Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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II.

Der Schloßbauer von Chodenburg, Hans Soukup, Hančičkas Vater, hatte in Fichtenbach das Geld für ein paar dorthin verkaufte Ochsen einkassiert, und nachdem er im dortigen Wirtshause mit ein paar Bekannten tüchtig gezecht, den Heimweg angetreten. Er wählte den Weg über Vollmau, um von hier den letzten Zug nach Taus zu benützen, wo er zu übernachten gedachte, weil er zur Nachtzeit mit der schwer gepfropften Leibgurte nicht zu Fuß durch die Waldungen gehen wollte. Er fürchtete sich zwar nicht, denn er war ein kräftiger Mann, und sein hoher, dicker Haselstock mit der kleinen Axt am oberen Ende war ihm eine zur Beruhigung dienende Waffe. Mit Bezug auf diese sagte er oft: »Soll's einer nur probieren, mi anz'packen! I schlag'n nieder, wie einen Hund.« Gleichwohl hielt er es für besser, das Geld, welches der Gutsherrschaft in Kauth gehörte, auf sichere Weise heimzubringen.

Er wäre freilich lieber heute mit Frau und Kind zum Drachenstich nach Furth gewandert, als nach Fichtenbach, doch war für heute der Zahltag bestimmt, und das Geschäft ging dem Vergnügen vor. Im Wirtshause zu Vollmau that er sich noch einmal gütlich und trank wohl einen Schluck, vielleicht auch mehrere, über sein gewöhnliches Debitat; dann trat er, als die Zeit zur Abfahrt nahe rückte, seinen Weg gen Kubitzen zu an, in dessen Nähe er 24 plötzlich von einem ihm völlig unbekannten Burschen angefallen ward. Bei dem heftigen Donner und in seinem etwas »begeisterten« Zustande hörte er nur von Uhr und Kette, die ihm abverlangt wurden und glaubte es jedenfalls auf einen Raub abgesehen. Da er kein Mann von langen Unterhandlungen war, gab er sofort mit seinem Prügel und der daran befestigten Axt die nötige Antwort.

Doch der Unbekannte wich nicht, schlug dagegen und, wie ein eigentümliches Geschick es wollte, drang Soukup die Axt seines eigenen Stockes an die rechte Schläfe und verursachte eine klaffende Wunde. Während der andere davoneilte, taumelte Soukup zu Boden. Ein Blitzstrahl beleuchtete auf einen Moment den nochmals zurückblickenden Flüchtling, und der Chodenbauer sah deutlich das Gesicht des vermeintlichen Räubers. Dieses Gesicht war ihm nicht fremd, aber er wußte nicht sofort, wem es angehöre. Infolge des Blutverlustes bemächtigte sich seiner eine Ohnmacht. So fand ihn der von der Station Kubitzen nach seinem Chodendörfchen zuwandernde Quistorenhansl, da sich inzwischen das Gewitter verzogen hatte, und der Mond zwischen den dunklen Wolken soeben hervorgetreten war.

»Schloßbauer!« rief er ihn an, »was ist g'scheh'n?«

Der Angerufene erwachte aus seiner Betäubung. Sein erster Griff war nach der Geldgurte; sie hing unbeschadet an seinem Leibe.

»Alle Teufel!« fluchte er. »Mir so was! 'n Soukup anfalln und ausrauben woll'n! Du bist es, Hansl? Helf mir auf, mir ist ganz schwach.«

Jetzt sah der Hilfespender erst das von Blut überströmte Gesicht.

25 »Heiliger Nepomuk!« rief er. »Du bist ja verwundet. Ang'falln bist worn? Von wem?«

»Von an' jungen Burschen; mein Geld und meine Uhr hat er wollen, der Lumpenhund. Dabei hat er mir an' Hieb versetzt – verbind' mi, Hansl, sonst verblut' i mi.«

Der Quistorenhansl zog dem Bauer das Taschentuch aus dem Spenser und verband ihn damit, so gut es ging, die Wunde. Damit aber das Blut um so sicherer stocken sollte, sprach er den Spruch:

»Blut, stehe still,
Wie Richter und Schöppe in der Hüll (Hölle),
Wenn dies nicht wahr ist,
So laufe, bis es gar ist.«

Hierauf half er dem Bauern auf die Füße und geleitete ihn, dabei kräftigst unterstützend, nach dem nahen Einkehrhause in Kubitzen.

Hier verursachte der beiden Ankunft großen Schrecken und allgemeine Entrüstung. Soukup ward in eine Stube des ersten Stockes verbracht und auf ein Lager gelegt. Der Quistorenhansl, von seinem mexikanischen Militärdienste her mit Anbringung eines ersten Verbandes vertraut, gab Beweise seiner Kenntnisse, verabsäumte aber nicht, sofort nach dem Wundarzte in Vollmau zu schicken, der alsbald erschien und die nötigen Vorkehrungen traf.

Der Kranke verfiel infolge der Erschöpfung bald in einen langen Schlaf, der allerdings von Fieberphantasieen öfters unterbrochen war. Der Quistorenhansl wachte bei ihm.

Die im Einkehrhause noch anwesenden Gäste ergingen sich in allen möglichen Vermutungen, wer der Räuber 26 gewesen sein könne. Auf manch schuldlosen Burschen fiel da Verdacht, und als die Gendarmerie ankam, sich über den Vorfall zu unterrichten, ward manch ehrlicher Bursche auf die schwarze Liste gesetzt. An den Waldbauern Franzl dachte kein Mensch.

Am nächsten Morgen ward aus einem Wagen ein Bett hergerichtet, und der Kranke nach dem etwa zwei Stunden entfernten Chodenschloß gebracht, wobei ihn der Quistorenhansl als Krankenwärter begleitete und keinen Schritt von ihm wich. Kein Chode verläßt den andern in Not und Gefahr. Ihre Treue ist seit den Tagen ihres Glanzes sprichwörtlich, und als sie noch bewaffnet gingen und ihre eigene Fahne hatten, war auf dieser der Kopf eines Hundes als Symbol der Treue abgebildet. Deshalb werden sie auch oft Psohlavci, d. i. Hundsköpfige, genannt.

Der Krankenwagen durfte nur langsam fortbewegt werden. Die frische, würzige Morgenluft that dem Verwundeten wohl. Das nächtliche Gewitter hatte die Luft gereinigt, ein tiefblauer Himmel wölbte sich über das fruchtbare Gebiet der Choden, in welchem der Wagen, nachdem er ein äußerst liebliches, waldgrünes Thal, in dem die Häuser des Dorfes Babylon und ein kleiner, fischreicher See liegen, durchfahren hatte, anlangte.

Linkerseits erhebt sich in aller Nähe der 1039 Meter hohe, tannenbestockte Tscherchow (Czerchow), der höchste Punkt des »Böhmischen oder Pfälzer Waldes«, welcher sich von hier bis gegen Eger hinzieht, sonst aber, so weit das Auge reicht, erblickt man nur fruchtbare Felder und saftige Wiesen, welche Zeugnis geben von dem Fleiße der chodischen Bewohner. Schon ihre Vorfahren, welche neben vielen andern Privilegien, die ihnen zu eigen waren, auch 27 den Landtagen beiwohnen durften, mußten, so oft der Regent Böhmens in ihre Gegend kam, bewaffnet vor ihm erscheinen und ihm ein Fäßchen mit Honig überreichen zum Zeichen, daß sie dem Sicherheitsdienste ebenso, wie der Bebauung ihrer Gründe gleich den arbeitsamen Bienen fleißig nachgehen.

Auf und zwischen den gesegneten Hügeln erblickt man die Ansiedelungen der Choden, wie Klentsch, Aujezd, Trasenau, Meigelshof, Possighau und Trhanow mit dem Chodenschlosse. In der weiten Thalmulde der warmen Pastritz grüßen die Türme der uralten Grenzstadt Taus und vom höchsten Rücken der südlichen Hügelkette die vielbesuchte, dem heiligen Laurentius geweihte Kapelle herab. Auf Feldern und Wiesen sind die Landleute in voller Thätigkeit, die weiblichen Arbeiterinnen »ferneln« weithin durch ihre roten Röcke und weißen Kopftücher, und allenthalben hört man fröhlichen Gesang.

Dieser verstummte aber, sobald man des Fuhrwerkes ansichtig wurde, und viele eilten neugierig herbei, um zu erfahren, wer der Kranke sei. Sie waren auf das schmerzlichste berührt, in demselben Soukup, den Nachkommen ihres angebeteten »Kozinas« zu erkennen, aber auch entrüstet über die ruchlose That des Räubers. Die Weiber schrieen laut auf vor Jammer über dieses Unglück.

Langsam ging es jetzt den Berg hinab nach Trhanow oder »Chodenschloß« genannt. Es ist ein Pfarrdorf mit 56 Häusern und einem Schlosse, das zur Zeit dem Grafen Stadion gehört und 1670 von Maximilian Freiherrn von Lammingen, dem einst gefürchteten Zwingherrn der Choden, erbaut wurde. Nachdem nämlich die wackeren Choden über fünfhundert Jahre ihre Freiheiten genossen 28 hatten und oftmals ihr Blut und Dasein für die Sicherheit und Wohlfahrt des Landes eingesetzt hatten, wurden sie von Kaiser Maximilian II. (1569) verpfändet, und obwohl sie sich selbst auslösten, verpfändete sie Kaiser Rudolf II. (1584) wiederum an die Stadt Taus und gab sie später als Erbeigentum dem Freiherrn von Lammingen, dem Besitzer von Kauth. Volle sechzig Jahre währte der von den Choden unternommene, sogenannte »Chodenprozeß«, der ein unerwartetes Ende nahm.

Der Erbe der Herrschaft Maximilian Wolfgang Freiherr von Lammingen verfolgte nämlich die Choden systematisch, kränkte und reizte sie und brachte sie durch verübte Gewaltthätigkeiten seiner kriechenden Beamten geflissentlich zu einem Aufstande, welchen er am 6. Juli 1693 mit Hilfe von militärischer Gewalt unterdrückte. Die am Aufstande meist beteiligten Choden wurden vom Kriminalgerichte in Prag zum Tode verurteilt. Als der Kaiser das Urteil auf einen derselben beschränkte, traf das Los den Richter von Aujezd, Jan Sladky, vulgo Kozina, einen der biedersten Chodenbauern, weil er der beredteste war und als der letzte um Pardon gebeten hatte. Am 28. November 1695 endete er mutig am Galgen dafür, daß die Choden versucht hatten, ihre Privilegien wieder zu erlangen, die ihnen seit Jahrhunderten von den böhmischen Herrschern bestätigt und verbürgt worden waren.

Achtundsechzig Choden mußten von Amts wegen mit ihren Weibern und Kindern nach Pilsen kommen, um Kozinas Hinrichtung beizuwohnen. Als dieser auf der Leiter unter dem Galgen stand, erblickte er unter dem wogenden Menschenschwarme seinen Todfeind, den Freiherrn Maximilian von Lammingen, hoch zu Rosse. Kozinas 29 bleiches Antlitz färbte sich noch einmal, sein Auge glühte, und mit kräftiger Stimme soll er klar und deutlich gerufen Lammingen, Lammingen! ode dneška za rok budeme spolu státi před soudnou stolicí Boží, tam se to rozhodne, kdo z nás - - (Lammingen! Lammingen! von heute in einem Jahre werden wir vor dem göttlichen Richterstuhle mitsammen stehen, dort wird es entschieden, wer von uns – –).«

Der Arme sprach's nicht mehr zu Ende, denn der Henker warf bereits den Strick um seinen Nacken, und Kozinas Beredsamkeit verstummte auf ewig.

Am darauf folgenden Jahrestage der Hinrichtung starb Lammingen in der That plötzlich am Schlagfluß auf seinem neuen Schlosse in Thranow. Die Volkssage berichtet hierüber folgendes:

Am Jahrestage von Kozinas Hinrichtung veranstaltete Lammingen im neuen Chodenschlosse ein großes Festgelage, zu welchem er viele der benachbarten Gutsbesitzer und Beamten eingeladen hatte. Da ging es lustig zu, Musik erschallte, die Gäste aßen und tranken, und alles war froh und heiter bis gegen Mitternacht. Am besten gelaunt aber war der Hausherr selbst, und in froher Stimmung füllte er seinen silbernen Pokal mit feurigem Wein und rief, ihn hoch erhebend: »Kozina! Kozina! du schlechter Prophet! Das Jahr ist vorüber, und noch bin ich da!«

In diesem Augenblicke entstand ein heftiger Sturm, Thüren und Fenster wurden aufgerissen, alle Lichter erloschen, und zum Tode erschreckt sahen die Gäste eine Gestalt durch den Saal langsam daher schreiten. Als man sich nach einer Weile wieder gesammelt hatte, fand man den Freiherrn tot in seinem Lehnstuhle, den Becher noch 30 in der Hand. Der schuldlos hingerichtete Kozina hatte ihn vor Gottes Richterstuhl gefordert. – –

Jene traurigen Begebenheiten leben noch immer im Gedächtnisse der Chodenbauern fort. Der harte Lammingen ward zur gerechten Strafe im Munde des Volkes zum Schreckgespenst, zu Kozinas Andenken aber pflegt der Chode heute noch den Hut mit schwarzen Binden zu schmücken. Ihrer stolzen Vergangenheit vergessen sie aber nimmermehr.

Das Chodenschloß war seit langem unbewohnt, da der gräfliche Eigentümer im Schlosse Kauth residierte. Die Oekonomie des gräflichen Gutes aber war von der in jeder Weise gegen ihre Untergebenen und Pächter wohlwollenden Herrschaft zur Besorgung in die Hände eines Urenkels jenes unglücklichen Kozinas gegeben, jenes Mannes, der soeben als Schwerverwundeter an seiner Wohnung zunächst des Schlosses ankam. – – 31


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