Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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XXIX.

Die schwurgerichtliche Verhandlung hatte in vorgeschriebener Weise begonnen.

Der des Totschlags Angeklagte wurde vorgeführt. Franz trug seine besten Kleider und machte auf alle Anwesenden durch sein ernstes, selbstbewußtes und sicheres Auftreten einen gewinnenden Eindruck. Sein Gesicht umrahmte ein schöner Vollbart und seiner ganzen Haltung merkte man die militärische Dienstzeit an. Er antwortete auf alle Fragen kurz und bestimmt und mit überzeugender Wahrheit. Er legte sein ganzes Verhältnis zu Aloys dar, von jener ersten Begegnung am böhmischen Brunnen an bis zu jenem Momente, da er ihm den tötlichen Schlag versetzte. Er erklärte aber auch, daß er vor leidenschaftlicher Wut seiner Sinne nicht mehr mächtig gewesen.

Auf die Frage des Präsidenten, ob er dabei die Absicht gehabt habe, den andern zu töten, antwortete er ohne Bedenken, er habe in jenem Augenblicke nichts weiter gewollt, als dem Eindringling die verdiente Züchtigung zukommen zu lassen. Der Verteidiger benützte das sofort, um darzulegen, daß Franz in jenem Momente überhaupt nicht fähig gewesen sei, zu überlegen, in wie weit er den Gegner verletzen wolle.

Als dann die Zeugen eingeführt wurden, um über die Bedeutung des Eides belehrt zu werden, ereignete 254 ich eine ergreifende Szene. Kaum hatte Hančička ihren Gatten erblickt, stürzte sie auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Mein Franzl!« rief sie. »Mein armer Franzl!«

Franz drückte sie liebevoll an sich und sprach ihr dann zu, sich zu beruhigen und die Verhandlung nicht aufzuhalten. Zögernd trennte sie sich von ihm. Und als die Zeugen ins Nebenzimmer treten mußten, um von dort einzeln vorgerufen zu werden, blickte sie nochmals mit unaussprechlicher Liebe nach Franz.

»Ja,« sagte sie sich, »ihm muß ich die Freiheit geben und wenn ich sie mit meinem Herzblute bezahlen müßte.«

Die Vernehmung der Zeugen erforderte mehrere Stunden. Belastend für Franz war, daß er schon einmal wegen Gewaltthätigkeit gegen Soukup in Untersuchung war, so harmlos damals auch die Ursache gewesen.

Auf die Vernehmung Hančičkas wurde vorerst verzichtet; diese durfte sich auf die Zeugenbank begeben, und sie verfolgte mit höchster Spannung den Gang der Verhandlung. Sie schien über alles befriedigt zu sein. Als aber der Staatsanwalt die Anklage zu begründen begann, bemächtigte sich ihrer eine nicht zu bewältigende Erregung.

Der Beamte suchte mit allem Eifer die Schuld des Angeklagten zu erhärten, er bestand darauf, daß ein Totschlag mit Vorbedacht vorliege, auf den Franz schon während des Heimweges von Kubitzen gesonnen, und er hielt sich an des Angeklagten eigenes Geständnis, daß er beabsichtigte, den Eindringling zu züchtigen. Er legte dar, daß Franz zur Eifersucht nicht im entferntesten Grund gehabt, sondern daß die Blutthat aus jahrelang genährtem 255 Haß entstanden, und er beantragte, die ganze Strenge des Gesetzes gegen den Angeklagten in Anwendung zu bringen.

Hančička gedachte der Worte des Quistorenhansls, sie sah ihren Mann schon verurteilt, und die Angst beklemmte ihr das Herz. Deshalb erhob sie sich und bat den Präsidenten, eine Erklärung abgeben zu dürfen.

Der Präsident forderte sie auf, vorzutreten und zu sprechen, aber nur für den Fall, daß sie etwas Neues vorzubringen hätte.

»Ja, es ist etwas Neues,« erwiderte Hančička, über und über errötend. »Der Herr Staatsanwalt hat mich nicht richtig geschildert.«

»Wie so?« fragte der Präsident.

»Indem daß er gesagt hat, Franz habe nicht Grund gehabt zur Eifersucht. Er hat ihn wohl gehabt, denn – denn –«

»Nun?« fragte der Präsident. »Erklären Sie sich schuldig, daß Sie die eheliche Treue verletzt haben?«

»Ja!« hauchte Hančička, kaum hörbar. Sie glaubte bei diesem Geständnisse in den Erdboden versinken zu müssen vor Scham.

»Dös is a Lug!« schrie Franz.

»Haben Sie gehört, was Ihr Mann gesagt?« fragte der Präsident die tieferregte Frau. »Er hat das eine Lüge genannt.«

»Es ist Wahrheit!« erwiderte Hančička. Sie war dem Umsinken nahe und der Präsident forderte sie auf, sich zu setzen.

Im Saale war infolge dieses Geständnisses eine große Erregung entstanden. Franz hatte einen Wutschrei ausgestoßen und wollte sich auf sein Weib stürzen, aber die 256 neben ihm sitzenden Gendarmen hielten ihn zurück, während ihn sein Verteidiger zu beruhigen suchte.

Nachdem der Präsident die Ruhe im Saale wieder hergestellt, erklärte der Staatsanwalt, daß er die Beeidigung Hančičkas beantrage. Er mochte wohl die Ursache dieses Schuldbekenntnisses durchschauen. Der Verteidiger hingegen protestierte lebhaft gegen diese Beeidigung, und der Gerichtshof zog sich zurück, um hierüber zu beraten.

Jetzt ergriff Hančička auch noch eine fürchterliche Angst, vor die Frage gestellt zu werden, einen Meineid zu schwören, oder als Lügnerin entlarvt zu werden. Das erstere war von selbst ausgeschlossen und mit letzterem hatte sie dem geliebten Manne keinen Nutzen gebracht. Die Schande blieb in jedem Falle an ihr hängen.

Sie konnte Franz nicht sehen. Der Verteidiger stand vor ihm und sprach eifrigst in ihn hinein. Sie wollte eine Frage an eine neben ihr sitzende Zeugin richten, aber diese wandte ihr verachtungsvoll den Rücken. Allgemein war jetzt die Stimmung für den Angeklagten, und was die Hauptsache, besonders bei den Geschworenen. Nach kurzer Beratung erschien der Gerichtshof wieder im Saale, und der Präsident verkündete, daß der Antrag des Staatsanwaltes abgewiesen sei und die Ehefrau des Angeklagten nicht beeidigt werden dürfe.

Nun gab sich der Staatsanwalt Mühe, die Aussage Hančičkas hinfällig zu machen, und in den Zügen und den bewundernden Blicken mancher Richter war deutlich zu lesen, daß auch sie an des jungen Weibes Schuld nicht glaubten. Der Verteidiger dagegen erwiderte jetzt in glänzender Rede. Er rühmte die Ritterlichkeit seines Klienten, 257 der selbst in dieser Lage, auf dem Scheidewege zwischen Zuchthaus und Freiheit, die Ehre seines Weibes ihrer eigenen Aussage gegenüber verteidigt. Er legte ein besonderes Gewicht auf das Schuldgeständnis Hančičkas, so sehr auch sein Klient darüber empört sei. Er erkenne darin nur den Charakter eines echten Mannes. Wer hätte im gleichen Falle, wenn er zur Nachtzeit den Buhlen bei seiner Frau getroffen, wenn dieser das Messer nach ihm gezückt, nicht ebenso gehandelt, wie der Angeklagte? Wer käme da nicht außer sich vor Zorn und Wut und – wer außer sich ist, der ist nicht in sich, der weiß nicht, was er thut. Aber in jenem Augenblicke mußte der Angeklagte thun, was er gethan, wenn er nicht von der Welt verachtet und als ein Feigling betrachtet werden sollte. Schließlich beantragte er, auf Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode zu erkennen und unter Annahme mildernder Umstände die geringste zulässige Strafe, eventuell Freisprechung auszusprechen.

Der Präsident fragte hierauf den Angeklagten, ob er der Rede seines Verteidigers noch etwas beizufügen habe, worauf Franz erwiderte:

»Herr Präsident, mir is jetzt alles oans.«

Den Geschwornen wurden die verschiedenen Fragen vorgelegt, und sie entfernten sich zur Beratung. Nicht lange währte es, kehrten sie wieder in den Saal zurück, und der Obmann verkündete den Wahrspruch, wonach der Angeklagte der »Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode,« jedoch unter mildernden Umständen, schuldig befunden sei, worauf der Vorsitzende nach kurzer Beratung des Gerichtshofes das geringste Strafausmaß in Anwendung brachte, welche übrigens durch die lange Untersuchungshaft als 258 verbüßt erachtet wurde, so daß der Angeklagte den Saal frei verlassen konnte.

Ein allgemeines Bravo von seiten der Zuhörer folgte diesem Urteile. Der Verteidiger und mehrere Zunächstsitzende beglückwünschten den jungen Bauer. Dieser aber schien ganz teilnahmslos zu sein. Wohl standen Thränen in seinen Augen, aber es waren nicht Thränen der Rührung, sondern Thränen des Schmerzes über die selbst zugestandene Untreue seines so heiß geliebten und angebeteten Weibes.

Als er jetzt den Saal verließ, stürzte im Nebenzimmer Hančička mit einem Freudenruf auf ihn zu und wollte sich in seine Arme werfen.

»Franz, gottlob, du bist frei!« Dieser Ruf kam aus ihrem innersten Herzen.

Aber Franz trat einen Schritt zurück. Er maß sie mit einem unsäglich traurigen, aber zugleich zornigen Blick und sagte in hartem Tone: »Wir zwoa san fertig mit einand. Zwischen uns is's aus!«

»Franzl,« rief Hančička, »was sagst da?«

»Wie mir mei' Ehr vorschreibt, sag i: Geh hin, wohin d' willst; aa i geh mein' eignen Weg. I will nix mehr von dir wissen, du falsch's, du untreus Weib!«

Hančička wurde es bei dieser Rede schwarz vor den Augen. Sie wollte Franz mehrmals unterbrechen, ihm sagen, daß er ihr unrecht thue, aber der Blick des jungen Mannes und der verächtliche Ton, in welchem er sprach, brachten sie ganz außer Fassung und plötzlich fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe. Sie sank auf eine nahestehende Bank.

259 Als sie sich wieder etwas erholt hatte und die Augen aufschlug, war das Zimmer leer. Sie war allein.

Franz hatte sie verachtet, verstoßen. Er dachte nicht groß genug, ihr Opfer zu begreifen.

Sie schickte sich zum Gehen an. Totenbleich, aber stolz erhobenen Hauptes schritt sie durch die Gänge und über die Straße dem Gasthause zu, wo ihr Fuhrwerk eingestellt war. Sie achtete nicht auf die höhnischen Blicke, die sie überall empfingen, sie achtete nicht der oft lauten und frechen Bemerkungen, die ihr aus Gruppen Neugieriger entgegentönten. Sie schritt im Gefühle ihrer Unschuld achtlos dahin und erweckte dadurch bei vielen Erstaunen, ja eine Art Bewunderung.

Ihre erste Frage war nach dem Quistorenhansl. Er mußte ihrem Manne sofort die Sache erklären. Der Knecht ging, ihn zu suchen.

Hančička begab sich auf ihr Zimmer und jetzt ließ sie den so lange verhaltenen Thränen freien Lauf. Nun war er frei – und sie – von ihm verkannt, verachtet, verstoßen!

Eine Ewigkeit dünkte es ihr, bis endlich der Quistorenhansl ankam.

»Nun,« fragte sie, »was ist's?«

Sie hoffte, er würde, er mußte bereits mit Franz die schmähliche Sache besprochen und sie als sein Werk ausgegeben haben. Aber der Landsmann that sehr klug. Er sagte, es dürfe vorerst nichts zurückgenommen werden, denn bei der geradezu empörenden Geradheit des jungen Waldhofbauers, der sich mit seiner Wahrheitsliebe und Offenheit geradezu ins Zuchthaus hineinschwätzte, wäre die größte Vorsicht angezeigt, damit der Staatsanwalt nicht 260 etwa eine Revision beantrage und schließlich das große Opfer Hančičkas umsonst gewesen wäre. Der alte Freund suchte ihr das so viel als möglich begreiflich zu machen, aber Hančička fragte immer wieder: »Wann wirst du sprechen, Hans? Er darf mich nicht länger verkennen.«

Der Quistorenhansl erklärte endlich energisch, daß er das jetzt nicht thun könne und dürfe, Franz zuliebe nicht, sobald aber die Frist zur Revisionseinlage verstrichen, solle Franz sofort die Wahrheit erfahren, und er werde dann die Aussöhnung der Ehegatten bethätigen.

»Wie lange ist das?« fragte Hančička.

»Acht Tag,« entgegnete der Gefragte.

»So lang ertrag ich den Zorn von Franzl nicht,« erklärte die junge Frau. »Ich kann nicht erdulden seine Verachtung so lang, kann nicht täglich sehen, wie er –«

»Der Franz fahrt mit'n nächsten Zug zu sein Vetter im Künischen, der ihm schon bei Lebzeiten sei' groß's, schön's Bauerngut verschrieben hat,« unterbrach sie Hansl. »Dort will er etliche Zeit bleiben und sich erholen von der Untersuchungshaft. Enk bring i mit'n Nachtzug hoam. 's Fuhrwerk soll der Knecht leer hoamfahrn. Z' Haus ruht's Enk aus und i sorg, daß d' Mutter Soukup zu Enk auf'n Hof kimmt und Enk beisteht. Damit is mei' Weisheit z' End. Bessers weiß i nöt.«

Hančička blieb nichts anderes übrig, als den alten Freund ihres Hauses für sich denken zu lassen, und überzeugt von seiner Treue, ließ sie ihm freie Hand.

Hansl schickte eine Depesche nach Kubitzen, damit dort bei Ankunft des Nachtzuges ein Wagen nach dem Waldbauernhofe in Bereitschaft stünde. Er befürchtete, die beständige Aufregung möchte Hančička schaden und könnte 261 so ein Unglück herbeiführen. Damit die erregte Frau ganz ungestört sei, hatte er für sie ein eigenes Koupee besorgt und sorgte auf der etwa vierstündigen Fahrt in der besten Weise für sie.

Hančička sprach wenig. Es kam ihr die jüngste Vergangenheit vor wie ein böser Traum. Der Landsmann störte sie nicht.

In Kubitzen stand das Fuhrwerk bereit. Nach kurzer Wagenfahrt trafen die beiden auf dem Waldbauernhofe ein. Der alte Bauer und die Großmutter erwarteten sie trotz der späten Nachtstunde.

»Was is's mit'n Franzl?« fragten sie beide zugleich.

»Frei!«

Mehr konnte Hančička nicht sagen.

Die Ahnl fiel bei diesen Worten auf die Knie nieder und dankte laut den Himmelsleuten.

»Aber warum bringst 'n denn nöt mit?« fragte der alte Bauer seine Schwiegertochter.

»Warum?« rief diese, in Thränen ausbrechend. »Weil – weil er mich verachtet – weil er mich verstoßen hat.« Und laut und heftig schluchzend eilte sie auf ihre Stube.

Der Quistorenhansl erzählte hierauf den beiden Alten soviel, als er jetzt für gut befand.

So hielten sich Freude und Sorge freilich die Wagschale.

Am folgenden Tage ward Hančička und mit ihr das ganze Haus von der Geburt eines Knaben überrascht. Sie konnte infolgedessen ihren Entschluß, zu ihren Eltern zurückzukehren, nicht zur Ausführung bringen.

Das erste Gefühl der Mutterfreude ward ihr nun freilich vergällt durch die Abwesenheit des zürnenden 262 Gatten und Vaters. Aber der alte Waldhofbauer meinte: »Es is an' alt's Sprichwort: Alles geht vorbei! Und dem Büabl sein' Vater werd' i zuawibringa. I bin jetzt a Ehnl worn und verschaff mir schon Respekt. Ganz g'wiß is's wahr. Und an' Taufschmaus soll's geb'n, daß der Graf Stadion aa nöt mehr essen und trinka kann; dessel is mei' Sach. Und drauf wird gschnupft!« 263


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