Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XV.

Das Zeichen zum Beginn des Fischfanges ward gegeben. Die große Fläche des Sees enthielt nur mehr wenige Stellen mit Wasser, meist sah man nur Schlamm, aber es wimmelte überall von großen und kleinen Fischen. Ein Teil derselben wurde mittelst eines großen, langen Netzes gefangen, ein anderer mit großen Handnetzen, womit versehen, Hunderte von Fischern im Schlamme wateten. Allgemein war der Jubel über die reiche Ernte. Nach Hunderten von Zentnern wurden die prächtigen Spiegelkarpfen ans Land und in die bereitstehenden Wagen verbracht. Ebenso wurden die jungen Fische, welche in andere Weiher versetzt oder wieder ins Wasser zurückgeworfen werden sollten, in großen Massen ans Ufer gebracht. Das war ein Zappeln, ein Springen und Plätschern, daß man nicht satt wurde, dem interessanten Schauspiel zuzuschauen. Es war ein wahres Volksfest.

Eine besondere Eigentümlichkeit aber bildet die Nachlese, welche den armen Leuten in der Kauther Herrschaft gestattet ist. Ein ganzes Heer von Männern, Weibern und Kindern harrt auf dem für sie bestimmten Platze auf das ersehnte Zeichen, welches ihnen Erlaubnis giebt, die Nachlese zu beginnen.

Die Buben hatten ihre Hosen bis ans Ende der Schenkel hinauf gestülpt; Czechen und Deutschböhmen waren 133 bunt durcheinander gemengt. Fast alle trugen sie schmutziggraue Kleider aus ungebleichter Leinwand, denn zu dieser Arbeit zieht jeder das schlechteste an.

Wenn sonst auch in der ganzen Umgebung die Beziehungen der Czechen und Deutschen zu einander die allerbesten waren, so fand gerade unter der ärmeren Klasse eine gewisse Spannung statt. Die Czechen dünkten sich berechtigter und sahen mit Mißgunst auf die deutsch sprechenden Landsleute. So war es unter dem harrenden Volke bereits zu kleinen Wortgefechten gekommen, und es drohte ein allgemeiner Streit und Kampf zu entstehen, als mit dem Rufe »Horschi!« (Hoři) das Zeichen zur Nachlese gegeben wurde. Nun war plötzlich aller politische Hader vergessen und nur mehr die Gewinnsucht oben auf. Unter lautem Geschrei stürzten Männer und Buben hinein in das schlammige Bett, einer suchte dem anderen zuvorzukommen, und es entstanden die possierlichsten Szenen. Sobald einer sein Gefäß mit Fischen gefüllt, trug er es den am Ufer harrenden Frauen zu, um dann eiligst wieder hinein zu waten in die schlammige Flut. Die Zuschauer lachten und waren vergnügt dabei.

Plötzlich aber änderte sich die Sachlage.

Der schon am Ufer angesponnene Streit begann im Teiche aufs neue. Die flinken, czechischen Buben mochten es besser verstehen, die größeren Fische einzufangen, als die deutschen, was ihnen diese neideten. Trotz der reichlichen Ernte erfaßte alle eine fieberhafte Habsucht, keiner gönnte dem andern seinen Gewinn. Es bedurfte keines wesentlichen Grundes, so brach der Streit von neuem los.

Das Publikum hatte jetzt ein neues interessantes Schauspiel. Während die Weiber sich am Ufer befehdeten 134 und sofort handgreiflich wurden, balgten sich die Buben im Weiherschlamm herum, bewarfen sich gegenseitig mit Fischen und emporgerafftem Unrat, sodaß sie bald alle ein gräuliches Aussehen erhielten und einer Herde sich im Kote wälzender Schweine glichen.

Die czechische und deutsche Jugend war im heftigsten Kampfe. Vergebens eilten ältere Männer herbei, um Ruhe 135 zu stiften, es gelang ihnen nicht. Ein paar Buben, welche kämpfend etwas von den andern abgekommen waren, zerrten sich an den Haaren hin und her, bis sie plötzlich beide im Schlamme versanken, und nichts mehr von ihnen zu sehen war.

Das Gelächter der Zuschauer unterbrach ein allgemeiner Schreckensschrei, czechische und deutsche Hilferufe wurden laut, und beide Sprachen vermengten sich in einem Jammergeschrei der beiden Mütter der Versunkenen. Einige beherzte Männer suchten den Buben zu Hilfe zu kommen, aber noch ehe sie die Unglücksstelle erreichten, waren sie ebenfalls so weit eingesunken, daß sie ihre ganze Kraft aufwenden mußten, um sich wieder herauszuarbeiten. Die Buben gab man für verloren; sie mußten bereits erstickt sein.

»Hundert Gulden Ehrenpreis dem, der die Rangen rettet!« hatte der Graf gerufen, und rasch ward es am Ufer entlang bekannt.

Da warf ein Bursche Joppe und Stiefel von sich und eilte auf einem andern Wege, als den, welchen die meisten bis jetzt eingeschlagen, der verhängnisvollen Stelle zu. Es war Aloys, der schon oftmals beim Weiherfischen zugegen gewesen, auch sonst oft darauf herumgefahren war, sich einige Kenntnis der Untiefen zutraute und gereizt durch den hohen Preis es wagte, sein eigenes Leben in die Schanze zu schlagen. Er wußte zudem, daß er von der Familie Soukup beobachtet werde, daß die Tochter seines Brotherrn, die ihn heute schon durch Annahme seines Geschenkes geehrt, ihn bewundern würde, und daß sich Franz über seinen Triumph ärgern müsse. Kurz, es waren lauter persönliche Beweggründe, welche ihn zu dem gefährlichen 136 Wagnis antrieben. Die Hauptsache jedoch war, daß er die beiden Schlingel, die sich noch gegenseitig an den Haaren gefaßt hielten, zwar dem Tode nahe, aber doch noch lebend ans Tageslicht und mit Beihilfe anderer ans Ufer brachte.

Ein brausendes Bravo schallte dem kühnen Retter von allen Seiten entgegen. Aller Streit war vergessen. Ein Deutscher hatte das Rettungswerk vollbracht, und die Czechen schrieen am lautesten: Bravo Deutscher! Bravo Deutscher!«

Während man sich bemühte, den geretteten Buben den Schlamm aus Nase und Ohren zu waschen und dieselben wieder zu sich zu bringen, ward Aloys, der sich rasch Gesicht und Hände gereinigt, sonst aber die Spuren seiner That vollständig an sich trug, vor den Gutsherrn gerufen. Ueberall auf seinem Wege spendete man ihm lautes Lob. Dabei kam er auch an dem Platze vorüber, wo Soukup mit seiner Familie und die Waldbauerischen standen. Sie alle stimmten in die Beifallsbezeugungen der andern mit ein, bis auf Franz, der übrigens seinen Groll gegen den Burschen auf einige Augenblicke zurückdrängte und es nicht ungern hörte, daß man überall betonte, daß der wackere Retter ein Bayer sei.

Soukup war mit Aloys zum Gutsherrn gegangen und stellte denselben als seinen Knecht vor. Der Graf belobte den jungen Menschen und ließ ihm sofort den versprochenen Preis auszahlen. Auch versprach er ihm einen neuen Anzug. Einstweilen aber wurde Aloys nach dem nahen Meierhof geführt, wo ihm der Meier von seinen eigenen Kleidern Passendes zur Verfügung stellte.

Das Schauspiel am Teiche hatte ein rasches Ende genommen. Alles begab sich in das Städtchen zurück und 137 verteilte sich in den Einkehrhäusern, um das verspätete Mittagsmahl einzunehmen, das heute fast ausnahmslos in verschiedenartig zubereiteten Karpfen und anderen Fischspeisen bestand, worin die böhmische Küche so Vorzügliches zu leisten versteht.

Als sich nach einiger Zeit der Waldhofbauer und sein Sohn bei dem Chodenbauer und seiner Familie verabschiedeten, bemerkte Franz ein Hutsträußchen in Frau Soukups Hand, dessen Bestimmung er leicht zu erraten vermeinte. Beinahe war er versucht, sie vor Aloys zu warnen, aber ein Blick auf das heute wieder so kindlich aussehende Mädchen ließ ihn vorerst schweigen.

Mutter und Tochter wünschten Franz alles Glück in seinem Militärstande und Hančička versprach ihm, seinen Ring getreulich zu tragen. Franz sah dem herzigen Mädchen lange in die dunklen Augen, dann sagte er: »I werd' oft an di denken, Hančička, recht oft. B'hüt di Gott!«

Eine halbe Stunde später, während Franz vor dem Einkehrhause stand, fuhr der Wagen des Chodenbauers an ihm vorüber. Auf dem Bocke saß neben dem Quistorenhansl Aloys in böhmischer Kleidung; auf seinem Hute prangte der Nelkenstrauß mit Flittergold.

Triumphierend sah er auf Franz herab.

Man grüßte sich gegenseitig. Hančička hielt die Hand empor, an welcher sein Ring glänzte und winkte zurück, so lange sie ihn sehen konnte.

»Vater,« entgegnete der Bursche, »i fürcht, dös geht nöt guat außi.«

»Was?« fragte der Alte.

»Nix!« erwiderte Franz, sich besinnend, »es is nix.«

»Freili is's nix, wenn der Mensch nöt ißt und no' 138 wen'ger trinkt. Mach, kimm eina in d' Stuben; wir bringa sunst koa' Zech zam, und da müaß si' der Waldhofbauer dennast schaama. 's geht lusti zua drin. Woaßt, heunt san d' Boarn oben auf, weil der verflixte Kerl, der Hansgirgl Aloys sein' Mann so schön g'macht hat. Ueber den därfst mir nix Unrechts mehr sag'n. Alles trinkt heut im schönsten Harmonium, Czech und Deutsch, denn im Rausch san wir alle gleich. Kimm eina!«

»I möcht hoam, Vater,« sprach Franz entschieden, »und d' Ahnl hat mir's auftrag'n, daß i di als a ganza hoambring. Es is morgen der letzt' Tag, daß i da bin, und was soll i da no' lang in die Wirtshäuser rumhocken; moanst nöt aa?«

»Du red'st grad wie der Pfarrer z' Maxberg,« versicherte der Alte mit einer gewissen Hochachtung. »G'scheit is's, was d' sagst. Hoam gehn ma, extra! Laß anspanna. I zahl d' Zech daweil. Hast für d' Ahnl ebbas süß's? Sie halt viel auf an' böhmischen Ofenknödel (ein dicker Lebkuchen zum Aufreiben).«

»Dafür hab' i schon g'sorgt,« erwiderte Franz. »Also verhalt ma uns nöt länger.«

Es kostete aber noch eine Stehmaß, ehe sich der Waldbauer von der lustigen Gesellschaft trennen konnte.

Franz atmete leichter, als er endlich die Zügel erfassen konnte, um mit dem Vater nach Hause zu fahren. Er sprach wenig, des Vaters durchgeistigter Reden achtete er kaum. Dagegen murmelte er öfters leise für sich hin: »I fürcht, i fürcht, dös geht nöt guat außi.« 139


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