Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXVII.

Hančička stand in jener Nacht an einem Fenster des Gehöftes, welches einen Blick in die freie Landschaft gewährte. Der Mond stieg in voller, runder Scheibe über dem Ossagebirge herauf und goß sein helles Silberlicht über die Waldberge rings umher. Feierliche Stille herrschte in weitem Umkreise. Hančička blickte anscheinend gedankenlos in die Gegend hinaus. Es waren auch keine zusammenhängenden Gedanken, es war ein unbestimmtes Brüten, ein unklares Ahnen, das sie befangen hielt. Es giebt solche Ahnungen, deren man sich oft unklar bewußt ist, die aber in vielen Fällen die Einleitung zu einer nachfolgenden Begebenheit bilden. Zufällig wandte sie den Blick vom Wege ab, dem Walde zu, auf dessen Tannenwipfeln das Mondlicht flirrte, während es aus den nahen Stauden und Sträuchern phantastische Gestalten schuf.

Kam dort nicht ein Mann aus dem nahen Walde? Sie täuschte sich nicht; doch war es auffallend, daß der Ankommende an jedem einzelnen Baume wie lauernd stehen blieb. Franz konnte das nicht sein, auch der alte Waldhofbauer nicht, denn beide blieben stets auf dem gebahnten Wege. Von den Knechten war es auch keiner. Sie hatten beide des Feiertags halber Erlaubnis erhalten, nach Prennet zu gehen, um sich dort mit andern Kameraden vergnügt zu machen; und der Hüterbub lag längst auf seinem Lager.

239 Während Hančička das alles überdachte, kam die nächtliche Erscheinung immer näher heran. Sollte es ein Schmuggler sein? Oder einer, den eine böse Absicht hierher führte zu einer Zeit, wo zufällig alle männlichen Personen abwesend waren?

Die junge Frau war ganz schutzlos. Schnell ergriff sie die kleine Baumhacke, mit welcher Franz gestern in der Waldung die zum Fällen bestimmten Bäume bezeichnet und dann neben dem Ofen aufgehangen hatte. Diese in der Hand, eilte sie abermals ans Fenster, dieses Mal in der Absicht, es zu schließen. Da erschrak sie heftig, denn in diesem Augenblick stand sie einem Manne gegenüber, den sie jetzt sofort erkannte.

»Aloys!« rief sie, »was thust du hier um diese Zeit?«

»Bst!« machte dieser. »Es braucht neamd z' wissen, daß i da bin.«

»Und warum das? Warum bist du so herangeschlichen? Droht dir Gefahr? Weiß Vater und Mutter –«

»G'wiß wissen sie's,« unterbrach er sie. »I hab ja a Botschaft. Der Verwalter von Kaut kimmt morgen in aller Fruah wegen der Pachterneuerung. Es san aber a paar andere da, die schon lang drauf spitzen und 'n Vatern drucken möchten. Und also, da sollts Ihr nur a paar Zeilen kritzeln an Herrn Verwalter, aber verstohlens, daß Enker Bauer nix merkt, denn Oes wißts ja, daß er auf'n Verwalter eifersüchti gwen is.«

»Ich ein paar Zeilen schreiben?« fragte sie.

»In, a kloans Briafl. D' Muatta moant, dös könnt was nutzen. Der Vater woaß nix davon. So bin i hoamli außa, daß neamd was merkt.«

240 »Ja, wenn's nur mein' Franzl recht ist, wenn ich schreibe,« meinte sie.

»Es handelt si ja ums Wohl von die Eltern,« redete ihr Aloys ein. »Nachdem der Vater so lang Schloßbauer gwen is, wär's dennast hart für eam, jetzt plötzli abtrumpft z'wern.«

Hančička leuchtete das ein. Sie glaubte nichts Unrechtes zu thun, wenn sie an den Verwalter schrieb. Sie lud Aloys daher ein, ins Haus zu treten.

»I därf nöt gsehn wern, sonst kriegt der Franz Wind, und der erlaubet's nöt,« meinte der Bursche. »Drum plagt's Enk nöt. I steig glei durchs Fenster ein.«

»Nein, nein,« rief Hančička.

»Es is ja Nacht!« entgegnete Aloys.

»Eben darum!« erwiderte Hančička. »Man könnte denken Schlechtes von mir. Gleich bin ich mit Brief fertig. Warte!«

Sie eilte zum Tische, entnahm aus der Schublade Schreibzeug und Papier, schraubte das hörnerne Tintengefäß am Tische fest und fing an, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, an den Verwalter einige Zeilen zu schreiben, in welchen sie ihn bat, beim Herrn Grafen dafür zu sorgen, daß ihrem Vater wieder der Pacht für die nächste Zeit belassen würde.

Sie war mit ihrer Arbeit so sehr in Anspruch genommen, daß sie gar nicht bemerkte, wie Aloys sachte in die Stube stieg und sich ihr leise näherte.

Noch niemals hatte sich ihm eine solch günstige Gelegenheit geboten, Hančička seine seit Jahren unterdrückte Neigung zu offenbaren. Diese war mit dem Briefe zu Ende 241 und sprang jetzt erschrocken auf, als sie den Burschen plötzlich neben sich sah.

»Aloys,« rief sie, »was hast du gethan. Denkst du nicht, meine Ehre –«

»I denk an nix, Hančička, als an mei' Lieb zu dir,« rief der Bursche leidenschaftlich, »an mei' Lieb, die mir am Herzen frißt, seit i di gsehn hab zum erstenmal, g'schlossen als Verbrecher –«

»Du bist jetzt wieder Verbrecher, wenn –«

Der Bursche ließ sie nicht weiter zu Worte kommen. In überstürzender Rede stellte er ihr vor, was er für sie und um sie gethan, und daß er auch ihren Vater nur um ihretwegen gerettet.

»Und seit dem Augenblick,« fuhr er fort, »hat si aa dei' Herz mir zuagwend't, und du hast mir durtmals versprochen, daß d' mir geben willst, was i begehr. No' ja, und i begehr jetzt als Lohn an' Schmatz von dir, an' oanzigen –«

»'s Leben vom Vater dank ich dir, das weiß ich; aber meine Ehre opfere ich nicht dafür,« sagte Hančička, und in bittendem Tone fuhr sie fort: »Ich bitt dich, Aloys, geh – thu's mir z'lieb. Wenn jetzt Franzl kommt – allmächtiger Gott, ich vergehe vor Angst.«

Noch nie war ihm Hančička so schön vorgekommen, wie in dieser Hilflosigkeit. Er betrachtete die Bittende mit sinnlichen Blicken.

»I geh,« sagte er, »aber nöt, ohne daß d' mir mei' Bitt erfüllt hast. Nur aan' oanzigs Bußl gieb mir; an dem wil i zehrn mei' ganz's Leb'n lang – nur an' oanzigs!« Und ohne ihre Antwort abzuwarten, suchte er sie zu umfangen.

242 Hančička versuchte ihn abzuwehren.

In diesem Augenblicke erschien Franz mit geisterbleichen Zügen am Fenster, sprang durch dasselbe herein, raffte die Hacke vom Boden auf und stürzte auf Aloys zu.

»Franz! Um Gotteswillen, Franz!« schrie Hančička auf.

Aloys wandte sich rasch um und wollte sein Messer ziehen. Aber bevor ihm das gelungen, hatte Franz zum Schlage ausgeholt und streckte den Eindringling zu Boden.

243 Ein dumpfer Schrei, ein Fall – Hančička sah und hörte nichts mehr. Die Sinne schwanden ihr und bewußtlos stürzte auch sie zu Boden.

Das war ihr Glück, denn schon hatte der seiner Sinne nicht mehr mächtige, wuterfüllte Mann auch zu einem Streiche nach ihr ausgeholt.

»Falsche! Elende!« schrie er und warf die Hacke neben sie auf den Boden. Durch den Lärm wurden die Mägde herbeigerufen. Auch die alte Großmutter wankte zitternd und nur mit dem Notdürftigsten bekleidet, herbei. Ein allgemeines Wehgeschrei erhob sich bei dem Anblicke, der sich dem Auge darbot. Franz hatte sich auf die Fensterbank gesetzt und hielt seinen brennenden Kopf in den Händen; er atmete nicht, er schnaubte gleichsam nach Luft.

»Franzl, was is g'schehn? Allmächtiger Gott, was is g'schehn?« schrie die Großmutter. »Was is's mit'n Wei? Wer is der Bursch da? Franzl, was is g'schehn?«

Die Ehehalten hatten sich um Hančička zu schaffen gemacht.

»Was wird g'schehn sein?« entgegnete jetzt Franz mit tonloser Stimme. »Der Aloys is's – beim Wei hab i 'n troffen und – da liegt er, wie r i's eam gschworn hab.«

Der alten Frau brachen die Knie, sie mußte sich setzen.

Hančička hatte, als ihr die Mägde den Kopf in die Höhe hoben, die Augen aufgeschlagen. Als wäre sie aus einem bösen Traum erwacht, blickte sie um sich und ein Entsetzensschrei drang über ihre Lippen.

»Fort! fort!« rief sie.

»Bringt sie ins Bett!« befahl die Großmutter.

Jetzt war sich Hančička wieder ihrer Sinne bewußt.

244 »Franz,« rief sie, »du hast schreiend Unrecht begangen! Aloys hat nur einen Brief geholt; dort liegt er auf dem Tisch. So wahr ich will selig werden, nie, auch nur mit einem Gedanken, war ich dir untreu. Das solltest du wissen. Ich bin eine Chodin!«

Franz wehrte ihr ab und wies nach der Thüre, damit sie sich entferne. Von ein paar Mägden begleitet, begab sie sich in ihre Schlafstube, wo sie sich, allein gelassen, auf ihr Bett setzte.

Der Uebergang vom Glück zur Trübsal war zu unvermittelt erfolgt, sie war wie betäubt. Vergebens besann sie sich, wodurch sie ihrem geliebten Mann Grund zu solchem Mißtrauen gegeben. Sie war sich keines Fehls bewußt. Ihr Stolz erwachte. Sie fühlte sich als einen Sprößling vom Stamme der Choden, Kozina war ihr Ahne, und nun sollte sie sich das höchste, was sie besaß, ihre Ehre, so ungestraft rauben lassen?

Sie schickte eine Magd zu ihrem Manne und ließ ihm sagen, sie verlange eine Zusammenkunft mit ihm, sie habe mit ihm zu sprechen.

Die Knechte waren unterdessen heimgekommen und auch der alte Waldhofbauer. Alle erfüllte die Blutthat des jungen Bauers mit Entsetzen. Aloys war der Schädel eingeschlagen. Er war sofort tot gewesen.

»Bauer, geht's außer Lands!« riet der Oberknecht. »Wie lang geht's her, wern d' Gendarm kömma.«

»Laß 's kömma!« entgegnete Franz. »No' eh's Tag wird, spannst ein und fahrst mi eini auf Furth zum G'richt. Bin schon amal dort gwen,« setzte er bitter hinzu.

Der alte Waldhofbauer hatte Sankt Jakobi zu Ehren so viel getrunken, daß ihn selbst das blutige Ereignis nicht 245 ganz nüchtern zu machen vermochte. In seinem Rausche sah er statt des einen Erschlagenen deren zwei auf dem Boden liegen, und er fragte fortwährend, wer denn der andere sei. Er war überhaupt heute nicht mehr imstande, die Sachlage zu erfassen. Er gab sich auch gar keine Mühe dazu, sondern wankte mit unsicheren Schritten nach seiner Kammer.

Bei der Leiche blieben zwei Knechte zurück; alle übrigen entfernten sich. Franz war in die obere Stube hinaufgegangen, um noch einiges zu ordnen. Der Magd, welche ihm Hančičkas Wunsch meldete, sagte er, daß er die Bäurin dort erwarte.

Ihre letzten Worte hatte sie mit solcher Feierlichkeit gesprochen, daß Franz in der That in seinem Verdachte wankend gemacht wurde.

»Da bin i. Was willst?« sagte er, als Hančička zu ihm eintrat.

»Was ich will? Franz, kennst du denn deine Hančička nicht mehr? Deine treue Hančička, die kein größeres Glück weiß, als dich lieben. Seit jenem ersten Begegnen beim Drachenstich in Furth, schon als Kind, hab ich nichts Höheres gewußt. Du warst mir alles. Ich dachte nicht daran, dem Aloys mehr zu sein, als dankbar. Ich habe nicht erlaubt, daß er zu mir gestiegen ins Zimmer, habe ihn fortgeschickt, und als er verlangt von mir einen Kuß, wär ich schon allein fertig geworden, wenn nicht du so wütend dazu gekommen.«

»Der Kuß hat eam 's Lebn kost, und mir – no', 'n Kopf wird 's wohl nöt kosten!«

»Franz! Franz!« rief Hančička, »sage mir, daß du mich nicht hältst für schuldig.« Und sie erklärte ihm mit 246 fliegender Hast, wie die ganze Sache gekommen. Sie schwur ihm bei allem, was heilig, daß sie nicht Verrat an ihm geübt und daß sie niemals anders, als in Liebe seiner gedacht.

»Das mußt du mir glauben!« drang sie in ihn. »Wäre es nicht so, so würde ich bekennen mein Unrecht, denn ich bin gewohnt, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn sie mir den Todesstreich brächte, zu dem du schon die Hand gegen mich erhoben hattest.«

Franz blickte die neben ihm Knieende lange schweigend an. Dann öffnete er seine Arme und hob sie empor an seine Brust.

»Ja, i glaub's, du bist mei' treus Weib,« sagte er. »Aber den falschen, ehrlosen Buam hat sei' Schicksal erreicht. I fahr mit Tagesanbruch nach Furth. Was 's mit mir anfanga, dös laßt si leicht denka. Trag dei' G'schick, Hančička; vielleicht kommt no'mal a Zeit, wo wir wieder glückli beisamm sein könna. Für jetzt is's vorbei!«

Hančička schwamm in Thränen. Der Abschied von dem geliebten Manne war ihr namenlos schwer. Auch sämtliche Ehehalten weinten, als der Bauer schied, und die Großmutter jammerte laut auf. Nur der Waldhofbauer war nicht aus dem Schlafe zu erwecken. Als er aber andern Tages beim Erwachen die traurige Wahrheit erkannte, war auch er gebrochen an Leib und Seele. Er vergaß in seinem Schmerze auf das Schmalzlerglas und den Maßkrug. Er vergaß darauf auch in den nächsten Tagen, denn Gerichtskommission, Pfarrer, Meßner und dann der Besuch Soukups und seiner Frau, welch letztere zum Troste bei Hančička verblieb, ließen ihn zu gar keinem richtigen Gedanken kommen.

247 Am schmerzlichsten war es aber allen im Hause, als Franz von Gendarmen zur Konfrontation mit dem Erschlagenen herbeigebracht wurde. Er gab alles wahrheitsgetreu zu Protokoll und nannte das Bettelweib als Zeugen für die Missethaten des Erschlagenen.

Nach dem Verhöre gestattete ihm der Gerichtsbeamte eine Unterredung mit seinem jungen Weibe. Dieses schien aber ganz trostlos zu sein. Franz allein blieb gefaßt.

»Mei' G'wissen sagt mir, daß eam recht tho' hab,« sagte er; »und 's G'setz wird mit mir g'recht und gnädi sein.« 248


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