Maximilian Schmidt
Hančička das Chodenmädchen
Maximilian Schmidt

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V.

Einige Wochen sind ins Land gezogen seit jenem für die Familie des Chodenschloßbauers denkwürdigen Tage. Die Heilung von Soukups Wunde ging dank der Fürsorge, welche ihm von seiten des Arztes und der Seinigen und zum Ueberflusse noch vom Dorfquacksalber zu teil wurde, gut von statten. Er konnte an den schönen Augusttagen bereits in einem Lehnstuhle vor dem Gebäude sitzen und ausschauen nach den mit schweren Aehren gefüllten, goldgelben Feldern, auf welchen bereits mit der Sichel die ergiebige Ernte begonnen hatte. Der Quistorenhansl regierte statt seiner überall auf das eifrigste, und der Bauer konnte vollständig beruhigt sein.

Die Nachforschungen nach dem Räuber waren bis jetzt vergebens gewesen. Nach der übereilten Arretierung des Aloys waren die Gendarmen an der Grenze etwas vorsichtiger. Von diesem hatte man bis jetzt nichts erfahren, so sehr sich auch die Familie des Schloßbauern mit seinem Schicksale beschäftigte.

Nachdem die Ernte glücklich unter Dach gebracht und die Sichelhäng in gebräuchlicher Weise gefeiert worden, – das ist ein Schmaus mit Tanz für die Dienstboten am Tage der letzten Getreideeinfuhr – dachte Frau Soukup daran, ihrem Gelöbnisse gerecht zu werden und die Wallfahrt der Choden am Maria-Himmelfahrtsfeste nach Neukirchen beim heiligen Blut mitzumachen. Der Bauer hatte 49 nichts dagegen, daß Hančička die Mutter begleite; er hoffte, die zwei Tage ihrer Entfernung würden ihm keinen Nachteil bringen, und überhaupt sagte es seinem religiösen Gefühle zu, daß das versprochene Gelöbnis richtig eingehalten werde, zumal sich sein Befinden, sei es nun infolge seiner kräftigen Natur, sei es durch die Gnade der Himmelsfrau wider Erwarten rasch zum Besseren geneigt hatte.

Die Choden kommen ihren religiösen Bedürfnissen mit Eifer nach und sind insbesondere ihre Wallfahrtszüge nach den geweihten Stätten ein beredtes Zeugnis ihrer Glaubenstreue. Zu diesem Zwecke scharen sich die Bewohner der nahe bei einander liegenden Chodendörfer zusammen und wandern unter Singen und Beten, einen älteren Mann als Vorsinger oder Vorbeter an der Spitze, zum Wallfahrtsorte hin und zurück.

So bewegte sich ein solcher Zug am Tage vor dem Frauenfeste in früher Morgenstunde vom Chodenschlosse aus, wo den Wallfahrern vom Geistlichen der Segen gespendet worden, in der Richtung auf Neukirchen zu. Frau Soukoup, eine Opferkerze im Arme, und Hančička befanden sich im Zuge, dessen Vorsinger der Doktorjirka war. Angethan mit dem großen Chodenhute und dem langen, weißen Rocke, ein dickes Gebetbuch in der Hand und die Brille auf der Nase, schritt er trotz seines Alters rüstig dem Zuge voran und sang die Marienlitanei und andere Gebete, selbstverständlich in böhmischer Sprache, vor, worauf die Volksmasse nachsang. Dieses geschah regelmäßig, so oft es durch eine Ortschaft ging, oder wenn eine längere Rast vorüber war.

Eine solche ward auf der Höhe von 50 Böhmisch-Kubitzen genommen, woselbst sich die Wasserscheide zwischen Donau und Elbe befindet, und sich eine herrliche Aussicht gegen die Gebirge des Bayerwaldes und in die saftig grünen Thäler des Champ und Freibaches, der kalten und warmen Pastriz eröffnet. Nebst vielen anderen Ortschaften erblickt man hier auch zum erstenmale den Turm mit Kirche und Kloster von Neukirchen beim heiligen Blut, welcher Gnadenort von den Wallfahrern mit einem weithin klingenden Ave Maria-Gesang begrüßt wurde.

Von dieser Anhöhe zeigte sich auch in nicht allzuweiter Entfernung der Hof des Waldbauern von Bayrisch-Prennet, Franzens Heimat. Frau Soukup kannte diesen Hof und zeigte ihn ihrem Töchterlein. Das Besitztum lag sehr einladend da, und Hančička meinte:

»Mutter, wir sollten besuchen da. Ich freue mich sehr, Franz wieder zu sehen und seine Großmutter zu kennen.«

»Vielleicht am Heimweg,« meinte die Mutter, »wenn wir uns vom Zuge so lange entfernen können.«

Hančička war über diese Zusage sehr erfreut.

»Jetzt ist mir die Wallfahrt doppelt so lieb,« sagte sie, »und ich will dir den prächtigsten Frauenbüschel brocken (pflücken), den es im ganzen Zuge giebt.«

Der Maria-Himmelfahrtstag (15. August) ist auch der sogenannte »Kräutelfrauentag,« der im Böhmer- und Bayerwalde hoch gefeiert wird. Am Vorabend desselben werden die für den Frauenbüschel bestimmten Kräuter und Blumen aus Feld, Wald, Wiese und Garten zusammengesucht, um zur »Würzweihe« am Festtage gebracht zu werden. Diese Büschel bestehen aus Getreideähren, Bandgras, Gartham, Kornblumen, Haselstrauch mit Nuß, Schafgarbe, Tausendguldenkraut, Ginster, Feldmünze, 51 Königskerze, Baldrian, Kalmus u. s. w. Jede ländliche Familie entsendet zur Würzweih einen solchen Büschel, und es ist ein hübscher Anblick, wenn die Leute mit den oft mannshohen Riesensträußen den weihenden Priester im Halbkreise umstehen. Diesen geweihten Himmelfahrtskräutern wohnt nach dem christlichen Volksglauben eine geheimnisvolle Kraft inne, in Bezug auf die Gesundheit des Menschen sowohl als jener der Haustiere, sowie gegen Geister und bösen Zauber, ganz im Sinne des uralten Kräuterglaubens des germanischen Volkes.

So sammelte auch mit Eifer jeder Wallfahrer seinen Strauß, wozu ihm die Wanderung durch Wiesen und schattenspendende Wälder die reichlichste Auslese gestatteten.

Selbstverständlich war der Doktorjirka der eifrigste von allen. Er füllte den alten Lederranzen, den er umhängen hatte, mit duftenden Kräutern voll und trug außerdem einen Riesenbüschel im Arm. Für seine Medikamente sollten ja diese durch die morgige Weihe besonders wirksam gemacht werden und einen wahren Schatz bilden. Er erklärte auch den neben ihm marschierenden Landsleuten mit größter Wichtigkeit die Heilkräfte, welche die verschiedenen Blüten und Pflanzen auszeichneten, und worüber er genaue Kenntnis hatte. –

Der Zug der Choden mit ihren hellfarbigen Anzügen und den Blumenbüscheln im Arm bot ein überaus reizvolles Bild, das malerisch abstach gegen das Grün des Waldes und der Fluren, sowie von den goldgelben, mit rotem Mohn untermischten Getreidefeldern ringsumher.

Auf dem Marktplatze des hoch gelegenen vormaligen Grenzschlosses Eschlkam, im Mittelpunkte einer von nahen 52 und fernen Gebirgen umrahmten herrlichen Gegend, ward die letzte Rast gemacht, und aus den über dem Rücken befestigten weißen Bündeln der nötige Proviant, fast nur in Schwarzbrot und Topfen bestehend, genommen.

Hier suchte Frau Soukup Erkundigungen über Aloys und dessen Mutter einzuziehen und erfuhr, daß der im allgemeinen gut beleumundete Bursche seine infolge des Unglücks tiefsinnig gewordene Mutter ausfindig gemacht und zurückgebracht habe und zur Zeit mit ihr nach Deggendorf gereist sei, wo sie in der Kreisirrenanstalt Aufnahme fände. Ferner erfuhr sie, daß der nunmehrige Besitzer des Hansgirgelhofes, jener Wucherer, bis jetzt kein Glück gehabt habe. Nicht nur habe ihm eine Seuche die Mehrzahl des Viehes zu Fall gebracht, sondern seine Felder hätten auch durch den PilmasschnittUnter Pilmas-, Bilmez- oder Bilwißschnitt, zuweilen auch Bockschnitt, versteht man den als Teufels- oder Hexenwerk betrachteten Durchschnitt im Getreide. Dieser Durchschnitt rührt wohl von den Rehen her, die auf ihrem Gang zu dem Platze, wo sie ihre Jungen setzen, die ihnen in die Augen stechenden Aehren abzubeißen pflegen. Der Bauer hält das aber hier und da für ein Werk des Bösen oder neidischer, mit dem Satan und seinen Künsten vertrauter Nachbarn, dem Bilmesschneider. Man nennt es auch Bockschnitt, weil man annimmt, daß diese Erscheinung von einem Bock herrührt, auf welchem ein Gespenst durch das Getreidefeld reitet, daher auch Pilmas- oder Bilbeyreiter genannt. gelitten. Das Volk erblickte darin eine gerechte Vergeltung des Himmels. Eine menschliche Vergeltung aber sei ihm bereits dadurch zu teil geworden, daß er unlängst von den über ihn erbitterten Nachbarn tüchtig durchgeprügelt worden sei.

53 Frau Soukup hinterließ Aloys die Nachricht, daß er nach seiner Rückkehr sofort in Chodenschloß erwartet würde.

Bald gelangten sie, längs des prächtigen Gebirgszuges des Hohenbogens hinwandernd, nach dem vielbesuchten Gnadenorte Neukirchen beim heiligen Blut. Nebst vielen anderen Wallfahrern trugen hier auch die Choden ihren religiösen Gefühlen Rechnung. Sie fühlten alsbald ihre gläubigen Herzen erleichtert und voll froher Hoffnung schlagen, denn im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung besteht ja oft das einzige Glück, die schönste und lebendigste Poesie des Volkes.

Hančička und ihre Mutter dankten gerührten Herzens der Himmlischen für die Errettung des Mannes und Vaters. Sie wohnten am Festtage der Kräuterweihe und dem Hochamte bei und traten dann mit den übrigen gegen Mittag den Rückweg in ihre Heimat an.

Hančička hielt sich mit ihren Altersgenossinnen meist an der Spitze des Zuges, während die Mutter mit ein paar Nachbarsweibern sich fast am Ende desselben befand, der sich durch das reizende Danglesthal bewegte und nach einem längeren Marsche in einem Tannenwalde hart an der Grenze Rast machte, wo der Rest des Proviantes verzehrt wurde. Auch Hančička hatte das letzte mit der Mutter geteilt und begab sich dann wieder zu den Kindern, mit denen sie in der Nähe nach Erdbeeren suchte. Sie fühlte sich aber so ermüdet, daß sie sich unter einer Tanne niederlegte, um ein wenig auszuruhen. Die Ruhe auf dem kühlen Rasen that ihr wohl, sie streckte sich behaglich und schloß, die Arme unter dem Kopfe gekreuzt, die Augen. Ein paar Minuten später lag sie in tiefem Schlafe. – 54


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