Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XIV.

Die sorgsam gesammelten gerichtlichen Erhebungen ergaben für Franz das erfreuliche Resultat, daß die Untersuchung gegen ihn eingestellt, und er wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Diese Freiheit sollte aber alsbald wieder, allerdings in anderer Weise, ihr Ende nehmen. Franz wurde konskribiert und der schweren Reiterei in München zugeteilt. Da war nun freilich neuer Jammer auf dem Waldbauernhofe. Der Bauer schimpfte über die neue Einrichtung, daß man sich nicht mehr, wie früher, um einige hundert Mark einen Ersatzmann kaufen könne.

Freilich hatte ihn selbst seiner Zeit das gleiche Los getroffen, denn damals war Krieg in Aussicht gewesen, und der Preis für den Einstandsmann kaum mehr zu erschwingen; sein Vater war auch gar nicht in der Lage, solch ein großes Opfer zu bringen, denn der Waldbesitz, den die Neuzeit erst in die Höhe brachte, hatte zu jener Zeit noch wenig Wert.

So tröstete er auch den Sohn, so viel er es vermochte, mit dem Hinweise auf seine eigenen, dem Vaterlande geleisteten Dienste, denn wie er sich getreulich notiert, war er innerhalb seiner zwei Jahre Dienstzeit gerade 1500 Stunden Posten gestanden, indem ihn jeden dritten oder vierten Tag dieser Dienst getroffen hatte.

»Und dazua g'hört nüd weni!« meinte er. »Hätt' 123 i nöd alleweil an mei' zuakünftige Hochzeiterin, woaßt, an dei' Muatta, Gott tröst's! denkt, i glaub, i wär nöd so g'scheit blieb'n, als i, Gott sei Dank, bin. No', und du wirst aa scho' die richtigen Gedanken Audienz geben – i moan schon. Aber daß d' koan Offenzier übersiehgst, oder gar d' Jour – mit dene is nöd guat Kerschen essen, und drin bist im Loch, eh's d' es vermoanst.«

So tröstete und plauderte der alte Waldhofbauer und schnupfte dabei in, wie es schien, froher Erinnerung an sein so »schildwachreiches« Militärleben.

Franz selbst machte sich aus seiner Einberufung nicht viel. Bei seiner großen Vorliebe für Pferde mußte der Dienst bei der Reiterei nur von Nutzen für ihn sein, wo er die Behandlung des Pferdes und das Reiten gründlich erlernen konnte. Was die Gedanken betraf, auf welche der Vater anspielte, so brauchte er dazu nicht erst Posten zu stehen, er hing diesen schon jetzt mit möglichstem Eifer nach. Noch immer betrachtete er Hančička als ein Kind, wenn sie auch körperlich und geistig ihren Jahren erheblich vorausgeeilt war, doch, meinte er, sie würde ja alle Tage älter, und wenn seine Militärzeit vorüber, würde es sich ja entscheiden, ob sie auch an ihm Gefallen fände.

Die schlimme Behandlung, welche er von seiten des Chodenbauern erfahren, war ihm in zu lebhafter Erinnerung, als daß er sich hätte entschließen können, in Chodenschloß, wenigstens vorderhand, einen Besuch zu machen, so gern das der Vater auch gesehen hätte.

Es sollte sich aber doch eine Gelegenheit ergeben, daß sich die beiden jungen Leute nochmals sahen. Am Michaelitag war »Kirta« in dem nahen, hart an der Grenze 124 gelegenen, böhmischen Städtchen Neumark, und hier fand zugleich das alle drei Jahre sich wiederholende Fischen des etwa 32 Joch messenden, gräflich Stadionschen Teiches statt. Zu beiden Gelegenheiten strömen von nah und fern die Landleute, namentlich holen sich die bayerischen Hausfrauen auf dem Markte ihren Bedarf an Geschirr, welches hier in vorzüglicher Güte fabriziert wird.

Auf den durchwegs vorzüglichen Straßen mit den prächtigen Alleen aus edlen Obstbäumen, die über und über von Früchten strotzten, kamen zu Wagen und zu Fuß die Leute heran, und das inmitten fruchtbarer Aecker und anmutiger Wiesengelände längs des Weihers hingebaute, freundlich gelegene Städtchen, war heute von Menschen geradezu überfüllt. In das Gesumme der Stimmen mischten sich die Töne der Mund- und Zugharmonikas, sowie des Röhrlpfeiferls, deren sich die Burschen sehr gerne zu ihren nächtlichen Serenaden unter dem Fenster ihrer Auserkorenen, oder auch in Ermangelung einer andern, zur Tanzmusik bedienen. Heute aber wird der Schatz zu einer der Lebzelterbuden geführt und vom Burschen mit einem buntbemalten, mit Blumen und Sprüchen verzierten, zuckernen Herzen oder mit anderen in den verschiedensten Formen feilgebotenen Süßigkeiten beschenkt. Das Gegengeschenk des Mädchens bildet ein aus Flittergold und künstlichen Nelken gebundenes Sträußchen, das der Bua als Schmuck für den Hut erhält.

Heute war aber nicht nur der Marktplatz gedrängt voll Menschen, sondern auch die Ufer des bis zum Fuße des »Tannaberges« sich erstreckenden Weihers umstanden viele Hunderte, um dem höchst interessanten Schauspiele des Fischfanges zuzusehen. Arme Leute waren zu hunderten 125 mit Körben und allen möglichen Gefäßen zur Stelle, um, sobald das eigentliche Fischen zu Ende, auf ein gegebenes Zeichen des Gutsherrn das Nachfischen zu beginnen.

Die Ernte an prächtigen, sogenannten »böhmischen« Karpfen ist meist eine großartige und von allen, auch den entferntesten Gegenden, erscheinen Händler, um die beliebte Ware in großen, weiten Kufen weiter zu verfrachten. Die Gutsherrschaft selbst mit ihren geladenen Gästen sieht dem Schauspiele von einem eigens hierzu hergerichteten Platze aus zu und freut sich mit dem Volke der Lustbarkeit, welche der reichliche Fang mit sich bringt.

Soukup machte heute hierher seine erste, weitere Ausfahrt, da er von dem Meier des gräflichen Meierhofes, wie immer bei dieser Gelegenheit, mit seiner Familie eingeladen wurde, an diesem kleinen Volksfeste teilzunehmen. Der Quistorenhansl kutschierte und that sich nicht wenig darauf zu gute, daß er ein so hübsches Fuhrwerk lenken durfte.

Aber auch Franz hatte sich mit seinem Vater in einem flotten Einspännerwagen auf die Fahrt gemacht, und so fügte es sich, daß beide Parteien in Maxberg, wo der Chodenbauer etwas anhalten ließ und ins Gasthaus gegangen war, um sich durch einen kleinen Imbiß zur Weiterfahrt zu stärken, zusammentrafen.

Die beiden jungen Leute waren sichtlich aufs freudigste überrascht.

Franz vergaß ganz, Hančičkas Hand, die ihm diese zum Gruße gereicht hatte, wieder auszulassen, bis der Vater sagte:

»Ge zua, Neidkragen, laß mir dös Patscherl aa r an' Augenblick.«

126 Nun fand er erst Zeit, auch Frau Soukup zu begrüßen. Aber kaum hatte sich der alte Waldhofbauer zu dieser gewendet, stand Franz wieder neben dem Mädchen.

»So lang, so lang hast nichts hören lassen,« meinte dieses.

»I trau mir halt no' nöt eini zu Enk,« sagte Franz; »woaßt, wegen dein' Vater.«

»Von dem hast du nichts zu fürchten.«

»Fürchten? Na', um dös is's nöd. In deiner Näh verlernt si dös.«

»Ich hab' schon recht viel ausg'standen um dich,« bekannte das Mädchen; »aber daß nur alles so gut hinausgangen und du wieder zu Haus bist, da bin ich schon recht froh.«

»Ja mei', dös z' Haus sein dauert nimmer lang,« entgegnete Franz.

»Warum?« fragte Hančička erschrocken. »Du wirst doch nicht nochmal eing'sperrt?«

»Ja, und na'. Der Küni von Bayern braucht mi; zum Militär muaß i, auf Münka auffi zu der Kavallerie.«

»Schon bald?« fragte Hančička sichtlich bestürzt.

»In drei Tag.«

»Warum bist denn so erschrocken?« fragte Frau Soukup ihre Tochter.

»Ach denk nur, Mutter, Franzl muß Kavalier werden bei König von München.«

»Grad hat mir's sein Vater erzählt,« versetzte die Frau. »Aber das trifft ja alle jungen Männer, die tauglich sind.«

»Ja, ja, taugli is mei' Franzl,« meinte der Waldhofbauer mit einem gewissen Stolze. »G'wachsen is er 127 ja grad wie r a Kirzen, und sein Mann wird er aa machen. Da wern si d' Franzosen b'sinna, wieder amal anz'fanga. Wir Waldler san koane Guaten.«

»Dös hab' i g'spürt!« ließ sich jetzt eine Stimme vernehmen. Es war der Schloßbauer, der lachend dem jungen Burschen die Hand zum Gruße reichte.

»Seid's mir nimmer bös?« fragte dieser den Chodenbauer.

»Ei was!« entgegnete dieser. »Ich b'halt mein' Denkzettel, weiter reden wir nimmer davon. Hoffentlich sehn wir uns nochmal in Neumark beim Weiherfischen. Jetzt aber heißt's: aufsitzen.«

Man verabschiedete sich. Der Chodenbauer fuhr voraus. Der Waldhofbauer folgte mit seinem Fuhrwerk in kurzer Entfernung.

Franz sah fleißig nach dem Mädchen, das gleichfalls oft nach ihm zurückblickte, was den Waldhofbauern zu der Bemerkung veranlaßte: »Dös arm' Hascherl draaht si dennast no' 'n Hals um z'wegen dir.«

»'s hat koa' G'fahr,« gab Franz lachend zurück, und der Alte lachte mit ihm.

In Neumark angekommen, fuhr der Chodenbauer dem Meierhofe zu, der Waldbauer aber stellte im Einkehrhause ein, wo er nur mit Not noch Unterstand für sein Pferd erhielt.

Dann aber war der Alte vor allem darum besorgt, daß er nicht verschmachte, denn er behauptete, Durst zu haben »wie ein Fisch«. Franz aber begab sich zu den Marktständen, welche die lange, breite Straße des Städtchens anfüllten. Es waren zumeist Lebzelter, Spielwarenhändler und Schuhmacher, die da feilhielten; zur Seite 128 hatten die »Holzpizler« (Holzschneider) aus dem Böhmerwalde ihre landwirtschaftlichen Gerätschaften, und auf kleinen Tischen verkauften Weiber das schöne böhmische Weißbrot. Aus Wagen und Körben wurde das prächtige böhmische Obst, namentlich Zwetschgen, verkauft, oder vielmehr nahezu verschenkt, denn man kaufte da nicht pfund- oder stückweise, sondern die Kappe voll kostete einen oder zwei Neukreuzer. Die ganze übrige lange Straße nahm aber das Töpfergeschirr ein, das hier eine Spezialität bildet.

Auf dem Markte herrschte ein Lärmen, ein Schreien und Musizieren, daß man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte. Franz suchte bei einem Lebzelter ein für Hančička passendes Geschenk aus. Es war ein mit buntem Papier umwickelter feiner Lebkuchen, auf dessen Oberseite das Bild des heiligen Schutzengels angebracht war.

Auch für Frau Soukup wählte er ein mit einem Heiligenbilde verziertes Stück. Er bezahlte soeben, als er an demselben Stande Aloys erblickte, der nach einem großen roten Herzen suchte. Fast zu gleicher Zeit begegneten sich beider Augen.

Aloys schien im ersten Augenblick etwas verlegen, dann aber blickte er Franz fest und beinahe herausfordernd ins Gesicht.

Franz war es unbekannt geblieben, daß der Bursche nun wirklich im Dienste des Chodenbauern stand. Er kümmerte sich deshalb auch nicht weiter um ihn. Erst als Aloys den Krämer fragte, ob unter den mit Bildern geschmückten Süßigkeiten nicht »eine heilige Anna« (Hančička) zu finden sei, ward seine Aufmerksamkeit rege, und seine Wangen färbten sich mit flüchtigem Rot. Aber er ließ sich dadurch seine gute Laune nicht verderben.

129 »Weiß der Himmel, wem das mit Mandeln gespickte Herz zugedacht ist,« dachte er und ging seiner Wege, die ihn an den Stand eines Silberarbeiters brachten, wo er ein goldenes Ringlein mit echten Steinen aussuchte, welche in ihren Farben »Glaube, Liebe und Hoffnung« versinnbildlichten.

Franz feilschte nicht um den Preis, im Gegenteile ließ er den Ring noch in ein hübsches Etui legen und ging dann, die Tochter des Chodenbauern aufzusuchen. Daß sie mit der Mutter den Markt ebenfalls besuche, hielt er für selbstverständlich. Doch bedurfte es einiger Zeit, bis er sie in dem Gedränge aufzufinden vermochte.

Frau Soukup stand mit ihrer Tochter an dem Stande eines Seidenwarenhändlers und suchte soeben ein buntes Brusttuch aus. Hančička hielt in ihrem linken Arm ein riesiges, lebzelternes Herz, das Franz auf den ersten Blick als jenes erkannte, welches Aloys vorhin gekauft. Siedend heiß stieg es ihm auf, und er wollte sich eilig entfernen, als ihn das Mädchen erblickte.

»Da ist ja Franzl!« rief sie in frohem Tone der Mutter zu.

Nun mußte der junge Bauer stand halten.

»Schau nur, das schöne Herz!« sagte sie und zeigte ihm dasselbe.

»Von wem is's denn?« fragte Franz nur so leichthin.

»Mein Gott, von dem armen Burschen, der so viel für dich ausgestanden, du weißt ja – der Aloys von Großoagen draus.«

»Hättest nicht annehmen sollen,« sagte die Mutter; »ist mir gar nicht recht. Wenn wir kommen heim, werde ich 130 ihm geben einiges Geld dafür. Du darfst durchaus nichts mehr annehmen; weißt ja, daß es der Vater nicht will.«

»Is denn der Bursch in Chodenschloß eing'standen?« fragte Franz, seine Erregung mit Gewalt unterdrückend.

Frau Soukup bestätigte dies nicht nur, sondern lobte ihn auch als einen tüchtigen Arbeiter und erzählte, daß Aloys hergekommen, um die Karpfensetzlinge aus dem Neumarker Weiher nach dem Teiche in Chodenschloß zu verbringen.

Hančička aber berichtete mit kindlichem Eifer, daß sie dem Burschen als Gegengeschenk für das schöne Herz eine Mundharmonika geben möchte, die derselbe ebenfalls zu blasen verstände, wenn auch nicht so gut, wie Franz ihr damals vormusiziert, als sie in seinem Hofe übernachtet hatte. Besonders aber hob sie den Eifer und die Sorgfalt des jungen Burschen hervor, mit welchen er die schönen Königshasen pflege, welche ihr Franz damals geschenkt.

Der herzlich kindliche Ton, in welchem das Mädchen sprach, verscheuchte allmählich Franzens eifersüchtige Regung. Er schämte sich beinahe vor sich selbst und würde wahrscheinlich über sich selbst gelacht haben, wenn er sich nicht immer wieder der Szene am böhmischen Brunnen hätte erinnern müssen.

»I möcht' dir zum Abschied schon a kloane Freud machen, wenn's d' Muatta erlaubt?« sagte er mit etwas unsicherer Stimme. Und als Frau Soukup nichts dawider hatte, fuhr er fort: »Aber nöt da herin im Gedräng.«

Er schritt den beiden Frauen voraus und führte sie aus den Reihen der Marktstände hinaus auf einen ruhigeren 131 Platz. Hier zog er das Etui aus der Tasche und zeigte dem Mädchen den Ring.

»Magst 'n als a kloans Andenken an den großen Dienst, den 's d' mir g'leist' hast, annehmen, so machst mir a große Freud damit,« sagte er.

Hančička sah mit leuchtenden Augen auf den schönen Ring. Sie sah die Mutter bittend an, und als diese, mit dem Kopfe nickend, die Erlaubnis gab, steckte sie ihn voll Freude an den Finger. Sie dankte in herzlichen Worten dem Geber, der ihr und der Mutter nun auch die für sie bestimmten Lebkuchen überreichte. Das Gegengeschenk Hančičkas, ein prächtiger Hutschmuck in Gestalt des üblichen, mit Flittergold untermischten Blumensträußchens, ließ nicht lange auf sich warten.

»I möcht aa r an' Buschen auf mein' Huat!« rief der Waldhofbauer, der soeben herzukam, um seinen Sohn zu dem beginnenden Fischfang zu holen. »Wer kauft mir denn an' Buschen?«

»Ich!« erwiderte die Schloßbäuerin. »Gebt nur den Hut her – den schönsten sollt Ihr haben.«

Und sie schmückte auch des Bauern Hut.

»No', dös laß i mir g'fall'n!« rief dieser, ihn keck aufstülpend. »Vergelt's Gott! dös macht mi ja völli wieder jung. Aber jetzt schlaunts (eilt) enk, daß ma nöt z'spät zum Fischen kömma.«

Und in heiterstem Gespräche eilten sie nebst vielen hundert anderen dem Teiche zu. 132


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