzt gieb mir meinen Brief.«

Sie hatte während dieser Rede ihren Arm um den Nacken des Vaters geschlungen und ihm, ohne daß es dieser wehrte, das Kouvert aus der Seitentasche seines Jankers gezogen.

»So, jetzt kannst du gehen, dich einäschern lassen,« sagte sie schmeichelnd. Sie wollte allein sein.

Der Schloßbauer aber, der etwas weich geworden, wollte sich's nicht anmerken lassen, deshalb entgegnete er:

»Wenn d' nöt mein einzigs Kind wärst, so – so –«

»So hätt' ich noch Brüder und Schwestern,« lachte Hančička. »Aber es ist auch so recht. Und dein einzig's Kind wird dem Franzl sein Weib. Aber geh jetzt, laß mich allein.«

»Kommandier halt rechtsum und linksum, wie dein bayerischer Dragoner.«

»Da wird kommandiert: Trab marsch!« sagte das Mädchen lachend.

»Natürlich, laufen werd i auch noch, daß d' das dumme Bildl sehn kannst. – Ja, wer kommt denn da ang'fahr'n?« rief er, aufs neue erstaunt. »Der Waldhofbauer? Da soll ja doch gleich 's Donnerwetter –«

198 »Nichts Donnerwetter!« unterbrach ihn Hančička schnell. »Du gehst jetzt mit Franzls Vater in die Kirch, da laßt ihr euch alle zwei Asche aufstreu'n aufs Haupt.«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zur Thüre hinaus und begrüßte den Ankommenden, bei dem die Mutter bereits stand. Die beiden Frauen führten sodann den Ankömmling in die warme Stube, während ein Knecht das Fuhrwerk versorgte.

»I woaß nöt, wie mir g'schieht,« bekannte der Waldhofbauer nach der ersten Begrüßung. »Der Franzl hat mi herkummandiert, und da bin i.«

»Ihr sollt geben meinem Vater die Hand zur Versöhnung,« sagte Hančička, und als sie bemerkte, wie der Vater vor dem Spiegel stand, um sein Halstuch zu ordnen, fuhr sie fort: »Seht, er putzt sich schon zusammen, damit er Euch gefällt.«

Jetzt wendete sich der Chodenbauer um und fragte:

»Was hat dei' Sohn kommandiert?«

»Trab marsch nach Chodenschloß! hat er g'sagt, wie's bei die Reiter hoaßt. Just hab i'n um Mitternacht no' auf an' Augenblick in Furth gsehgn. Und so bin i halt in aller Früah in Trab hergfahrn, und da bin i jetzt.«

»Das sieht ja aus, als wenn unsere Kinder die Herren wären,« entgegnete Soukup, sich zu einer strengen Miene zwingend.

»Sie sans aa!« antwortete der Waldhofbauer. »I gieb mein' Franzl über, sobald er zruckkimmt vom Militari. Der Vetter im Künischen drent hat eam aa sei' ganz's Hab und Guat verschrieben, da feit si nix. Und was wir zwoa mit ananda g'habt ham, geht d' Kinder nix an. Die san mit anander einverstanden, da nutzt nix mehr, 199 als ja und Amen sagen. Schnupf ma amal, damit die Sach richti is und bleibt.«

Der Schloßbauer sah den Sprechenden jetzt freundlich an.

»Aber a Grobian bleibst doch!« behauptete er. »Meinthalben, wenn's durchaus nimmer anders geht, so – da hast mei' Hand!«

Jetzt erklang die Glocke, welche zum Gottesdienst einlud.

»Gehn wir einaschern,« versetzte der Schloßbauer.

»Einverstanden!« erklärte der andere. »Aber z'erst gebt's mir a Glasl Bittern, wenn i bitten därft; die Fahrt war sakrisch kalt.«

Hančička brachte sofort das Gewünschte zur Stelle.

»Und nach der Kirch giebt's schon ein Frühstück, wenn auch ein Fasttag ist,« versprach Frau Soukup.

»Da bin i schon dabei,« entgegnete der Waldhofbauer. »Gehn ma, daß wir bald wieder zruck san.«

Und ausgesöhnt schritten die Männer zum Gotteshause, die Mutter und Hančička folgten. Mitten auf dem Wege aber blieb der Schloßbauer stehen und lachte laut auf, indem er sagte:

»Das is was Neues: Trab marsch!«

»Ja, dös is die neu Zeit,« meinte der Waldhofbauer. »Gschwind muaß 's gehn, wenn a Sach richti wern soll, und um dös gehn ma unsern Herrgott beten.«

Der Kirchengang schien gesegnet gewesen zu sein, denn alle waren den Tag über in heiterster Stimmung und als der Waldbauer gegen Abend wieder heimfuhr, verabschiedete sich Soukup in der freundlichsten Weise von dem künftigen Schwiegervater seiner nunmehr wieder glücklichen Hančička. 200


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