Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Der Schrecken von Weib und Tochter über dieses unerwartete Ereignis und ihr Jammer waren rührend. Der Quistorenhansl half mit einigen herzugekommenen Männern dem Kranken aus dem Wagen, führte ihn in die Stube zu seinem Lager und richtete ihm im Vereine mit der Hausfrau alles nach Möglichkeit zurecht.

Dabei machte sich ein alter Chodenmann höchst wichtig, der von den übrigen gemeinhin der »Doktorjirka« (Doktor-Georg) genannt wurde. Er war Vorsinger und Meßner in der Dorfkirche, nebenbei aber eine Art Wunderdoktor, der sich auf das »Besprechen, Messen und Abwenden« bei allen Krankheiten verstand und von seinen zu den verschiedensten Stunden bei Tag und Nacht gesammelten Kräutern die wunderwirkendsten Kuren zu erzielen hoffte und teilweise auch erzielte.

Der Doktorjirka war von ungewöhnlicher Größe, dabei sehr hager, hatte scharf ausgeprägte Züge, ein vorstehendes, spitziges Kinn und trug stets eine Zwickbrille auf der gebogenen Nase. Die den Hinterkopf bedeckenden weißen Haare hingen ihm lang über den Nacken hinab. Zu Hause trug er einen alten Janker und eine schwarze Zipfelkappe, sonst aber stets den weißen, langen Chodenrock aus ungebleichter Leinwand. Er sprach sehr geziert, wodurch er jedenfalls weiser erscheinen wollte, als er in Wirklichkeit war.

32 »Wie's nur möglich ist – ein solcher Raubanfall in unserem kaiserlich königlichen Staate!« rief er auch jetzt aus. »Das muß gleich dem kaiserlich königlichen Kriminalgerichte in Taus gemeldet werden. Die Wunde ist lebensgefährlich! Ich halte es für nötig, daß dem Kranken sofort die kaiserlich königlichen Sterbsakramente verabreicht werden, und ich laufe zu Seiner Hochwürden. Nachher bestimme ich das weitere.«

»Schafft's lieber 'n kaiserlich königlichen Wein bei,« sagte der Quistorenhansl, den die gezierte Art des Alten belustigte; »das ist für's erste die Hauptsach, und, Frau Soukup, laßt's schnell einspannen und den richtigen Doktor von Taus holen, damit der die Wunden in Ordnung bringt.«

Beides wurde sofort besorgt. Hančička holte den Wein und die Mutter schickte einen Knecht mit dem Fuhrwerke nach Taus, um den Doktor zu holen. Der Doktorjirka jedoch ließ sich nicht so leichtweg abweisen, er fragte den Kranken, ob er damit auch einverstanden sei, daß man seine Hilfe so schnöde umgehe.

Soukup wollte den Alten nicht kränken und meinte: »Schaden kann's nöd, wenn der Tauser Doktor kommt, aber i hab' auch Vertrauen in dich, Jirka; deine Trankln haben mir schon oft g'holfen.«

»Ja, für'n verdorbna Magen,« meinte der Quistorenhansl, »oder wenn die Gedärm nöd in Ordnung waren, aber für eine off'ne Wunden hilft kein Griwes Grawes und kein Zaubertrank, ob er am Tag oder um Mitternacht fabriziert worden ist.«

»Und so ein Lästerer will ein Christ sein!« rief Jirka entrüstet.

33 »Und dazu noch ein kaiserlich königlicher!« spottete der Quistorenhansl.

Hančička brachte jetzt ein Glas Wein herbei. Der Doktorjirka aber nahm es ihr aus der Hand und überreichte es dem Kranken erst, nachdem er etwas Geheimnisvolles hineingeflüstert hatte.

»So, und jetzt bekomm' es Euch im Namen aller Heiligen!« sagte er dabei.

Der Kranke trank das Glas bis zur Neige leer.

»Vater,« fragte Hančička, als sie das leere Glas wegnahm, »gelt, du stirbst mir nicht? Es ist nicht so gefährlich?«

»Liebs Deandl,« entgegnete der Vater, »'s sterben hab' ich nöd vor. I muß ja bei euch bleiben, bei der Mutter und bei dir. Bet's nur, daß i wieder werd', aber auch, daß der Lump erwischt wird, der mich so elendig zug'richt' hat.«

Das Mädchen weinte und legte sein Gesicht auf die Hand des Vaters.

»Jirka,« sagte dieser jetzt, »der Wein war nöd uneben, er hat mir völli Lust g'macht zu einem Pfeiferl Tabak. Wie meinst?«

»Darüber muß ich erst nachstudieren, und wenn auch, so werd' ich den Tabak erst besprechen.«

»Warum nöd gar!« lachte der Quistorenhansl. »Der kaiserlich königliche Trafiktabak braucht kein Besprechen mehr. Frau Soukup, wo ist denn's Pfeiferl – her damit, d'ran hab' i schon längst denkt. Der Rauchtabak ist gut und d' Hauptsach ist, daß er gut schmeckt.«

Die Chodenfrau hatte das Pfeifchen gestopft und auf Wunsch Hansls auch angebrannt, und da ihr das 34 Verlangen des Kranken ein gutes Zeichen dünkte, mit freundlichem Lächeln überreicht.

Der Quacksalber war sehr ärgerlich, doch das Eintreten des Pfarrers verhinderte ein beginnendes Geplänkel der beiden Männer. Der würdige Geistliche drückte dem ihm sehr befreundeten Verwundeten sein Bedauern über das ihn betroffene Unglück aus.

»Soll ich die Stolla und das heilige Oel holen, Hochwürden?« fragte Jirka.

»Vorerst nicht!« entgegnete der Pfarrer. »Mir scheint, der Kranke bedarf der Ruhe.«

Mit dieser sah es nun allerdings sehr schlimm aus, denn sämtliche Nachbarinnen waren nach und nach angekommen, die ganze Stube war mit Teilnehmenden gefüllt, und vor den Fenstern drängten sich die Neugierigen und suchten in die Stube zu blicken, um den Bauern sterben zu sehen und für ihn die üblichen Gebete zu verrichten. Sie waren aber alle nicht wenig überrascht, den vermeintlich im Todeskampfe Liegenden mit der Tabakspfeife im Munde zu erblicken.

»Ja, ja, Leutln, entfernt euch,« sagte jetzt der Quistorenhansl.

»Geht lieber in die Kirche und betet, daß der Kranke wieder gesund wird,« setzte der Pfarrer hinzu. »Jirka, sorge du dafür.«

Und Jirka richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf und sprach gravitätisch: »Leute, folgt mir!«

Den Außenstehenden rief er dasselbe zu und in der That folgten ihm die meisten zur nahen Schloßkirche, wo er ein geistliches Lied anstimmte, welches die anderen andächtig mitsangen.

35 Auch der Pfarrer wollte nicht länger stören. Er sprach dem Kranken, wie dessen Frau und Tochter Mut zu und meinte: »Ihr müßt euch halt in Verbindung mit den Himmelsleuten setzen, damit sie euch Beistand leisten.«

»Gern will ich mit einer Prachtkerzen zur Mutter nach Neukirchen wallfahrten, daß mein lieber Jan wieder gesund wird,« versprach Frau Soukup. »Feierlich gelob ich's!«

»Ich auch!« fügte Hančička hinzu.

»Warum denn nach Ausland wallfahrten?« versetzte der Pfarrer. »Haben wir in Böhmen nicht auch eben so gute Mirakel? Warum soll die deutsche Muttergottes besser sein, als unsere böhmische?«

»Grad zur Himmelsmutter in Neukirchen hab' ich mein besonderes Vertrauen,« bekannte die Frau Soukup.

Der czechische Pfarrer getraute sich nicht, die Glaubensseligkeit des Weibes weiter zu erschüttern, so sehr es ihm auch gegen sein Nationalitätsgefühl ging, daß seine Pfarrkinder sich in religiösen Dingen gar nicht und in politischen blutwenig um die zunehmende Spannung zwischen Czechen und Deutschen kümmerten.

»Thut, was Euch Euer Herz thun heißt,« sagte er nach einigem Zögern, »und Gott sei mit Euch, Vater Soukup!«

Er reichte dem Kranken die Hand und entfernte sich dann.

»Hans,« sagte Soukup zu seinem freiwilligen Krankenwärter, nachdem sie allein waren, »so lang i krank bin, besorgst du mein G'schäft. Du bist der Mann dazu. Du wirft sorgen, daß nichts fehlt, und Gnaden Herr Graf 36 unbesorgt sein kann.« Der Quistorenhansl sagte zu, und der Bauer war darüber sehr beruhigt.

Diese Ruhe sollte aber bald wieder unterbrochen werden. Nicht nur der Doktor, sondern auch der Untersuchungsrichter, ein Aktuar und ein Gendarm kamen aus Taus angefahren, um über den Befund der Wunde sowohl, wie über die Einzelheiten des Raubanfalls ein Protokoll aufzunehmen. Der Notverband ward mit vieler Mühe abgenommen, und es zeigte sich eine weitklaffende, lange Wunde an der rechten Schläfe.

Während der Abnahme des Verbandes hatte der Kranke erzählt, was ihm bekannt war. Er beschrieb den Räuber als einen jungen, bartlosen Mann von kräftigem Körperbau und mittlerer Größe. Mehr wußte er nicht. Die Waffe, mit welcher er verwundet worden, wußte er gleichfalls nicht näher zu bezeichnen. Daß es die kleine Hacke an seinem eigenen Stocke war, daran dachte er so wenig wie die andern.

Nachdem alles zu Protokoll genommen, entfernten sich die Gerichtsbeamten wieder. Der Arzt aber waltete jetzt seines Amtes.

Frau und Tochter hatten alles herbeigebracht, was er benötigte; dann aber mußten sie das Zimmer verlassen. Der Anblick der Wunde sollte ihnen erspart bleiben.

»Bei mir ist's was anderes,« meinte der Quistorenhansl. »Unser einer hat sich an das auf dem Schlachtfeld gewöhnt.«

Und er schickte sich an, dem Doktor hilfreiche Hand zu leisten. Als dieser aber daran ging, einige Arterien zu suchen und Nähte an der Wunde anzubringen, wurde es dem Hansl plötzlich schwarz vor den Augen.

37 »Hansl, was ist's?« rief der Bauer, »du wirst ja käsweiß.«

»Hinaus in die frische Luft!« befahl der Arzt. »Schnell schickt mir jemand andern zur Hilfe.«

Solch ein anderer trat gerade zur Thüre herein in der Person des Doktorjirka, eine Flasche mit brauner Flüssigkeit in der Hand. Er blickte auf den an ihm vorbeiwankenden Hans mit höhnischer Miene herab.

»Aha!« sagte er. »Und das will ein Mann sein!«

»Ah!« rief der Doktor halb im Spaß, »da kommt ja ein Kollega. Nun zeigen Sie, daß Sie einer wild klaffenden Wunde stand halten können. Helfen Sie mir. – Was enthält dieses Glas?« fragte er dann. »Kurpfuscherei, he? Hexenkräutleinmixtur?«

»Oh!« machte Jirka. »Einfacher Absud und destilliert – von Arnikablum' aus unserer hochgräflichen Wies', wie sie jedermann zur Verfügung stehen, wie jedermann mixturieren und destillieren und ordinieren kann.«

»Geben Sie,« sagte der Doktor und untersuchte die Tinktur. Er schien damit zufrieden. »Reichen Sie mir die Schüssel und das Wasser,« befahl er. »Zweifach verdünnt können wir sie zum Auswaschen der Wunde gebrauchen.«

Jirka that nach seinen Worten, und der Arzt beschäftigte sich hierauf unter seiner Beihilfe mit der Wunde, bis er plötzlich durch ein eigentümliches Lallen Jirkas veranlaßt wurde, sich nach diesem umzusehen. Der Alte saß da, leichenblaß, und gab nur unerklärbare Laute von sich. Auch er war durch den grausigen Anblick geliefert.

Der Arzt wußte nicht, sollte er lachen, oder sich ärgern, oder um Jirka besorgt sein. Er goß ihm einen Teil des 38 Arnikawassers über den Kopf und bewirkte sofort dessen Besserung. Dann nahm er ihn unter den Arm und führte ihn zur Stube hinaus.

Der Verwundete selbst aber lachte trotz der Schmerzen, die er verspürte, laut auf.

»Aber wer hilft mir denn?« fragte der Arzt ratlos.

»Mein Weib,« entgegnete der Kranke zuversichtlich. »Ruft sie, sie ist gewiß in der Näh.«

39 »Glaubt Ihr, daß sie's kann?« fragte der Arzt. »Wird sie aushalten?«

»O, ein Chodenweib hat starke Nerven,« meinte der Bauer.

»Nun, so probieren wir's,« sagte der Arzt und rief Frau Soukup herbei.

Diese leistete bereitwillig die verlangte Hilfe und wenn sie auch anfangs über die schlimme Wunde erschrak, so hielt sie doch standhaft aus und ermöglichte so, daß der Arzt die nötigen Nähte anbringen und den Verband anlegen konnte. Jetzt durfte auch Hančička eintreten und wurde belehrt, wie sie dem Vater unablässig kalte Ueberschläge zu machen hätte, bis ein Eisbeutel von Taus eintreffen würde.

Der Arzt hatte sich soeben entfernt, als Jirka, der sich inzwischen wieder erholt, in die Stube gerannt kam und rief:

»Die kaiserlich königlichen Gendarmen bringen den Räuber. Soukup, Ihr sollt sagen, ob's der richtige ist.«

Auch der Quistorenhansl trat etwas beschämt wieder ein und meldete das Gleiche.

In der That näherte sich eine lärmende Menschenmenge; man hörte laute Verwünschungen und Scheltworte. Zwei Gendarmen führten einen jungen Burschen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, daher. Sie hatten ihn auf der Fahndung nach dem Räuber in der Waldung bei Maxberg aufgegriffen. Sie zweifelten nicht, daß es der richtige sei. – 40


 << zurück weiter >>