Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXII.

Nur einer im Hause sah mit großem Verdrusse, daß sein böses Werk nicht von dauerndem Bestande war. Aloys kam allmählich zu der Einsicht, daß er einem unerreichbaren Ziele zustrebe. Es war nicht das Vermögen Hančičkas allein, das ihn anzog, von dem er geträumt, daß es mit der Zeit sein Eigentum würde und das er nunmehr für verloren geben mußte, – es war Hančička selbst, die er sich einredete, mit aller Gewalt zu lieben, so hoffnungslos ihm eine solche Liebe auch selbst erschien. Er konnte es immer noch nicht vergessen, daß er der Erbe eines nicht unbedeutenden Bauerngutes gewesen wäre, wenn sein Vater nicht durch eigene und fremde Schuld den Ruin der Familie herbeigeführt hätte. Er hielt sich zu etwas Besserem geboren, als sein Lebtag einen Knecht zu machen, und da er mit aller Gewalt die ihn beengenden Fesseln lösen wollte, verabscheute er zur Erreichung seines Zweckes auch nicht den Gebrauch von schlechten Mitteln, wenn sie ihm nur einigermaßen von irgend einem Erfolge schienen.

Sein Verhältnis zum Schloßbauer war stets das beste, auch Frau Soukup und Hančička sahen in ihm einen redlichen, aufopferungsfähigen Burschen und konnten ihn wohl leiden, obwohl das Mädchen wußte, daß Franz ihm nicht günstig gesinnt sei. Es war ein eigentümliches Geschick, das die Stellung des Burschen im Chodenschlosse immer noch mehr befestigte. Dazu gab das große 201 Erinnerungsfest an die siegreiche Schlacht im Passe bei Neumarkt (22. und 23. August 1040), welche den Ruhm der Choden begründete, neue Gelegenheit. Dasselbe wurde bei der St. Wenzelskapelle bei Fürthel eingeleitet.

Von jeher verehrten die Böhmen den heiligen Wenzel (gest. 28. September 935) als ihren Schutzheiligen und vorzüglichsten Fürsprecher im Himmel, zu dem sie sich in ihren Anliegen mit besonderem Vertrauen flüchteten und den sie auf ihren Kriegsfahnen abgebildet hatten. Ihn riefen sie auch singend um Beistand an vor der großen Schlacht und schrieben der Fürbitte dieses Heiligen den Sieg zu. Die böhmischen Krieger pflegten damals die Schlacht mit andächtigen Liedern zu eröffnen, und mit gehobener Stimme im Chore zu singen: »Kdož jste boží bojovnici = die ihr da seid Gottes Krieger.«

Herzog Břetislaw I. von Böhmen wurde vom deutschen König Heinrich III., weil er sich weigerte, die besetzten polnischen Länder und die daraus weggeführten Schätze zurückzugeben, bekriegt, und ward die Gegend um Neumark der Schauplatz eines furchtbaren Kampfes. Am 15. August 1040 stand das deutsche Heer an Böhmens Grenze. Das eine, stärkere, unter Heinrichs eigenem Befehl, sollte von Cham her über Furth und Eschlkam durch den Böhmerwald eindringen, das andere von der Burg Dohna über das Erzgebirge hereinbrechen.

Břetislaw teilte daher ebenfalls seine Macht. Mit dem einen Teil zog er dem König Heinrich in den Böhmerwald entgegen. Bei Heinrich befand sich die Blüte des deutschen Adels, auch Markgraf Otto von Schweinfurt, der Bruder der schönen Jutta, der Gemahlin Břetislaws.

Břetislaw hatte die Vorteile der natürlichen Lage 202 Böhmens wohl benutzt, durch die Choden Verhaue an den Pässen angelegt und ihnen gegenüber Verschanzungen errichtet, in welche er einen Teil seiner Kriegsvölker legte, während die anderen als Hinterhalt in den Wäldern lagen.

Das deutsche Heer rückte am Chambbach über Furth, Eschlkam und Neumark gegen Neugedein vor. Am 22. August stürmte Heinrichs Bannerträger, Graf Wernher, ebenso ungestüm als voreilig die Verschanzungen der Böhmen, aber er sank, von einem Pfeilregen empfangen und vom Hinterhalte gedrängt, samt dem Grafen Reinhard und den Seinigen, und das königliche Banner wurde eine Beute der Sieger. Und als am 23. August Markgraf Otto vor jene Verschanzungen drang, wurde auch er geschlagen und ließ die Grafen Gebhard, Wolfram und Dietmar nebst vielen Edlen tot auf dem Schlachtfelde. Die Niederlage des deutschen Heeres wurde nun vollständig, nur wenige fanden ihr Heil in der Flucht, zu welcher ihnen der heilige GüntherDer heilige Günther war ein thüringischer Landgraf, und soll mit dem Ungarnkönig, Stefan dem Heiligen, nach anderen aber mit dem deutschen Kaiser Heinrich blutsverwandt gewesen sein. Er trat in schon vorgeschrittenem Alter als Novize in das Benediktinerstift Niederaltaich bei Deggendorf, verließ es aber mit einigen gleichgesinnten Ordensbrüdern nach einiger Zeit wieder, um sich in die Wildnis des Nordwaldes zurückzuziehen. Am Flüßchen Rinchnach schenkte ihm Kaiser Heinrich den umliegenden Forst, den er mit seinen Genossen auszuroden begann, wo er dann im Jahre 1012 ein Kirchlein und einige Zellen erbaute und so zu dem späteren Kloster Rinchnach den Grund legte. Als die Gegend durch den Fleiß der Mönche wirtlicher geworden war und sich einiger Verkehr entwickelte, flüchtete sich Günther, nachdem er beim Kaiser für den Fortbestand des Klosters gewirkt, abermals in die Wildnis und lebte dort auf einem Felsen, aus dem ein Brünnlein entsprang, nunmehr St. Günthersfelsen genannt. Von hier aus leistete er zweimal dem deutschen Kaiser Heinrich sehr ersprießliche Dienste und zwar am 23. August 1040, wo er den Rest des aufs Haupt geschlagenen deutschen Heeres vom Schlachtfelde bei Neumark weg den Ausweg durch den Eisensteiner Engpaß zeigte, und am 15. August des nächstfolgenden Jahres 1041, als er die Deutschen durch denselben Paß auf geheimen Wegen nach Böhmen führte, so daß Heinrichs Heer auf diese Art die Böhmen umgehen und zum Rückzug zwingen konnte, worauf am 8. September der Friede zwischen den beiden Herrschern zu stande kam, der durch die schöne Jutta, Bretislaws Gemahlin und Schwester des Markgrafen Otto von Schweinfurt vermittelt wurde.

Es dürfte von Interesse sein, zu erfahren, wie durch die List Juttas die beiden mächtigen Fürsten in ihrem Handeln gelenkt wurden. Kaiser Heinrich hatte nämlich nach seiner ersten Niederlage geschworen, nicht eher zu ruhen, bis er mitten im Böhmerlande sich auf freiem Felde niedersetzen und behaglich ausruhen könne. Bretislaw dagegen gelobte, an den Deutschen Rache zu nehmen und im feindlichen Lande sengen und brennen zu lassen, daß die Flammen der brennenden Häuser die Nacht in Tag verwandeln und er sich an diesem Anblick weiden könne. Die beiden Schwüre mußten dem Wortlaute nach gehalten werden, und Jutta sorgte dafür, daß dies geschehen konnte. Sie veranlaßte, daß Heinrich vor Prag kam, ließ einen bequemen Stuhl aufs freie Feld hinausbringen und den Gast bitten, darin Platz zu nehmen. Bretislaw aber mußte die Landesgrenze überschreiten, wo auf deutschem Boden ein paar elende Hütten angekauft und angezündet wurden, so daß die Nacht weithin erhellt ward und der Böhmerherzog sich an dem grellen Flammenschein ergötzen konnte. So fühlten sich die beiden nun befreundeten Herrscher in ihrem Gewissen beruhigt, und der Himmel hatte gegen diese lustige und harmlose Lösung ihres Eides gewiß auch nichts einzuwenden.

den Ausweg zeigte. Die Böhmen 203 aber erbauten an der Stelle, wo sie den großen Sieg erfochten, zu Ehren ihres Landespatrons, des heiligen 2041 Wenzeslaus, eine Kapelle bei Fürthel, unsern Neumark, inmitten von Zdemil,Zdemil kommt von Zde milo – hier lieb, d. h. hier liebte – erbarmte sich – erhörte Gott auf die kräftige Fürbitte seines heiligen Wenzeslaus, böhmischen Herzogs und Landespatrons, das heiße Gebet Bretislaws und seiner tapferen Krieger, indem er ihnen einen vollkommenen Sieg verlieh. wie die allererste und ursprünglichste Benennung dieses denkwürdigen Schlachtfeldes war. –

Am Jahrestage dieses Sieges, zu welchem die Choden sehr viel beigetragen und der ihnen die seinerzeitigen großen Privilegien eintrug, besuchten diese mit Vorliebe das berühmte Schlachtfeld und die St. Wenzelskapelle und zwar mit all dem Prunke, den sie in Erinnerung an ihre stolze Vergangenheit noch jetzt bei Festen beibehalten. Mit dieser politischen Wallfahrt verbinden sie dann eine Art Nationalfest auf der etwa eine Stunde von Viertl entfernten Bergruine »Riesenberg«.

So kamen sie auch heute in den Vormittagsstunden in geschmückten Wägen mit reichgeschirrten Pferden, begleitet von Vor- und Nachreitern, gegen Fürthel. Alle vierzehn Chodendörfer waren vertreten und jedes einzelne zeichnete sich durch die Pracht der Nationaltracht aus. Die Choden von Aujezdl, der Heimat Kozinas, brachten die Chodenfahne mit dem Hundskopfe mit, welche ein Reiter den Fahrenden vorantrug. Der Schloßbauer von Chodenschloß kam auf einem Vierspänner heran, der von Aloys, zu Pferd sitzend, gelenkt wurde. Hančička mit Vater und Mutter befanden sich im Wagen. Die Männer trugen 205 Eichenzweige aus den Hüten und Kappen, die Frauen und Mädchen Blumensträuße an der Brust. Es war ein farbenprächtiges Bild, das sich dem Beschauer von allen Seiten darbot.

In der Nähe der Wenzelkapelle hielten die Wagen; die Insassen entstiegen denselben und begaben sich zu dem alsbald beginnenden Dankgottesdienste. Das kleine Kirchlein konnte die Andächtigen selbstverständlich nicht alle fassen, und so hielten sich die meisten Choden vor der Kapelle auf.

Es war ein wundervoller Sommertag. Die gründunklen Berge des Böhmerwaldes tönten sich klar vom blauen Himmel ab und schienen alle hin zu blicken zu dem sich so treu gebliebenen Chodenvölkchen, dessen schöne, heilige Lieder weithin in feierlicher Weise erklangen.

Nach dem Gottesdienste setzte sich ein nunmehr geordneter Zug gegen Neugedein und den Riesenberg in Bewegung. Zwischen den Wagen verteilten sich die Reiter, und allen voran fuhr auf einem geschmückten Leiterwagen die Musikbande, welche meist nationale Weisen zum Vortrage brachte.

Der Zug bewegte sich durch das an der Wasserscheide der Nordsee und des schwarzen Meeres gelegene Terrain, allwo der Sage nach die letzte Schlacht geschlagen wird. Dieser Sage nach wird das Bayerland verheert und verzehrt und der Böhmerwald mit dem Besen ausgekehrt.Nach anderen soll es die Neuerntrad sein, welche sich auf dem Wege nach Neuern befindet. Dann ging es dem nördlich von Neugedein sich erhebenden Riesenberge zu, dessen majestätische Burgruine aus frischem Waldesgrün freundlich den Ankommenden entgegengrüßte. 206 Eine gute Straße ermöglicht es, bis zu der Höhe hinanzufahren, wo in den großartigen Ruinen für Unterkunft und Bewirtung der Gäste gesorgt war.

Die Veste Riesenberg war einstens eine Grenzhut, welche die so häufig bedrohte Umgegend beschirmte. In den Hussitenkriegen spielte Riesenberg eine bedeutende Rolle. Auf dem Schlachtfelde bei Riesenberg siegte 1431 der Hussitenführer Prokop der Große gegen die deutschen Kreuzfahrer, worauf die Hussiten das Bayernland verwüsteten, bis sie von dem heldenmütigen Pfalzgrafen Johann mit Hilfe der oberpfälzischen Bauern und der tapfern Bürger von Cham bei Hiltersried aufs Haupt geschlagen wurden (1433). Auch später, unter Böhmens König Georg von Poděbrad waren Riesenberg und der nachbarliche Herrnstein Zeuge öfterer Kämpfe, bis beide von den Schweden überwältigt und zerstört wurden.

Riesenberg war zu jener Zeit Eigentum der Freiherren von Lammingen, deren Erbe der bekannte Maximilian von Lammingen, der Zwingherr der Choden, geworden. Dieser erbaute nach der Zerstörung von Riesenberg um das Jahr 1670 im Dorfe Trhanow sein neues Schloß, das jetzige Chodenschloß.Das alte Chodenschloß in Taus überließ er der Tauser Gemeinde, wofür er von ihr den Babyloner Teich bekam. Mit diesem kam später auch Riesenberg und Kauth an die Reichsgrafen von Stadion, in deren Besitz es noch heute ist.

Auf den Trümmern der Burg ihres einstigen Tyrannen tummelten sich jetzt die Abkömmlinge jener Vorfahren, welche durch ihre Klugheit und Tapferkeit ihrem Herzoge Břetislaw zum Siege verhalfen und von ihm zum Danke zu freien Bauern erhoben wurden. Jener goldenen Tage 207 gedachten sie heute in Wort und Lied. Besonders aber war es das Andenken an Kozina, welches die dankbaren Enkel begeistert feierten. Der grüne Plan innerhalb der Ruine ward alsbald von der Jugend zum Tanzplatze ausersehen, und in fröhlichster Weise verflossen dem treuen Völkchen die Stunden.

Auch Hančička war heute recht fröhlich gestimmt. Sie hatte von Franz die erfreuliche Nachricht erhalten, daß er sofort nach den Herbstmanövern ständig beurlaubt werde, und dann ihrer Verbindung nichts mehr im Wege stände. So waren allerdings ihre Gedanken mehr bei dem fernen Freunde, als bei ihren Landsleuten, und um sich diesen glücklichen Gedanken ganz ungestört hingeben zu können, 208 bestieg sie den Wall, von dem sich eine unermeßliche Aussicht nach allen Richtungen hin dem entzückten Auge eröffnet.Vom Gipfel des Riesenberges übersieht man das ganze Angelthal bis zur Seewand am Osserberge, überhaupt das ganze Böhmerwaldgebirge und den böhmischen oder Oberpfälzerwald bis hinauf zum Dillenberge und zu den Höhenzügen bei Königswart. Hier öffnet sich auch dem Auge am vollständigsten jene bedeutende Gebirgslücke, welche den Paß von Taus und Neumark bildet, und man überzeugt sich deutlich, wie so diese Gegend militärische Wichtigkeit erlangen mußte. Schon von alter Zeit her war Böhmen im Westen gegen feindliche Einfälle durch sein waldreiches Gebirge geschützt, durch das nur wenige Pässe führten, die erst in neuerer Zeit fahrbar gemacht wurden. Hier jedoch eröffnet sich zwischen dem Czerkow und Ossergebirge, hinter welchem Berge der »hohe Bogen« in Bayern emporsteigt, ein großes, drei Meilen weites Thor, hinlänglich geeignet, daß große Heeresmassen durchziehen können. Und in der That war dieses Thor zwischen Taus und Neuern, wie schon im Kontexte erwähnt, ein oftmals mit Blut getränktes Schlachtfeld. Auf diesem ältesten Verkehrswege wanderten schon die Bojer und Markomannen. In geringer Entfernung erblickt man die uralte Stadt Taus, die ehemalige Wogatisburg, in deren Nähe im Jahre 630 König Samo, der Gründer des Slavenreiches, über die vom Rhein her nach dem Böhmerwalde feindlich vorgedrungenen Franken unter dem Merovinger Dagobert siegte. In den Jahren 805 und 806 rückte durch diesen Paß der fränkische, sächsische und bayerische Heerbann in Böhmen ein und machte die slavischen Herzoge tributpflichtig. Im Jahre 872 war es ein aus Franken bestehendes Heer unter der Führung des Erzbischofs Liutbert von Mainz, das die böhmischen Herzoge an der Moldau in die Flucht schlug. 976 kam Kaiser Otto II. mit seinem Heer durch diesen Paß nach Böhmen gezogen, um erst auf der Pilsener Ebene durch Boleslaw den Frommen eine blutige Niederlage zu erleiden. 1040 fand hier, wie schon oben beschrieben, die Schlacht zwischen König Heinrich III. und Herzog Bretislaw I. von Böhmen statt. Von 1074–1105 schlug hier Graf Aswin von Bogen die Böhmen in drei Feldschlachten und erwarb sich dadurch den Titel »Der Schrecken der Böhmen«. 1347 fand in der Nähe von Furth ein Treffen zwischen Bayern und Böhmen statt, in welchem Peter von Egg der Junge feldflüchtig wurde und dafür mit dem Leben büßte. Dann wüteten die Hussiten und die Schweden hier. Im spanischen und österreichischen Erbfolgekriege diente dieser Paß gleichfalls zu feindlichen Einfällen ins Bayernland und nach der für Oesterreich unglücklichen Schlacht bei Eggmühl 1809 zog sich Erzherzog Karl mit der ganzen österreichischen Armee über Furth und Eschlkam nach Böhmen zurück. (Siehe J. Wenzig und J. Krejcis Böhmerwald; Führer durch den Böhmerwald, vom Deutschen Böhmerwaldbund; Adalbert Müllers bayerischer Wald.)

Wie Böhmen seiner Zeit seine Grenzen durch die Festungen Taus, Riesenberg und Herrnstein, sowie durch die Choden und künischen Freibauern schützte, so that dies Bayern durch die befestigten Orte Furth, Eschlkam und Neukirchen (sämtliche Vesten hüben und drüben wurden durch die Schweden zerstört), durch stundenlange Verschanzungen auf der sogenannten Kampfhaide (von Schachten bis Rittsteig), und die lebendige Wehr, die Grenzwache in Furth. Zu dieser Grenzfahne von Furth, die täglich zum Kampf geschickt werden konnte, gehörten nebst den Bürgern von Furth auch die der Märkte Eschlkam und Neukirchen, dann die am Fuße des Hohenbogen wohnenden Seligmacher Bauern, so genannt, weil sie von Ludmilla von Bogen durch Erbschaft an das Kloster Seligenthal in Landshut kamen. Die Grenzfahne zählte im 16. Jahrhundert 550 Mann zu Fuß und 50 Reiter, welche der Pfleger von Furth als »Grenzhauptmann« befehligte. Die aus jener Zeit des Grenzdienstes herrührende Fahne ist im Armeemuseum zu München aufbewahrt. Es dürfte wohl selten eine Gegend mit solch großartiger geschichtlicher Vergangenheit zu finden sein, wie dies im Passe von Neumark und Taus der Fall.

Doch auch hier sollte sie nicht allein sein. Aloys lag, an ein Felsenstück gelehnt, an eben jenem Platze und blickte sinnend hinaus ins Bayernland. Sein Auge war gegen Eschlkam zu gerichtet, dessen hoch gelegene Kirche den Mittelpunkt dieser prächtigen Landschaft bildet. Er hatte in Fürthel während des Gottesdienstes von einem Kameraden erfahren, daß seine Mutter aus dem Irrenhause als 209 geheilt entlassen sei und seit wenigen Tagen in Eschlkam bei einer mildthätigen Bürgersfrau Unterkunft gefunden habe, bis die Heimatsgemeinde, der sie ja jetzt zur Last falle, weitere Maßnahmen getroffen. Sonach ward sie als ein Bettelweib behandelt, die vormalige vermögliche Regentin eines der schönsten Bauernhöfe.

Der junge Bursche konnte von hier aus den ehemaligen, väterlichen Besitz überschauen; die Waldungen und Felder und selbst der schöne Bauernhof war deutlich erkennbar. Ueberkam ihn erst eine schmerzliche Rührung, die ihm die Thränen aus den Augen preßte, so machte sich 210 allmählich eine Bitterkeit über die Mißgunst seines Schicksals in seinem Herzen geltend, die sich bis zur Wut steigerte. Er sah seine kühnen Hoffnungen vernichtet. Weder seine guten Thaten, noch seine Schurkereien hatten ihn seinem erträumten Ziele näher gebracht. Hančička war, wie er sich vernünftiger Weise eingestehen mußte, für ihn verloren; – er war und blieb der Knecht im Hause Soukups. Es blieb ihm nicht erspart, mit anzusehen, daß das schöne Chodenmädchen das Weib des ihm verhaßten Erben des Waldhofbauers würde. Das konnte, das wollte er nicht; er mußte fort, fort aus der Nähe der Glücklichen, wenn er sich nicht von seinem rachsüchtigen Temperamente zu einer Unthat sollte hinreißen lassen.

Aber wohin? In der Heimat, wo seine Mutter im 211 Turnus von Hof zu Hof das Gnadenbrot erhielt, konnte er nicht bleiben. Kein Mensch würde ihn da achten. Der einzige Ausweg schien ihm die Auswanderung nach Amerika zu sein. Seine Ersparnisse reichten aus zur Ueberfahrt, und jenseits des Ozeans lächelte ihm vielleicht das Glück, das ihm in der Heimat gänzlich den Rücken gekehrt. Was mit seiner Mutter geschehen sollte, wollte er sich noch überlegen. Sie durfte nicht vom kargen Almosen der Gemeinde leben. Er entschloß sich, sie gleich morgen aufzusuchen und das Nötige, soweit es in seiner Macht stand, zu veranlassen.

In solchen Gedanken traf ihn Hančička.

Sobald er sie erblickte, sprang er vom Boden auf und grüßte die Ankommende. Seine Augen hingen leidenschaftlich an dem schönen Mädchen.

»Ach, wie ist es schön hier!« rief dieses, die großartige Rundschau bewundernd. »Wie ist so herrlich die Welt! Zeig mir, wo ist der Hof des Waldbauern. Kann man ihn sehen hier?«

»I glaub nöt,« entgegnete Aloys, ärgerlich über diese Frage. »Aber dort rechts vom Eschlkamer Turm liegt mei' Hof – i moan, der mir g'hört hätt'.«

»Armer Aloys!« sprach Hančička leise, des Burschen bitteres Gefühl wohl verstehend und würdigend.

Dieser blickte jetzt mit leuchtenden Augen nach der Tochter seines Herrn. Der warme Ton, in welchem sie die beiden Worte sprach, machte ihn verwirrt.

»I werd wohl arm sein, werd arm bleiben,« sagte er nach einer kleinen Pause. »I bin vom Schicksal b'stimmt, an' elender Mensch z' bleib'n, und über dös, was oan b'stimmt is, kann der Mensch nöt außi.«

212 »Glaub das nicht, Aloys,« sagte das Mädchen. »Kennst du nicht das Sprichwort, daß jeder ist der eigene Schmied seines Glücks –«

»Dös is grundfalsch!« unterbrach sie Aloys.

»Man muß nur nicht geben nach,« meinte Hančička. »Mit Ausdauer erreicht man alles.« Sie dachte dabei an ihr Liebesverhältnis zu Franz.

»Alles?« fragte Aloys zweifelhaft.

»Wenn man nicht ist zu unbescheiden,« versicherte sie. »Es ist schon oft genug, wenn man erreicht die Hälfte von dem, was man anstrebt. Deshalb mußt du haben Mut, und alles wird noch gut werden. Geh jetzt und sieh dich nach den Pferden um. Wir werden bald heimfahren.«

Der Bursche sah Hančička fragend an. Sie hatte mit so freundlicher Stimme zu ihm gesprochen. Sollte er aus ihrer Rede entnehmen können, daß er halb erreichen würde, was er – sollte sie ihn endlich nach Jahren verstanden haben?

»Was schaust du so?« fragte Hančička lächelnd. »Geh jetzt. Ich weiß, daß mein Vater dich sucht.«

Aloys ging. Das Mädchen hatte seiner vergessen, noch ehe er um die Ecke gebogen. Es blickte mit unnennbarer Sehnsucht hinaus über das weite, weite Land, dessen Herrlichkeit demjenigen doppelt verständnisvoll ist, dessen Herz warmes Gefühl durchströmt. Dieses läßt neben den herrlichen Empfindungen beim Anblicke einer großartigen oder anmutigen Landschaft auch die Erinnerung erstehen an die unserem Herzen Nahestehenden. Man wünscht sie zu sich, um mit ihnen das Entzücken, die Freude teilen zu können und teilt sie so zunächst geistig mit den Lieben in der Ferne.

213 Südwärts blickend, erkannte Hančička sofort den Turm der Klosterkirche von Neukirchen zum heiligen Blut, und sie konnte den Weg verfolgen, welchen damals der Wallfahrtszug der Choden eingeschlagen und von dem sie in so eigentümlicher Weise getrennt worden. Es war das der erste Schritt, mit dem sie in das ihr bestimmte Lebensschicksal eintrat. Die Richtung aufmerksam verfolgend, glaubte sie jetzt den Wald zu erkennen, in welchem sie eingeschlafen, und jetzt die Gebäulichkeiten des Waldbauernhofes selbst, welche künftig ihre Heimat werden sollten. Sie waren soeben von der Sonne hell beleuchtet und Hančička betrachtete dieses als ein glückverheißendes Zeichen.

Lange saß sie da auf dem Felsenblock und konnte ihre Augen nicht trennen von dem künftigen Heim.

Durch die Mutter ward sie in ihren Träumen gestört. Diese holte die Tochter zurück nach dem Festplatze, auf welchem soeben von den getreuen Choden dem Andenken Kozinas eine Huldigung dargebracht wurde, bei welcher die Nachkommen jenes gefeierten Märtyrers nicht fehlen durften. Ein alter, würdiger Chodenbauer hielt eine Ansprache, in welcher er jenes leuchtende Vorbild des Chodenvölkchens rühmte und den Vorschlag machte, demselben an seinem Geburtshause in Aujezd eine Gedenktafel zu errichten, was mit unbeschreiblichem Jubel begrüßt wurde. Rasch zogen dann die frohen Stunden auf der luftigen Bergeshöhe dahin, ohne jeden Mißton, in schönster Eintracht. Zum Schlusse stimmten die Choden noch ein Nationallied an und bestiegen dann in gehobener Stimmung die Wagen zur Heimfahrt. 214


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