Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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I.Zum Dialekte. Die Bewohner des Böhmerwaldes sprechen durchgehends den altbayerischen Dialekt, wenn auch in den verschiedensten Schattierungen. Soweit derselbe verständlich geschrieben werden kann und zur Charakterisierung der handelnden Personen nötig, findet er in dieser Erzählung Anwendung. Die slavischen Böhmen, welche die deutsche Sprache erst nach der czechischen erlernen, sprechen in der Regel hochdeutsch mit scharfer Accentuierung der Endsilben, jedoch mit unrichtiger Setzung der Zeitwörter. Zum richtigen Lesen des Dialektes beobachte man folgendes: a und an' steht statt des unbestimmten Artikels ein und einen, wobei das a hochtönig ist; da steht öfters statt des bestimmten Artikels der oder statt dir; aa (ebenfalls hochtönig) statt au auch, ä. Die durch Apostroph gekürzten Wörter mei', dei', sei', scho', no', ma', na' (mein, dein, sein, schon, noch, man, nein) sind mit einem Nasallaut auszusprechen, ähnlich wie das französische non. Alles übrige erklärt sich wohl von selbst oder ist eigens angeführt. D. V.

Die breite Oeffnung im böhmischen Bergkranze zwischen dem doppelgezackten Osser und dem Czerkowberge bildet der altberühmte Paß von Taus und Neumark, einst 8 der blutgetränkte Schauplatz heißer Kämpfe und grimmiger Befehdung zweier feindlicher Nationen. Die etwa dreiundzwanzig Kilometer breite, hügelige Lücke ist jetzt dicht mit Ortschaften übersät und trägt ganz den Charakter eines anmutigen, kultivierten Hügellandes. Bayerischerseits breiten sich darin die Hauptorte Furth am Walde, Eschlkam und Neukirchen beim hl. Blut, böhmischerseits die Städte Taus, Neugedein, Neumark und Neuern nebst vielen Dörfern und Ortschaften aus, welche teils deutsche, meist an der Grenze angesiedelte, teils slavische Einwohner haben, die sich in ihren Sitten und Trachten, selbst im Bauwerk ihrer Wohnhäuser ziemlich scharf unterscheiden. Die deutschen Ansiedler stammen zumeist aus dem 16. und 17. Jahrhundert, zu welcher Zeit man durch Anlage von Glashütten den dichten Urwald zu lichten begann; die slavischen Einwohner sind aber Nachkommen der sogenannten Choden, der Kriegsgefangenen, welche Herzog Bretislaw I. nach seinem siegreichen polnischen 9 Feldzuge (1039) mit nach Böhmen brachte und sie zum Teil in der Gegend zwischen Czerkow und Ossa in 14 Dörfern, teilweise der oberpfälzischen Grenze entlang bei Pfraumberg und Tachau, ansiedelte. Im Jahre 1040 zeichneten sich diese Fremdlinge in der in jener Gegend dem deutschen König Heinrich III. gelieferten Schlacht durch ihren Heldenmut und eine zähe Tapferkeit so sehr aus, daß sie der Sieger, Herzog Bretislaw I., der böhmische Achill genannt, mit dem Vorrecht begnadigte, daß sie niemals einem anderen Herrn als dem Landesfürsten unterthan sein sollten. Er übertrug ihnen die Bewachung des strategisch höchst wichtigen Landesthores, des Passes von Neumark und Taus, und da sie als Wächter die Grenze zu begehen hatten, erhielten sie den Namen Choden (von choditi – gehen). Ihr selbstgewählter Oberrichter hatte seinen Sitz in der Stadtburg zu Taus; später ward ein eigenes Chodenschloß in Trhanow, eine Stunde südwestlich von Taus, erbaut, das noch heute besteht.

Volle fünf Jahrhunderte genossen die Choden ungestört ihre Freiheiten, bis ihnen diese gewaltsam genommen wurden, und sie in Leibeigenschaft verfielen, aus welcher sie das Jahr 1848 gleich allen andern Bauern befreite.

Die Nachkommen dieser Choden haben bis heute Anzeichen einer gewissen Stattlichkeit behalten. Es ist dies ein kräftig gebauter Menschenschlag, stark abgehärtet, dabei aber mild und weichherzig. Die Choden sind zwar teilweise czechisiert, unterscheiden sich jedoch noch immer durch ihre Sitten und ihren Dialekt, durch die besondere malerische Tracht und durch eine eigentümliche Bauart ihrer Häuser von den übrigen LandesbewohnernDie Wohnungen der Choden deuten hie und da noch auf die ursprüngliche kriegerische Bestimmung. Sie sehen kleinen Festungen gleich, indem sie von einer Mauer umgeben sind, durch die kein Zimmerfenster nach außen geht. Im Innern, mit einem Seiten- und dem Hinterteil die Ringmauer selbst bildend, steht das Wohnhaus, die Fenster nach dem Hofe gekehrt, dem Wohnhaus gegenüber Scheune und Stall. Quellen: P. Hippolyt Randa's Denkwürdigkeiten aus dem westlichen Böhmerwalde, sowie dessen vortreffliches Werk »Die Choden« (Taus – Selbstverlag). – Joh. Wenzigs und Joh. Krejcis Böhmerwald, neubearbeitet von Dr. Moritz Willkomm. – Frd. Bernaus illustr. Prachtwerk »Der Böhmerwald.« – Mündliche und briefliche Mitteilungen des um die Geschichtsforschung im westlichen Böhmerwald hochverdienten P. Hipp. Randa, Pfarrer und Bürger der kgl. Stadt Taus, meines hochverehrten Freundes (†). Ihre Sprache 10 enthält Ueberreste aus dem Polnischen und Altböhmischen. Sie pflegen vorzugsweise die Viehzucht; ihre Lebensweise ist sehr einfach und genügsam. Gesang, Musik und Tanz lieben sie leidenschaftlich und den Mittelpunkt jeder Unterhaltung bildet der Dudelsack, zu dem sie ihre Volksweisen singen.

Sie leben in guter Eintracht mit den Deutschböhmen und den bayerischen Nachbarn, mit welch letzteren sie durch Handel und Wandel in regem Verkehr stehen. Bei besonderen Gelegenheiten, wie Volksfesten, Wallfahrten und dergleichen kommen die Choden und andere Böhmen gerne mit Kind und Kegel nach Bayern, wobei die treu beibehaltene Nationaltracht der ersteren ein buntes, farbenreiches Bild gewährt.

Das war auch heute der Fall, wo in der bayerischen Grenzstadt Furth am Walde das uralte Volksschauspiel des »Drachenstiches« abgehalten wurde. Ist dieses in dem Passe zwischen den zwei mächtigen Grenzpfeilern Czerkow und Hohenbogen reizend gelegene Städtchen 11 ohnedem schon der Zielpunkt vieler, die in der waldfrischen Luft nervenstärkende Erholung suchen und finden, so strömt zu jenem zwar sehr einfachen, aber trotzdem höchst originellen Schauspiele die Nachbarschaft zu Tausenden heran und belustigt sich an dem Gebotenen, zuerst an der auf dem Stadtplatze im Freien stattfindenden Komödie, dann an dem meist trefflichen bayerischen Biere, dem die böhmischen Nachbarn ganz besonders zugethan sind.

Choden, Deutschböhmen und Bayern, alle vergnügen sich in schönster Eintracht, und die ersteren sehen es nicht ungern, wie sie ihrer althergebrachten Tracht wegen allenthalben mit Wohlgefallen betrachtet werden.

So konnte sich der Sohn des Waldhofbauern von Bayerisch Prennet, eines nah an der Grenze gelegenen Gutes, nicht satt sehen an einem Paar in seiner Nähe stehender Chodinen, Mutter und Töchterchen, welche durch die Pracht ihrer Kleider, wie ihre Schönheit ganz besonders auffielen.

Der alte Waldhofbauer bemerkte das schon einige Zeit. Endlich fragte er:

»Franzl, gel, die g'falln dir?«

»Meiner Seel! Is dös a kirnigs Deandl mit rösleter Wang' und d' Muatta – is dös sauberste Weib vom ganzen Böhmerland auf und ab.«

»Dös muaßt ihr sagen!« versetzte der Alte lachend.

»Kennst d' es ebba?«

»G'wiß kenn' i's. Der Gschloßmeier von Trhanow, der Soukup vom Chodenschloß drin is ihr Mann. Hon scho' manchen Handel mit eam g'habt. A hochachtbarer Mann; er stammt vom Kozina ab, der als Martyrer 12 für die Choden g'storben is. Kimm hinzuwi; schwaatz ma (reden wir) mit eahna; sie verstehnga deutsch.«

Franz war dies wohl zufrieden; im nächsten Augenblick standen sie bei den beiden Chodinen.

Frau Soukup grüßte sofort den Waldhofbauern als einen alten Bekannten.

»Is dös 's Tochterl?« fragte er, auf das etwa fünfzehnjährige Mädchen blickend.

»Ja freilich,« entgegnete die Mutter mit einem gewissen Selbstbewußtsein, »mein einziges, Hančička.«Sprich: Hantschitschka.

»Freut mi!« versetzte der Waldhofbauer, dem Mädchen die Hand reichend, und auf seinen Sohn zeigend, fuhr er fort: »Und dös is aa mei' oanziger, mei' Franzl.«

Die beiden Chodinen begrüßten den hübschen, flotten Burschen freundlich, und die Mutter sagte: »Freut mich, Franzl.«

»Und 'n Franzl freut's aa,« versetzte der Alte. »Is der Bursch erst achtzehn Jahre alt und macht schon allerhand Betrachtungen. So hat er's auf 'n ersten Blick heraus g'habt, daß 's ös zwoa – aber na', i will nix verraten. Is der Vata nöd mit groast?«

»Der hat ein G'schäft in Fichtenbach, muß Geld einkassieren für verkaufte Ochsen. Wir sind mit vielen Nachbarsleuten zum Drachenstich. Is ja so schön heut!«

»Ja, der Franzl find't dös aa,« neckte der Vater gutmütig. »Gel, Franzl?«

Dieser hatte bereits mit dem munteren Mädchen ein Gespräch angefangen, das ihn mit seinen kohlschwarzen Augen freundlich anblickte. Franzl konnte sich an diesen so wenig satt sehen, wie an dem Anzuge des Mädchens, 13 den er immer aufs neue bewunderte. Das rosenrote kurze Röckchen, die grüngeblümte Schürze, die bauschigen, bis an den Ellenbogen reichenden weißen Pluderärmel, das hellseidene Brusttuch mit dem schwarzen gestickten Samtleibchen gefielen ihm gar zu gut. Um den Kopf hatte Hančička ein schwarzes Zanellatuch geschlungen, von welchem das eine der gestickten Enden vorne auf die Brust, das andere über den Rücken hinabhing.

Das schöne Chodenweib dagegen trug ein weißes, gesticktes, unter dem Kinne zusammengefaltetes, rückwärts im Dreieck hinabhängendes Kopftuch, ein schwerseidenes Brusttuch, dunkelblauen, weit ausgeschnittenen Spenser mit bunter Bordüre und Maschen, einen roten gefältelten Rock, eine gelb und rot gestreifte seidene Schürze, rote Strümpfe und gestickte, weit ausgeschnittene Schuhe. Am Arme hatte sie einen mit vielen roten Mäschchen verzierten Zeger aus Bast; Mutter und Tochter hielten je ein gesticktes Taschentuch in der Hand.

»Mutter,« sagte das Mädchen, »gieb dem Franzl einen böhmischen Lebzelten.«

Die Mutter griff sofort in den Zeger und reichte dem Burschen einen sogenannten »böhmischen Wetzstein« hin, den dieser lachend entgegen nahm. Als sie auch dem Alten einen solchen reichen wollte, sagte dieser:

»Schön Dank, schön Dank! Mir is a Schnüpfl Brisil liaba!« Dabei zog er sein Gläschen heraus und labte sich an einer tüchtigen Prise Schmalzler.

»Dös is mei' Guatthat,« erklärte er. »Die junga Leut kinna schlecken, so viel's mögen.«

Franzl konnte aber die süße Gabe auch nicht genießen, denn schon nahm das Schauspiel seinen Anfang. 14 Er verschaffte rasch dem Mädchen einen besseren Platz ganz vorne am Spalier, wofür ihm jenes freudig dankte. Der Festzug mit Musik, Rittern und Trabanten zog vorüber, gefolgt von mehreren Wagen, in welchen die Prinzessin, Ritterinnen und Burgfräuleins saßen, alle in möglichst treuen Kostümen. Im Hintergrunde aber erschien bereits der greuliche Drache und faßte am Brunnen Posto. Vorn am Brothaus deklamierte die Prinzessin und bat den Ritter, »sie vom Drachengreuel zu befreien.«

Dieser ruft:

»Ich als starker Rittersmann,
Das grausam Tier macht mir nicht bang,
Mit meinem Degen und Rittershand
Will ich es räumen aus dem Land.«

Dabei stößt er dem Pferde die Sporen in die Weichen und sprengt im Galopp auf das Ungetüm zu. Dieses hat seinen Rachen geöffnet, in welchem sich die mit Ochsenblut gefüllte Blase befindet, die der Ritter mit seiner Lanze durchstechen muß, damit zum Ergötzen des Volkes eine rote Blutwelle hoch aufspritzt.

Wenn der flotte Ritt gelingt, wie es fast ausnahmslos der Fall ist, und der Drachentöter dann siegesstolz das Schwert schwingt, und dieses dem Drachen noch ein paar Mal um den Schädel schlägt, bis er sich zu Boden streckt, so umbraust ihn auf dem Rückwege ein tosender Beifallssturm der dichtgedrängten Menge, und es ist dies in der That ein schönes Bild. Heute aber war der Ritter weniger glücklich. Das Pferd scheute vor dem Ungetüme derart, daß es dem Helden nicht möglich war, auf dasselbe anzusprengen. Es bäumte sich so hoch auf, daß es im Begriffe war, sich rücklings zu überschlagen, wobei 15 der des Reitens wenig kundige Rittersmann sicherlich verunglückt wäre, wenn nicht Franz, noch ehe des Ritters Läufer zu Hilfe eilen konnten, in die Bahn gesprungen wäre, das Pferd am Zügel gefaßt und auf die Vorderfüße gerissen hätte.

Es gelang ihm auch, das stützige Pferd zu beruhigen, so daß der schon etwas verzagte Rittersmann dennoch seiner Aufgabe, die Blutblase mit der Lanze zu durchstechen, gerecht werden konnte.

Hančička hatte mit leuchtenden Augen dem entscheidenden Handeln des jungen Burschen zugeschaut, als er das scheue Pferd zum Stehen brachte und sich unter lautem Beifall des Volkes wieder an seinen Platz zurück begab.

»Bravo, Franzl,« sagte auch sie, und sich an ihre Begleiterin wendend, bat sie: »Mutter, gieb ihm noch ein' Lebzelten.«

»Und von mir kriegst a Schnüpfl Tabak,« sagte der Vater, ihm das Brisilglas hinhaltend.

»Bedank' mi schön!« erwiderte der Sohn; »i schnupf nöd. Aber an' süaßen Wetzstoa' nimm i schon no' an, für d' Ahnl, die schleckt gern.«

»Da, nimm gleich mehr, für sie und dich,« versetzte das Chodenweib und gab ihm eine Handvoll solcher Lebkuchen hin.

»Ja, da bin i schon so grob,« lachte Franz. »Für mei' Großmuatterl is mir nix z'viel. Die is ja selm aus 'n Böhmischen, drent von die künischen Freibauern,Königlichen Freibauern. z'naachst Neuern. Heunt muaß i mit 'n Nachtzug ummifahrn.«

16 »Ja, d'rum is's Zeit, daß ma auf 'n Utzbräukeller kömma; da giebt's Musi, und die ganz Ritterschaft kimmt hin,« sagte der Bauer. »Därf i Enk einladen, Frau Soukup, daß 's mit uns kömmt's?«

Das Chodenweib sagte gerne zu; sie wollte bis zu dem um sechs Uhr abgehenden Zuge verweilen, mit welchem sie bis zur Station Vollmau-Kubitzen zurückzufahren beschloß, wodurch der etwa zwölf Kilometer betragende Weg nach Trhanow fast um die Hälfte abgekürzt wurde.

»Da roas'n ma ja mitanand,« meinte Franzl. »I muaß hoam, muaß mi zamrichten, damit i mit 'n Nachtzug furtkimm. Der Vetter im Künischen drent is krank, da muaß i eam aushelfen. Er braucht mi schon morgen in der Fruah.«

»Ja, ja, mei' Franzl muaß furt auf etli Wochen,« versetzte der Alte. »Der Vetter kann si' auf eam verlassen. I muaß halt an' etli Zeit alloa' weiter hampern. Nu', es muaß's aa thoa'.«

Sie waren inzwischen auf dem hübschen Utzbräukeller angekommen, und es kostete Franz keine geringe Mühe, noch einen guten Platz ausfindig zu machen. Auch für Speise und Trank sorgte er.

Es hatte sich hier ein heiteres Leben entwickelt. Außer den bayerischen hatten sich auch viele böhmische Gäste eingefunden. Neben den alten Choden mit ihren großen, breitkrempigen Hüten, langen, dunkelblauen oder weißen Röcken und gelbledernen Hosen saßen die flott gekleideten Chodenburschen, die zumeist kurze, gestickte, mit vielen Silberknöpfen verzierte Jacken, kurze gelbe Lederhosen, Wadenstiefel und rote oder grüne, sauber mit Otterpelz verbrämte Mützen trugen. Die böhmischen lebhaften Laute 17 vermischten sich mit den deutschen zu einem unentwirrbaren Durcheinander. Dazu spielte die schon bei dem Drachenstich wirkende Musikkapelle in phantastischer Uniform, und allgemeine Heiterkeit bemächtigte sich der Anwesenden, jung wie alt, zumal auch »der Stoff« nichts zu wünschen übrig ließ. Alsbald begann der Rittertanz im oberen Saale, an welchem jedermann teil nehmen konnte, und woran sich auch Franzl erst mit der Mutter und dann sogar verstohlen mit dem Töchterchen Hančička beteiligte.

Nur allzufrüh kam die Stunde der Abfahrt herbei. Die meisten Böhmen entfernten sich, und auch Frau Soukup und Hančička machten sich auf den Heimweg. Der alte Waldhofbauer fand es aber für zu gemütlich hier, um schon so bald dem prächtigen Platze den Rücken zu kehren. Er erklärte, abends zu Fuß heimkehren zu wollen und meinte, es wäre eine Beleidigung für den Wirt, wenn er ohne gänzliche Not sein Trinken einstellen wollte, zumal sein Durst noch lange nicht gelöscht sei.

Franz jedoch fuhr auf der Bahn mit den Choden bis zur nächsten Station Vollmau-Kubitzen. Die Fahrt ging bei heiterster Unterhaltung vor sich und der junge Mann mußte versprechen, bald nach Chodenschloß zu kommen, was er auch mit Freuden zusagte. Er fühlte sich den erst heute zum ersten Male Gesehenen gegenüber wie ein alter Bekannter und trennte sich nur ungerne von ihnen nach Ankunft auf der Station, um in seinen etwa eine Viertelstunde entfernten Hof zu eilen.

Hančička aber und ihre Mutter entfernten sich, nachdem sie sich im dortigen Einkehrhause überzeugt, daß der Vater noch nicht hier sei, mit den Nachbarn, um längs 18 des Sees von Babylon nach dem Chodenschlosse zu wandern. – – –

Franz hatte, in seinem Hofe angekommen, eilig ein kleines Handkofferchen gepackt, von seiner alten Großmutter, der er durch Ueberbringen der Süßigkeiten eine große Freude bereitet, Abschied genommen und war alsbald nach der Station zurückgekehrt, denn er hoffte im stillen, die Choden vielleicht noch dort zu treffen. Diese aber waren bereits fort und da er bis zum Nachtzuge noch ein paar Stunden Zeit hatte, so gab er sein Kofferchen im Stationsgebäude in Verwahrung und richtete seine Schritte nach dem Wirtshause, aus welchem fröhlicher Gesang und Musik ertönten.

Hier traf er viele Bekannte, unter ihnen auch einen Choden, der allgemein »Quistorenhansl«Von Conquistatores abgeleitet, wie die den Eroberern nach Mexiko gefolgten spanischen Truppen und auch die Freiwilligen hießen, welche Kaiser Maximilian 1864 dorthin begleiteten. genannt wurde, weil er unter Kaiser Maximilian in Mexiko als Trompeter Dienste genommen hatte, von wo er nach dem traurigen Ende des Kaiserreiches wieder glücklich in die Heimat zurückgekehrt war. Er wußte infolge seiner Erlebnisse vieles zu erzählen, und man hörte ihm gerne zu, wenn man auch fünfzig Prozent als Dichtung darein nehmen mußte. Er durfte sich mehr Spaß erlauben, verstand aber auch einen solchen, wenn er zur Zielscheibe genommen wurde. In der Heimat trug er stets chodische Tracht. Neben der Musik betrieb er auch den Handel mit Leinwand. »Tauhböhm« (Tuchböhme) heißen die Männer, welche, die gerollte, ungebleichte Leinwand an einem Stocke befestigt über der Schulter tragend, von Hof zu Hof wandern, um 19 diese Waren aufzukaufen und dann anderwärts wieder zu verwerten.

Der Quistorenhansl war heute ausnehmend fidel.

In der Ecke sitzend, entlockte ein alter Dudelsackpfeifer seinem Instrumente die schreiendsten Quitschtöne, und die ohnedem sehr angeregten Gäste wurden durch diese nervenerschütternde Musik noch mehr aufgeregt. Der Waldbauern Franz war überall gerne zugegen, wo es lustig herging, und er war auch hoch angesehen, weil er meist in der Lage war, mit den Thalern in der Hosentasche zu scheppern.

Der Quistorenhansl verspürte gerade heute ein Gelüste nach diesen Thalern, und nachdem Franz etwas rasch zuerst eine ziemliche Quantität Kauter Lagerbier und später noch Ungarwein zu sich genommen hatte, forderten ihn der Chode und noch einige andere Bauernburschen zu einem beliebten Hazardspiele auf. Da Franz in einem solchen vor kurzem erst eine bedeutende Summe gewonnen, wollte er anstandshalber nicht »nein« sagen, und alsbald rollten die Thaler auf dem Tische.

Heute aber hatte Franz fortwährend Unglück im Spiele; es währte nicht lange, so hatte er all sein Geld verspielt. Die Summe war nicht unbedeutend, und es war für ihn ein Glück, daß er sich die Fahrkarte nach Neuern schon vorher gelöst hatte. Der Quistorenhansl dagegen hatte alles gewonnen.

»I setz mein' ganzen Gewinnst ein gegen dei' Uhr mit der silbernen Ketten,« sagte er zu Franz. »Vielleicht bist dös Mal glücklicher.«

Franz, schon etwas berauscht, legte Uhr und Kette auf den Tisch und rief: »Es gilt!«

20 Aber er wurde von Hansl wieder übertrumpft, und Uhr und Kette wanderten in dessen Tasche.

Das war dem jungen Burschen sehr ärgerlich, nicht wegen des Wertes, sondern weil es ein Andenken an seine Firmung war. Doch war heute daran nichts mehr zu ändern. Er hielt es an der Zeit, nunmehr zur Bahn zu gehen.

Es war fast dunkel, als er sich auf den Weg machte; pechschwarze Wolken zogen am Himmel hin, Blitz und Donner folgten rasch aufeinander. Ein Bursche von Prennet folgte Franz nach und sagte zu ihm im Vorübergehen:

»Franzl, 's letzt' Gspiel kann nöd gelten, i hab's gsehen, wie der Quistorenhansl hintnach drei Karten vom Boden aufklaubt hat, die eam wohl zuafälli awigfalln san. D' Karten waren also nöd voll, und somit is's Gspiel ungilti. Verlang dei' Uhr wieder zruck, er muaß dir's wieder geben. Er wird eh glei nachkömma, du kannst 'n erwarten. Bhüat di Gott – i mach, doß i hoamkimm. A bös's Wetter is im Anzug.«

Franz eilte, seinen Haselnußstock in der Hand, nach der Station zu; doch besann er sich plötzlich der Rede des Burschen. Es schmerzte ihn doch, daß er die Uhr nicht mehr hatte und noch mehr, wenn er sie auf unrechte Weise verloren hätte. Er nahm sich deshalb vor, auf den Quistorenhansl zu warten und von ihm die Rückgabe des unrechtmäßig abgenommenen Gewinnes zu verlangen.

Es währte nicht lange, so kam ein Mann den Fußweg herauf; beim Leuchten des Blitzes glaubte Franz an dem breiten Chodenhute und der hellen Hofe den 21 Quistorenhansl zu erkennen. Als der Ankommende ganz nahe war, rief er ihn an:

»'s Gspiel war falsch. Wenn's mir d' Uhr und d' Ketten nöd freiwilli giebst, so –«

»Oho!« unterbrach ihn der andere. »So moanst? Bei mir bist zum Unrechten kömma, Lump, elendiger!« Dabei holte er mit einem mächtigen Knittel zum Schlage aus. Franz sah trotz der Dunkelheit den auf ihn geführten, gefährlichen Hieb und sprang zur Seite, dabei mit seinem Stocke mit aller Wucht jenen des Angreifers zurückschlagend. Dabei mußte er diesen aus dem Gleichgewichte gebracht haben, denn er schien zu wanken und stieß einen Fluch aus.

In diesem Augenblicke ertönte von der Station her das Zeichen, daß der Zug nahe. Franz durfte sich keine Sekunde länger verhalten, wollte er denselben nicht versäumen.

»No', wart nur,« rief er, »i werd' mir die Uhr schon auf andere Weis' hol'n!« Und er eilte von dannen.

Nachdem er etwa dreißig Schritte in raschem Laufe zurückgelegt, wendete er sich nochmals um. Ein Blitz erhellte auf einen Augenblick die ganze Gegend, doch sah er von dem vermeintlichen Quistorenhansl nichts mehr. Ohne weitere Zögerung eilte er nun zur Station, die er noch zur rechten Zeit erreichte. Wenige Minuten später fuhr der Zug ein.

Als Franz in den Wagen stieg, zupfte ihn jemand. Es war der Quistorenhansl.

»Franzl,« sagte dieser, »da nimm' dei' Uhr wieder und dei' Geld. 's letzte Kartenspiel war nöd ganz. 22 I bin erst später draufkömma. I will nix Unrechts.« Dabei drückte er ihm Uhr und Geld in die Hand.

»Aber warum hast denn vorhin –« mehr konnte Franz nicht mehr sprechen. Der Kondukteur rief: »Vorwärts!« und schlug den Wagenschlag zu. Noch ehe Franz das Fenster öffnen und mit Hansl weiter verhandeln konnte, hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt.

Franz wußte sich das widersprechende Benehmen des Choden nicht zu erklären. Endlich meinte er, seine letzte Drohung müßte ihn zu dieser anständigen Handlungsweise gebracht haben. Es freute ihn, daß nun wieder alles in Ordnung war, und müde von den verschiedenen Eindrücken und Erlebnissen des Tages schloß er bald die Augen und träumte – träumte vom Drachenstich und von Hančička, dem lieblichen Chodenmädchen.

Hätte er geahnt, daß er statt des Quistorenhansl Hančičkas Vater angerufen, und dieser infolge seines kräftigen Gegenhiebes schwer verletzt und ohnmächtig noch am Platze der That lag: sein Träumen würde den gräßlichsten Empfindungen gewichen sein. 23


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