Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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IV.

Der etwa neunzehnjährige Bursche war von mittlerer Größe, etwas schmächtiger Gestalt, hatte dunkle Haare, schwarze Augen und ein von der Sonne gebräuntes Gesicht. Sein Anzug, aus blauer Zwilchjacke und ebensolcher Hose bestehend, war ärmlich, aber nicht unsauber. Ein schwarzes, weiches Hütchen bedeckte seinen Kopf. Er war sehr bleich und sah ganz entsetzt nach der ihn bedrohenden Menschenmenge, deren Sprache er nicht zu verstehen schien.

Die ihn begleitenden Gendarmen konnten nicht verhindern, daß er von einigen besonders erzürnten Weibern thätlich angegriffen wurde, und hatten alle Mühe, ihn bis zur Wohnung des Schloßbauers zu bringen. Noch knapp vor derselben ward ihm von einem Buben ein Stein an die Stirne geworfen, auf welcher sich sofort eine blutunterlaufene Stelle zeigte. Der Arrestant konnte sich nicht wehren, aber Thränen über die ihm widerfahrene Unbill flossen aus seinen Augen.

Endlich war Soukups Haus erreicht, und während der eine Gendarm den Arrestanten im Hausflur bewachte, trat der andere in die Stube und fragte an, ob der Bauer glaube, seinen Angreifer wieder zu erkennen, wenn er ihn vor sich sehe.

»Ganz gewiß,« versetzte Soukup;»i seh'n vor mir, daß i 'n malen könnt', wenn i ein Maler wär'. Er soll mir nur nicht zu nah kommen, i könnt' vergessen, daß 41 i mich ruhig verhalten muß, und hätt' i 'n beim Kragen, dann gnad ihm Gott!«

Frau Soukup suchte den sichtlich in Aufregung Kommenden zu beruhigen. Sie kannte seinen Jähzorn nur zu gut, sie wußte, so verständig ihr Mann auch sonst war, wenn er in Zorn geriet, wußte er nicht mehr, was er that und sagte.

Der Quistorenhansl hatte sich inzwischen den Burschen angesehen und meinte:

»I glaub mein Lebtag nicht, daß dies der Rechte ist. Der sieht keinem Räuber gleich. Laß'n nur vor dich, Soukup; mit dem hast du nichts z' thun.«

Ohne eine weitere Erlaubnis abzuwarten, öffnete er die Thüre, und der Kommandant hieß den Arrestanten eintreten.

Soukup warf einen prüfenden Blick nach ihm, dann sagte er:

»Was fallt euch denn ein? So ein Krippenmannl sollt den starken Soukup zum Fall bracht haben? Ihr seid ja doch nicht bei Trost!«

»Beleidigt die kaiserlich königliche Gendarmerie nicht!« raunte ihm der alte Jirka warnend zu.

»Also Ihr wißt gewiß, daß dieser Bursche nicht der Thäter ist?« fragte der Kommandant.

»Bei meiner Seligkeit beschwör' i's, der ist's nicht!« beteuerte der Bauer.

»Da seht's, wie viel Unrecht mir g'schieht!« rief jetzt der Gefangene und brach in heftiges Weinen aus.

Frau Soukup empfand mit dem Burschen herzliches Mitleid und sagte zu dem Kommandanten:

»So nehmt ihm doch die Handketten ab. Es ist ja 42 ein Jammer, wie Ihr einen Unschuldigen habt zurichten lassen.«

»Vergelts Gott, Bäurin!« versetzte der Gefangene mit einem unendlich dankbaren Blicke auf das schöne Weib. »In mein' Leb'n hab i nix unrechts tho'; aber die Gendarm glauben mir nöd. Fragt's grad nach in meiner Hoamat, z' Großaigen drent bei Eschlkam, dort könnt's alles über mi erfahrn.«

»Ein richtiger Gendarm glaubt nie an die Unschuld, ehvor's erwiesen ist,« sagte der Kommandant, »und verdächtig warst; so herumzuvagabundieren im Böhmischen herin, ohne einen Kreuzer Geld in der Taschen. Weil aber der Verdacht wegen dem Raubanfall unbegründet ist, sollen dir die Handschellen abgenommen werden.«

Er machte dem Burschen die Hände frei. Der erste Gebrauch, den derselbe davon machte, war, daß er Frau Soukups Hand ergriff und ihr nochmals »Vergelts Gott« sagte.

»Mutter, gieb ihm doch was zu essen und zu trinken,« bat Hančička mitleidig.

»Ja, du hast recht,« erwiderte die Frau. »Laß uns in die Küche gehen. Die Herrn Gendarm werden auch was mögen, und dort in der Stuben könnt ihr ja das weitere verhandeln.«

»Daß mir ja dem armen Bürschl nichts mehr g'schieht!« versetzte der Kranke. »Frau, gieb ihm etliche Gulden, daß er wieder heimzu kann und hilf ihm, wo's not thut.«

»I hab' koa' Hoamat mehr,« versetzte der fremde Bursche mit schmerzlichem Tone.

»Dann soll er bei uns bleiben, wenn er arbeiten mag,« 43 entschied der Bauer. »Der Hansl soll die Sach in die Hand nehmen.«

Der Quistorenhansl war sofort dazu bereit, aber der Kommandant sagte:

»Das geht nicht, der Bursch muß wegen Landstreicherei ans Tauser Gericht geliefert werden. Dort wird das weitere bestimmt.«

»Ich bin koa' Landstreicher!« rief der Bursche.

»Was hast dann im Wald von Maxberg z' thun g'habt?« fragte der Kommandant. »Warum hast keine Antwort geben auf die Frag?«

»Jetzt sollt's es hab'n!« erwiderte der junge Bursche. »Mei' Muatta hab' i gsuacht, sie is in der Verzweiflung auf und davon, Maxberg zun. Mei' liaba Gott, sie hat si' g'wiß was antho', während i von Enk packt bin worn!«

»Deine Mutter?« fragte Frau Soukup. »Ja was ist denn gschehn?«

»Wer ist dei' Mutter?« fragte auch der Quistorenhansl.

Der Bursche schien erst jetzt den Fragenden zu erkennen.

»Du bist ja der Tauböhm, der oft in unser Dorf kimmt und aa in unsern Hof kömma is? Mei' Muatta, d' Hansgirgl Bäurin is 's. Der Vater hat gantiert, um Haus und Hof san ma kömma, der Vater is aus lauter Kummer g'storben, und gestern ham's no' 's letzte gnumma, alles, selm mei' Feiertagsgwand. – Da is d' Muatta auf und davon, sie hat 'n Verstand verlorn – i hab's suachen woll'n, und jetzt wißt's alles. Wo wird's sein? Was wird's mit ihr sein?« Und er fing bitterlich zu weinen an.

44 Der Quistorenhansl bestätigte, soweit er davon Kenntnis hatte, die Aussagen des Burschen.

»Ja, ja,« sagte er, »es ist schon so. So a Lump von an' Güterzertrümmerer hat sich an den braven Bauern ang'setzt, wie ein Blutegel, und hat 'n nimmer auslassen, bis er ihm 's letzte Tröpferl Blut ausg'saugt hat. So was kommt im stolzen Reich draus alle Tag vor, und schließlich kommen die Gerichtsvollzieher, die den armen Leuten noch d' Seel aus 'n Leib herauspfänden. 's G'setz hilft selber mit, die Leut von Haus und Hof z' treiben, anstatt daß die vermaledeiten Wucherseelen, wie's ihnen g'hört, mit Haut und Haar verbrennt werden.«

»Armer Bub,« sagte Frau Soukup gerührt, »du erbarmst mich schon recht. Aber jetzt kommt 'nüber in d' Stuben, daß i euch was aufwarten kann.«

»Und mir laßt's jetzt a bissel a Ruh!« versetzte der Kranke. »Den Rechten wenn's mir bringt's, Gendarm, werd' i Euch ein gehörigs Trinkgeld geben; aber solch arme Burschln laßt's laufen! Willst aber bei uns bleiben,« wandte er sich an den fremden Burschen, »so ist's mir recht.«

Der Kommandant war zufrieden.

»Weil'n der Hansl kennt, und er auch Geld und Arbeit bekommt, gebe ich ihn frei,« entschied er. »Nichts für ungut, junger Mann – wir werden gar viel ang'logen, und der gestrige Raubanfall hat uns übereifrig gemacht. Aber jetzt nehmen wir eine kleine Leibesstärkung an, sie thut uns allen not. Gute Besserung, Herr Soukup.«

Bis auf den Quistorenhansl verließen nun alle das Krankenzimmer und begaben sich in die Wirtschaftsstube 45 zu gedachtem Zweck; selbst der Doktorjirka folgte händereibend, denn eine leibliche Stärkung im gastlichen Hause des Schloßbauern war ihm zu jeder Zeit hochwillkommen.

Alle saßen an dem großen Tische zusammen. Der junge Bursche, Aloys mit Namen, wollte zwar anfangs nichts zu sich nehmen, aber die Bäuerin sprach ihm so freundlich zu, daß er endlich etwas Weniges genoß. Die Erinnerung an seine Mutter ließ ihn zu keiner Ruhe kommen, und nach kaum einer Viertelstunde erklärte er, es leide ihn nimmer hier, so gut man auch hier mit ihm sei, er müsse fort, das Schicksal der Mutter auszukundschaften.

Frau Soukup hielt ihn nicht länger zurück. Sie gab ihm einige Guldenstücke, die Aloys auch dankbar annahm, um nicht wieder in eine ähnliche Lage zu kommen, wie die soeben erlebte.

»I werd's abverdeana, sobald i mei' Muatta versorgt weiß,« versprach er.

Hančička stopfte die Taschen des Burschen mit »gerbern Nudeln.« Der Doktorjirka aber faßte, sobald er gesättigt, die von dem Steinwurf herrührende Geschwulst an des Burschen Stirn ins Auge. Er begab sich gravitätisch zu ihm hin und sprach:

»Damit dir diese Geschwulst keinen Schaden bringt, bete abends und morgens ein Vaterunser, alsdann kehre den linken Hemdärmel um und sprich:

Es gingen drei reine Jungfrauen,
Sie wollten eine Geschwulst beschauen.
Die erste sprach: es ist heisch!
Die andere sprach: es ist nicht.«

46 Und als er schwieg, fragte der Kommandant lachend: »Und die dritte, war die stumm?«

»Die dritte, die sprach nichts,« entgegnete Jirka gereizt. »Wie schön wär's auf der Welt, wenn ihr das recht viele nachmachten, dann gäb's weniger unnütze Fragen zu beantworten.«

Der Kommandant fühlte sich durch diesen Seitenhieb nichts weniger als verletzt. Er brannte sich eine Virginia an und lachte dem Alten ins Gesicht. Aloys aber richtete sich zum Gehen.

Die vor dem Hause stehenden Leute waren bereits in Kenntnis gesetzt, daß der Bursche unschuldig sei, und bei allen Dingen leicht erregbar, wie dieses Völklein ist, schlug der vorige Haß der Chodinen sofort in größtes Mitleid um; sie legten Geld zusammen, um es dem Burschen bei seinem Abgange zu geben, und als dieser, begleitet von Frau Soukup und Hančička, aus dem Hause trat, streckten sich viele Hände nach ihm aus und man suchte auf alle erdenkliche Weise das Bedauern über die ihm zugefügte Unbill zum Ausdruck zu bringen.

Aloys aber nahm das ihm dargebotene Geld nicht an.

»I hab' wieder freie Arm,« sagte er, »i kann arbeiten und außerdem bin i mit allem reichli verseh'n. Gelt's Gott für alles, was 's mir zuadenkt habt's.« Frau Soukup und ihrem Töchterlein aber drückte er nochmals die Hand und sagte: »I werd' wiederkömma und dankbarli sein, so lang i leb. Gelt's Gott, ös brave Leut!«

Raschen Schrittes entfernte er sich. An der Biegung des Weges angekommen, wendete er sich nochmals um und schwang seinen Hut zum Zeichen des Grußes.

47 Die Zurückbleibenden winkten ihm mit den Tüchern nach und riefen: S pánem Bohem! S Bohem! (Fahr wohl! Mit Gott!)

Der Gegensatz seines schmachvollen Einzuges und dem so unerwartet freundlichen Abschiede erfüllte den Burschen einigermaßen mit einer freudigen Genugthuung. Das auftauchende Freudengefühl ward aber sofort wieder zurückgedrängt durch den Gedanken, welchem er in den Worten Ausdruck gab: »Arm's Muatterl, wo werd' i di finden!« 48


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