Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXIV.

Aloys sollte aber seine Zeit nicht mehr nützen können, denn schon einige Wochen früher, als man erwartet, kam Franz in die Heimat zurück und zwischen den beiden Familien wurde sofort das Nötige besprochen und die Vorbereitung zur Hochzeit getroffen. Hätte der Schloßbauer nicht so bestimmt seine Einwilligung zur Verbindung seiner Tochter mit Franz zugesagt, so wäre er beinahe versucht gewesen, Aloys als Schwiegersohn den Vorzug zu geben, denn seit ihm dieser das Leben gerettet, überhäufte er ihn mit Wohlthaten aller Art, und der Bursche verstand es meisterlich, sich seinem Herrn immer unentbehrlicher zu machen. Ja einmal hatte ihn Soukup sogar durchblicken lassen, daß er wohl Aussicht gehabt hätte, sein Tochtermann zu werden, wenn er nicht dem Waldbauern Franz bereits sein Wort gegeben.

So war also Aloys in der That seinem kühn gesteckten Ziele ganz nahe gekommen, und wieder war es Franz, der ihm den Vorrang abgelaufen. Dieser Gedanke wurmte ihn ohne Unterlaß. Haß und Neid verbanden sich gegen den vermeintlichen Zerstörer seines Glückes. Doch war er zu machtlos, das Glück des Brautpaares aufzuhalten, so sehr er auch auf Mittel sann, dazwischen zu treten.

Die Hochzeit war auf die Woche nach dem Dreikönigsfeste angesetzt. Der Hochzeiter fuhr bereits in Begleitung 221 des Hochzeitladers auf einem flotten Schlitten bei allen Verwandten und Bekannten vor, sie zum Hochzeitsfeste einzuladen, welches am ersten Tage in Chodenschloß, am zweiten aber auf dem Waldbauernhofe gefeiert werden sollte und wozu beiderorts große Vorbereitungen getroffen wurden. An die Thüre der Geladenen ward vom Hochzeitlader mit Kreide ein in einer Zitrone steckender Rosmarinstrauß gezeichnet, statt des sonst üblichen Mahlpreises aber angeschrieben: Ehrenmal.

Am Vorabende der Hochzeit erhielt Hančička von den Burschen der nächstliegenden Ortschaften ein Ständchen gesungen und wurden diese dann in Soukups Hause reichlich bewirtet, wobei es an Scherzen und lustiger Unterhaltung nicht fehlte.

Am Festtage selbst ging aber der Spektakel schon am frühesten Morgen an. Pistolen- und Böllerschüsse dröhnten durch die Luft. Die Musik stand bereit, den Bräutigam mit seinen Gästen zu empfangen, welche in zahlreichen, meist gezierten Schlitten aus Bayern herangefahren kamen. Die Bewohner des Ortes standen alle in Feiertagskleidung vor den Thüren, um den Hochzeiter vorüberfahren zu sehen. Pistolenschüsse und helle Juchzer tönten ihm entgegen.

Im Hause der Braut hatten sich bereits die Kranzljungfern eingefunden, welche in lauter bildschönen Chodenmädchen bestanden. Der Bräutigam wurde mit Musiktusch und darauf folgendem Marsch empfangen und in das Haus geführt, wo Hančička auf ihn zueilte und ihn, strahlend von Glück, begrüßte.

»Gelt Franzl,« rief sie, »jetzt werden wir halt doch ein glückliches Paar?«

222 Der Bräutigam sah ihr gerührt in die Augen und faßte sie an beiden Händen.

»Woaßt no,« sagte er, »wie r i 's erst Mal in Enkan Haus gwen bin, da bin i bunden worn mit festen Stricken; die hast du zerschnitten. Die Ketten aber, mit der i heunt mit dir verbunden werd, die z'reißt neamd mehr, nöt i, nöt du, koa' Mensch auf dera Welt, so wahr i will seli wern!«

Der Waldhofbauer flennte (weinte) in einem fort, er hielt auch eine Ansprache an seine künftige Schwiegertochter, deren Schluß lautete:

»G'falln thuast ma, Tochter, daß i's gar nöt sagen kann. I moan, i sehg mei' Bäurin wieder vor mir als Hochzeiterin. So schö' zwar, wie du, war's freili nöt, aber guat is 's aa gwen, und scho' sauba aa, dös siehgst ja an mein' Franzl!«

Hančička sah in der That auch reizend aus. Eine haubenähnliche Blumenkrone, in der Gestalt eines umgedrehten Vogelnestes, vermischt mit roten Bändern und Flittergold, bedeckte ihren Kopf. Zu dem wertvollen seidenen Brusttuch, dem gestickten, kurzen, mit Marderfell besetzten Jäckchen und schwarzem Rock trug sie eine lange, breite, weiße Spitzenschürze.

Der Bräutigam trug einen langen, blauen Tuchrock und einen hohen, mit Rosmarin und Blumen geschmückten Hut, dazu eine buntseidene Weste, schwarze, enge Lederhose und Wadenstiefel. Er hatte ein goldenes Kränzlein am linken Arm.

Den mit Rosmarin und roten Bändern geschmückten Gästen wurde das Frühstück, die sogenannte »Gacklhenne« vorgesetzt, worauf man einige Touren tanzte. Nach 223 erbetenem und erhaltenem elterlichen Segen, wobei der Hochzeitlader, »plampač« = »Plapperer« genannt, die Hauptrolle spielt, bewegte sich der bunte Zug in die Kirche zur Trauung mit Musik und Gesang.

Die buntgeschmückten Brautjungfern – družička – gingen vor den Musikanten her, wobei sie sich drehend, hüpfend und jauchzend, die gewöhnlichen Hochzeitlieder vorsangen, deren Melodie die Musikanten stets nachspielen mußten. So sangen sie unter anderem:

»Meine Liebe wird geführt zur Trauung,
Schon sind's dorten auf der Höh'.
Gieb dir Gott der Herr sein Glück
Du mein schönes Mädchen,
Geb es Gott, mein liebes Kind. Juchhe!«

Nach der feierlichen Trauung wurde das junge Ehepaar vor der Kirchenthüre mit Musik und Pistolenschüssen empfangen. Der Hochzeitlader machte seinen Glückwunschspruch; dann zog man in das Einkehrhaus zum Mahle, welchem das sogenannte »Ofenschüsselrenna«, ein Wettrennen, voranging. Unterwegs von der Kirche zum Wirtshause sangen die frohgestimmten, bildschönen družičky (Brautjungfern), ihre schneeweißen und buntgestickten Taschentücher hochschwingend, das obligate Liedchen den Musikanten vor, welches auf deutsch wörtlich lautet:

»Ach unser – Herr Pfarrer – schön predigt, Verschenket – Bilderchen – Hände bindet – Ich will auch – in diese – Predigt gehen – Ein Bildchen – und einen – Mann begehren. Juhuhu!«

Auch der alte Jirka wurde zum Mahle geladen, ebenso Aloys, der aber nicht erschien. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, das Glück der Neuvermählten mit anzusehen.

224 In fröhlichster, oft ausgelassenster Stimmung vergingen die Stunden; der Braut wurde von den Burschen der Schuh gestohlen, welchen sie vor dem Brauttanz durch Geld und Wein auslösen mußte. Gegen Abend führte dann der Bräutigam unter Musikbegleitung seine Braut in ihr Vaterhaus zurück, um sie samt ihrem Kammerwagen von dort am nächsten Tage auf seinen Hof abzuholen.

Die Gäste entfernten sich und die lange Schlittenreihe, welche die bayerischen Verwandten in ihre Heimat zurückführen sollte, setzte sich in Bewegung, nachdem alle herzlichen Abschied von des Waldbauern nunmehrigem jungen Weibe genommen. Pistolenschüsse begleiteten die Abreisenden auf einer langen Strecke ihres Weges. Aber letztere waren nicht alle zu festlichem Zwecke bestimmt.

In der Nähe des babylonischen Sees, wo der Wald bis zur Straße hinanreicht, ward aus ganz geringer Entfernung ein Pistolenschuß abgefeuert, eine Kugel drang durch den Gupf von Franzens hochzeitlichem Hut und riß ihm diesen vom Kopfe.

Sofort hielten die Schlitten. Wer es vermochte, eilte in den Wald hinein, um den Missethäter abzufangen, aber bei der bereits zunehmenden Dunkelheit war es ein vergebenes Beginnen. Die Besonneneren unter den Hochzeitsgästen meinten daher, man solle die Fahrt ohne Aufenthalt fortsetzen, um möglichst bald aus dem Walde hinauszukommen, und so geschah es auch. Der Bräutigam, dem ohne Zweifel das tötliche Blei zugedacht, war gottlob unversehrt geblieben. Man erging sich in allen möglichen Vermutungen und ging sogar so weit, es nicht für unmöglich zu halten, daß es eine Rache der Choden sein möchte, weil eine ihrer reichsten Töchter aus dem Stamme 225 hinausgeheiratet habe. Aber Franz erklärte, daß er seine Hand für die Choden ins Feuer lege, daß keiner eines Meuchelmordes oder überhaupt einer feigen That fähig wäre, daß er aber einen Verdacht habe, dem er vorerst noch keine Worte verleihen wolle.

In unbestimmten Umrissen stand Aloys vor seinem Geiste. Er wußte selbst nicht, warum er geneigt war, ihm jede schlechte That zuzuschieben, aber er hielt ihn nun einmal für einen Heuchler und Verräter, trotz all des Guten, was er schon gethan. Er hoffte sich Gewißheit darüber zu verschaffen, indem er sich mit dem Quistorenhansl in Verbindung setzen wollte, der trotz Franzens Bitte ebenfalls nicht zur Hochzeit gekommen war. – In Kubitzen wurde noch ein Abschiedstrunk gehalten; dann zerstreuten sich die Gäste nach verschiedenen Richtungen.

Die beiden Waldbauern fuhren nach ihrem Hofe, der bereits für den morgigen Empfang der neuen Regentin mit Tannenguirlanden aufs festlichste geschmückt war.

Die alte Ahnl segnete den ankommenden jungen Ehemann, indem sie ihn mit Weihwasser besprengte. Ihre Freude wurde nur durch die Erzählung, in welcher Gefahr er auf der Heimfahrt geschwebt, ein wenig getrübt.

»Siehgst es, siehgst es,« sagte sie, »mei' Segen heunt fruah hat die bös' Kugel von dein' Kopf abg'halten. Der Herr nimm di in sein Schutz für alle Zeit!«

Am anderen Tage fuhr der Bräutigam wieder mit einigen Freunden in einem geschmückten Schlitten nach Chodenschloß, um die Braut zu holen. Alle seine Hochzeitsgäste waren zu einem Mahle auf den Hof geladen, das nach Ankunft der Braut eingenommen werden sollte.

226 Im Chodenschlosse war das Attentat auf den Bräutigam bereits bekannt geworden und alles war darüber empört. Doch wurde es dem Wunsche des Schloßbauern gemäß der Braut verschwiegen. Man erging sich auch hier in Mutmaßungen aller Art, aber niemand kam auf die richtige Spur. Nur der Quistorenhansl glaubte, als er davon hörte, Aloys im Verdacht haben zu müssen. Er forschte auch sofort nach, ob dieser der Abfahrt des Hochzeitszuges beigewohnt und erfuhr, daß derselbe zu dieser Zeit schon im Bette gelegen und ein kleines Fieber vorgeschützt habe.

Aloys lag aber in Wahrheit nicht zu Bette. Er hatte an seiner Stelle eine jener ausgestopften Figuren hineingelegt, wie sie bei der eben beginnenden Fastnacht so gerne Verwendung finden, hatte ihr seine Kappe aufgesetzt und das Gesicht mit einem leicht übergeworfenen Tuche verhüllt. Dann stieg er durchs Fenster aus, um sein Rachewerk zu vollbringen. Nach vollbrachter That kehrte er auf demselben Wege zurück in die Kammer, wo er den Popanz versteckte und sich dafür ins Bett legte. Mancher von den Dienstboten hatte flüchtig die Kammer betreten und sie versicherten den Quistorenhansl hoch und heilig, Aloys habe um die fragliche Zeit in seinem Bette geschlafen. Unter solchen Umständen mußte jeder Verdacht schwinden und auch Franz konnte auf diese Mitteilung hin nicht länger an demselben festhalten. Bei seiner biederen Gesinnung that es ihm nun sogar leid, dem Burschen unrecht gethan zu haben.

Nach einem ausgiebigen Frühstück in Chodenschloß sollte die Abfahrt der Braut erfolgen. Da setzte es noch viele Thränen und auch noch manche Hindernisse ab, die 227 zu überwältigen waren. Erst der Abschied von den Eltern, den Jugendfreundinnen und allen Bekannten des Dorfes, dann der Loskauf von den Weghindernissen, welche ihr die Burschen des Ortes bereiteten, denen es gar nicht gefiel, ein so schönes Mädchen über den Chodenboden hinaus zu lassen, indem sie die Straße mit Hölzern und allen möglichen Dingen unpassierbar machten und nicht eher Abänderung schufen, als bis sich die Braut von ihnen losgekauft.

Der Kammerwagen folgte dem vorausfahrenden Brautpaare nach. Er war von prächtig geschirrten Pferden gezogen und mit buntem Hausrat, Kästen, Tischen, Bettgestellen, dem Brautbett, einer Wiege und dem Spinnrocken beladen. Hinter dem Kammerwagen folgten die Eltern Hančičkas in einem Schlitten, den heute Soukup selbst lenkte. Den Schluß bildeten die Kranzljungfern und einige Freundinnen Hančičkas, die sie über das Dorf hinaus begleiteten und ihr beim Abschied Glück und Segen wünschten.

Nachdem die Grenze passiert und der Eingangszoll für die Hausgeräte entrichtet war, ging es dem Waldbauernhofe zu, wo die Gäste und Musikanten schon der Ankommenden harrten. Selbstverständlich wurde die junge Frau von allen auf dem Hofe Anwesenden, auch den Dienstboten, mit Jubel empfangen. Von Franzens Vater und der Ahnl wurde das junge Ehepaar an der Schwelle mit Weihwasser besprengt und dann feierlich in die Stube geleitet.

Nun begann sogleich ein Tanz, dem später die Mahlzeit folgte, welche des vermöglichen Hofbesitzers würdig 228 war. Nachdem sich abends die Gäste entfernt, fühlten sich die Neuvermählten erst ungestört in ihrem ganzen Glücke.

Nun war Hančička die Regentin des Bauerngutes, in welchem sie einstmals vor Jahren als Hilfesuchende so liebevolle Aufnahme gefunden, und beide gedachten mit freudiger Rührung jenes Ereignisses, welches den Grundstein zu ihrem jetzigen Glücke gebildet. – – – 229


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