Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XX.

Jenes unerquickliche Vorkommnis war nun freilich nicht geeignet, dem innigen Verhältnisse der beiden weit von einander entfernten Liebenden besonderen Vorschub zu leisten. Dem Franzl ließ sein Vater nichts mitteilen; er meinte, bis dessen Dienstzeit vorüber, hätte er sich mit Soukup schon wieder »zusammengerauft«.

Anders stand es im Chodenschloß. Soukup war erzürnt darüber, daß er wegen des Waldbauern vor Gericht geladen wurde. Es wäre ihm zwar leicht gewesen, sich von Strafe frei zu machen, wenn er behauptet hätte, daß man über die Krankheit seines Pferdes nicht im Reinen gewesen sei. Aber sein Stolz erlaubte es nicht, eine Unwahrheit zu sagen und so wurde er zu einer sehr empfindlichen Geldstrafe verurteilt. Dabei hielt er es für ganz unwahr, daß des Waldbauern Pferde in seinem Stalle von der bösen Krankheit angesteckt worden und dessen versicherte ihn auch Aloys, der eine eigentümliche Befriedigung darin empfand, die Kluft zwischen den beiden Bauern immer mehr zu erweitern, und sie so auch für die Liebenden geschaffen glaubte. Daß die wahre Liebe jede auch noch so weite Kluft zu überbrücken imstande ist, davon hatte der nur auf seinen materiellen Vorteil bedachte, eigennützige Bursche keine Vorstellung. So war Franz nicht wenig verwundert, als er eines Tages von Hančička folgenden Brief erhielt: 179

»Liebster Franzl! Gelt, du machst dir keine Sorge darüber, wenn unsere beiden Väter gekommen sind in bösen Streit wegen der armen Pferde? Aber du darfst dir auch keine machen, wenn gesagt hat mein Vater, ich soll dem Verwalter unseres Herrn Grafen, welcher sich in sehr anständiger Weise um mich bewirbt, entgegenkommen. Nie und nie wird untreu mein Herz meinem Franzl, dem liebsten Freund meiner Jugendzeit. Das glaubst du deiner Hančička doch? Und was du auch hören magst, glaube nur, was ich dir schreibe. Ich bin oft sehr traurig. Es ist mir eine Ahnung, daß gegen unsere Liebe ein grausiger Sturm wütet, aber wir stehen fest in Not und Gefahr, nicht wahr? Wenn du nur wieder zu Hause wärest, wenn ich dich nur wieder sprechen könnte, nur eine Stunde lang! Aber wenn es auch noch so lang dauert, bis wir uns wiedersehen, du wirst mich finden, wie du mich verlassen, als deine bis in den Tod getreue Hančička.«

So sehr dieses Schreiben den Soldaten einerseits erfreute, so sehr mußte ihn dasselbe auch beunruhigen und es war nicht zu verwundern, wenn er an jenem Tage, da er es erhielt, beim Exerzieren öfters statt linksum rechtsum machte und wohl zum erstenmale während seiner Dienstzeit einen Verweis nach dem andern von seinen Vorgesetzten empfing. Am liebsten wäre er sofort nach Hause gereist, aber an einen Urlaub war vorerst nicht zu denken. Da die beiden Väter, wie Hančičkas Brief meldete, in Streit geraten waren und er, wie er ebenfalls aus diesem Briefe ersah, einen Nebenbuhler hatte, so machte ihm der letztere nicht wenig Sorge. Er hatte zwar nicht den geringsten Grund zur Eifersucht, aber er vermochte es 180 dennoch nicht, derselben sein Herz zu verschließen. Daß sein Mädchen stark und treu sei, daran zweifelte er nicht, aber eben so gut wußte er, wie rücksichtslos der stolze Chodenbauer war, und daß es nicht ausgeschlossen sei, daß er die Tochter zu einer Verbindung zwingen könnte, so sehr sie sich auch dagegen sträuben würde.

Das waren böse Stunden, in denen er diesen Gedanken und Befürchtungen Raum gab. Natürlich schrieb er seinem Vater und erbat sich Aufklärung über seinen Streit mit Soukup, und als er hierauf Antwort erhielt, wuchs seine Unruhe nur noch mehr.

Hančičkas Ahnung war gerechtfertigt, es lag etwas dazwischen, das Unheil schuf. Und wie von selbst stand Aloys vor seinem Geiste. Der feindliche und zugleich spöttische Blick, den er ihm bei jeder Begegnung zuwarf, wollte ihm nicht aus dem Sinn. Seine Nerven zuckten und die Hände ballten sich krampfhaft zusammen, wenn er jenes Blickes gedachte. Dazu trug besonders auch die Aeußerung eines Kameraden bei, der, mit Aloys in der gleichen Pfarrei beheimatet, sich einmal über dessen Chodenanzug lustig machte, aber zugleich behauptete, derselbe diene nur dazu, sich Herz und Hand eines vermöglichen Chodenmädchens zu erringen. Wer damit gemeint sei, war für Franz kein Geheimnis, aber der Landsmann ahnte nicht, wie nahe seine Erzählung den Kameraden berühre.

Dieser aber war innerlich empört über die Großthuerei des ihm so verhaßten Burschen und schon der Gedanke, daß es derselbe wage, sich in solcher Weise zu äußern, bewirkte, daß ihm das Blut zu Kopfe stieg und er erachtete es als durchaus geboten, alles anzuwenden, daß Aloys aus dem Chodenschlosse entfernt werde. – –

181 Der Winter war herangekommen, mit ihm die Arbeit in der Bauernstube bei Spinnrad oder Federschleißen. Während es außen stürmt und haushohe Windwehen entstehen, finden sich die Mädchen täglich in bestimmten Häusern zusammen mit Spinnrad und Rocken, und die Burschen gehen ab und zu, je nachdem es ihnen ihre Arbeit erlaubt. Die älteren Leute setzen sich auf die Ofenbank und unterhalten sich an dem heiteren Treiben der jungen. Da wird geplaudert und gesungen, oder es werden Märchen und andere Geschichten vorerzählt, an welchen der Böhmerwald so reich ist, von Waschweiblein, von Holz- und Burgfräuleins, von dem Schlangenkönig mit der goldenen Krone, von versunkenen Städten und Burgen und von eingemauerten Rittersfrauen.

So erzählte man sich unter andern von der nahegelegenen Ruine »Herrenstein«, welche im fünfzehnten Jahrhundert durch Albrecht, Herzog in Bayern, belagert und in Brand gesteckt wurde, daß der damalige Burgherr seine drei schönen Töchter mit allen seinen Schätzen in einem Turme – der Jungfernturm genannt, hatte vermauern lassen, wo sie bis heute noch in der Nacht vor jedem Palmsonntage als irrende Geister, auf Erlösung harrend, erscheinen und herumwandeln sollen. Nur ein reiner Jüngling, der alle Erlösungsbedürfnisse zu erfüllen imstande wäre, könnte diese drei Jungfrauen befreien, wofür ihm sodann alle dort verborgenen Schätze als Lohn zufallen sollten. Bis jetzt hat sich noch kein solcher Jüngling gefunden, und niemand bedauerte es mehr, als der alte Jirka, daß er in seiner Jugend nicht ein solch beherzter Jüngling gewesen, denn seit er dem Gespenste des Freiherrn von Lammingen gegenüber gestanden, hielt 182 er sich zu allem fähig. Daß er vor demselben geflohen sei, wie der Gottseibeiuns vor dem Kruzifix, das freilich sagte er niemand. Und wenn Hančička bei dieser Erzählung immer von neuem laut auflachte, begriff er nicht, warum ihm gerade diese im Gegensatze zu allen andern Zuhörern den gebührenden Respekt für seine Tapferkeit versagte.

Ganz besondere Fröhlichkeit herrscht aber in den Chodendörfern zur Zeit des Faschings. Musik und Tanz, meist auch Vermummung sind da an der Tagesordnung. Die Böhmen lieben es, sich zu maskieren, und wenn die Maskerade auch nur aus einer häßlichen, grell bemalten Larve oder einer entsetzlich langen Nase vor dem Gesichte besteht. Die drei letzten Faschingstage bilden natürlich den Höhepunkt der tollen Zeit. Am »feisten Sonntag«, am »blauen Montag« und dann am Dienstag, der eigentlichen Fastnacht, nehmen Schmauserei und Trinkgelage kein Ende, wobei die größte Freiheit herrscht für Tanz und Lied und Lustbarkeiten aller Art. Die Dorfschenken sind den ganzen Tag voll Leben und Gedränge; die Musik spielt fast ohne Unterbrechung auf, alles trifft im Wirtshause zusammen, wobei die tollsten Späße und komischsten Einfälle zu Tage treten. Wie der Dudelsack vor Zeiten das allbeliebte und allerorts gebräuchliche Musikinstrument war, so ist er es auch jetzt noch vielfach in den Chodendörfern. Dazu singen die Burschen die sogenannten Tanzlieder, welche sie oft sehr gewandt aus dem Stegreife machen. Alt und jung maskiert sich und sucht die Nachbarn zu überraschen oder zu erschrecken. Züge von Masken wandern durch die Dörfer, und am Faschingsdienstag muß jedes Liebchen irgend ein Gebäck in Bereitschaft halten, 183 um den Liebhaber, der es zum Bier führt, damit zu beschenken.

Für diesen Tag entschloß sich auch der Schloßbauer, mit Frau und Tochter zum Balle ins Wirtshaus zu gehen. Letztere verspürte zwar wenig Lust dazu, denn sie nahm sich fest vor, mit niemand zu tanzen, da Franzl nicht anwesend war. Doch dem Befehle des Vaters war nicht entgegen zu treten.

Als sie dort ankamen, herrschte schon ein ungemein fröhliches Treiben auf dem Tanzboden und in den nebenan liegenden Stuben. Dudelsack, Klarinett und Baßgeige machten das Orchester aus. An diesem Tage gebührt den Mädchen die Vorhand. Sie wählen sich selbst die Tänzer und zahlen Musik und Getränk, indem man die Geldsteuer folgendermaßen aus ihnen herauspreßt.J. Rank »Aus dem Böhmerwald.« Man stellt einen Sessel in die Mitte der Tanzstube, darauf einen Teller. Jeder Bursche ergreift eine Tänzerin und tanzt mit ihr um den Stuhl, bleibt dann mit ihr vor demselben stehen und fordert Geld. Er drängt wiederholt und so stürmend in sie, bis er bei reichen Mädchen oft bis zu zwei Gulden herausgelockt hat. Wenn das Geld gesammelt ist, wird damit die Musik bezahlt, Getränke gekauft und jeder Anwesende damit bewirtet.

Hančička konnte nicht umhin, sich zu diesem Zwecke ebenfalls zum Tanze um den Stuhl von einem Burschen wählen zu lassen, da sie den Hauptbeitrag zur Bewirtung geben wollte und auch wirklich gab.

Der ganze Saal hatte sich alsbald mit den verschiedenartigsten Masken gefüllt und das Singen, Jauchzen und 184 Musizieren war fast ohrenbetäubend. Der Schloßbauer gab seiner Tochter den Wunsch kund, sie möge, soweit sie in ihren Masken erkennbar waren, einen nach dem andern der anwesenden Söhne von hervorragenden Chodenbauern zum Tanze holen.

Aloys trieb sich fortwährend in Hančičkas Nähe herum. Seine Maske bestand nur in einem hohen, altmodischen Zylinder und langen Rock.

»Du solltest dem Burschen auch die Ehr erweisen und einmal mit ihm herumtanzen,« sagte Soukup zu seiner Tochter, als er ihn bemerkte. »Er ist unserm Hause treu gleich einem Choden.«

Aber das Mädchen weigerte sich heute mit aller Entschiedenheit dagegen, wußte sie ja, daß es Franz nicht lieb sein würde. Den Grund hiervon konnte sie sich zwar nicht erklären, sie glaubte ihn auf ein Geheimnis aus früheren Jahren zurückführen zu müssen. So stand inmitten des Gewühles und Lärmens das Bild des fernen Freundes vor ihrer Seele und unwillkürlich regte sich in ihr der Wunsch: »Wenn er doch auch da wäre!« Da setzte sich, als ihre Eltern eben einen Besuch an einem Nachbartische machten, eine in eine schwarze Kutte (Domino) gehüllte Gestalt, die eine einfache Larve vor dem Gesicht hatte, neben sie und sprach sie mit verstellter Stimme an.

»Hančička, erschrick nöt,« sagte die Maske, »und verrat mi aa nöt – i bin der Franzl.«

»Wie?« rief Hančička, »der Franzl, du? Das ist verlogen.«

»I bin's, du därfst es glauben!« versicherte er. Und dann erzählte er ihr eiligst, daß er während der Fastnacht auf zwei Tage Urlaub erhalten, daß er sich aber 185 nur kurze Zeit hier aufhalten könne und mit dem Nachtzuge um 12 Uhr von Taus weg direkt nach München fahren müsse. Der Quistorenhansl, mit dem er unterwegs zusammengetroffen, habe ihm erzählt, daß er eines Streites wegen nicht mehr im Schloßbauernhof sei, sondern nun wieder seinen Leinwand- und Federnhandel betreibe. Er hätte ihm den Rat gegeben, vorerst nicht mit dem Chodenbauern zusammenzutreffen und sich Hančička nur maskiert zu nähern. Er habe den Quistorenhansl auf dem Schlitten mit hergenommen und dieser habe ihm dafür die Kutte verschafft, um unerkannt hierher kommen zu können. Der Zweck sei, sie zu sehen und ihr mitzuteilen, daß sein Vater bereit sei, sich mit Soukup auszusöhnen und zu diesem Zwecke morgen nach Chodenschloß kommen werde. Wenn dann in einem halben Jahre seine Dienstzeit beendet, würde hoffentlich alles wieder in schönster Ordnung sein.

Hančička, die hocherregt nach den aus den schmalen Schlitzen der Larve hervorfunkelnden Augen des Geliebten spähte, fragte jetzt:

»Franzl, ich kann's kaum glauben, daß du's bist?«

»Glaub's nur!« entgegnete der Mann, »und daß's 'n Leuten nöt z' auffallend wird, so tanz mit mir; da sollst dös Weiter hör'n.«

Hančička wußte nicht, sollte sie glauben oder zweifeln. Doch bemächtigte sich ihrer eine unendlich freudige Stimmung und als jetzt die Maske ihre Hand ergriff und drückte, da war es ihr, als strömte ein beseligendes Gefühl durch ihren ganzen Körper.

»Laß uns zum Tanz gehn, Hančička,« bat der andere 186 mit weicher Stimme. »Deine Eltern brauchen mi nöt z'kenna.«

Beide hatten bemerkt, daß Soukup und seine Frau sich erhoben, um an ihren Tisch zurück zu kommen. Wie berauscht ließ sich das Mädchen von dem Fremden zum Tanze führen.

Es war ein großes Gedränge, alles tanzte durcheinander, keiner achtete auf den andern. Der Tänzer drückte daher mehrmals, ohne daß es die andern bemerkten, Hančička an seine Brust und sagte dabei:

»Mei' liabs, liabs Deandl!«

»Franzl, laß mich dein Gesicht sehen, nur einen Augenblick!« bat das Mädchen.

»Da nöt,« entgegnete der Mann. »Aber schaug, daß d' ummi kannst zum alten Jirka, nur auf an' Augenblick – laß di von deiner Muatta begleiten, – du find'st mi bei eam; er wird mi nöt verraten. Kimmst?«

Er drückte sie bei dieser Frage fest und leidenschaftlich an sich. Hančička wußte nicht, that sie recht oder unrecht, aber sie sagte zu, ihn beim alten Jirka treffen zu wollen. Der Tanz war aus. Der Mann führte Hančička in die Nähe ihres Platzes und verschwand dann im Gedränge. –

Aloys hatte den Fremden keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Ihm war die Zärtlichkeit, mit welcher derselbe das Mädchen an sich drückte, nicht entgangen. Er mußte dahinter kommen, wer die Maske sei und als diese nun eiligst den Tanzplatz verließ, schlich er ihr nach und sah, daß sie an Jirkas Laden klopfte und der Alte ihr sofort öffnete.

Rasch eilte der Späher nun auch zur Wohnung Jirkas 187 und lauschte. Er konnte die Worte nicht genau verstehen, welche die beiden drinnen sprachen, aber er erkannte in einem der Sprechenden sofort den Waldbauern Franz.

Sein Entschluß war gleich gefaßt. Er zweifelte keinen Augenblick, daß die Liebenden hier eine Zusammenkunft verabredet. Wenn er dies Soukup mitteilte, ward ihr Vorhaben leicht vereitelt.

Auf das Befragen Hančičkas, wer ihr Tänzer gewesen, erhielten die Eltern von derselben die Antwort, daß er ihr selbst zwar unbekannt, aber jedenfalls ein guter Bekannter gewesen sein müsse. Sie ahnten auch nichts, als Hančička bald darauf meinte, man solle dem alten Jirka, der sich heute sehr vereinsamt fühlen müsse, doch auch eine kleine Freude machen. Sie wolle ihm vom Fastnachtsball etwas hinüberbringen, die Mutter möchte sie zu diesem Zwecke begleiten.

Frau Soukup war damit einverstanden. Sie füllte einen Teller mit Eßwaren, nahm eine Flasche Wein und machte sich mit ihrer Tochter auf den Weg. Kaum aber hatten sich die beiden entfernt, als Aloys zu Soukup herantrat und ihm mit geheimnisvoller Miene sagte: »Herr, im Vertrauen, wißt's, wer beim alten Jirka drent is, und wer der Tänzer in der schwarzen Kutten war? Der Waldhofbauern Franz is's; i woaß's g'wiß.«

Soukup war hoch überrascht. Doch er besann sich nicht lange, sondern eilte den beiden Frauen nach und hieß Aloys ihm folgen. Er konnte die ersteren noch durch Zurufe aufhalten, ehe sie Jirkas Wohnung erreicht hatten. Zu Aloys aber sagte er: »Du gehst zum Jirka und sagst dem Franz, ich leid's nöd, daß meine Tochter mit ihm zusammenkommt, am wenigsten zur Nachtzeit. Er soll 188 machen, daß er weiter kommt; von uns kriegt er keine Audienz.«

»Aber Oes sagt's nöt, Herr, daß i's verraten hab?« fragte Aloys ängstlich.

»Sei unb'sorgt!« lautete die Antwort.

Frau Soukup kam eben zurück und fragte, was er wünsche.

»Ich hab mir die Sach überlegt, dös Essen und Trinken soll der Aloys dem Jirka bringen,« sagte er; »es paßt mir nöt, daß ihr bei Nacht so rumlauft.«

Die Mutter, welche durch Hančička unterdessen unterrichtet worden, war von diesem strengen Befehl aufs unangenehmste überrascht. Sie wollte Einwendungen machen, aber der Bauer nahm ihr Teller und Flasche ab und gebot Aloys, beides dem Jirka zu bringen, was denn auch geschah.

Hančička war in der peinlichsten Lage. Sie sah ein, daß ihr Vater, der schon etwas über den Durst getrunken, keinen Widerspruch dulde. Deshalb sprach sie schüchtern den Wunsch aus, nicht mehr ins Gasthaus zurückkehren zu wollen, sondern sich nach Hause zu begeben, aber auch das gestattete der Vater nicht. Er wollte, daß man bleibe, bis der Fasching begraben würde. Es blieb nichts übrig, als der Sache ihren Lauf zu lassen und dem Vater ins Gasthaus zurück zu folgen.

So hatte Hančička bald wieder, freilich mit den peinlichsten Gefühlen, ihren Platz im Saale eingenommen. Daß sie den so nahen Geliebten gar nicht von Angesicht sehen sollte, war ihr sehr schmerzlich. Sie wußte, daß er um zwölf Uhr in Taus sein müsse und jetzt war es bereits 189 elf Uhr; er mußte also fort, ohne daß sie sich nochmals gesprochen.

Und wird ihn Aloys bei Jirka entdecken? Diese bange Frage legte sich ihr schwer aufs Herz. Sie hoffte, daß es nicht der Fall sein möchte. Ihr einziger Trost war es, daß sie ja morgen früh von Jirka alles erfahren würde. So saß sie still und in Gedanken versunken da; die Mutter redete ihr zu, sie schien aber nicht darauf zu hören. Als sie aber nach einiger Zeit aufblickte, sah sie Aloys vor dem Tische stehen.

Sie suchte in seinem Gesichte zu lesen, ob er etwas von Franz wisse, aber er war ganz unbefangen und sagte, er habe den alten Jirka erst aus dem Bette trommeln müssen, um ihm durchs Fenster den »Bschoad« übergeben zu können. Der Alte lasse tausendmal »Vergelts Gott« sagen und er behaupte, im ganzen kaiserlich königlichen Staate gäbe es keine so aufmerksamen und barmherzigen Leute, wie im Chodenschloß.

Durch diese Rede fühlte sich Hančička etwas erleichtert; das Geheimnis war also nicht aufgedeckt worden. Daß Aloys dann längere Zeit mit ihrem Vater sprach, fiel ihr gar nicht auf.

Schon ging es auf Mitternacht zu, und es wurden Anstalten getroffen, den Schluß des Karnevals »Voračky« zu feiern, welcher im »Begraben des Faschings« – »pochovati masopust« besteht. Die Baßgeige wurde in Weiberkleider gesteckt und, mit Bändern geschmückt, auf zwei Stühle gelegt. Die Burschen flennten und heulten und bejammerten den Tod des edlen Instrumentes. Dabei fungierten von drei Musikanten der eine als Celebrierender, die beiden andern als Ministranten, Mörser statt der 190 Rauchfässer schwingend, wozu ein de profundis gesungen ward. Mit dem Schlage der Mitternachtsstunde hatte die Mummerei und der tolle Spaß ein Ende und alles begab sich ruhig und ernst nach Hause.Siehe näheres: Frhr. von Helfert »Die Čečho-Slaven.«

Auch der Schloßbauer mit Frau und Tochter war heimgekehrt, jedes von ihnen mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Hančička konnte mit der Mutter nicht mehr sprechen, sie begab sich aus ihre Stube im oberen Stock, dessen Fenster gegen Taus zu gingen; sie öffnete eines derselben. Es war eine wundervolle Winternacht. Ein Meer von hellglitzernden Sternen, deren Glanz in den Krystallen des Schnees widerfunkelte, erfüllte das Firmament. Die kalte Luft erquickte das hocherregte Mädchen. Eine unendliche Sehnsucht nach dem so plötzlich gekommenen und so rasch wieder verschwundenen Geliebten erfüllte ihr Herz. Nur einen Blick hätte sie in sein Gesicht werfen mögen, damit sie sich seine Züge wieder neuerdings hätte einprägen können. Beinahe ein Jahr hatte sie dieses Anblickes entbehren müssen, und jetzt war er bei ihr und –

Ein heller Pfiff der Lokomotive tönte durch die stille Nacht. Der Schnellzug war in Taus angelangt. Bei seiner Weiterfahrt nach Furth kam er in geringer Entfernung an Chodenschloß vorüber. Das wollte sie abwarten. Es währte nicht lange, so hörte sie den Zug herankommen. Unwillkürlich winkte sie mit der Hand nach jener Richtung hin.

»Gott nimm dich in seinen Schutz, liebster, liebster Franzl!« lispelte sie.

Da fuhr ein Meteor am Himmel hin und Hančička 191 nahm dies als ein glückverheißendes Zeichen. Lange lauschte sie noch, so lange sie das Brausen des sich rasch entfernenden Zuges hören konnte. Endlich war es ruhig. Nichts störte mehr die heilige Stille der Winternacht.

Hančička schloß das Fenster und begab sich zur Ruhe. Sie mußte weinen, aber während ihre Thränen flossen, kam ihr der Text des Liedes in das Gedächtnis, welches ihr Franz als erstes Ständchen dargebracht:

Ruhig, wein' nicht, Aennchen mein,
Finde bald mich wieder ein,
Ja, will's Gott, freu'n wir uns wieder
Im Beisammensein. 192


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