Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Am Fuße des Berges teilten sich die Gefährte nach den verschiedenen Richtungen, in welchen die Chodendörfer lagen. Die meisten wählten die Straße nach Kauth und Taus, um im ersteren Orte dem allbeliebten Reichsgrafen von Stadion eine Huldigung darzubringen. Er war einst ihr Herr und Gebieter, aber er sowohl, wie seine Vorfahren hatten sich durch ihre Milde und Volksachtung die Liebe und Anhänglichkeit des Chodenvölkchens zu erwerben gewußt. Dies zeigte sich in der herzlichen Kundgebung, wie in den von einem musikalischen Tusch begleiteten, brausenden Vivatrufen, welche so mächtig erschallten, daß sie im Vereine mit dem Trompetengeschmetter das Gespann des Schloßbauers so sehr erschreckten, daß der letztere Aloys zu Hilfe kommen mußte, um die durch das lange Stehen auf dem Riesenberge ohnedies unruhig gewordenen Pferde wieder zu beruhigen.

Der herbeieilende Gutsverwalter meinte, es wäre vorsichtshalber gut, zur Heimfahrt nur ein Paar Pferde am Wagen zu belassen, aber der Schloßbauer war zu stolz auf seinen Viererzug, um ihn zu teilen. Und als der Verwalter, um Hančička und ihre Mutter besorgt, eindringlichere Einwendungen machte, schnitt Soukup dessen Ermahnungen kurz ab mit den Worten:

»Allen Respekt vor ihnen, Herr Verwalter, aber die 215 Ross' gehören mir und da hat mir niemand was dreinz'reden.«

Damit gab er das Zeichen zur Weiterfahrt, welche unter klingendem Spiele vor sich ging.

Die Stadt Taus war passiert, und nur wenige Wagen zweigten bei schon eintretender Dämmerung gegen Chodenschloß zu ab. In der Nähe dieses Ortes, wo sich die Straße stark abwärts senkt, befindet sich zunächst der Landstraße ein tiefer Weiher, welcher seinen Zufluß durch die warme Pastriz erhält. An der Straße bilden, wie überall in Böhmen, edle, Frucht tragende Obstbäume die Alleen. Hinter einem dieser Bäume saß ein in ärmliche Kleidung gehülltes Weib zusammengekauert, nach den Heranfahrenden angestrengten Blickes starrend.

Als Soukups Wagen herankam, schnellte das Weib plötzlich empor und schrie:

»Alys! Alys! I bin's, dei' Muatta!«

Genügte die rasche Bewegung des Weibes und ihr Geschrei, oder hatte Aloys beim Anblick seiner Mutter eine rasche und unvorsichtige Bewegung mit den Zügeln gemacht, genug, die Pferde wurden scheu und Aloys vermochte sie nicht mehr zu halten.

Als die beiden Frauen die Gefahr erkannten, sprangen sie sofort vom Wagen, was ihnen glücklich gelang, ohne daß sie sich dabei verletzten. Die Pferde sausten die Straße entlang am Rande des Weihers hin, und weder Aloys, noch der Schloßbauer hatten mehr Macht über sie. Letzterer dachte nun daran, sich gleichfalls durch einen kühnen Sprung zu retten, aber er wählte unglücklicherweise die unrechte Seite zum Abspringen und sprang so gerade in 216 den Weiher hinein. Gleich darauf aber brachte Aloys die Tiere mit aller Gewalt dennoch zum Stehen.

Der des Schwimmens unkundige Schloßbauer befand sich in höchster Gefahr. Er hielt sich nur mit Mühe über dem Wasser und schrie laut um Hilfe. Frau Soukup und Hančička eilten herbei, aber sie wußten sich nicht anders zu helfen, als daß sie ebenfalls laut um Hilfe riefen.

Da ließ Aloys die Pferde los, warf den Janker von sich und sprang in die Flut. Der Bauer war bereits am Untersinken, als ihn Aloys erreichte. Er ergriff ihn und schwamm mit ihm unter eigener Lebensgefahr dem Ufer zu. Hier waren inzwischen auch die Insassen der folgenden Wagen angelangt, und nun half man mit vereinten Kräften den beiden ans Land.

Des Schloßbauers Kräfte waren erschöpft, er war einer Ohnmacht nahe. Man führte ihn zum nächsten Wagen und brachte ihn sofort nach Hause. Frau und Tochter wichen nicht mehr von seiner Seite.

»Der Teufel soll die Hex holen!« waren Soukups erste Worte.

»Dank lieber dem Himmel, daß er dich uns erhalten hat,« sagte die Frau, »und dann vergiß auch nicht, Aloys zu danken –«

»Der Aloys – ja, das is ein ganzer Kerl!« versetzte Soukup. Aber er konnte ihm nicht sofort danken, denn Aloys war schon fort, den Pferden nachgeeilt.

Zu Hause angekommen, legte sich Soukup sofort zu Bette und wurde durch Wein gestärkt, so daß er sich alsbald wieder besser fühlte. Als dann Aloys mit den Pferden nach Hause kam, die keinen Schaden genommen, ward ihm 217 von der ganzen Familie der wärmste Dank ausgesprochen. Hančička sogar drückte ihm die Hand und sagte:

»Du hast mir gerettet meinen Vater vom Tode, sag, wie ich dir danken kann?«

Aloys triumphierte.

»Und wenn i ebbs begehret?« fragte er. »Aber na' i krieget's do nöt –«

»Wenn es nichts Unrechtes ist, ganz gewiß,« versicherte sie.

Aber in diesem Augenblick unterbrach Frau Soukup die Unterredung der beiden durch die Frage, wo des Burschen Mutter geblieben und gestattete demselben, sie her zu holen, da sie für dieselbe sorgen wolle.

Aloys hatte über den aufregenden Vorfällen ganz seine Mutter vergessen. Jetzt eilte er, sie aufzusuchen. Es dunkelte bereits, als er aus dem Hause trat. Er fragte zuerst überall in den am Wege liegenden Häusern, ob man das Weib nicht gesehen, das am Abhang an der Straße gesessen, aber er fragte lange vergebens. Endlich berichtete ihm ein Bauer, der etwas deutsch verstand, er hätte die Gesuchte gesehen. Sie hätte ihn angerufen, aber er habe nicht verstanden, was sie wolle. Sie hätte von Aloys gesprochen, der im Weiher sei, wo sie ihn suchen wolle, kurz, es sei ihm vorgekommen, als ob das Weib nicht bei Sinnen gewesen sei.

Aloys verstand die Sache besser und diese Nachricht erfüllte ihn mit größter Angst. Eine unheilvolle Ahnung bemächtigte sich seiner, während er zu dem Weiher hin eilte, aus dem er kurz vorher seinen Herrn gerettet. Er hoffte, die Mutter dort am Ufer zu finden. Doch konnte er bei der Dunkelheit der Nacht – der Himmel hatte sich 218 mit Wolken überzogen – trotz aller Anstrengung seiner Augen nichts entdecken.

Er eilte wieder ins Dorf zurück und suchte und fragte dort neuerdings, doch wollte ihm die Rede des Böhmen nicht mehr aus dem Sinn. Deshalb zündete er ein Laternenlicht an und nahm einige Männer mit sich, mit denen er zum Weiher zurückkehrte.

Der erste Lichtschein, welcher auf die Wasserfläche fiel, zeigte ihm einen nahe dem Ufer schwimmenden, menschlichen Körper. Es war jener seiner armen, irren Mutter.

Entsetzen ergriff den jungen Burschen. Er warf sich zu Boden und schrie laut auf vor Schmerz und – Wut. Er lästerte den Himmel ob des Unglücks, das er fortgesetzt auf ihn häufe.

Seine Begleiter machten sich nun daran, mittelst Stangen den Leichnam des unglücklichen Weibes ganz ans Land zu ziehen. Alle Wiederbelebungsversuche waren vergebens; der Körper war bereits kalt und starr.

Einer der Männer war ins Dorf geeilt, um Soukup von dem Vorgefallenen zu unterrichten. Dieser gab sofort Befehl, daß die Leiche auf seinen Hof gebracht werde, was denn auch mittelst einer Tragbahre geschah. Er wollte, daß der Mutter seines Retters alle Ehren erwiesen würden, wie es bei einer Großbäuerin gebräuchlich sei.

Aloys wurde von der Familie Soukup auf tiefste bedauert. Als seine Mutter am übernächsten Tage ins Grab gesenkt wurde, da segnete sie nicht nur der Geistliche des Ortes ein, sondern alle Choden der Umgegend nahmen an dem Leichenbegängnis teil, als wäre sie eine der ihrigen gewesen. Aber nicht der Toten allein ward so ehrend gedacht, sondern auch dem wackern Erretter 219 ihres hochangesehenen Genossen ward Dank und Anerkennung gebracht, indem sie unter sich eine erkleckliche Summe Geldes sammelten, die sie ihm zum Geschenke machten.

Mehr als je ward dessen Stelle im Hause Soukups jetzt wieder befestigt und er fing abermals an, zu hoffen, – das Unerreichbare zu erhoffen. Das überstandene Unglück konnte sich ihm ja zum Glücke gestalten, der Weg zum Glücke ist ja stets ein unberechenbarer, so meinte er, und warum sollten die Bäume nicht in den Himmel wachsen? Noch gehörte ihm das Feld, und er wollte seine Zeit nützen. 220


 << zurück weiter >>